wilde perspektiven

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Samstag, 10. September 2016

Dies und das (Teil 999)

Wenn ich in meiner Küche stehe, mir eine Stulle schmiere und – Achtung! – gleichzeitig nach rechts aus dem Fenster schaue, dann sehe ich eigentlich fast immer eine Taube auf dem First des Nachbarschlosses stehen.

Meist ist es eine von zwei Haustauben, mal sind es beide gleichzeitig, mal steht dort eine Ringeltaube und ebenfalls nicht selten eine oder zwei Türkentauben.

Die Türkentaube ist bei uns ein häufiger Vogel der Dörfer und in geringerem Maße auch der Städte. Doch das war nicht immer so. Eigentlich stammt sie nämlich aus der Türkei. Erst im 20. Jahrhundert hat sie sich von dort aus unglaublich schnell über ganz Europa ausgebreitet. Und nachdem man sie in den 70ern des letzten Jahrhunderts auf die Bahamas verfachtet hatte, eroberte sie von dort aus auch noch den Osten der USA im Handumdrehen.

Und so schnuckelig sieht sie aus:





still common in Emden, the Eurasian Collared Dove

Die Niederlande soll sie 1949 erreicht haben, Großbritannien bereits sieben Jahre später. 

Wann genau dieser Vogel aber zum ersten Mal in Emden nachgewiesen wurde, weiß ich nicht. Selbst in Klaus Rettigs Brutvogelatlas Stadt Emden steht nichts dazu. Zitat: "In den 50er Jahren ist sie auch bei uns heimisch geworden."

Bei uns. In Deutschland oder in Emden? Klaus, so geht das nicht, das ist ungenau. Immer muss ich mit dir schimpfen  ;-)

In der "Niedersachsen-Avifauna" wird in diesem Zusammenhang der 4. Oktober 1964 genannt. Allerdings nicht für Emden, sondern für das nur wenige Kilometer östlich der Seehafenstadt liegende Oldersum.

Im Grunde ist das auch egal, denn eigentlich wollte ich nur deutlich machen, wie rasant sich dieser Vogel von der Türkei aus bis nach Schottland und Norwegen ausbreiten konnte. Nur wenige Jahrzehnte benötigte er dafür.

Ja, sie singen und balzen auch jetzt noch, die Türkentauben Emdens:







singing

Und wahrscheinlich brüten sie auch noch.

Die Türkentaube hat sich also in fast ganz Europa ansiedeln können. Doch trotzdem kommt sie keineswegs überall vor. Im echten Outback, also dort, wo es keine Häuser und Siedlungen gibt, fehlt sie nämlich. Wie der Haussperling ist die Türkentaube zumindest in Mitteleuropa sehr eng an den Menschen und dessen Siedlungen gebunden. Vor allem dort, wo Tiere wie Pferde und Hühner gehalten werden, kann man die Türkentaube auch in größerer Zahl sehen.

Sie ist also eine der wenigen Vogelarten, die tatsächlich von unserem Tun profitieren. Weil es aber auch auf Bauernhöfen und in Privatgärten immer steriler wird, ist die Türkentaube in Teilen der Republik bereits wieder den Rückgang angetreten. In Emden scheint das aber noch nicht der Fall zu sein. Hier ist sie noch allgegenwärtig.


Trotzdem: Wie sehr die Türkentaube und auch der Haussperling das Bild eines Dorfes prägen können, kann man im sonnigen und im positiven Sinne dreckigen Süden beobachten. Vor allem auf dem Balkan geben beide Vogelarten nach wie vor den Ton an. Dort pfeifen sie auch heute noch gemeinsam die neuesten Gerüchte von den Dächern.

Die Bilder von der Türkentaube habe ich erst heute Morgen gemacht. Sie sind also noch ganz frisch!


Ein Krabbenkutter vor dem Rysumer Nacken:

fishing boat

Es hatte den Anschein, als sei er dort vor Anker gegangen.

Jedenfalls bewegte sich das Teil keinen Millimeter vorwärts oder rückwärts. Vielleicht war es ein Geisterschiff, wie man es schon so oft in gruseligen Filmen gesehen hatte.

Dass es aus Pogum stammte, konnte ich später dem Schriftzug POG1 am Bug entnehmen:

Hier stand die Sonne schon etwas höher.

Pogum ist übrigens ein kleines Dorf im Rheiderland. Es befindet sich exakt dort, wo sich die Ems in den Dollart ergießt.

Auf der anderen Seite der Ems, also Pogum gegenüber, liegt das ebenso beschauliche Petkum, das einst zum Landkreis Leer gehörte, seit 1972 aber ein Teil der Stadt Emden ist.

Dort konnte ich am Freitag (9. September 2016) zwei Raubseeschwalben fotografieren:

Caspian Tern (record shot)

Es handelte sich dabei um einen jungen und einen adulten Vogel:

same

Die Beobachtung war etwas kurios, denn außer den beiden Seeschwalben waren kaum Vögel anwesend. Nur einige Graugänse, ein einsamer Großer Brachvogel und wenige Lachmöwen trieben sich dort noch herum. Selbst ein Blindfisch wie ich konnte die Raubseeschwalben also nicht übersehen. Wie in den letzten Jahren auch machen die Raubseeschwalben auf der Fläche westlich des Petkumer Hafens eine Pause auf dem Weg ins Winterquartier, das sich in Afrika befindet.

Wenige Minuten später sah ich noch einen jungen Kuckuck, der am Ortsrand von Petkum in einer Weide nach Nahrung suchte. Auch für ihn geht es bald nach Afrika, wo sich seine Eltern wahrscheinlich schon befinden. Weil sie ihren Nachwuchs nicht selbst aufziehen müssen, können sie sich recht zeitig im Jahr auf die weite und gefahrvolle Reise begeben.


In der vergangenen Woche fuhr ich am Abend die Deichstraße in Emden-Wybelsum entlang. Aus dem fahrenden Auto heraus sah ich einen Trupp Stare und einen Mäusebussard in einem toten Baum stehen. Ich hielt an, wollte ein Bild machen, doch ich war schon zu weit gefahren. Denn der Hintergrund, einige alte Weidenbüsche, gefiel mir einfach nicht. Also setzte ich meinen Wagen zurück. Der Hintergrund passte, doch jetzt war die Linse an meiner Kamera zu lang, um den ganzen toten Baum mitsamt seinen Vögeln ins Bild zu bekommen.

Schnell wechselte ich das Objektiv.

Es war ein kleines Wunder, dass alle Vögel stehen blieben. Denn für mich war wichtig, dass sowohl Stare als auch der Bussard zusammen fotografiert wurden. Genau darin lag für mich der Reiz der Situation, wie ich sie im Vorbeifahren entdeckt hatte:

Starlings really don't care about a Common Buzzard – note the Barn Swallow

Immer wieder erzählen mir Leute, ihre Hühner seien einem Bussard zum Opfer gefallen.

Doch das ist natürlich Quatsch, denn Hühner wären eine viel zu große und nicht zu stemmende Beute für einen Mäusebussard. Auch kleinere Vögel, die gesund und flugfähig sind, sehen im Mäusebussard alles andere als einen ernst zu nehmenden Feind. Die Stare putzten sich und sangen im Chor. Es hörte sich ein wenig so aus, als verspotteten sie den Bussard. Dieses Bild illustriert also sehr schön, dass man sich nur als Kleinnager, Käfer und Regenwurm vor einem Mäusebussard fürchten muss.

Ich bitte euch, auch die Rauchschwalbe im Bild zu beachten.


Ein junger Löffler mit einer ganzen Armada an bunten Ringen stand in der letzten Woche abends  am Emsstrand herum, zusammen mit einigen Kollegen:


young Spoonbill with colour rings. He was ringed on 10. June 2016 at Mellum, a small and uninhabited island in the German wadden sea

Solche "bunten" Vögel kann man in und um Emden und an der ganzen ostfriesischen Küste immer wieder mal finden. Vor allem im Anschluss an die Brutzeit. Dieser Löffler ist am 10. Juni 2016 auf Mellum beringt worden. Die meisten beringten Löffler, die man hier sehen kann, stammen aber wohl aus den Niederlanden.

Mit knapp 3000 Paaren beherbergt unser kleines Nachbarland übrigens etwa die Hälfte des europäischen Bestandes dieser einst so seltenen und stark bedrohten Vogelart. Und den Niederländern und ihren emsigen Bemühungen um den Löffler haben wir es auch zu verdanken, dass diese stolze Art auch wieder ein Brutvogel Deutschlands geworden ist. Vor fast genau 20 Jahren zog das erste Paar nach einer vieljährigen Unterbrechung auf Memmert seinen Nachwuchs groß. Von diesem Zeitpunkt an ging es für den Löffler auch in Deustschland steil bergauf!

Trotz dieser Erfolgsgeschichte darf man aber nicht vergessen, dass eine Art, von der es nur etwa 6000 Brutpaare in Europa gibt, nach wie vor gefährdet ist.


Aber warum hatte es den Löffler zuvor so viele Jahrzehnte nicht mehr in unserer Republik gegeben?

Weil man ihn als Fischverspeiser und Träger hübscher Schmuckfedern (Hutmode) rücksichtslos verfolgt hatte. Wie im Falle des Kormorans war (und ist) vielen Menschen Empathie für wild lebende Tiere einfach nur fremd. Auch heute noch wird dem Löffler in Teilen Südost-Europas nachgestellt. Trotzdem konnte er sich inzwischen auch wieder in Großbritannien ansiedeln, wo er bereits im 17. Jahrhundert ausgestorben war.

Für die Übermittlung der Beringungsdaten geht mein Dank an Harry Horn und Petra de Goeij von der so genannten Werkgroep Lepelaar: klick!


male Vagrant Darter

Im letzten Bericht konnte ich eine weibliche Große Heidelibelle vorstellen. Heute folgt ein Männchen der sehr ähnlichen Gemeinen Heidelibelle, das ich auf dem Rysumer Nacken fotografieren konnte.


Von dort aus kann man nach Eemshaven/NL hinübersehen:

power station Eemshaven / NL

Viele Menschen wissen das nicht, aber ohne Kraftwerke gäbe es keine Wolken.

Unermüdlich sorgen sie dafür, dass der Himmel niemals blau wird. Zurzeit müssen also alle Kraftwerke der Republik abgeschaltet sein. Ich kann das natürlich von hier aus nicht überprüfen. Aber weil sich der Himmel seit Tagen wolkenlos präsentiert, fällt mir keine andere Lösung ein.


Jetzt gibt's Farbe:
 
female Wasp Spider with egg sac

Diese weibliche Wespenspinne stammt noch aus dem Moor bei Tannenhausen. Ich hatte sie dort Ende August fotografiert, nachdem das Tier in der vorausgegangenen Nacht dicht über dem Boden seinen ersten Kokon gebastelt hatte.

Beachtet bitte die hübschen braunen Rallyestreifen auf dem Kokon, die konturauflösend wirken und ihm wahrscheinlich eine bessere Tarnung in der Vegetation verleihen sollen. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, was sich Mutter Natur alles hat einfallen lassen im Laufe der Jahrmillionen!

Etwa eine Woche später stand dieses Weibchen wieder in seinem angestammten Netz:


same, but one week later

Und das war mir neu.

Ich wusste nicht, dass diese Tiere nach dem Errichten der Kokons wieder in ihr Netz zurückkehren. Ich dachte immer, sie bauen einen oder mehrere Kokons, um dann zu sterben. Also, ich dachte, sie erledigen die Kokons sozusagen in einem Abwasch, aber da lag ich mächtig falsch.

Wenn man die Bilder miteinander vergleicht, erkennt man leichte Unterschiede in der Zeichnung auf dem Hinterkörper. Man sieht aber auch, dass die Spinne nach einer Woche wieder deutlich zugenommen hatte. Entsprechend sind Unterschiede in der Zeichnung auf eine Dehnung der Haut zurückzuführen.

Dass es sich stets um dasselbe Individuum gehandelt hat, kann man u. a. daran erkennen, dass der Spinne ein Bein fehlt. Es muss sich aber auch deshalb um dasselbe Tier gehandelt haben, weil ich nie zuvor ein anderes Weibchen in unmittelbarer Nähe beobachtet hatte, dieses Tier aber sein Netz immer an exakt denselben Halmen befestigt hatte.

So schön, die Farben:

Im Lebensraum: 





Ein Großes Heupferd habe ich noch im Ärmel:

Great Green Bush-cricket


Jetzt, zum Abschluss, gibt es noch etwas Trauriges:

Kingfisher with Dragonfly larvae as prey

Wieso ist ein Eisvogel mit einer Libellenlarve im Schnabel traurig?

Er freut sich doch, wie man sehen kann!

Ich sag's euch: Es handelt sich hierbei nämlich um den letzten Eisvogel, den ich in Aurich (an einem nebligen Morgen) fotografieren konnte.

Morgens hatte ich dieses und weitere Bilder gemacht, um anschließend einen langen Beobachtungsgang zu unternehmen. Er führte mich bis zum Moorlehrpfad in Eversmeer, wo ich mich eine ganze Weile aufhielt und u. a. eine Kreuzotter beim Sonnenbad beobachtete. Nach etwa sechs Stunden kehrte ich zu meinem Tarnzelt zurück.

Doch jetzt war es nackt!

Jemand hatte also während meiner Abwesenheit mein Tarnnetz geklaut. Ich lege es immer über das Zelt, damit es in der offenen Landschaft nicht ganz so sehr auffällt. Auch an einem so abgelegenen Ort wie diesem ist das leider notwendig, doch gebracht hat es am Ende nichts. In Deutschland wird wirklich jeder Quadratmeter – und sei er noch so versteckt – mindestens einmal am Tag von Menschen aufgesucht. Anscheinend nicht selten auch von Idioten, wie dieses Beispiel zeigt.

Und auch das meine ich immer, wenn ich schreibe, dass es einfach zu viele Menschen gibt. Es gibt in diesem Land keinen Ort, wo man einen ganzen Tag ungestört verbringen kann. Besonders dreist war der Diebstahl diesmal deshalb, weil mein Auto in der Nähe stand, die armselige Arschkrampe also wissen musste, dass ich mich irgendwo im Moor aufhalten musste. Ich ärgere mich, dass ich nicht zur richtigen Zeit um die Ecke gekommen bin. Wahrscheinlich wäre ich mindestens ausfallend geworden.

Inzwischen muss ich schon wieder darüber lachen. Denn eigentlich ist es ein großes Wunder gewesen, dass mein ganzes Zeugs so lange unangetastet geblieben ist. Ich hatte von Beginn an damit gerechnet, dass sich eines Tages jemand nehemen wird, was er gebrauchen kann.

Doch wer kann schon etwas mit einem Tarnnetz anfangen?


Was gab es noch?

1. Am heutigen Sonntag (11. September 2016) jähren sich die Anschläge auf das World Trade Center in New York zum 15. Mal. Jeder Mensch, der sie (im TV) bewusst miterlebt hat, wird wissen, wo genau er sich an diesem Tag aufgehalten hat.

Ich war damals auf der Helgoländer Düne. Genauer: auf dem Flugplatz. Zuvor war ich auf der Aade gewesen, um dort Goldregenpfeifer zu beobachten. Ich näherte mich dem Flughafen-Restaurant, als eine Mitarbeiterin desselben auf mich zukam, meinen Arm ergriff und mich hineinführte. Was soll das jetzt, dachte ich, das ist aber ein ganz schön aggressiver Kundenfang.

Im Restaurant liefen in Endlosschleife merkwürdige Bilder von einem Flugzeug, das in eines der Hochhäuser stürzte. Eine Erklärung dafür hatte ich nicht. Die anderen Menschen im Restaurant, die das Geschehen in der Glotze gebannt verfolgten, hatten dem Anschein nach auch keine Idee, was genau da vor sich ging.

Erst später ging mir ein Licht auf. Aber nur, weil inzwischen ein zweites Flugzeug in den zweiten Turm gerast war und der Reporter plötzlich von Terrorrismus sprach. Ohne diesen zweiten Flieger wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass es sich hier um einen Anschlag handeln konnte. Zu bizarr war mir das ganze Spektakel erschienen. Warum, so hatte ich mich zuvor mehrfach gefragt, steuert ein Pilot seine Maschine in einen Wolkenkratzer?

Ich sendete eine SMS an einen Kollegen, der sich zeitgleich auf der Haupfinsel aufhielt. Er war (und ist) viel klüger als ich, zog die richtigen Schlüsse und antwortete nach wenigen Minuten mit den Worten: "Ich bin schon im Bunker!"

Auch darauf wäre ich nicht gekommen. Also auf die Folgen der Anschläge. Denn tatsächlich sollte es gleich zwei neue Kriege geben. Zwar nicht auf Helgoland und auch nicht in Deutschland, aber in Afghanistan und ein Jahr später auch im Irak. Diesen Kriegen sollten weitere folgen. Und diese Kriege und ihre Auswirkungen haben bis heute kein Ende gefunden.


2. Um diesem Beitrag aber doch ein schönes Finale zu bescheren, kann ich noch schnell die sympathische Frau Kerber ins Spiel bringen. Seit diesem Wochenende führt sie nämlich die Tennis-Weltrangliste an. Natürlich die der Damen. Den Finalerfolg bei den US-Open am Samstag hätte sie dazu gar nicht mehr gebraucht. Frau Kerber hat also nicht nur die ewig währende Regentschaft der Frau Williams beendet, nein, sie ist mit diesem Erfolg endlich auch aus dem Schatten der übermächtigen Frau Graf hervorgetreten.

Glückwunsch dazu!