Freitag, 4. Juni 2021

Flussregenpfeifer

An einem x-beliebigen Sonntag im Mai. 

Irgendwo in Ostfriesland.

Kaum hatte Gerda die volle Kaffeetasse auf den Tisch gestellt, da sprang Okko auch schon auf. 

Wie ein geölter Blitz stürmte er aus der Küche.

Während sie kopfschüttelnd mit einem Schwamm sowohl den Tisch als auch die Fliesen darunter von Kaffee und Kuchenkrümeln befreite, sah sie ihn auch schon mit starr nach vorn gerichtetem Blick und tiefer, senkrechter Falte zwischen den Brauen auf seinem Aufsitzmäher am Küchenfenster vorbeirauschen. 

Nur fünf Minuten später stand Okko wieder in der Küche. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Es waren Schweißperlen der Angst. Gerda kannte die Antwort natürlich schon, doch sie fragte trotzdem nach: "Was war denn jetzt schon wieder los?"

Okko schnappte nach Luft: "Beinahe wäre es ihm gelungen. Ich muss ihn gestern übersehen haben.

"Was wäre wem beinahe gelungen?"

"Einem verfickten Löwenzahn wäre es fast gelungen, seine Blüte zu öffnen." Er schüttelte empört den Kopf: "Auf meinem schönen Rasen!"

 

Kinners, heute gibt es nach langer Durststrecke endlich mal wieder einen Beitrag zum Nulltarif.

Das Wetter war schuld! 

Im Grunde liegt es doch immer am Wetter. 

Viel Regen hat es hier gegeben. So viel Regen, dass in der Kleipütte bei Manslagt nun doch wieder ausgezeichnete Verhältnisse vorherrschen für all jene Tiere und Pflanzen, die ohne Wasser nicht existieren könnten.

Und heute ist es der süße Flussregenpfeifer, den ich mal eben zum Star mache!

Noch nie habe ich ihn hier vorgestellt, was sich aber heute endlich ändert:


cute Little Ringed Plover

In Ostfriesland ist der Flussregenpfeifer vor allem ein Vogel der Sandgruben. 

Aber auch in Kleientnahmestellen richtet er sich gerne ein, wenn die Bodenvegetation noch nicht zu dicht ist.

In der Kleipütte bei Manslagt leben zwei Paare. Aber nur das Männchen eines dieser beiden Paare hat sich vor meine kurze Linse getraut:



all images show the same male

Den ersten Flussregenpfeifer dieses Jahres sah ich genau an diesem Ort. 

Es war ein balzendess Männchen, das am 30. März in seinem Fledermausflug über den offenen Flächen kreiste. Am 3. April tauchte auch eine Dame auf, die sich dem Männchen rasch anschloss. 

Inzwischen sind zwei Monate vergangen, doch Nachwuchs habe ich noch nicht gesehen. Ich vermute, die beiden Vögel haben wegen der massiven Regenfälle der letzten Wochen und dem daraus resultierenden Ansteigen des Pegels mindestens ein Gelege verloren. 

Wie niedlich:

























Zurzeit lässt sich das Weibchen wieder nur selten blicken und dann auch grundsätzlich nie länger als ein paar Minuten. 

Ich weiß nicht, wo genau die Vögel brüten. Sicher schreiben kann ich nur, dass sich das Gelege nicht in jenem Bereich befindet, wo ich fotografiere. Schließlich möchte ich so wenig wie möglich stören, und da sollte man es im Vorfeld nicht an einer ausgiebigen Recherche mangeln lassen. 

Auf Streife durchs Revier:

Nach Sonnenaufgang im Salat (Huflattich) stehend: 






Nur einen Augenblick später war das Licht so dermaßen grell, dass ich mein Unterfangen abbrechen musste.

Schattenwurf und blöde Farben, ihr versteht. Andere Fotografen kramen ihre Linse dann erst hervor, aber das ist nicht mein Problem.

Es folgen weitere interessante Beobachtungen!

Am Abend des 25. Mai entdeckte ich am Deich bei Pilsum meinen ersten Seidenreiher der Saison:


my first Little Egret of the season was looking for earthworms

Auf Dauergrünland hatte es der schmucke Vogel auf besonders fette Beute abbgesehen und sammelte sie einfach ein: Regenwürmer!

Wohl dasselbe Individuum hielt sich auch in den kommenden Tagen in diesem Bereich auf, später wurde es dann von anderen Beobachtern in der Leybucht entdeckt. 

Der kalten und unwirtlichen Witterung war wohl auch das späte Auftauchen meines ersten Distelfalters des Jahres geschuldet. Ich entdeckte das völlig abgeflogene Tier am 14. Mai und bei sehr niedrigen Temperaturen auf dem Rysumer Nacken, als es vor meinen Füßen aufflog. 

Bis das zweite Exemplar hier auftauchte, sollten noch einmal satte 16 Tage vergehen! 

Diesmal sah ich einen ebenfalls schon recht blassen Distelfalter auf einem Stoppelfeld bei Manslagt, wo er sich am Abend auf einer Traktorspur sonnte, durch die recht hohen Gräser geschützt vor dem nach wie vor kühlen und böigen Wind. 

So sah er aus:


Painted Lady arrived late this year caused by unusual low temperatures and tons of rain 

Seit Ende Mai flattern auf dem Rysumer Nacken auch wieder die hübschen Blutbären durch die dort größtenteils ungedüngte und ungemähte und somit naturnahe Gegend.

Einer versteckte sich am frühen Morgen auf den Blättern des ebenso hübschen  Jakobsgreiskrautes

Das Versteck war aber natürlich nicht gut genug, um Onkel Frank zu täuschen:



beautiful Cinnabar Moth

Onkel Frank sieht nämlich alles.

Das bei vielen Menschen so verhasste Jakobsgreiskraut ist übrigens auch die Futterpflanze der Raupen, die wie die Falter schrill gefärbt sind und auf diese Weise mögliche Essfeinde vor ihrer Giftigkeit warnen. 

Freundlich, oder?

Am 17. Mai entdeckte ich auf einem gefluteten Acker bei Manslagt einen ungewöhlichen Brachvogel, von dem mir aber wegen der immensen Distanz nur einige armselige Belegfotos gelingen wollten:


record shot of a new species, the "Short-billed Curlew". This bird resembled a Little Curlew on first view, but was much too big and bulky. Never before I had seen a Eurasian Curlew with a bill not much longer than the head

Auf den ersten Blick hatte der Vogel was von einem Zwergbrachvogel, doch auf den zweiten sah alles ganz anders aus, war er doch viel zu groß für diese ostpaläarktische Art, die bislang noch nie in Deutschland festgestellt worden ist, sehr wohl aber in den Niederlanden. 

Tatsächlich hat es sich hier um einen gewöhnlichen Brachvogel gehandelt, ausgestattet mit einem ungewöhnlich kurzen Schnabel.

Eine Nilgans-Familie begegnete mir am 29. Mai auf dem Rysumer Nacken:


Egyptian Goose with offspring. Only one day later all chicks had already vanished

Nur einen Tag später gab es von den Küken keine Spur mehr. 

Das passiert, wenn man seinen Brutplatz als Nilgans viel zu nachlässig auswählt. Immerhin fand die Begegnung weit entfernt vom nächsten Gewässer statt. Und nur ein Gewässer kann echten Schutz vor Beutegreifern bieten. 

Als Nilgans sollte man das eigentlich wissen, finde ich. 

Diese beiden Altvögel waren vielleicht Anfänger im Brutgeschäft oder so. Doch immerhin konnte mir eine der Nilgänse demonstrieren, wie geschickt sie in einer anderen Disziplin war. 

Minutenlang seiltänzelte sie auf einem dünnen Stacheldraht herum und kam dabei bedenklich ins Schwanken, nur um ihren Nachwuchs besser im Auge behalten zu können und nicht die Übersicht zu verlieren, wenn da wieder einmal so ein bescheuerter Zweibeiner wie aus dem Nichts auftaucht.

Ob sie sich an ihren Spannhäuten verletzt hat, ist nicht überliefert.

Aber seht selbst:



skilled dancing on barbed wire

Zurzeit gibt es hier Kanadagänse in Massen:


currently many Canada Geese of presumed Dutch origin show up at Ostfrieland

Der Zwischenzug hat eingesetzt, und all diese Vögel stammen sehr wahrscheinlich aus den benachbarten Niederlanden, wo es noch mehr Kanadagänse pro Quadratkilometer als in Deutschland gibt. 

Für mich kein Problem, weil diese Art keine andere verdrängt.

In unserer geilen Republik mutet die Verbreitung der so schön melancholisch rufenden Kanadagans eher skurril an:


current distribution of Canada Goose in Germany; the border between East and West does still exist ;-)  (source of map: Ornitho.de)

Fällt euch was auf?

Genau, die nicht mehr ganz neuen Bundesländer werden von dieser Art nach wie vor nahezu komplett gemieden, ohne dass mir eine plausible Erklärung dafür einfiele. Ich meine, selbst mit Grenzzaun sollten die roten Punkte nicht so verteilt sein wie auf der Karte. 

Seltsam, oder? 

Für die Erlaubnis, diese Verbreitungskarte hier zeigen zu dürfen, geht mein Dank an Ornitho.de (und hier an C. König)!

Am 12. Mai, also einen Tag nach der letzten Freischaltung eines neuen Beitrages in diesem Blog, stand ich mal wieder ahnungslos auf dem Rysumer Nacken herum. Ich ließ gerade meinen Blick über die weite Emsmündung schweifen, als ich gegen halb elf einen mir halbwegs bekannten Ruf hörte, der sich etwa wie "tchüb" anhörte. 

Oh, was Ortolaniges, so dachte ich, jetzt wieder hellwach, und drehte mich um. Der Vogel steuerte, aus südlicher Richtung kommend, einen Rosenbusch an und landete darauf. Die Entfernung war riesig, das Gegenlicht einfach nur schlimm. Mit dem Fernglas konnte ich kaum etwas erkennen, sodass ich mich sofort aufs Knipsen konzentrierte. 

Ihr wisst ja, Belegfotos sind das A und O im Vogelgucker-Geschäft!

Leider konnte ich nicht näher herangehen, weil es sich bei diesem Gebiet seit kurzer Zeit um ein geschütztes handelte. Aber ich versuchte immerhin, dem krassen Gegenlicht einen Haken zu schlagen, indem ich meine Position veränderte. Doch noch bevor ich weitere Fotos machen konnte, hob der Vogel auch schon wieder ab, um seine Reise nach Norden fortzusetzen. 

Nach nur einer Minute.

Was für ein Arsch!

Das war wirklich mein erster Gedanke. Im Feld glaubte ich, einen Blaustich im Grau des Gefieders erkannt zu haben, doch konnte dieser Eindruck auch dem grellen Licht geschuldet sein. Bis zum Abend musste ich aus Zeitgründen mit der Fotobetrachtung warten. Und als ich schließlich vor meinem Bildschirm saß, traute ich meinen Augen nicht.

Deshalb: 



heavily cropped record shot of a presumed female Cretzschmar's Bunting. Note the reddish chin and the bluish grey on head and breast

Auffallend ist, dass das Kinn genauso gefärbt ist wie die Unterseite, nämlich rotbraun. Auch der Blaustich in den grauen Gefiederpartien von Kopf und Brust bestätigte sich schnell. 

Auf den meisten Bildern war leider gar nichts zu erkennen, weil der Vogel in die falsche Richtung blickte. Nur auf diesem Foto schaute er nach links (aus seiner Perspektive), sodass etwas Sonnenlicht an das Kinn gelangen konnte.

Das Originalfoto sieht übrigens so aus:












the original picture

Jetzt wieder die Ausschnittvergrößerung, diesmal aber mit intensivierten Farben:























I intensified the colors to show that the chin ist not yellow, but red

Ich habe einfach mal am Regler gedreht. 

Durch diesen legitimen Schritt wird aus einem Gelb ganz bestimmt kein Rot, aus einem grünstichigen Grau keines, das einen Blaustich zeigt. Und es gibt keinen ersichtlichen Grund dafür, dass alle Farben des Vogels korrekt wiedergegeben werden, während es sich ausgerechtnet bei der kleinflächigen Partie unterhalb des Schnabels um eine optische Täuschung handeln soll.

Die grünen Bereiche auf der Unterseite sowie der Brust sind natürlich tatsächlich so etwas wie ein Artefakt. Warum? Weil es keinen Ortolan gibt, weder "normal" noch grau, der in den roten Bereichen seines Gefieders einen Grünstich zeigt. Möglicherweise liegt das hier am Hintergrund, der auf den Vogel "abstrahlt". Ein ähnliches Phänomen kann man manchmal auf Fotos von Vogeln im Raps sehen, die dann ebenfalls gelbstichig werden, auch dann, wenn es sich mal nicht um eine Schafstelze handelt.

Egal, doch warum überhaupt diese ganze Spielerei?

Weil die gezeigten Merkmale meiner Meinung nach einen "normalen" Ortolan ausschließen. Wegen des roten Kinns sowie des Blaustiches im Grau kann es sich hier eigentlich nur um einen Grauortolan handeln, um eine Art also, die nur sehr selten in Deuschland auftritt und von der es bislang nur zwei rezente Nachweise gibt sowie einige weitere von Helgoland aus dem 19. Jahrhundert. 

Die Strichel auf der Brust sprechen für ein Weibchen. 

Kinners, ich bin ein seriöser Mensch, der nicht gleich hinter jedem Vogel eine Seltenheit erwartet. Im Gegenteil, ich gehe zunächst natürlich immer von der häufigeren Variante aus. Aber hier komme ich immer wieder zum selben Schluss, egal, wie ich es auch drehe und wende. 

Ich weiß, die Beweisführung scheint nicht auf sehr festem Fundament zu stehen. Und sie erinnert mich nicht erst in diesem Augenblick an einen sehenswerten und lustigen, gleichwohl aber auch ernst gemeinten Vortrag über mögliche aktuelle Sichtungen des wohl längst ausgestorbenen Elfenbeinspechtes im Südosten der USA, den ihr auf Youtube aufrufen könnt, wenn ihr mögt: klick!

Wirklich sehr sehens- und hörenswert!

Trotzdem habe ich mir jetzt selbst einen Ruck gegeben und sogar gegen meine eigenen Prinzipien verstoßen. 

Ich habe nämlich eine Dokumentation der Beobachtung bei der Deutschen Avifauistischen Kommission eingereicht (und sogar weitere!). Sollen die zwölf Mitglieder dieses Gremiums sich doch damit rumschlagen. Ich meine, ich werde im Falle einer Ablehnung ganz bestimmt nicht weinen, aber ich kann versichern, die zwölf Brief-Atombomben sind bereits verpackt ;-)

Mal schauen.
















































Ey, guck nicht so:


"Wenn ein Vogel vor deinem Versteck einpennt, dann hast du alles richtig gemacht."

Dieser Satz soll von Fritz Pölking stammen, von jenem Mann also, der die Naturfotografie salonfähig gemacht hat in unserer Republik, nicht zuletzt auch als Herausgeber verschiedener Bücher und Zeitschriften. 

Ich habe also alles richtig gemacht, wie ihr hier sehen könnt:






Gefiederpflege:


Da juckt's an der Wange:


Und dann wieder am Bauch:


Strecken muss man sich schon, wenn man alle Stellen des Körpers erreichen möchte:


Und man darf zwischendurch das Sichern nicht vergessen, denn an Gefahren mangelt es nie:



Der dicke Sudendey stellt aber keine dar. 

Im Gegenteil, bringt er mir doch immer mal wieder was Leckeres zu essen vorbei.

Oh, da kommt er ja schon wieder:


Da will ich mich jetzt aber freuen!

Von den drei auch heute noch in Ostfriesland brütenden Regenpfeifer-Arten (eigentlich sind es vier, Kiebitz und so weiter) ist mir der Flussregenpfeifer die liebste.

Ich mag ihn einfach, weil er so niedlich ist und so einen hübschen gelben Lidring hat. Und seine Rufe gefallen mir auch außerordentlich. Sein Bestand bei uns im Nordwesten scheint glücklicherweise auch auf Jahre hinaus gesichert. 

Im Falle seiner Verwandtschaft verhält es sich anders. 

Der Seeregenpfeifer brütet nur noch auf den Inseln und ist selbst dort nicht häufig, der etwas bucklige Sandregenpfeifer zwar auch noch auf dem Festland, doch gerade seine Zukunft scheint keine rosige zu sein, sind die Bestände in den letzten Jahrzehnten doch geradezu eingebrochen. 

Wie großartig müssen die Zeiten gewesen sein, als alle drei Arten noch nebeneinander im Emder Hafen gebrütet haben? Der auch außerhalb Ostfrieslands bekannte Emder Vogelgucker Klaus Rettig hat mir bereits vor Jahren mit Glanz in seinen Augen davon berichtet. Leider hat er auch das Verschwinden dieser so interessanten Vögel miterleben müssen. 

Ey, was guckst du (Teil 2):



Der Flussregenpfeifer ist ein Langstreckenzieher, dessen Winterquartiere sich in Afrika südlich der Sahara befinden.  

Wann genau sich die Vögel wieder auf den Weg machen, weiß ich eigentlich gar nicht. Im Spätsommer und Herbst sind es aber fast nur noch die Jungvögel, die einem vor die Linse laufen. Entsprechend gehe ich davon aus, dass sich die Altvögel viel früher auf die Reise begeben. 

Aber das ist schließlich bei (fast) allen Limikolen der Fall.

Sonnenaufgang am Deich bei Manslagt:




sunrise

Das war's schon wieder.

Was es mit der eingangs erzählten Kurzgeschichte auf sich hat und in welchem Kontext sie zum Flussregenpfeifer steht, erfahrt ihr im nächsten Bericht.

Im zweiten Teil.

Und so weiter.