Sonntag, 22. Juli 2012

Kuckuck

Am vorletzten Samstag fotografierte ich, wie bereits hier berichtet, einen Kuckuck, der auf meinem Tarnzelt stand und den ich zuvor auf dem Weg dorthin unbeabsichtigt am Schilfrand aufgescheucht hatte. Ich dachte mir nichts dabei, doch als er nach dem etwa zweistündigen Ansitzen abermals an derselben Stelle vor mir vom Boden aufflog, schöpfte ich Verdacht und suchte dort nach einem verstärkten Auftreten irgendwelcher Raupen oder Insekten, doch war da auf dem Boden nichts zu sehen.

Am Montag dann dasselbe Spiel: Der Kuckuck flog abermals unmittelbar vor mir auf! Und diesmal verlief die Suche erfolgreich. An den Blättern verkrüppelter Individuen des Zotigen Weidenröschens wimmelte es nur so von kleinen schwarzbräunlichen Raupen, deren Artzugehörigkeit mir leider nicht bekannt ist (sind das überhaupt Schmetterlingsraupen?):

Nachtrag vom 25.07.2012: 

"Hallo Herr Sudendey, schöne Fotos haben Sie da auf Ihrer Seite!
Die zwei Fotos zeigen keine Schmetterlingsraupen, sondern die Larven von
Blattwespen - um welche der unzähligen Arten es sich da handelt, kann ich
Ihnen leider nicht sagen, das ist nicht mein Gebiet."


Der erste Satz ist der wichtigste in dieser Nachricht, die ich auf Anfrage von Rainer Roth aus Osternohe in Rheinland Pfalz erhielt ;-) Leider bin ich diesen Viechern erneut aufgesessen, aber bei der Google-Bildersuche fand ich ausschließlich die klassischen und recht bunten Blattwespen-Larven. Einfarbige waren leider nicht dabei, sodass die Artzugehörigkeit offen bleiben muss...

Auf dem Boden stand er, der Vogel, dachte ich so, und vielleicht kann ihm eine kleine Warte das Leben erträglicher gestalten. Der Holunderbusch dahinten, schlussfolgerte ich logischerweise, braucht seine toten Äste gar nicht mehr, und ich eilte hinüber, brach einen ab und steckte ihn anschließend in den Boden am Schilfrand. Dann baute ich mein Tarnzelt auf (vorne rechts die Sitzwarte):

Am Dienstag hatte ich leider keine Zeit, aber am Mittwoch eilte ich nach der Arbeit trotz des schlechten Wetters zur Kleientnahmestelle an der Wolfsburger Straße und staunte nicht schlecht. Da stand doch der Kuckuck tatsächlich auf dem Holunderzweig!





Ich klaubte meine sieben Sachen aus meiner fahrenden Müllkippe zusammen, lief zum Versteck, scheuchte den Vogel "vorsichtig" auf, diesmal, ich gebe es zu, beabsichtigt, und verschwand unterm Tarnnetz. Bereits nach zehn Minuten kam der Kuckuck schnittig um die Ecke gedüst, landete auf der Warte und blieb auch gleich eine ganze Weile völlig ahnungslos dort stehen:

Es war finster bewölkt, das Licht somit sehr schlecht, aber immerhin regnete es bis dahin nur leicht. Dafür aber stürmte es garstig aus westlichen Richtungen. Alle hier gezeigten Bilder machte ich mit relativ langen Verschlusszeiten (etwa 1/125 Sekunde), aber wie immer wollte ich die ISO nicht so hochstellen, und erfahrungsgemäß erreicht man mit Zeiten kürzer als 1/80 Sekunde scharfe Aufnahmen, zumindest dann, wenn das Stativ stabil ist:

Jeder Mensch kennt den einzigartigen Ruf des Kuckucks, doch wohl nur Vogelbeobachter wissen auch, wie hübsch er ist. In Feuchtgebieten, besonders in Mooren, sind Begegnungen mit diesem interessanten und auch irgendwie geheimnisvollen Vogel keine Seltenheit. Man sieht ihn in der Regel im Flug, meistens Männchen, bei ihren Verfolgungsjagden sogar nicht selten mehrere gleichzeitig, oder aber stehend auf einer exponierten Warte, wo er dann seinen Gesang vorträgt.

Dieser Kuckuck aber wird niemals seinen Namen rufen, denn er ist eine Sie:


Mensch Junge, dachte ich so nach den ersten Bildern und zwei Zigaretten, da haste aber ein Schweineglück gehabt! Denn zu dieser Jahreszeit sind Kuckucke bei uns eher selten, befinden sie sich doch bereits in der Mehrzahl auf ihrem gefährlichen Weg in die Winterquartiere, die sich in der Südhälfte Afrikas befinden. Der Kuckuck gehört nämlich zu den am frühesten die mitteleuropäischen Brutgebiete verlassenden Vogelarten, und er kann es sich locker leisten, überlässt er doch das Aufziehen des Nachwuchses den Wirtseltern, die hierzulande vermutlich in erster Linie von Wiesenpieper, Bachstelze, Teich- und Sumpfrohrsänger gestellt werden. Nichtsdestotrotz hörte ich noch am Montag drei rufende Männchen an drei unterschiedlichen Orten: im Wybelsumer Polder, auf dem Rysumer Nacken und eben an der Kleientnahmestelle an der Wolfsburger Straße in Emden-Larrelt. Darüber hinaus gab es dann sogar gestern noch einen Sänger in Larrelt!

Seit ich vor etwa 17 Jahren anlässlich eines längeren Aufenthaltes in der rumänischen Dobrudscha mit dem Fotografieren angefangen habe, ist der Kuckuck immer eine dieser "Most-Wanted-Species" für mich gewesen, wie zum Beispiel auch Steinkauz (inzwischen im Kasten) und Sperber (äh hmmmh), doch nie hat es wirklich geklappt. Ein einziges Mal konnte ich ein paar eher schlechte Bilder von einem Jungvogel machen, der noch vom sechsten bis zum 21. Oktober 2000 in einem Feuchtgebiet bei Bramsche-Sögeln/Kreis Osnabrück herumtrödelte, wo er sich hauptsächlich von den Larven einer Blattwespe ernährte.

Um so mehr freute ich mich über dieses Weibchen, das da in nur fünf Metern Entfernung auf dem von mir warmherzig und toooootal selbstlos spendierten Zweig stand:

Stehende Kuckucke lassen immer wieder die langen und spitzen Flügel einfach herabhängen, und es hat den Anschein, als befänden sie sich kurz vor ihrem Ende. Aber das ist natürlich nicht der Fall, und auch dieser Vogel war vollkommen fit:


Die hier gut sichtbaren Armdecken sind ähnlich gemustert wie jene, die der Kuckuck im Jugendkleid trägt. Eventuell handelt es sich hier also um einen Vogel im zweiten Kalenderjahr, doch weil ich mit der Kleiderterminologie dieser Art nicht wirklich vertraut bin, kann ich das nicht mit Bestimmtheit schreiben.

Hier das Weibchen noch einmal von vorn, mit den klassisch herabhängenden Schwingen:

Und hier hat es sie noch einmal mit "allerletzter Kraft" angezogen:

Wenig später wurde der Regen plötzlich anhaltender und viel stärker, und nicht nur der Kuckuck wurde nass bis auf die Haut:

Im Gegensatz zum Vogel saß ich zwar im Tarnzelt, doch das ist aus herkömmlichem Stoff gebastelt und gibt dem Druck nach nur wenigen Minuten nach, lässt den Regen nahezu ungehindert durch, doch wenn man einen solchen Knüller vor der Linse hat, merkt man das gar nicht mehr oder es ist einem wenigstens egal:

Im Flug ist der Kuckuck eine der elegantesten Erscheinungen in der Vogelwelt, zu Fuß wirkt er eher unbeholfen. Immer wieder flog das Prachtweib zur Nahrungssuche auf den wasserundurchlässigen Kleiboden, wo sich inzwischen Pfützen gebildet hatten, um diverse Insekten aufzunehmen. Hüpfend bewegte es sich dort fort, aber wenn die Beute nur wenige Zentimeter vom Kuckuck entfernt war, konnte er den Hebel auch umlegen und ein paar Schritte laufen:

Diese Aufenthalte am Boden aber währten stets nur kurz, und der Kuckuck kehrte auf seine Warte zurück, um sich zum Beispiel nachdenklich die Blüten des Zottigen Weidenröschens anzuschauen, die sich bei diesem Mistwetter gar nicht erst die Mühe machten, sich zu öffnen:


Und immer wieder schüttelte er sich kräftig, um das Wasser aus seinem Gefieder zu schleudern:

Und zum Abschluss noch ein Portrait der Dame (Ausschnittvergrößerung einer der oben gezeigetn Aufnahmen):

Am Freitagnachmittag dann war der Vogel leider nicht mehr da und auch am Samstag konnte ich ihn nicht finden, doch war ich mit den von mir erzielten Resultaten ohnehin schon zufrieden, denn, wie bereits geschrieben, es war die erste Begegnung mit dieser Art unter derart beeindruckenden Umständen.

Hier in Ostfriesland ist der Kuckuck nach wie vor keine Seltenheit. Die vielen Kleientnahmestellen, Moore, Sandgruben und Meere (Seen) etc. schaffen ihm günstige Voraussetzungen, oder besser, sie schaffen günstige Voraussetzungen für seine Wirtsarten. Ich selber habe in meinem Leben erst zweimal Nester mit einem jungen Kuckuck entdeckt; in beiden Fällen handelte es sich um welche der Bachstelze. Eines befand sich in einem Beobachtungsturm im Gildehauser Venn im Kreis Nordhorn, ein weiteres in einem Hochsitz im Wittefeld/Kreis Vechta. In letzterem Fall lag das mumifizierte Kuckucksweibchen noch auf dem Boden des Hochsitzes, weil es offenbar nach der Eiablage den Weg ins Freie nicht mehr gefunden hat.

Für mich waren die vergangenen Tage also etwas ganz Besonderes und ich möchte schreien: Hurra, ich habe ihn!

Tolle Lebensgeschichte, toller Künstler, tolles Lied: Everyday is like Sunday!


Fortsetzung der Geschichte:  Manchmal kann es nicht schaden, das Tarnzelt nach Beenden eines Projektes einfach mal stehen zu lassen, wenn es auch in diesem Fall aus Faulheit geschah. Denn am Sonntag besuchte ich die Stelle erneut, um mal schnell vom Auto aus zum Tarnzelt zu spähen. Abermals wurden meine Augen vor Freude ganz groß, denn der Kuckuck war wieder da, stand wie gewohnt auf seiner Warte.

Kaum hatte ich den Vorhang hinter mir zugezogen, kam er auch schon angeflogen, und ich war richtig überrascht:

Das war gar nicht mein Vogel, ein neuer Kuckuck stand da vor mir! Ein diesjähriger noch dazu. Das war schon unglaublich, zwei verschiedene Kuckucke innerhalb von nur vier Tagen vor der Linse zu haben:

Hier schiebt er alienmäßig die Nickhaut vors Auge:

Wenn man diesen Jungvogel mit dem Weibchen oben vergleicht, dann sticht neben der anderen Gefiederzeichnung vor allem der viel zierlichere Schnabel ins Auge, der offenbar noch wachsen muss:

Auch er hängt ein wenig durch, wie es sich für Kuckucke gehört.


Und hier mal eine Dehnübung:

Die kryptische Gefiederzeichnung erinnerte mich an den Ziegenmelker, und am Boden verlor ich den Vogel immer wieder aus den Augen, obwohl er fast völlig frei stand. Meist erst wenn er den Kopf bewegte und der für junge Kuckucke obligatorische weiße Nackenfleck aufleuchtete, fand ich ihn wieder:

Plötzlich zeterten alle Kleinvögel um mich herum: Dorngrasmücken, Teichrohrsänger, Blaukehlchen sowie Rohrammern. Und über mir alarmierte ein Kiebitz geradezu nervtötend. Zunächst hielt ich den Kuckuck für die Ursache, doch der war doch schon die ganze Zeit anwesend, und vor allem der Kiebitz brachte mich schließlich dazu, mal einen Blick nach draußen zu werfen:

Etwas zerlumpt, der Fuchs! Im dicken Winterpulli wäre er wohl fotogener gewesen. Den Kuckuck brachte Meister Reineke allerdings nicht aus der Ruhe, obwohl die Distanz zwischen den beiden nur wenige Meter betrug. Der Vogel blieb einfach am Boden stehen, vertraute auf seine Tarnung, die ja offenbar auch verlässlich ist.

Und nachdem der Fuchs im Röhricht verschwunden war, flog der Kuckuck wieder auf seine Warte, um sich von diesem Schrecken wieder zu erholen:

Wenig später aber zog es ihn fort, und ich packte meine Sachen zusammen, um noch zum Wybelsumer Polder zu fahren, wo ich den Tag und auch das schöne Wochenende mit einem Foto der Wilden Karde ausklingen lassen wollte - kurz vor Sonnenuntergang: