Samstag, 13. März 2021

Eine ganz besondere Misteldrossel

Moin Kinners,

viel gibt es heute nicht zu berichten.

Nach einigen sonnigen Tagen befinden wir uns zurzeit mal wieder mitten in einer Phase mit viel Regen und noch mehr Wind. 

Laut SkyRadio soll es sogar wieder Sturm geben mit Windgeschwindigkeiten von über 100 km/h (das hatte ich bereits am Mittwoch geschrieben; der Sturm ist längst angekommen und tobt auch jetzt noch wie Sau, aber nur draußen)!

Ob eine kräftige Böe einen seltenen, wenigstens aber interessanten gefiederten Gast nach Ostfriesland pusten wird, konnten die Meteorologen allerdings nicht vorhersagen (dieser Wunsch ist in Form von zwei hübschen adulten Zwergmöwen im Schlichtkleid auch schon erfüllt worden).

Gespannt bin ich allemal.

Den ganzen Winter über habe ich Spornammern beobachten können.  All diese Feststellungen gelangen in Deichnähe, mal bei Rysum, meist aber zwischen Hamswehrum und Manslagt. Trotz dieser Vielzahl von Begegnungen mit diesem hübschen Vogel ist es mir leider nicht gelungen, auch nur ein einziges passables Foto zu schießen. 

Spornammern sind eben keine Schneeammern. Sie sind scheu und leben meist recht versteckt. Nicht selten bemerkt man sie erst, wenn man sie aufscheucht und sie dann ihren klassischen Ruf äußern, ein trockenes Knattern.

Jetzt, liebe Mitmenschen, gebe ich auf. 

Ich bin beleidigt und werde nicht mehr versuchen, diese blöden Viecher mit der Kamera zu nerven. Vielleicht schaue ich aber trotzdem noch das ein oder andere Mal bei den Spornammern vorbei, nur um herauszufinden, wie lange sie hier bleiben, bevor sie sich auf den Weg zurück nach Norwegen machen werden.

Eine Misteldrossel:


Mistle Thrush 

Eine ganz besondere Misteldrossel!

Dieser Vogel wurde im Mai 2020 auf einem Schulhof in Ostfriesland gefunden, hilf- und noch fast federlos!

Ein damals Neunjähriger nahm ihn kurzerhand mit nach Hause, um ihn mit Unterstützung seines Vaters aufzupäppeln. Zu Beginn war dem Jungen nicht klar, wen genau er da vor sich hatte, doch mit der Zeit sollte sich dieses Rätsel lösen. 

Diese Misteldrossel hält sich meist in der Nähe des Hauses seiner Ersatzeltern auf, hüpft auf Hausdächern herum – völlig untypisch für eine Misteldrossel – und sucht auch schon mal in Dachrinnen nach Nahrung. 

Der Vogel ist dem Anschein nach ausschließlich auf Menschen geprägt. Und obwohl er fleißig singt, wird es deshalb sehr wahrscheinlich nicht für eine artgerechte Partnerin reichen. Der Gesang selbst, mit dem die Misteldrossel das Dorf beschallt, ist mehr als schräg und dürfte sich als eine weitere Barriere bei der Suche nach einer attraktiven Misteldrosselin herausstellen! Zwar gibt es ab und zu auch mal eine "echte" Misteldrossel-Strophe zu hören, doch ansonsten hauptsächlich laute Pfiffe, wie man sie eher auf einem Sportplatz erwarten würde und nicht von einem heimischen Vogel. 

Besonders häufig erklingt ein in rascher Folge drei- bis viermal wiederholter scharfer Pfiff, der am Ende stark ansteigt und den man selbst dann leicht imitieren kann, wenn man nicht mit dem Talent von Ilse Werner gesegnet ist. Und genau das hat der Vogel wohl auch getan: Er hat diesen Pfiff in seiner frühen Kindheit sehr wahrscheinlich oft gehört und dann einfach in sein Gesangsrepertoire aufgenommen.

Ich halte mich für einen halbwegs talentierten Vogelgucker, der mit den Stimmen heimischer Vögel vertraut ist. Überraschungen erlebe ich jedenfalls eher selten, doch für den Fall, dass ich den Gesang dieser Misteldrossel gehört hätte, ohne sie persönlich zu kennen, wäre ich völlig ratlos gewesen, auch dann, wenn der Vogel mal eine klassische Strophe vorgetragen hätte. Denn ohne ihn zu sehen, hätte ich sie nicht mit den seltsamen Pfiffen in Zusammenhang gebracht.

Ein kecker Blick:


always the same bird

Wenn die Misteldrossel ihren Kopf senkte und einen so anschaute, dann drohte "Unheil". 

Den Bruchteil einer Sekunde später stand er dann auf dem Scheitel oder der Schulter. Selbst Fremden gegenüber zeigt dieser Vogel absolut keine Scheu. Und es war eine echte Herausforderung für mich, sie überhaupt mit einem Teleobjektiv zu fotografieren, denn meistens kam sie viel zu nah heran.

Oh, was passiert jetzt?



this bird is absolutely tame and has been raised by a nine year old boy, who found it last May at very young age helpless on the schoolyard. He could not find the nest hence he took this bird home to be his stepfather

Es gibt etwas Drosselkunde: Sechs Arten kann man regelmäßig in Ostfriesland beoachten, von denen drei auch bei uns brüten. Die Amsel kennt wohl jeder, steht sie doch schließlich auf jedem Hausdach herum und singt ihr schönes Lied. 

So sieht sie aus:


Blackbird is one of the most common birds in Germany

Kommt euch bekannt vor, oder?

Die Singdrossel, meine Lieblingsdrossel, ist in Ostfriesland ebenfalls noch erfreulich häufig. Auch sie bewohnt neben Wäldern Gärten, wenn diese nicht zu steril gestaltet sind. 

Und dann ist da eben noch die Misteldrossel, die größte der drei Arten, die auch gleichzeitig die seltenste ist. Hier in der Marsch, wo ich wohne, sieht man sie meist nur während der Zugzeiten und fast immer einzeln, doch auf der Geest brütet sie auch. Sie mag es halboffen und liebt alte und hohe Bäume. Im Gegensatz zu den beiden anderen Arten ist sie aber kein klassischer Gartenvogel. Wenn sie in Ortschaften lebt, dann eher in großen Parks, die ihrem ursprünglichen Lebensraum ähneln.

Drei weitere Arten kann man in Ostfriesland nur auf dem Zug beobachten. 

Am häufigsten ist die Wacholderdrossel, die ab Oktober, vor allem aber in den Monaten November und Dezember in großen Scharen bei uns auftaucht und meist auf offenen Flächen wie etwa Grünland und Äckern nach Nahrung sucht. Nicht selten mit ihr vergesellschaftet ist die kleinste europäische Art, die Rotdrossel, die wie die Wacholderdrossel aus dem Norden stammt und Ostfriesland nur als Durchzügler und Wintergast besucht. 

Beide Arten kann man auch in Ortschaften und Gärten beobachten, vor allem dann, wenn es friert und schneit und die Hauptnahrung, Regenwürmer und andere Wirbellose, knapp wird. Dann fallen die Vögel, nicht selten in großen Trupps, über die restlichen Früchte her, die noch an den Büschen und Bäumen hängen, oder sie verspeisen Äpfel, die ein nachsichtiger Gartenbesitzer nicht geerntet hat. 

Die sechste Art ist die Ringdrossel:








Ring Ouzel

Auch sie stammt aus dem Norden* und ist in Ostfriesland nur während der Zugzeit zu beobachten. 

Das Bild der beiden Vögel entstand im Oktober 2012 auf dem Rysumer Nacken, wo sie sich zusammen mit anderen Drosseln u. a. von den Früchten des Weißdorns ernährten. 

Die Ringdrossel liebt es auf dem Durchzug halboffen bis offen. Und sie hat eine ganz klare Vorliebe für Brachland. Deshalb kann man sie hier in Ostfriesland vor allem in den Mooren beobachten, aber eben auch auf dem Rysumer Nacken. In meiner alten Heimat war es vor allem das Ödland auf dem Flugplatz Achmer, wo mir die Ringdrossel begegnet ist. Auf dem Heimzug, der hauptsächlich im April über die Bühne geht, gelangen mir 2011 einige Aufnahmen am Rande des Collrunger Moores.

Ich hatte die Vögel, insgesamt waren es elf, damals auf einem Weg mit Mehlwürmern geködert, am Ende aber fast nur Bilder von einem einzelnen Weibchen hinbekommen, das die Futterquelle gegen die anderen Ringdrosseln vehement verteidigte:


Ring Ouzel 

In Farbe:













Und wieder ohne:


Beim Futter hört die Freundschaft bekanntlich auf.

Am Ende hatte der Vogel sein Gewicht innerhalb kürzester Zeit verdoppelt und musste wahrscheinlich erst einmal ein paar Tage hungern, um überhaupt abheben und seine Reise fortzusetzen zu können. 

Kleiner Scherz.

Die Ringdrossel ist von allen regelmäßig bei uns auftretenden Drossel-Arten die seltenste. Oft sieht man sie sogar nur einzeln, ganz bestimmt aber nie in großen Scharen. Und sie überwintert auch nicht bei uns, sondern vor allem im Atlasgebirge Nordwest-Afrikas.

Diese Art ist recht unauffällig. Meistens werde ich wegen eines iherer klassischen Rufe auf sie aufmerksam. Dieses hart klingende und einzigartige "Tock-Tock-Tock" lässt sie vor allem dann raus, wenn sie sich unwohl fühlt. Und unwohl fühlt man sich als Ringdrossel bereits dann, wenn einem ein blöder Mensch zu sehr auf die Pelle rückt.

Zurück zur Misteldrossel:



Irgendwann im Spätherbst ließ sie sich nicht mehr in ihrem Dorf blicken und blieb wochenlang verschollen.

Die Hoffnung auf ein Wiedersehen schwand mit jedem weiteren Tag ein bisschen mehr. 

Doch im Februar tauchte sie plötzlich wieder auf, sehr zur Freude ihres jugendlichen Ersatzvaters. Ob sie aber tatsächlich nach Süden gezogen ist, wie es eine wilde Misteldrossel tun würde, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit schreiben.  

Möglich wäre auch ein vorübergehendes Einkerkern durch einen Vögel liebenden Dorfbewohner. Denn diese Misteldrossel, ich schrieb das bereits, hegt auch Fremden gegenüber absolut kein Misstrauen.  

Dieser kecke Blick!




Nachdem ich meine Bilder im Kasten hatte, begab ich mich auf den Weg zum Knyphauser Wald.

Doch noch bevor ich das Dorf des seltsamen Vogelgesangs verlassen konnte, wurde ich freundlicherweise fotografiert. 

Im fahrenden Auto!

Das fand ich schön. Der Landkreis Aurich kann schließlich jeden Cent gebrauchen, und ich habe dafür wirklich absolutes Verständnis, fast schon Mitleid. Ich meine, ich kann all die Deppen, die sich permanent über diese angeblich neumodische Form der Wegelagerei beschweren und sogar entsprechende Bürgerinitiativen gründen, nicht verstehen. 

Man hat es doch wirklich selbst in der Hand. 

Und ja, ich bin zu schnell gefahren. Eigentlich fahre ich immer gleich schnell, nämlich 65 km/h; innerhalb geschlossener Ortschaften und eben auch außerhalb. Ich meine, ich muss doch auch nach Vögeln gucken, wenn ich auf irgendwelchen Landstraßen im ostfriesischen Outback unterwegs bin. Inzwischen habe ich meine Rechnung beglichen. 25 Euro musste ich überweisen. Ich habe das mit einem Lächeln auf den Lippen erledigt, wohlwissend, dass ich etwas Gutes tue.

Der schöne, weil fast menschenleere Knyphauser Wald hat mich in der Vergangenheit ein ums andere Mal positiv überraschen können; auch wenn mir der Wolf, der sich dort über ein Jahr aufgehalten hat, nie vor die Linse gelaufen ist, kann ich nur Gutes über das Forstgebiet berichten. An diesem Tag wollte ich mal wieder nach dem Sperlingskauz lauschen. Der kommt dort eigentlich gar nicht vor – er kommt in ganz Ostriesland nicht vor –, doch trotzdem überprüfe ich ein mögliches Auftreten in jedem Jahr. Denn es könnte sich ja mal ein Individuum aus der Südheide oder gar Skandinavien in unsere Region verirren. 

Immerhin gibt es auch einzelne Nachweise aus den noch weiter westlich liegenden Niederlanden! 

An einem Graben fand ich meine erste Gerandete Jagdspinne des Jahres:



first Raft Spider of the year at the end of February

Sie sonnte sich ausgiebig und schien mit sich und ihrer kleinen Welt zufrieden zu sein. 

Wie eine Zwergschnepfe verschwamm sie geradezu mit ihrer Umgebung. Die beiden hellen Streifen am Rande ihres Körpers glichen den ebenso hellen und schmalen Blättern des Pfeifengrases. Das hat sich die Natur fein ausgedacht, wie sich die Natur eigentlich alles fein ausgedacht hat.

Es gibt nur eine Ausnahme.

Ich ging weiter und pfiff vor mich hin. Die Rufe des Sperlingskauzes lassen sich wirklich leicht imitieren. Eine Antwort bekam ich aber nicht. Fichtenkreuzschnäbel turnten in den Baumwipfeln herum und sangen sogar. Und es gab viele Singdrosseln, die in der Abenddämmerung ihr ansprechendes Lied erklingen ließen und so für eine traumhafte Stimmung sorgten, zu der auch die angenehm nach Fichtenholz duftende Waldluft ihr Scherflein beitrug. Frühling pur, so dachte ich ganz nebenbei, auch wenn es noch Februar war. 

Gegen 19:00 Uhr hatte ich fast das alte Forstarbeiterhaus erreicht. Längst war es dunkel, wenn auch nicht so richtig, denn die Nacht war sternenklar und der Mond fast voll. Vier Minuten später ertönte der tiefe Gesang eines männlichen Uhus! Er sang sich geradezu einen Wolf und durchgehend bis etwa halb acht. Ich konnte es nicht fassen: Gesucht hatte ich die kleinste Eule Europas, gefunden am Ende die größte!

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass der Uhu wohl schon seit Jahren auf einem Militärgelände im angrenzenden Forst Upjever (bereits Kreis Friesland) brütet. Das hat mir später eine ortsansässige Bekannte verraten, die mich zuvor auch immer über den aktuellen Status des Wolfs im Knyhauser Wald informiert hatte und auch heute noch informiert **. Und vor diesem Hintergrund ist mein Fund auch gar nicht mehr so spektakulär, wie ich zunächst dachte. Doch die Freude ist nach wie vor groß, denn für mich war es der erste Uhu hier in Ostfriesland überhaupt. 

Die Eule ist seit vielen Jahren stark im Kommen. Ohnehin war sie ja auch nur deshalb jahrzehntelang verschwunden, weil man sie zuvor rücksichtlos verfolgt und schließlich in weiten Teilen der Republik ausgerottet hatte. Dieses Schicksal teilt der Uhu mit vielen anderen Tieren, z. B. dem Wolf und fast allen Greifvögeln, die bei den meisten Jägern unbeliebt waren und leider auch heute noch sind. 

Futterneid. 

Ihr wisst, was ich meine.

Der Uhu ist nämlich eigentlich sehr anspruchslos. Leben und brüten kann er überall. Am liebsten nistet er in Steilwänden, doch es ist ihm scheißegal, ob es sich um natürliche handelt oder um künstliche. In Osnabrück hat er zum Beispeil jahrelang am Dom gebrütet, mitten in der Stadt und vor den Augen des flanierenden Publikums, in den meisten Fällen aber wohl von diesem unbemerkt. Und wenn es keine Steilwände gibt, dann brütet man als Uhu eben einfach auf dem Boden. Und genau das dürfte auch im Knyphauser Wald passieren, falls dieser Uhu-Mann jemals eine Uhu-Frau finden sollte.

Ja, Kinners, das war's fast schon wieder.

Zu guter Letzt kann ich noch einen weiteren besonderen Erdenbürger in die Waagschale werfen, den ich Anfang März in meinem Wagen fand. 



likely Philodromus aureolus

Es handelt sich hier um eine Laufspinne aus der Gattung Philodromus, möglicherweise um P. aureolus

"Du kannst hier nicht bleiben, du musst ins Freie", sagte ich entschieden zu der Spinne, doch die war dickfellig und ließ sich nichts anmerken. Ich packte sie und komplimentierte sie hinaus. Gestört hätte sie mich eigentlich nicht, doch als Laufspinne würde man in einem Auto irgendwann verhungern oder so.

Okay, in meinem Wagen eher nicht, gibt es dort doch eine aus Entkommenen hervorgegangene freilaufende und prosperierende Mehlwurm-Population, die von mir den Auftrag bekommen hat, alle herabfallenden Brötchenkrümel aufzuessen.

Diese Biester wissen es nicht, aber sie kämpfen einen Kampf gegen Windmühlen.

 

* Neben einer nordischen gibt es auch eine alpine Unterart der Ringdrossel, die auch in Deutschland brütet. Die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens dieser Vögel in Ostfriesland ist aber praktisch nicht vorhanden.

Die Wacholderdrossel ist sogar ein gängiger Brutvogel in weiten Teilen Deutschlands. Ob es auch einzelne Paare in Ostfriesland gibt, ist mir aber nicht bekannt.

** Aktuell hat es wohl wieder einen Wolf ins östliche Ostfriesland verschlagen. Vor ein paar Tagen ist er bei Leerhafe gesehen, gestern dann in Friedeburg auch fotografiert worden. In beiden Fällen dürfte es sich um dasselbe Tier gehandelt haben.