wilde perspektiven

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Donnerstag, 9. April 2015

Sodom und Gomera

Jetzt stellt euch mal vor, ihr verbringt als Seefrosch fünf lange und entbehrungsreiche Monate am Grund eines Gewässers.

Kalt ist es dort und dunkel und natürlich nass.

Huaaah!

Und dann kommt der Frühling und ihr verlasst euer Winterquartier, um endlich wieder Sonne zu tanken. Eure Vorfreude ist grenzenlos, doch kaum erscheint ihr an der Wasseroberfläche, da bespringt euch eine liebestolle Erdkröte!

Schlimmer könnte der Start in eine neue Saison wohl nur dann sein, wenn dort statt der Erdkröte ein Graureiher warten würde.

Alles meins (aus der Rubrik Erdkröten-Gedanken):

Marsh Frog with Common Toad

Die Kröte dachte sich frei nach Willi Brandt: Es wächst zusammen, was zusammen gehört. Es muss einfach...

Im Falle der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten läge sie trotz diverser Ewiggestriger, die sich die Mauer zurückwünschen, richtig, doch die Sache mit dem Seefrosch ist komplett anders gelagert.

Da wird auch auf Dauer ganz bestimmt nichts zusammenwachsen:

Und entsprechend sagte die Seefröschin: "Geh da runter, du hässliche Kröte."

"Komm, halt dein Maul, du willst es doch auch", antwortete der mögliche Prinz trocken und schmiegte sich noch etwas enger an die Auserwählte.

Was soll man da machen als Seefrosch, wenn sich die Erdkröte als restistent gegenüber einer wasserdichten Argumentation zeigt?

Ich nehme es vorweg: Gefunden habe ich dieses ungleiche Paar am Ostersonntag in Wybelsum. Genauer: am Abend. Am Morgen des Ostermontag waren die beiden immer noch nicht fertig mit ihrer Performance.

Im Nieselregen um Sonnenaufgang schoss ich ein Bild nach dem anderen, mal von der einen, mal von der anderen Seite.

Wenn sich die Sonne hartnäckig hinter dichten Wolken versteckt, dann kann man das machen:


Die Seefrosch-Frau hatte nach meinem Dafürhalten längst kapituliert. Sie ließ einfach alles über sich ergehen. Und selbst der Fotograf konnte ihr keine Furcht mehr einflößen.

Fluchtdistanz: null Zentimeter!

Während ich an jenem Morgen dieses exklusive Paar vor der Kamera hatte, hörte ich die ganze Zeit über die markanten Rufe von zwei Beutelmeisen. 

Sind die Bäume und Büsche erst einmal belaubt, bleibt es auch meist bei den Rufen, aber zurzeit hat man noch sehr gute Chancen, die Vögel auch zu sehen, weil der Laubaustrieb noch in den Kinderschuhen steckt:



cropped record shot of Eurasian Penduline Tit

Und tatsächlich, da fand ich auch sofort einen der Vögel.

Es war das Männchen, das da auf einem Zweig stand und jetzt auch noch auf mich zugeflogen kam! Spinnt der, dachte ich, doch dann sah ich den Grund für sein Näherkommen beinahe über mir im Geäst. Der Vogel war bereits mit dem Bau des kunstvollen Nestes beschäftigt.

Hätte ich den sich bewegenden Vogel nicht entdeckt, wäre mir das Nest, das sich an diesem Tag noch im so genannten Henkelstadium befand, auch entgangen. Weil Beutelmeisen aber einfach nie ihren Schnabel halten können, konnte ich das obige Belegfoto anfertigen, das übrigens erst am Mittwoch (8. 4. 2015) entstand.

Das Nest hängt in etwa sechs Metern Höhe in einer Weide. Und weil Beutelmeisen mit einem Nest nicht zufrieden sind, baute dieser Kerl in wenigen Metern Entfernung auch noch ein zweites. Immer im Wechsel und in beiden Fällen über dem Wasser, wie es sich für die Beutelmeise gehört.

Vielleicht gibt es hier ja irgendwann mal mehr zu dieser Art, die eine sehr interessante ist. In vielfacher Hinsicht!


Zurück zum Seefrosch.

Hier zwei Bilder, die ich am Vortag bei hartem Sonnenlicht gemacht hatte:

Das war also am 5. April. 

Um auf Augenhöhe zu kommen, stieg ich bis zum Hals ins Wasser. Also, ich legte mich rein. Etwa eine halbe Stunde konzentrierte ich mich voll auf das Geschehen vor meiner Kamera, erst dann bemerkte ich, dass der Sommer doch noch in weiter Ferne lag und noch liegt.

Ach, was kann einem da schon passieren?

Man wird ein bisschen blau. Nicht so schlimm. Abenteuer. Spaß. Spannung. Und aufwärmen kann man sich ja noch, wenn die Sache erledigt ist und man das Wasser gerade noch rechtzeitig vor dem Kältetod verlässt. Ein kleiner Spaziergang im Stechschritt und die Welt ist wieder heil.

Und mal ehrlich: Mit der Aussicht auf ein geiles Foto wäre ich auch dann ins Wasser gegangen, wenn ich erst das Eis hätte wegschlagen müssen. Da kenne ich wirklich nichts ;-)

Ein weiteres Bild vom Ostermontag;

Um mal die Größenverhältnisse zu illustrieren, habe ich das Paar auch von oben geknipst.

Ganz schöner Unterschied, oder?

Letztendlich ist es aber für ein Erkröten-Männchen nicht so ungewöhnlich, auf ein Weibchen mit solchen Maßen zu treffen. Nur sollte es eben auch eine Erdkröte sein und kein Seefrosch. 

In Portugal zum Beispiel fand ich auf dem Gelände meiner Unterkunft seinerzeit Erdkröten-Weibchen, die noch deutlich größer als dieser Seefrosch waren.

Jetzt liegt die Geschichte mit diesem ungleichen Paar schon ein paar Tage zurück

Ob der Erdkröten-Mann wohl inzwischen bemerkt hat, dass da was falsch gelaufen sein muss? Oder hatte er etwa einen Krampf in den Armen und konnte deshalb die Umklammerung nicht mehr lösen?

Quatsch.

Else Kling aus der Lindenstraße hätte angesichts dieser Unverfrorenheit – interspezifischer Sex, noch dazu im Freien – sicher die Hände vors Gesicht geschlagen und ausgerufen: "Sodom und Gomera!"

Was Frau Kling nicht weiß, ist, dass solche Fehlpaarungen gar nicht so selten sind. Ich selbst habe das schon des Öfteren gesehen in der Vergangenheit, allerdings noch nie in dieser Kombination.

Solche Dinge können grundsätzlich immer während der Laichzeit geschehen, vor allem aber dann, wenn alle weiblichen Erdkröten einer lokalen Population bereits abgelaicht haben, die Kerle aber einfach nicht einsehen wollen, dass nun wieder zwölf lange und langweilige Monate vor ihnen liegen sollen. Sie verbleiben einfach noch im Wasser und hoffen auf weitere Mädels, weil die Hoffnung bekanntermaßen immer zuletzt stirbt. 

Da aber in dieser Hinsicht nichts mehr passiert, die Kröten sich aber nach wie vor in Balzstimmung befinden, müssen halt andere Froschlurche herhalten. Das kann wie hier Seefrösche treffen, aber auch andere Arten wie den Grasfrosch oder sogar den Fotografen, wenn der zur falschen Zeit seine Hand ins Wasser taucht. Und es kann auch umgekehrt ablaufen, also dass da z. B. ein Grasfosch eine Erdkröte belästigt.

Ich wünschte den beiden schließlich alles Gute und bechloss, noch Fotos von anderen Erdkröten und Seefröschen zu machen.

Während ich also geduldig auf ihr Auftauchen wartete, hielt ich noch schnell den Morgentau an einem Grashalm im Bild fest:

Dann, nach einigen Minuten, ging es los.

Oh, eine männliche Erdkröte ohne Partnerin ließ sich blicken:

Common Toad

Eine weitere tauchte unmittelbar vor meiner Linse auf:

another

Und hier ein Seefrosch, mal ohne Rucksack:

Marsh Frog 

Ich liebe diese goldenen Frosch- und Krötenaugen:

same

Unter den so genannten Echten Fröschen Europas ist der Seefrosch der größte.

Und es sind immer die Frauen, die mit Maximalmaßen protzen können, weil sie im Schnitt deutlich größer als die Männchen werden. In Emden, vielleicht ist das auch mein subjektives Empfinden, kommen sie mir aber irgendwie etwas kleiner vor als zum Beispiel an der Nahe in Rheinland-Pfalz, wo ich vor Jahren echte Riesenseefrösche beobachten konnte.

Und abschließend gibt es noch eine kleine Sensation für das platte Emden:

temporary fake mountain stream in the coastal plains of Ostfriesland after days with heavy rain

Wenn es viel geregnet hat, dann kann man in Wybelsum vorübergehend diesen Pseudogebirgsbach fotografieren. Mit echten Steinen, die der "Fluss", der eigentlich ein Graben ist, aber nicht etwa in den Alpen oberhalb der Waldgrenze aus dem Fels geschnitten hat. Nein, jemand hat sie einfach dort entsorgt.

Jeden Augenblick rechnete ich mit einer Wasseramsel, die mich aber vergeblich warten ließ...

Nach einigen trockenen Tagen versiegt dieser sprudelnde Quell stets wieder.

Bis zum nächsten Wolkenbruch.