Freitag, 3. April 2015

Im Märchenwald der Mittelspechte

Der Ihlower Forst ist mit seinen etwa 350 Hektar zwar nicht besonders groß, dafür aber vergleichsweise naturnah. Dominiert wird er vor allem von Rotbuche und Stieleiche, doch auch andere Laubhölzer wie Bergahorn, Esche und Schwarzerle kann man dort in großer Zahl antreffen.

Die für den Mittelspecht immer wieder als wichtig bezeichnete Hainbuche (nicht mit der Rotbuche verwandt) scheint dort gar nicht oder aber nur in geringer Zahl vorzukommen. Gefunden habe ich selbst bis heute keine einzige, was aber nicht viel bedeuten muss.

Im Bild, aufgenommen an einem nebligen Morgen, sieht man die Stämme von Rotbuchen und Stieleichen:




European Beech and English Oak are the dominant tree species at Ihlower Forst near Aurich

Puuuuh, was für'n langes Bild!


Der Mittelspecht ist ein Baumspecht.

Nur ein einziges Mal konnte ich ein Individuum beobachten, das sich aus dem Dach des Waldes direkt auf den Boden "fallen" ließ, um dort etwas aufzupicken. Was das gewesen sein könnte? Keine Ahnung. Anschließend ging es wieder nahezu senkrecht nach oben.

Für die Nahrungssuche benötigt der Mittelspecht vor allem grobborkige Bäume. Nach eigenen Beobachtungen spielt sich ein beträchtlicher Teil seines Lebens im Kronenbereich alter Eichen ab. Erlen, Eschen und Schwarzpappeln werden aber auch immer wieder angeflogen, während das bei der Rotbuche schon deutlich seltener der Fall ist. Aber selbst Fichten werden keineswegs komplett gemieden. Vor allem, wenn sie schon abgestorben und nadellos sind, sucht der Mittelspecht auch an ihnen nach Nahrung. Oder er stellt sich direkt auf die Spitze und nutzt sie als Ausguck.

Hier ein Mittelspecht-Männchen, das einen Baumstubben nach Nahrung absucht:

male Middle Spotted Woodpecker – Ihlower Forst habours at least 14 pairs of this quite rare species

Das Foto entstand an einem komplett verregneten Samstag-Nachmittag. Und es verwundert mich, dass da nur ein einzelner Tropfen durchs Bild huscht. Ich selbst saß im Trockenen, weil ich das Dach meines Tarnzeltes kurz zuvor und ganz spontan mit einer Plastikfolie abgedichtet hatte.

Ein regnerischer Tag:

Der Baumbestand im Ihlower Forst stammt zum großen Teil aus dem 19. Jahrhundert. Mit dem Beginn der Industrialisierung stieg in ganz Mitteleuropa der Holzbedarf rasant an, weshalb man natürlich auch für Ersatz sorgen und entsprechend großflächig aufforsten musste. Vielerorts wurden dafür schnell wachsende, aber eben auch standortfremde Nadelgehölze wie Fichte und Douglasie ausgewählt, doch im Ihlower Forst hat man damals anscheinend vor allem auf Stieleiche und Rotbuche gesetzt. 

Dieser Weitsicht verdankt der Wald sein heutiges Antlitz.

Mein Tarnzelt inmitten hoher Bäume, aufgenommen an einem der wenigen Tage so ganz ohne Regen:

hide

Alte Bäume, viele Eichen – da fühlt sich der Mittelspecht sauwohl.

Hier die Frau, die einen mir unbekannten Baumpilz als Regenschirm zu nutzen scheint:

female

Wirkt irgendwie winzig auf diesem Bild.

Wie man einen Specht an den richtigen Ort lotst und wie man es schafft, dass er dort auch länger als drei Sekunden stehen bleibt, habe ich mir schon vor Jahren bei einem lieben Kollegen aus Quakenbrück abgeschaut. Dort habe ich auch gesehen, wie man es hinbekommt, dass auf beiden Seiten des Stammes ein Specht steht, doch ich wollte es nicht gleich übertreiben und mir noch Ideen für den nächsten Winter aufheben ;-)

Vor allem aber wünsche ich mir, das Männchen irgendwann mal mit aufgestellter Federhaube zu erwischen!

Die Scheitelfedern sind vor allem beim Kerl deutlich verlängert, und er kann sie präsentieren wie ein Wiedehopf. Das sieht einfach zu geil aus, doch leider macht der Mittelspecht-Mann das eher selten und ausschließlich für den Bruchteil einer Sekunde. Oft übrigens bei Interaktionen mit dem Weibchen, zum Beispiel beim Zeigen einer Höhle. Eigentlich kann so ein Bild aber nur dann gelingen, wenn man den Vogel ohnehin schon im Sucher und auch bereits fokussiert hat, weil einem sonst eben einfach die nötige Zeit fehlt.

Wo kommst du denn her mit deinem schmutzigen Schnabel? Hast du etwa den Waldboden umgebuddelt?

Spechte beobachten und fotografieren macht Spaß!

Im nächsten Winter werde ich mir sehr viel früher die Zeit nehmen, diese Vögel an einen bestimmten Futterplatz im Ihlower Forst zu gewöhnen. Vor allem auch deshalb, weil ich endlich auch mal Bilder vom Kleinspecht machen möchte, der meine spontane Aktion in diesem Frühjahr leider überhaupt nicht mitbekommen hat.



Setzt man sich auf den Waldboden und schaut nach oben in die Baumkronen, dann kann man so allerhand entdecken. Zum Beispiel, dass Spechte dort oben auch ihren Durst löschen, indem sie ausgefaulte, nach oben gerichtete Astlöcher anfliegen, in denen sich nach einem Regenschauer Wasser angesammelt hat.

Buntspechte steuern immer wieder dieselben toten Äste an, um zu trommeln. Männchen wie auch Weibchen. Die Männchen beider Arten fliegen mit senkrecht aufgestellten Steuerfedern durch die Gegend, wahrscheinlich um den Weibchen die bunten Unterschwanzdecken zu präsentieren. Das sieht sehr lustig aus und wird stets durch lautes Rufen akustisch untermalt.

Merksatz: Spechte sind die Clowns des Waldes!

Und auch die Nahrungssuche ist ínteressant. Vor allem Buntspechte klopfen alle paar Zentimeter am meist toten Holz, auf den sie herumhüpfen. Sie hören am Klopfton, ob sich im Ast oder Stamm etwas Leckeres verbirgt. Erst wenn der Ton stimmt, wird das entsprechende Stück Holz mit dem Schnabel auseinandergenommen. Da fliegen dann die Späne. Aber so richtig!


Der Mittelspecht-Kerl in ähnlicher Pose:


Interaktionen zwischen beiden Arten sind an der Tagesordnung.

Meist droht man sich, je nachdem, wer gerade in wessen Revier eingedrungen ist. Und obwohl der Mittelspecht deutlich zierlicher ist als sein häufigerer Verwandter, bedeutet das nicht, dass er auch automatisch jedesmal nachgibt.

Insgesamt scheinen die beiden Specht-Arten aber sehr gut miteinander auszukommen. Im ganzen Ihlower Forst brüten sie in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander. Vom Mittelspecht fand ich letztendlich sage und schreibe 14 Reviere, die sich über den gesamten Forst verteilen.

Lässt man etwa 50 Hektar des Waldes weg, weil sie für diese Art vor allem von ihrer Struktur her eher ungeeignet sind, dann beträgt die durchschnittliche Reviergröße des Mittelspechts im Ihlower Forst ungefähr 21 Hektar. Und dieses Ergebnis deckt sich sehr gut mit Untersuchungen in anderen Regionen Deutschlands und auch Österreichs.





the presence of dead and decaying trees is essential for Middle Spotted Woodpecker

Vor allem für den Mittelspecht ist das Vorhandensein von Totholz geradezu essenziell!

In sterilen Forsten, in denen alles weggeräumt und vernichtet wird, hat er deshalb keine Lebensgrundlage. Der Buntspecht zieht natürlich auch seinen Nutzen aus einer gewissen Unordnung, doch ist er deutlich anpassungsfähiger als sein kleinerer Vetter und kann nahezu überall leben, wo, salopp gesagt, vier Bäume beisammen stehen.

Ein Bild, das vielleicht jeder schon einmal gesehen hat:

in Central Europe Tinder Fungus penetrates mainly European Beeches and Birches. These rotten trees offer food and shelter to a variety of creatures like for instance beetle larvae. Woodpeckers additionally excavate their cavities into these dead stems as well as they are looking for food

Der Zunderschwamm, ein geiler Baumpilz, kann gesunden Bäumen nichts anhaben. Er befällt ausschließlich Individuen, die schon in irgendeiner Form geschwächt sind, um ihnen dann den Rest zu geben. Was man auf dem Bild sieht, sind, wie bei anderen Pilzen auch, nur die Fruchtkörper. Im Innern des Stammes dieser alten und längst toten Rotbuche befindet sich der eigentliche Pilz.

Im Kernholz verursacht er eine so genannte Weißfäule, die den Stamm morsch werden und meist in einigen Metern Höhe durchbrechen lässt, nicht selten während eines Sturms.

Ist der Baum schließlich abgestorben und umgefallen, bedeutet das noch nicht das Ende für den Pilz. Er kann sich noch eine ganze Zeit vom Holz der alten Buche ernähren.

Fällt euch was an dem folgenden Bild auf?





Beim liegenden Teil des Stammes sind die meisten Fruchtkörper erst nach dem Umsturz entstanden; man sieht das an ihrer Ausrichtung.

Einer aber muss sich schon vor dem Hinabstürzen am Stamm befunden haben, wie die folgende Detailaufnahme zeigt:


Und, seht ihr das auch?

Übrigens befällt der Zunderschwamm in Mitteleuropa fast ausschließlich Birken und Rotbuchen.

Und er schafft die Nahrungsgrundlage für eine Vielzahl verschiedenster Kleinstlebenwesen.

Und von diesen Kleinstlebewesen wiederum ernähren sich unter anderem die Spechte, die darüber hinaus auch gerne ihre Schlaf- und Bruthöhlen in solchen abgestorbenen Baumstämmen anlegen. Entfernt man sie aus einem falsch verstandenen und völlig sinnfreien Reinlichkeitswahn heraus aus dem Wald, dann entzieht man ganzen Lebensgesellschaften die Existenzgrundlage.

Rötelmäuse zum Beispiel legen gerne ihre Bauten im Schutz alter und morscher Baumstämme an:

Bank Vole

Und natürlich profitiert auch der attraktive Mittelspecht von einer vorausschauenden Forstwirtschaft:

Im Ihlower Forst bleiben seit einigen Jahren etliche Hektar sich selbst überlassen.

Hier kann sich der Wald so entwickeln, wie Mutter Natur es für richtig hält. Noch schöner wäre natürlich ein komplett sich selbst überlassener Ihlower Forst, doch auf der anderen Seite zeigt die große Zahl der Mittelspecht-Reviere, dass sich eine extensive Bewirtschaftung nicht zwingend nachteilig auf die empfiindlichen Lebensgesellschaften des Waldes auswirken muss.

Reaktion auf einen vorbeifliegenden Sperber:


Kurz zuvor hatte der Vogel auch noch den Schnabel an den Stamm gepresst, wie es ja auch Wendehälse in vergleichbarer Sitution machen sollen.

Auch diese Sumpfmeise schaute regelmäßig am Futterplatz vorbei:

Marsh Tit

Und natürlich auch die Buntspechtin:

female Great Spotted Woodpecker

Sie war besonders gewitzt, weil sie sich nie direkt an den Meisenknödel hängen wollte.

Stattdessen zog sie ihn mit dem Schnabel zu sich heran, um ihn dann mit dem linken Fuß zu ergreifen und unter Kontrolle zu bringen.

So ließ es sich dann in aller Seelenruhe frühstücken – im Dauerregen:

Man beachte auch, dass alle vier Zehen in dieselbe Richtung zeigen! Im Alltag eines Spechtes sind zumeist zwei nach hinten und zwei nach vorn gerichtet. 

All diese Bilder sind das Resultat eines ins Unterholz gehängten Meisenknödels:

Nebelstimmung im Ihlower Forst:

Die meisten der hier gezeigten Fotos entstanden an bedeckten Tagen oder aber zu einem Zeitpunkt am frühen Morgen, an dem die Sonne den Futterplatz noch nicht erreichte.

Sonne und Wald, das passt in der Vogelfotografie nicht so wirklich gut zusammen. Denn entweder befindet sich die Warte samt Vogel in der Sonne, während der Hintergrund im Schatten absäuft, oder aber es ist umgekehrt. Und um das zu verhindern, gehe ich auch an verregneten Tagen in den Wald.

Doch manchmal kann auch Sonne was hermachen, wie die beiden nächsten Bilder vom Mittelspecht-Kerl zeigen:

Das Foto entstand unter einem bedeckten Himmel, die Kontraste sind moderat.

Doch dann, nur wenige Sekunden später, kam die grelle Sonne für einen kurzen Augenblick zum Zuge und tauchte den Vogel in sattere Farben:

Und kaum war das der Fall, verdunkelte sich der Stamm hinter dem Specht, weil er eben plötzlich im Schatten stand. In diesem Fall aber geht es noch, also ich kann damit leben ;-)

Die beiden Bilder zeigen übrigens eine Verhaltensweise, wie sie vor allem für diese Art typisch sein soll. Der Vogel stand nämlich, wie man sehen kann, quer auf dem Ast statt in Längsrichtung. Also so, wie es z. B. ein Singvogel machen würde. Allerdings konnte ich quer auf einem Ast stehende Buntspecht genauso oft beobachten...

Mein Tarnzelt zwischen den Baumstämmen:


Inzwischen habe ich es abgebaut.

Doch die Vorfreude auf den kommenden Herbst ist schon vorhanden. Bis dahin aber sollte es noch die eine oder andere aufregende naturkundliche Überraschung geben.

Hoffentlich.