Mittwoch, 8. Juli 2015

Augen im Baum

Ihr dürft jetzt nicht denken, ich sei irgendwie gestört.

Aber ich gehe gerne auf den Friedhof, weil man dort gut Vögel gucken kann. Außerdem muss ich dann nicht so weit fahren. Die schönste Zeit für einen Spaziergang auf dem Friedhof ist der frühe Morgen um Sonnenaufgang herum. Da gibt es keinen Unterschied zu anderen Gebieten. Ein wichtiger Grund dafür ist das Licht, das zu anderen Tageszeiten einfach nicht so schön ist. Und ein weiterer ist natürlich die Ruhe, die man dort genießen kann, obwohl sich der Friedhof Tholenswehr mitten in der Stadt befindet.

Meist bin ich sogar so früh vor Ort, dass noch nicht einmal die Haupttore geöffnet sind. Ein kleineres Seitentor aber wird dem Anschein nach nie abgeschlossen und gewährt mir in unregelmäßigen Abständen Einlass. Dann bin ich ganz allein auf dem großen Friedhof, wo es mir vor allem die alten Bäume und die durch sie entstehende Stimmung angetan haben.



Big Brother was watching me – Long-eared Owl fledgling on cemetery Tholenswehr in Emden kept an eye on me. Poor light on early morning required high ISO, therefore pictures look a bit noisy

Einige Male habe ich hier ja schon über verschiedene Tierarten auf diesem Friedhof berichtet. So von Kaninchen bis Rotkehlchen. Heute soll es um einen eher heimlichen Vogel gehen, den man entsprechend selten zu Gesicht bekommt.

Am letzten Montag (6. 7. 2015) stand ich auf einem der Schlackewege und beobachtete eine weibliche Amsel, die eines ihrer Jungen fütterte. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl, dass mich jemand beobachtet. Plötzlich begann eine Singdrossel über mir zu zetern. Weil sie sich nicht beruhigen wollte, überprüfte ich mit meinem Fernglas die Baumkronen. Das dichte Laub war irgendwie immer im Weg, doch nach einer ganzen Weile sollte ich fündig werden.

Zwei große und ausdrucksstarke Augen waren auf mich gerichtet und ließen nicht eine Sekunde von mir ab!

Mein zehnter Sinn hatte mich also nicht im Stich gelassen.

Diesen Augen entgeht nichts, dachte ich so nebenbei. Absolut nichts. Während sie also das Geschehen auf dem Friedhof aus ihrer troglodytenhaften Perspektive beobachten, bleiben sie selbst in der Regel unentdeckt:



same

Insgesamt konnte ich in dieser alten Hasel am Ende vier junge Waldohreulen ausmachen. Nach langer Suche. Denn immer waren Zweige und Blätter im Weg. Ständig musste ich ein paar Schritte machen, um meine Perspektive zu verändern. Und nur einer der Vögel stand so günstig, dass ich nach langem Hin und Her endlich auch sein Gesicht sehen konnte.

Doch ein kleiner Zweig war auch hier zunächst noch im Weg.

"Zweig", so befahl ich ihm deshalb mit Nachdruck, "geh mir aus den Augen!"

Und tatsächlich zahlte sich meine angeborene Autorität sofort aus, und der Zweig senkte sich ein wenig. Vielleicht aber hatte die Eule auch nur den Hals etwas gestreckt. Jedenfalls machte ich meine Bilder, die wegen der hohen ISO-Zahl (1200-3200) allesamt etwas verrauscht daherkommen. Im schattigen Blattwerk kurz nach Sonnenaufgang war es dann doch ein bisschen zu finster für moderatere Verschlusszeiten. Die stark geweiteten Pupillen der jungen Waldohreule spiegeln die üblen Lichtverhältnisse sehr gut wider.

Doch meine Freude überwiegt auch jetzt noch, denn von den anderen Eulen da oben im Geäst konnte ich maximal das Hinterteil sehen.

Und das hat nun einmal keine Augen.


Die Waldohreule ist in Emden und auch in Rest-Ostfiriesland keine Seltenheit.

Im Prinzip kann sie überall dort vorkommen, wo Gehölze an offene Flächen angrenzen. Offene Flächen für die Jagd, Gehölze als Tageseinstand und Brutort. Weil die Waldohreule wie die meisten Eulen-Arten kein eigenes Nest bauen kann, ist sie aber zusätzlich auf andere Vogelarten als Bauherren angewiesen. Und besonders beliebt unter Waldohreulen sind die robusten und größenmäßig passenden Nester von Elster und Rabenkrähe.

Klaus Rettig (Emden) beschreibt in seinem Brutvogelatlas Stadt Emden aus dem Jahr 2007 die Bestandsschwankungen dieser Eule in der Seehafenstadt. Konnte er hier im Jahr 1991 noch zehn Paare ermitteln, waren es 2002 nur noch drei, im Jahr 2007 aber wieder fünfzehn!

Gründe für dieses Auf und Ab sind vor allem harte und schneereiche Winter sowie ein schlechtes Nahrungsangebot zur Brutzeit. Diese beiden Faktoren wirken sich auch auf die Häufigkeit anderer Eulen und Greifvögel aus. Nur jene Arten, die auf Vogeljagd umschwenken können, wie etwa der Sperlingskauz, sind möglicherweise weniger davon betroffen.

Übrigens kann ich auch von meiner Wohnung aus alljährlich in den Monaten Juni und Juli die Standortrufe junger, frisch ausgeflogener Waldohreulen hören. Mithilfe dieses recht lauten und hohen und im Abstand von wenigen Sekunden wiederholten Fiepens, das immer wieder auch Normalsterblichen auffällt, können die fütternden Altvögel ihren immer hungrigen Nachwuchs blitzschnell ausfindig machen. Auch in der dunkelsten Nacht!

Will man also den Brutbestand dieser Art in einer bestimmten Stadt ermitteln, muss man lediglich durch die Gegend fahren und auf diese Rufe achten. Winterliche Gemeinschaftsschlafplätze der Waldohreule hingegen haben in dieser Hinsicht eher eine geringe bis gar keine Aussagekraft, weil meist auch auswärtige, zum Teil sogar skandinavische Indivduen an ihnen beteiligt sind.


Oh, ein junger weiblicher Grünspecht:



young female Green Woodpecker – the beautiful result of the very first breeding record for Emden

Leider nicht aus der besten Perspektive, nämlich im Stehen geknipst. Eine Hecke stand im Weg, doch auf der anderen Seite wäre ich ohne sie gar nicht so nah an den Vogel herangekommen.

Derselbe Grünspecht ist auf dem nächsten Bild in seinem Lebensraum und bei der Arbeit, also bei der Suche nach lecker Ameisen zu sehen. Das Bild illustriert darüber hinaus, dass es die Gärtner mit der Pflege des Friedhofes nicht übertreiben.

Und das ist positiv gemeint!



same 

Wie man an der Gefiederzeichnung gut erkennen kann, handelt es sich hier wieder um einen der Jungvögel der allerersten Emder Brut (vergleiche hier: klick!). Und inzwischen haben sich die Iriden auch deutlich aufgehellt. Sie sehen jetzt fast so aus wie die eines adulten Grünspechts.

Und warum ist die Amsel im Hintergrund eigentlich größer als der Specht, obwohl sie doch deutlich kleiner sein sollte?

Weil Emder Amseln ausschließlich Matjes (bääääh) essen und Pommes von Fenna (Herrentor-Grill, der Fast-Food-Burner hier in Emden) und deshalb besonders fett werden.

Nein, das ist Quatsch!

Es ist eine optische Täuschung. Dabei handelt es sich um einen Effekt, der durch langbrennweitige Objektive verursacht wird. Hat man einen bestimmten Vogel im Sucher, dann erscheinen die eigentlich gleichgroßen Artgenossen, die man unscharf im Hintergrund erkennen kann, unter bestimmten Umständen etwas größer. Warum das so ist? Da müsst ihr einen Physiker fragen, dessen Lieblingsgebiet die Optik ist.

Wo sind die Ameisen?



same

Regentropfen auf einem Blatt nach einem nächtlichen Schauer:

after the rain

Beim Betrachten dieses Bildes bekomme ich auf der Stelle Durst!

Habt ihr außerhalb des Hochgebirges jemals direkt aus einem Bach getrunken? Ich schon oft. Zum Beispiel aus einem, der mitten durch den Börsteler Wald (Landkreis Osnabrück) fließt und dessen erfrischende Quelle sich nahe der so genannten Kortehütte befindet. Ich bin nämlich eine faule Sau, die es hasst, einem Rucksack die Gegend zu zeigen. Vor allem an heißen Tagen.

Weil ich aber nicht auf die Kamera verzichten kann, muss ich halt die schwere Pulle im Auto zurücklassen. Man kann aber nicht jedesmal nach ein paar Kilometern zurückrennen, nur weil einem die Zunge am Gaumen klebt. Deshalb trinke ich zum Beispiel auch schon mal Moorwasser. Aber nur an Stellen mit frischem Torfmoos, leckeren Libellenlarven und ohne angrenzende Ackerflächen.

Probiert's aus, es schmeckt vorzüglich.

Merktext: Man kann unter glücklichen Umständen auch noch im Deutschland des 21. Jahrhunderts aus einem Bach trinken, doch sobald dieser auf landwirtschaftliche Nutzflächen trifft, verliert er seine Jungfräulichkeit. Ich meine, auf diesen Flächen werden Pflanzen angebaut, die uns als Nahrungsmittel dienen. Und die Stoffe, die die Früchte dieser Pflanzen besonders schmackhaft und schön machen sollen, verunreinigen unser Trinkwasser, sobald sie mit ihm in Kontakt kommen. Ist das nicht bedenklich?


Was gibt es noch zu berichten?

Eigentlich nicht viel, aber immerhin kann ich schreiben, dass die schon im vergangenen Jahr von mir festgestellte Zunahme des Neuntöters in Emden kein Strohfeuer gewesen ist. Auch in diesem Jahr habe ich vier Paare im Westen der Stadt nachweisen können. Eins davon brütet wieder im Wybelsumer Polder, die anderen drei auf dem Rysumer Nacken.

Und von diesen wiederum hat sich ein Paar ein Revier ausgesucht, das sich sowohl auf Rysumer als auch auf Emder Gebiet befindet. In diesem Revier genießen die Vögel den ganz exklusiven Blick auf den sich träge Richtung Nordsee voranschleppenden Ostfriesen-Amazonas!

Der Deich, auf dem sich das Tor auf dem folgenden Bild befindet, bildet hier nämlich die Grenze zwischen den genannten Kommunen:

Red-backed Shrike's population in Emden is still increasing since the first couple has successfully raised its offspring in 2012. In 2015 I've found four pairs so far. This trend in the northwestern part of Germany is a bit stunning, because RBS has evacuated Great Britain in the meantime after a heavy decline in the previous decades. Maybe up to three couples have remained

Hier steht der Vogel auf einem Zaun in Rysum und somit in der Krummhörn:

same

Nach dem ersten Brutnachweis für Emden überhaupt im Jahr 2012 (siehe hier: klick!) hat die Art also jetzt im vierten Jahr in Folge auf dem Gebiet der Seehafenstadt gebrütet. Zu verdanken haben wir diese Erfolgsgeschichte der zunehmenden Verbuschung auf dem Rysumer Nacken sowie im Wybelsumer Polder.

Trotzdem ist die Zunahme dieses hübschen Vogels im äußersten Nordwesten unserer Republik nicht selbstverständlich, denn im Vereinigten Königreich haben in den letzten Jahren und als Folge eines dramatischen Bestandsrückganges nur noch ein bis drei Paare gebrütet: klick!

Emden befindet sich also jetzt am nordwestlichen Rand des Areals dieser Art, die eigentlich ein Freund warmer und trockener Sommer ist.

Das dritte Bild dieses Neuntöter-Kerls entstand in Emden:


Alle drei Fotos zeigen also denselben Vogel, und alle drei Bilder zeigen auch denselben Zaun. Und zwischen den Aufnahmeorten liegen nur etwa zehn Meter!


Zum Abschluss dieses Beitrages gibt's jetzt noch schnell das inzwischen obligatorische Schwarz-Weiß-Foto, das heute eben eine junge Waldohreule zeigt:











Do you like it?

Und weil sie so süß ist, gibt es noch ein allerletztes Bild gratis dazu: