wilde perspektiven

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Sonntag, 14. August 2016

Eisvogel (Teil 2)

Normalerweise gucke ich nur RTL2-Frauentausch, aber vor einigen Tagen habe ich mir zur Abwechslung mal mit einem 45-minütigen Bericht über den Tourismus an der Ostsee was Anspruchsvolles und Sozialkritisches reingezogen.

Ich hatte diese Reportage in der Mediathek des NDR entdeckt und erfuhr zum Beispiel, dass Mecklenburg-Vorpommern das Ranking der bei Touristen beliebtesten Bundesländer seit einiger Zeit anführt. Davor soll jahrelang Bayern die Führungsposition innegehabt haben.

Doch statt sich mit diesem beachtlichen Erfolg zufriedenzugeben, will man im nordöstlichsten Bundesland der Republik mehr. Verständlich ist das durchaus, denn Stillstand – das weiß jedes Kind – bedeutet nichts anderes als Rückschritt.

Aber wie so oft in der Vergangenheit neigen auch in MV wenige Verantwortliche zu Größenwahn und blindem Aktionismus. Schnell sollen weitere Hotels, Ferienhäuser und -wohnungen aus dem Boden gestampft werden, um den Boom auszunutzen und noch mehr Touristen an die beschauliche Ostsee zu locken. Gleichzeitig will man wohl den Vorsprung gegenüber den Bayern weiter ausbauen. 

Doch spätestens hier und jetzt schrillen bei vielen Bewohnern der Küstenorte die Alarmglocken. Sie sagen sich wahrscheinlich, dass es doch auch einen Grund gegeben haben muss, warum Mecklenburg-Vorpommern überhaupt dazu in der Lage war, die Bajuwaren zu überholen. Ich wette, es war und ist vor allem die so pittoresk ursprüngliche Küstenlandschaft, die die Menschen angezogen hat wie ein riesiger Elektromagnet. Eine vergleichbare Landschaft sucht man nämlich in der ganzen Republik vergebens.

Und deshalb sollte man sie erhalten und liebevoll pflegen!

young male Kingfisher

Geldgier und eine daraus resultierende blinde Bauwut haben in der Vergangenheit schon zu oft zu viel zerstört. Man kann es sich leicht machen und auf die oft hässlichen Touristenzentren Spaniens oder Portugals herabschauen, aber auch in Deutschland gibt es natürlich viele Ecken, die früher einen natürlicheren Charme versprüht haben müssen.

Und wenn es auch an der deutschen Ostseeküste nicht ganz so schlimm kommen sollte, ein feines Gespür für sinnvolle und sinnfreie Veränderungen ist jetzt mehr gefragt als jemals zuvor. Das schnelle Geld kann schließlich auch ganz schnell das letzte werden. Hat man nämlich erst einmal den Spaten angesetzt, wird es schwer werden, den Urzustand wiederherzustellen, wenn man bemerkt, dass man mit seinen rosaroten Prognosen vollig daneben gelegen hat.

Dann ist es zu spät.

Und eine verschandelte Landschaft kann doch niemand wollen, oder?


Der Eisvogel mutiert zwar mit Beginn der Brutzeit auch zu einem kleinen Tiefbau-Unternehmer, aber im Gegensatz zu uns Menschen geht er umsichtig mit seinem Lebensraum um.

Die folgenden zwei Bilder zeigen endlich auch das adulte Männchen, das ich bereits im vorletzten Bericht erwähnt hatte:

adult male Kingfisher – note proportional longer bill and brighter red feet than young male shown below

Im Vergleich mit dem jungen Männchen ganz oben fallen sofort der proportional längere Schnabel sowie die leuchtend roten Füße auf, die jegliches Schwarz missen lassen.

Schaut euch das nächste Bild mehrere Sekunden lang an und scrollt dann zurück zum Jungvogel. Sein Schnabel sollte dann noch kürzer und kräftiger wirken, als er es ohnehin schon ist.

Was lehrt uns das?

Zum Zeitpunkt des Ausfliegens und auch noch einige Wochen später hat der Schnabel eines Eisvogels seine endgültige Länge noch nicht erreicht.


Schüttel dein Haar (nach einem erfolgreichen Tauchstoß):








same

Es war natürlich nicht mein erstes Eisvogel-Shooting, aber ein so schreckhaftes und ängstliches Persönchen hatte ich zuvor noch nie erlebt! 

Denn jedes Mal, wenn ich den Verschluss meiner nicht ganz leisen Kamera auslöste, machte der Vogel sich aus dem Staub. Zack – weg. Zwar kehrte er meist nach kurzer Zeit wieder zu mir zurück, aber auch dann stets nur bis zum nächsten Klick.

Das gibt's doch nicht, dachte ich so nebenbei, du bist doch ein gestandener Kerl.

Haste etwa keine Eier?

Nu bleib doch mal stehen. Es ist doch nur eine Kamera.


Dieser Vierfleck konnte nicht fliehen, weil es noch zu kalt war:

Four-spotted Skimmer

Neben zwei weiteren Arten ist er im Moor die Großlibelle des Frühjahrs und Frühsommers und als solche eine wichtige Nahrungsquelle zum Beispiel für den Baumfalken

Seine Flugzeit beginnt im Mai und läuft im Juli aus. Der August wird in der Literatur zwar auch immer genannt – dieses Tier ist ja auch ein Beleg dafür –, aber ab Ende Juli sieht man den Vierfleck eigentlich nur noch ausnahmsweise. Ich gehe davon aus, dass das gezeigte Individuum mein letztes in diesem Jahr sein wird. Fotografiert habe ich es am Samstag (13. 8. 2016) in Tannenhausen.

Im Hochsommer sowie im Herbst geben die Heidelibellen den Ton an. Im Moor ist es die im letzten Bericht ausführlicher vorgestellte Schwarze Heidelibelle, die den Staffelstab ab Ende Juni, vor allem aber im Juli vom Vierfleck und der Kleinen sowie der Nordischen Moosjungfer übernimmt. Die letzte Kleine Moosjungfer, es war ein Männchen, sah ich übrigens vor etwa drei Wochen am Ewigen Meer herumfliegen.


Er fliegt fast das ganze Jahr:

Speckled Wood, an abundant species in Ostfriesland

Zumindest kommt es mir immer so vor.

Wahrscheinlich liegt das daran, dass das Waldbrettspiel im ostfriesischen Buschland sehr häufig ist und in mindestens zwei Generationen fliegt. Es saugt gerne an den unauffälligen Blüten des Faulbaumes, hat aber auch eine Vorliebe für die süßen Ausscheidungen von Blattläusen und steht so in Konkurrenz mit vielen Ameisen-Arten.


Zurück zum Eisvogel-Mann.

Am dritten Wochenende (13. 8. 2016) war die Schreckhaftigkeit des Vogels endlich weg. Ich konnte jetzt sogar auf Dauerfeuer stellen, wenn er vor meinem Tarnzelt auf seiner Warte stand. Der Eisvogel muss irgendwann bemerkt haben, dass dieses komische Geräusch, das da aus dem komischen Ding da kommt, keine schlimmen Folgen hat.

Die Farben der nächsten Bilderfolge sind etwas krass. Setzt also bitte eine Sonnenbrille auf, wenn ihr nicht geblendet werden wollt!

Denn obwohl ich auch hier schon ganz früh am Morgen unterwegs gewesen bin und die Sonne, kurz nachdem sie aufgegangen war, nur diffus durch eine dünne Schicht aus hochnebelartiger Bewölkung schien, leuchtete der Vogel auf wie niemals zuvor.

Und schließlich hatte der Eisvogel auch wieder einen Neunstachligen Stichling im Schnabel:

same adult male with Ninespine Stickleback

Es kam zu einem Wortwechsel, den natürlich nur ich hören konnte.

Der Stichling bettelte um sein Leben: "Nein, lieber Eisvogel, bitte iss mich nicht auf! Ich bin doch eine verwunschene Prinzessin, die du nur zu küssen brauchst!"

"Wenn du eine Prinzessin bist, du blöder Fisch", gab der Eisvogel etwas hartherzig zurück, "dann bin ich Zlatan Ibrahimović und jetzt schon Torschützenkönig der Premier League."

Der Fisch überlegte. Wenn es so nicht geht, so schlussfolgerte er, dann muss ich ihm drohen.

"Wenn du mich auffrisst, du Scheißvogel", versuchte er so etwas wie Autorität anklingen zu lassen, "dann kommst du in die Hölle, dann schmorst du im ewigen Feuer! Das sagen zumindest die Menschen, wenn sie über Sünder wie dich sprechen!"

Der Eisvogel zeigte sich unentschlossen. Doch nicht etwa, weil er ernsthaft über die Worte des Stichlings nachdachte, sondern vielmehr, weil er nicht wusste, ob er ihn auf der Stelle verschlingen oder doch besser zum Nest tragen sollte. Die zweite Brut des Jahres versorgte sich schließlich nicht von allein, das wusste er nur allzu gut.

Er antwortete etwas verzögert: "Die Menschen sind dumm. Das mit der Hölle haben sich diese Kirchenspacken doch nur ausgedacht, um die Leute bei der Stange zu halten. Ohne Drohungen funktioniert so ein System doch gar nicht. Man muss die bei vielen Leuten vorhandenen Ängste nur schüren. Ist klug gemacht, aber wenn man auch nur etwas nachdenkt, du kleiner Stichling, du ganz a blöder, dann fällt man nicht auf so eine Kacke herein. Und außerdem", der Eisvogel machte eine Kunstpause, "müssten dann ja wohl alle Menschen in die Hölle kommen, wenn ich sehe, wie unglaublich ignorant sie sich aufführen und wie sie mit dem Planeten und mit anderen Lebewesen umgehen."

Kaum hatte er es ausgesprochen, da schlug er den Fisch völlig überraschend gegen die harte Unterlage, um ihn zu betäuben.

"Aua!" schrie der Stichling auf: "Das tat weh!"

"Was sein muss, muss eimfach sein", sagte der Eisvogel in einem ruhigen Ton.

"Aber ich will noch nicht sterben!" winselte der Fisch um Gnade.

"Das ist nicht mein Problem", antwortete der Eisvogel, um noch rasch hinzuzufügen: "Du hattest schließlich auch kein Mitleid mit der Zuckmückenlarve. Und die hatte noch ihr ganzes Leben vor sich."

"Aber das war doch nur nur eine Zuckmückenlarve", zeigte sich der Fisch irritiert.

"Richtig", folgte die Antwort des Vogels, "und du bist eben nur ein Fisch!"

Kaum hatte er das ausgesprochen, da schlang er den Stichling hinunter.

same

So, das war die Nummer zwei, dachte der Eisvogel, während der kleine Fisch noch in seinem Magen zappelte und er bereits einen neuen erbeutet hatte.

Diesen Kaventsmann muss ich wohl wieder bei der Familie abliefern.

same with food for the offspring

Doch für eine Übergabe des Fisches in der Brutröhre sollte es nicht mehr reichen. Zu schnell war der Sperber um die Ecke gekommen. Ich konnte aus der Ferne nur noch die flehende Stimme des Eisvogels hören: "Bitte, bitte, töte mich nicht, ich bin eine verwunschene Sperber-Prinzessin!"

Und die Moral von der Geschicht': Alle wollen satt werden. Es gibt weder gute noch böse Tiere da draußen im Outback.


Bei dem letzten Bild waren übrigens die Farben wirklich schon zu schrill. Nur deshalb habe ich es in Graustufen umgewandelt.


Am selben Morgen, also noch bevor ich diese Bilder vom Eisvogel machte, war ich meinem ersten lebenden Dachs begegnet!

Gegen 5:13 Uhr hatte er sich kurz im Scheinwerferlicht meines Autos gezeigt, auf einer dieser schmalen gepflasterten Straßen in den Moorwiesen von Tannenhausen. Und obwohl es sich um eine sehr flüchtige Begegnung gehandelt hat, war die Freude bei mir groß.


Der Samstag war übrigens der erste Tag seit einer Ewigkeit, der ein bisschen was von Sommer hatte.

Zuvor hatte es in Ostfriesland viel geregnet, gestürmt, es war finster und herbstlich gewesen. Das folgende Foto zeigt einen einsamen Distelfalter, der sich auf einen mit Herbstlaub übersäten Weg in Tannenhausen stellte und vergeblich zu sonnen versuchte:













Painted Lady

So ein Foto sollte man eigentlich erst im Oktober machen können.

In diesem Jahr aber klappte es halt schon im August.


Grundsätzlich habe ich aber nichts gegen den Herbst.

Die verfickten Bremsen gehen einem dann nicht mehr auf den Sack, weil es sie dann nicht mehr gibt. Interessant ist, dass man es im eigentlichen Moor fast ausschließlich mit der Goldaugenbremse zu tun hat, in den umliegenden Moorwiesen aber dominiert eindeutig die zierlichere und weniger bunte Regenbremse.

Oft habe ich mich in diesem Sommer gefragt, ob es nicht besser wäre, wenn diese Quälgeister nur im Winter flögen. Und dann auch nur nach Sonnenuntergang...


Für das folgende Tier, dessen Thorax glänzt wie die Glatze von Kojak, bedeutet der herannahende Winter ebenfalls das Ende der Saison:


Sericomyia silentis

Es ist die Große Torfschwebfliege, die im Hochsommer nicht selten ist. Ich kannte sie zwar vom Sehen, nicht aber ihren Namen. Doch Axel Steiner aus dem sauerländischen Breckerfeld änderte das ganz unbürokratsich, wofür ich ihm an dieser Stelle danke!


Noch ein letztes Mal der ganz bunte Kerl:

same

Einen ausführlicheren ersten und reich illustrierten Teil zum Eisvogel in Ostfriesland gibt es übrigens hier: klick!