wilde perspektiven

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Mittwoch, 31. Mai 2017

Jackpot im Moor

Moin zusammen!

Am vergangenen Wochenende (28. und 29. Mai 2017) besuchte ich zum ersten Mal in diesem Jahr das Collrunger Moor.

Es sollte ein denkwürdiger Tag werden, denn ich fand rein zufällig und völlig überraschend ein Tier, das schon seit meiner Kindheit in meinem Hirn herumgeisterte. 

Ich erinnere mich noch sehr gut, ich war elf, zwölf, dreizehn oder vierzehn Jahre alt und saß zusammen mit Fritz K. in dessen Keller, um mr Dias zeigen zu lassen. Fritz K. war damals Frührentner und der erste Mensch, der mir begegnete, der wild lebende Tiere und Pflanzen fotografierte.

Übrigens mit einer Canon A1!

Zweimal im Jahr, mindestens aber einmal, packte er seine sieben Sachen zusammen und fuhr mit seiner Frau, seinem Opel Rekord und einem geräumigen Wohnwagen nach Jugoslawien. Wenn er zurückkam, hatte er immer eine ganze Flut neuer Bilder dabei, die wir uns dann zusammen anguckten. Ich freute mich darüber, jemanden kennengelernt zu haben, der meine Leidenschaft für die Natur teilte. Dass dieser Mensch deutlich älter war als ich, störte mich nicht im Geringsten. Und dass er nur ein paar Häuser weiter wohnte, machte die ganze Sache nur praktischer.

Huaah, ein erstes Bild von der heutigen Hauptdarstellerin: 

last weekend I found my very first Small Emperor Moth at Collrunger Moor – a true lifer! This unbelievably beautiful butterfly has always been one of my most wanted animal species in general 

Davor hatte ich in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, keinen weiteren Menschen gekannt, der sich für die Natur begeistern konnte. Wenn sich jemand dort für Tiere interessierte, dann ausschließlich für Hunde, Katzen, Pferde und Brieftauben und so weiter.

Da wohnte ein Jäger in unserer Straße, aber der hatte wirklich absolut keinen Plan. Mit dem wollte ich auch nichts zu tun haben, weil ich schon als Kind der Auffassung war, dass Jagd nichts mit Naturliebe zu tun haben konnte.

Davon bin ich auch heute noch überzeugt.

Wenn Fritz K. mal keine Bilder aus Jugoslawien zeigte, dann welche aus der unmittelbaren Umgebung. Tiere spielten bei ihm nicht die ganz große Rolle, eher war er auf Wildblumen fixiert. Doch an einem Tag im Frühjahr präsentierte er mir Fotos vom Kleinen Nachtpfauenauge. Er hatte sie erst ein paar Tage zuvor auf dem Standortübungsplatz bei Bramsche-Achmer ("Flugplatz Achmer") aufgenommen. Es waren zwei Falter, die sich in der Bodenvegetation paarten. Ich sah die Bilder und war von der Schönheit der Tiere mächtig beeindruckt.

Und ich dachte: Das Kleine Nachtpfauenauge möchte ich auch mal sehen.

Hätte mir damals jemand gesagt, dass bis zu meinem ersten "eigenen" Kleinen Nachtpfauenauge weitere fast vierzig Jahre vergehen sollten, ich hätte ihn für krank, mindestens aber für saublöd gehalten. Denn wir beide, der Falter und ich, haben ja durchaus Gemeinsamkeiten. So teilen wir die Vorliebe für den Lebensraum Moor. Ich kann rückblickend gar nicht sagen, wie viele Stunden und Tage ich in den verschiedensten Mooren Nordwestdeutschlands verbracht habe. So oft bin ich in den letzten Jahrzehnten im Frühjahr, also zur Flugzeit des Kleinen Nachtpfauenauges, im Venner Moor gewesen, im Hahnenmoor, im Recker Moor, im Oppenweher Moor, in der Tinner Dose und so weiter.

Doch es hat nie gereicht. 

Am letzten Samstag dann fand diese ewig währende und schmerzende Niederlage im Collrunger Moor ein Ende.

Früh am Morgen war ich wie in Zeitlupe den Hauptweg abgegangen, um ein weiteres Mal nach Großlibellen zu spähen. Am Ende sprang für mich "nur" ein einsamer Vierfleck dabei heraus. 

Immerhin aber einer, der sich widerstandslos von mir ablichten ließ:






Four-spotted Skimmer

Dasselbe Tier im Gegenlicht:

same

Wenige Stunden später war die dann angenehm warme Luft zum Bersten gefüllt mit Moosjungfern und vor allem mit Großen Blaupfeilen.  Darüber hinaus sah ich meine esrten Großen Königslibellen des Jahres.

Ich hätte wahrscheinlich deutlich mehr Erfolg bei der Libellensuche gehabt, wenn ich im unmittelbaren Uferbereich der Torfstiche und Blänken gesucht hätte, doch hielt ich es ausnahmsweise mal für umweltverträglicher, den Hauptweg durchs Moor nicht zu verlassen. Die im Collrunger Moor ansässigen Kraniche führen zurzeit ihren Nachwuchs. Und es handelt sich hier um ein Naturschutzgebiet, in dem Störungen durch uns Menschen ausbleiben sollten!

Nur die Jagd ist dort erlaubt...

So sieht es im Collrunger Moor aus (Archivaufnahmen aus dem August 2014):

habitat of Small Emperor Moth at Collrunger Moor (August 2014, taken from the archives)

Weitere Eindrücke aus dem Gebiet:



Diese Fotos entstanden zwar im Sommer, doch die Bedingungen zum Zeitpunkt der Aufnahme glichen jenen vom letzten Wochenende:



Ich war etwas geknickt, wollte sogar schon aufgeben und nach Hause fahren.

Ich war auch müde, und zu allem Überfluss plagte mich seit Tagen der fiese Heuschnupfen. Warum ich trotzdem blieb, kann ich nicht sagen. Ich kann aber sagen, dass dieser Entschluss richtig war. Nach wem ich eigentlich suchen sollte, wusste ich jetzt aber nicht mehr. Ich meine, Libellen gefallen mir einfach am besten im weichen Licht des frühen Morgens. Zumindest dann, wenn ich sie fotografieren möchte.

Jedenfalls ging ich einfach weiter. Ich quälte mich scheinbar sinnlos mit zugequollenen Augen durchs Moor. Manchmal ist es aber einfach besser, nicht zu viel über jeden Schritt, den man macht, nachzudenken. Ich ging also und ging. Und plötzlich war mein ausgelaugter Körper wieder energiegeladen wie kaum jemals zuvor. Was ich da in drei, vier Metern Entfernung sah, ließ meinen Puls in die Höhe schnellen. 

Ein wohl frisch geschlüpftes Kleines Nachtpfauenauge klammerte sich in Bodennähe fest an einige Halme des Pfeifengrases und harrte der Dinge, die da kamen. 

Es war ein Weibchen, also eine Nachtpfauenäugin, wenn man so will:




all images show the same female

Weil das Licht zu prall war, machte ich zunächst nur ein paar Belegfotos.

Beim Kleinen Nachtpfauenauge ist es so, dass die Männchen tag- und dämmerungsaktiv sind, während die Weibchen nur nachts fliegen. Letztere zeigen sich am Tage völlig störungsresistent. Selbst wenn man wollte, man könnte ein Weibchen dieser Falter-Art wohl nicht aufscheuchen.

Das Licht gefiel mir nicht. Und auch der unruhige Hintergrund konnte mich nicht überzeugen. Mir kam der Gedanke, die Zutaten für gelungene Bilder selbst zusammenzumixen. Ich musste es einfach tun, war ich mir doch bewusst, dass ich vielleicht keine weitere Chance im Leben bekommen würde, diesen hübschen Schmetterling zu fotografieren. Immerhin hatte ich vierzig Jahre auf diese erste Begegnung gewartet!

Spontan brach ich in der Nähe einen trockenen Stängel ab. Dann ließ ich das Nachtpfauenauge vorsichtig auf meinen Zeigefinger klettern und anschließend, nachdem ich es ausgiebig begutachtet hatte, auf den Stängel. Den wiederum trug ich nun vor mir her. Andächtig und respektvoll, wie ein Pfaffe sein Kruzifix. Ich brachte den Falter an einen sicheren Ort, weil ich "Schlimmstes" verhindern wollte.

Unterseite im Gegenlicht:



Wenn die Weibchen aus ihrem Kokon schlüpfen, werden sie bereits sehnsüchtig erwartet.

Sie selbst stehen einfach nur herum und geben Sexuallockstoffe, so genannte Pheromone, an die Luft ab. Die Männchen wiederum patrouillieren von Mittag bis kurz nach Sonnenuntergang durch das Moor (oder einen anderen geeigneten Lebensraum). In rasantem, ja geradezu ungestümem Flug befinden sie sich auf Dauersuche nach möglichen Weibchen. Ihren Duft können die Männchen auf große Distanz wahrnehmen.

Ein Filmchen, das zeigt, wie man mit einem duftenden Weibchen wilde Männchen anlocken kann: klick!

Und glaubt mir, jedes Weibchen wird gefunden!

Das meinte ich oben damit, als ich schrieb, "Schlimmstes" zu befürchten. Natürlich wollte ich auch das Männchen sehen, aber eben nicht bei diesem Licht. Ich wollte doch auch Bilder machen. Und die sollten mir doch auch gefallen. Deshalb steckte ich den Stängel in der Nähe meines Autos in den Boden. Dort, auf einem von dichtem Gebüsch gesäumten Weg, herrschte den ganzen Tag über tiefster Schatten. Und dort, davon war ich in meiner grenzenlosen Naivität überzeugt, würde kein Kerl dieser Welt die einsame Dame finden.

Ich selbst fuhr zum Ems-Jade-Kanal.

Es war inzwischen so heiß geworden, dass ich mich abkühlen musste. Nach Hause wollte ich jetzt natürlich nicht mehr. Ich fuhr also die Stichstraße, an der ich geparkt hatte, bis ganz zum Ende, um dort zunächst ein zweites Frühstück zu mir zu nehmen. Dann ging ich zur Anlegestelle der MS Moornixe. Das war mal so ein Ausflugsschiff aus Wiesmoor, das es wohl nicht mehr gibt. Die Anlegestelle selbst kann man nicht mit dem PKW erreichen. Nur mit einem Boot, dem Fahrrad oder eben zu Fuß. Im Stechschritt legte ich die etwa zwei Kilometer bis zum Ziel zurück.

Ich stieg ins dunkle Wasser und machte ein Bild vom Kanal:










Ems-Jade-Kanal

Die Anlegestelle ist quasi gleichzeitig Schutzhütte mit einigen Sitzbänken und Grillplatz.

Dort kann man einen schönen Tag verbringen. Mit Alkohol oder auch ohne. Mit anderen Menschen oder allein. In den letzten Jahren bin ich kaum mehr dort gewesen, doch jetzt stellte ich fest, dass dieser Ort wohl nicht mehr unterhalten wird. Alles dort scheint dem Verfall preisgegeben worden zu sein.

Nach dem Bad im kühlen Nass fiel mir auf, dass sich der Trageriemen von meinem Fernglas gelöst hatte. Leider ging bei dieser Aktion mein gelber Heringsmöwen-Farbring verloren. Das wiederum musste auf dem Weg von meinem Auto zum Grillplatz passiert sein. Ich wollte gerade losstiefeln, da entdeckte ich mein erstes Taubenschwänzchen des Jahres. Es zog sich den Nektar eines Rhododendron-Busches rein.

Leider war das Biest unkooperativ. Es wechselte zwischen den vielen Blüten viel zu schnell hin und her, flog mal hier, mal dort hin. Aber ohne erkennbares System! Da kam selbst mein Autofokus nicht mehr mit. Ich kapitulierte und nahm die Suche nach meinem Farbring wieder auf. Nach etwa hundert Metern hörte ich ein seltsames Geräusch. Es erinnerte mich an die Rufe bettelnder Buntspechte, die sich noch in der Höhle befinden. An dieses niemals verstummende Keckern, das es einem immer so leicht macht, eine besetzte Buntspechthöhle zu finden, obwohl man sie gar nicht sucht.

Hier und jetzt klang das Geräusch aber rasselnder und etwas leiser.

Ich hob den Blick und sah in das Gesicht eines jungen Grünspechtes, der keck aus seiner Höhle herausschaute:

young Green Woodpecker waiting for Mom and Dad

Der Vogel schien mich nicht zu beachten.

Ich meine, ich stand nur etwa vier Meter von ihm entfernt auf dem Radweg! Er bettelte und bettelte und bettelte. Weil ich die Kamera noch in meinen Händen hielt, nutzte ich die Gelegenheit für ein paar Bilder. Die Höhle befand sich in einer Salweide und genau auf Augenhöhe.

Der Radweg wird von Eingeborenen wie auch Touristen genutzt. An manchen Tagen und vor allem bei schönem Wetter ist dort durchaus was los. Doch die Grünspechte hat der Rummel anscheinend nicht gestört, als sie sich nach einer geeigneten Kinderstube umsahen. Sie haben dort eine alte Höhle renoviert und, wie man sehen kann, ihren Nachwuchs ohne größere Probleme aufgezogen.

Insgesamt konnte ich mindestens zwei Jungvögel entdecken.

Ich stand nur da und beobachtete den kleinen Kerl, der sich mir gegenüber so vertraut zeigte. Wenige Minuten später gab ich ihm unaufgefordert noch einen Tipp mit auf den Weg: "Wenn du den ganzen Tag so laut rumbettelst, du grüner Wicht, dann machst du deine Feinde auf dich aufmerksam. So blöd kannst du doch eigentlich nicht sein, oder?"

Die Rufe des Familienvaters aus dem Kronenbereich eines der benachbarten Bäume weckten mich nach wenigen Minuten wieder auf. Rasch zog ich mich zurück und beobachtete die Fütterung aus großer Distanz mit meinem Fernglas ohne Möwen-Farbring.

Für mich war das übrigens der erste Fund einer besetzten Grünspecht-Höhle überhaupt. Allerdings hatte ich auch nie nach einer gesucht. Grünspechte sind hier in Ostfriesland nicht selten, man kann sie z. B. auch in der Innenstadt von Aurich auf Grünflächen bei der Nahrungssuche beobachten.

Eigentlich bin ich strikt gegen Nestfotografie, doch gleichzeitig der Meinung, dass man da differenzieren sollte. Wenn ich z. B. auf dem Balkon sitze und die Kohlmeisen nur wenige Meter von mir entfernt ihre Brut füttern, dann spricht nichts dagegen, statt des O-Saft-Glases die Kamera zu ergreifen. Und im Falle des Grünspechtes hatte ich sie ja sogar schon in der Hand! Wie bescheuert wäre ich gewesen, wenn ich einfach weggelaufen wäre, wo sich der Vogel doch überhaupt nicht an mir störte.

Die Höhle in der Salweide, direkt neben dem Radweg:

Green Woodpecker's cavity (center right)

Wenn ihr sie auf dem Foto nicht findet, kann ich euch auch nicht helfen.

Okay, eine zweite Chance hat jeder verdient:




Immer noch nicht entdeckt?

Jetzt aber:

Kleiner Scherz zum Nulltarif.


Wahrschenlich haben die jungen Grünspechte ihre Höhle inzwischen verlassen. Und wenn sich die Spechte im kommenden Jahr eine neue Bleibe zimmern sollten, dann könnte hier, direkt am Kanal, der geile Wiedehopf brüten.

Das wäre schön!

Nachdem ich einige Dinge erledigt hatte, kehrte ich gegen sieben Uhr in großer Erwartungshaltung zum Collrunger Moor zurück. Ich freute mich auf ein wenig Action. Nun wollte ich das Weibchen an einen fotogenen Ort tragen und dort gemeinsam mit ihm auf die Ankunft eines Männchens warten. Auf diese Annäherung des Männchens war ich besonders gespannt. Ich sah mich auch schon als Sieger, doch als ich beim Weibchen ankam, stellte ich fest, dass sich da trotz meiner kleinen Finte bereits ein Pfauenaugen-Cassanova eingefunden hatte.

Oh nein, die Paarung war schon vollzogen!

Vorsichtig zog ich den Stängel aus dem Boden und trug ihn ins Licht. Das war zu diesem Zeitpunkt  leider immer noch recht grell. Ich hatte aber keine andere Wahl und schoss ein paar Bilder.

Hochzeit, bitte nicht stören:


mating Small Emperor Moths

Wie lange das wohl schon so ging, fragte ich mich.

Ich hoffte auf eine Verlängerung, um wertvolle Zeit zu gewinnen, meinetwegen auch auf ein Elfmeterschießen, doch kaum hatte ich diesen Gadanken ausgedacht, da löste sich der Kerl von seiner Kurzzeitliebe und flog wie von der Apulischen Tarantel gestochen davon. Er hatte es wirklich eilig und war auch wohl der Auffassung, er könnte etwas verpassen.

Scheiße, dachte ich. Ich hatte doch auch Bilder vom Kerl ganz allein eingeplant. Wieso hielt der sich jetzt nicht an unsere Abmachung?

Ganz einfach, das Kleine Nachtpfauenauge kann keine Nahrung zu sich nehmen. Wie im Falle der im letzten Bericht vorgstellten Eintagsfliegen sind seine Mundwerkzeuge verkümmert. Die Tiere zehren von der Energie, die sie schon als Raupe zu sich genommen haben. Entsprechend kurz, nämlich nur wenige Tage, ist die Lebenserwartung der Falter. In dieser kurzen Zeit geht es ausschließlich darum, für Nachwuchs zu sorgen und den Erhalt der Art zu sichern.

Da wird Zeit schnell essenziell!

Man darf auch nicht vergessen, dass ich trotz allem sehr viel Glück hatte, das Männchen überhaupt angetroffen zu haben. Denn die Paarung dauert bei dieser Art im Regelfall ein bis zwei Stunden. Ich war aber satte sieben Stunden abwesend. Ich hätte den Kerl also auch locker verpassen können.

Außerdem blieb mir ja noch das Weibchen:





Schaut euch das pralle Abdomen an!

Angesichts dieser Rundungen hätte Herr Rubens wahrscheinlich sofort zum Pinsel gegriffen.

Ein fliegender Orientteppich:


Wozu diese verschwenderische Pracht, könnte man unweigerlich denken, wenn die Falter nur Stunden oder wenige Tage leben?

Viele Menschen führt diese Frage automatisch zu erfundenen Göttern. Sie meinen, dass allein diese Liebe zum Detail nicht ein Resultat der Evolution sein könne. Nur eine höhere Macht sei dazu in der Lage, so etwas Großartiges zu schaffen. Zu so einem Trugschluss kann man kommen, wenn man hinter allem und jedem einen tieferen Sinn vermutet.

Doch genau diesen tieferen Sinn gibt es nicht.

Es gibt eben einfach prächtige Falter und welche, die eher unscheinbar daherkommen.

Und das Kleine Nachtpfauenauge gehört wohl in die erste Gruppe:


Im Laufe des Abends tauchten noch zwei weitere Männchen auf, die aber leider nicht beim Weibchen landeten.

Möglicherweise paaren sich die Frauen nur ein einziges Mal. Und vielleicht haben sie auch einen Duftstoff im Sortiment, der den Männchen signalisiert, dass kein weiterer Sex erwünscht ist. 

Bis zum Ende des Fotoshootings an diesem Abend hatte ich sage und schreibe zwei 4-Gigabyte-Speicherkarten gefüllt! Normalerweise bin ich in dieser Hinsicht eher zurückhaltend, aber weil ich nicht wusste, ob mir dieses Glück jemals wieder beschieden sein würde, hatte ich wie im Rausch pausenlos auf den Auslöser gedrückt.

Richtig zufrieden war ich mit dem Licht aber auch jetzt noch nicht.

Irgendwann war es bereits dunkel. Die Zeit war verflogen, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich entschied spontan, die Nacht im Freien zu verbringen, um dem Nachtpfauenauge am daruffolgenden Tag eine zweite Chance zu geben. Ich wollte unbedingt Bilder im weichen Morgenlicht machen.

Mein Schlafplatz war einer, den ich in der Vergangenheit schon einige Male genutzt hatte. Unter freiem Himmel zu schlafen, hat für mich immer etwas von Abenteuer. Ich kroch also gegen Mitternacht in meinen Schlafsack und legte mich auf die Isomatte. Schlafen konnte ich nicht, weil ich immer noch so aufgedreht war, aber auch, weil mir der Fließschnupfen arg zusetzte.

Ich starrte den Großen Wagen an, der sich direkt über mir befand. Er starrte zurück. Dann lauschte ich den Flugrufen einer Schleiereule. Und nachdem ich noch zwei Sternschnuppen gesehen hatte, schlief ich endlich ein.

Gegen 3:30 Uhr wurde ich unsanft geweckt, weil da eine Wachtel ganz in meiner Nähe mächtig Terror machte. Nur wenige Minuten später begann auch ein Kuckuck mit seinem monotonen Morgengesang. Ihr blöden Vögel, dachte ich, ich habe jetzt nur eine oder zwei Stunden gepennt. Könnt ihr keine Rücksicht nehmen? Ich meine, ich kann doch noch gar keine Bilder machen. Es ist doch noch stockfinster. Legt euch bitte wieder hin und weckt mich in zwei Stunden nochmal.

Das taten sie nicht. Im Gegenteil, viele andere Arten fielen jetzt in den Chor ein. Gartenrotschwanz, Singdrossel, Feldlerche und so weiter wollten partout auch noch ihren Senf dazugeben. Und natürlich hat es mich nicht gestört, liebe ich doch dieses Morgenkonzert vor allem dann, wenn es keine verfälschenden Zivilisationsgeräusche gibt.

Um fünf fuhr ich zum Collrunger Moor, wo ich natürlich zuerst nach der Pfauenaugen-Dame sah. Die hatte sich im Schutze Nacht aus dem Staub gemacht. Die Eiablage musste schließlich auch noch über die Bühne gebracht werden. Allzu enttäuscht war ich nicht, obwohl sich ein bezaubernder Morgen ankündigte, mit einem ganz tollen Licht und einer ebenso bezaubernen Nebelstimmung.

Spontan, wie ich bin, suchte ich mir Ersatzkandidaten.

Halbstarke Moorfrösche hüpften geschäftig über den Weg, von links nach rechts und von rechts nach links.

Einen von ihnen fotografierte ich auch:

Moor Frog

Wenig später gab er Gas und verschwand im angrenzenden Pfeifengras-Dickicht.

Ich setzte meine Suche fort und entdeckte ihn hier:










Fox Moth

Es handelt sich um einen weiblichen Brombeerspinner. 

Er tat einfach so, als wäre er gar nicht da. Und bestimmt ging er davon aus, dass ich ihn nicht bemerkte, obwohl mein Objektiv auf ihn gerichtet war.

Die Partnerfindung verläuft exakt wie beim Kleinen Nachtpfauenauge. Auch beim Brombeerspinner sind die Weibchen nachtaktiv, während die Männchen tagsüber durchs Moor jetten, um die ruhenden Frauen zu finden und sich mit ihnen zu paaren.

Später, nach Sonnenaufgang, fand ich eine sich auf einem großen Blatt aufwärmende Hummel:

female Volucella bombylans var. plumata

Ha, reingefallen! 

Es ist gar keine Hummel, sondern eine Hummel-Waldschwebfliege. Diese flinken Biester traten am Sonntagmorgen in großer Zahl am Rande eines Gebüschs auf, unweit meines Autos. Da war richtig Stimmung in der Bude. Diese Tiere sind zwar nicht wirklich scheu, aber sehr unruhig.

Vor allem die Kerle fliegen wirklich jedem Rock hinterher. Ob der Rock zur eigenen Art gehört, scheint dabei keine große Rolle zu spielen.

Ein anderes Individuum sah komplett anders aus:




male Volucella bombylans var. bombylans

Die Larven dieser Schwebfliege leben in den Nestern verschiedener Hummel-Arten, wo sie sich von allem möglichen ernähren. Interessant ist, dass sie sehr verschieden aussehen können und mal der einen, mal der anderen Hummel-Art gleichen.

Trotzdem handelt es sich bei beiden gezeigten Individuen um dieselbe Spezies.

Clouded Silver

Der hier hatte es sich auf der Fahrertür meines Autos gemütlich gemacht.

Es ist ein Schattenbinden-Weißspanner. Er flog nicht einmal weg, als ich die Tür öffnete und wieder schloss. Da war wohl Stolz im Spiel. Der Spanner wollte sich vor mir einfach keine Blöße geben und seine Tarnung nicht auffliegen lassen.


Nach meiner aufregenden Begegnung mit dem Kleinen Nachtpfauenauge im Collrunger Moor bat ich das Netz um Rat.

Da waren einige Fragen, die geklärt werden wollten. Zum Beispiel die nach der tatsächlichen Häufigkeit der Art und der Wahrscheinlchkeit, ihr im Freiland zu begegnen. Ich meine, wie konnte ich all die Jahre so blind gewesen sein?

Fakt ist, dass das Kleine Nachtpfauenauge wohl keine Seltenheit ist. Trotzdem sind Feststellungen im Outback eher die Ausnahme. Woran das liegt? Ich weiß es nicht. Die Art wird z. B. viel seltener gesehen als der verwandte und genauso atttraktive Nagelfleck, den man mit etwas Glück in Buchenwäldern finden kann. Ihn habe ich übrigens noch nie zu Gesicht bekommen, obwohl ich im Ihlower Forst immer auf sein mögliches Vorkommen geachtet habe. Beide Arten gleichen einander in ihrer Lebensweise und fliegen jeweils nur für eine kurze Phase im Frühjahr.

Ich gehe inzwischen davon aus, dass ich die Männchen des Kleinen Nachtpfauenauges, die man ja nur im Fluge zu Gesicht bekommt, schon gesehen, aber nicht als solche erkannt habe. Wie bei so vielen anderen "Nachtfaltern" ist die Flügelschlagfrequenz bei dieser Art einfach viel zu hoch, als dass man Zeichnungsdetails erkennen könnte. Im Grunde sehen die Männchen im Flug wohl kaum anders aus als irgendein Vertreter aus der Familie der Glucken, die genauso rasant durch die Gegend rasen.

Nicht erklären kann ich, dass ich nicht ein einziges Mal einem in der Bodenvegetation wartenden Weibchen begegnet bin. Ich meine, ich habe doch schon tausendmal andere Kleintiere im Moor fotografiert. Da sollte man doch davon ausgehen können, dass eben auch mal ein weibliches Nachtpfauenauge dabei ist.

Ein echtes Rätsel!

Ungewöhnlich war zu allem Überfluss auch das Funddatum im Collrunger Moor! Nach Literaturangaben endet die Flugzeit dieses Falters bereits zwei Wochen zuvor, nämlich Mitte Mai (Beginn: Ende März/Anfang April). Möglicherweise war das späte Auftreten gleich mehrerer Individuen dem erschreckend kalten Frühjahr geschuldet.


Viele Bilder vom Kleinen Nachtpfauenauge auf einschlägigen Seiten sind übrigens unter kontrollierten Bedingungen entstanden. Oft handelt es sich um Tiere, die von den Fotografen aufgezogen worden sind. Die Raupen werden entweder im Freiland gefunden, können aber auch in entsprechenden Internetbörsen gekauft werden. Reizvoll ist das im Falle dieser schönen Art allemal, wenn man nicht auf den Zufall hoffen mag, aber ein echter Ersatz für einen eigenen Fund im Freiland wäre diese Herangehensweise für mich nicht.

Statt mir Eier, Raupen oder Puppen im Netz zu kaufen, hätte ich das Weibchen einfach mitnehmen können. Es hatte sich ja vor meinen Augen gepaart. Ich hätte das Tier also einfach nur in eine geräumige Box packen und ein paar frische Blätter einer der Futterpflanzen hinzufügen können. Schon in der ersten Nacht hätte die Nachtpfauenäugin ihre Eier abgelegt.

Die Art ist nicht geschützt und lässt sich ganz leicht aufziehen. Schon im kommenden Frühjahr wäre ich in den Genuss ganz frischer Falter, Männchen wie auch Weibchen, gekommen. Die Zucht dieser Tiere ist sogar so unglaublich einfach, dass selbst Kinder sie durchführen und so Natur hautnah erleben können. Auch in Deutschland gibt es entsprechende umweltpädagogische Projekte, vor allem in Zusammenarbeit mit Grundschulen.

Die Raupen des Kleinen Nachtpfauenauges sind übrigens polyphag. Das heißt, sie sind nicht an nur eine bestimmte Futterpflanze gebunden. Viele Rosengewächse wie Schlehe, Brombeere und Himbeere gehören zum Nahrungsspektrum. Aber auch andere häufige Pflanzen wie Salweide, Heidelbeere und Besenheide können von den Raupen zwecks Nahrungsaufnahme genutzt werden. Im Collrunger Moor kann man  einige der hier genannten Pflanzen finden.

Ein letztes Bild:

Und ein allerletztes:

Die hier und heute vorgstellten Kleinen Nachtpfauenaugen sind bestimmt schon tot!

Die Weibchen sterben unmittelbar nach der Eiablage, die Männchen halten wohl auch keine ganze Woche durch. Für mich war die Begegnung mit diesen wunderschönen Faltern etwas ganz Großes. Wie bereits oben geschrieben, mit dem Nachweis dieser Tiere ist für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.

Was gab es noch?

Am Sonntag (29. Mai 2017) sah ich gegen elf Uhr einen Trupp aus vierzehn Kranichen ins Moor einfallen. Was es mit diesen Vögeln auf sich hatte, weiß ich nicht. Ich gehe mal von Nichtbrütern oder Jungesellen-Gruppen aus. Die anwesenden zwei Brutpaare fühlten sich durch die Gäste nicht weiter gestört und gingen ganz normal ihrem Alltagsgeschäft nach. Beobachtungen von nur kurzzeitig rastenden Trupps zur Brutzeit waren mir auch in den Vorjahren gelungen. Kurioserweise aber immer nur im Collrunger Moor, nie in Tannenhausen. Woher die Vögel kamen, wohin sie gingen, kann ich nicht beantworten.

Erwähnenswert ist vielleicht noch ein Löffler, der sich am Sonntagvormittag im Moor aufhielt. Für mich war das die erste Feststellung dieser entlang der Küste so normal gewordenen Art im Herzen der ostfriesischen Halbinsel.


Was bleibt unterm Strich?

Nach meiner Rückkehr nach Hause musste ich erst einmal 21 Zecken entfernen! Sie saßen wirklich überall. Und dabei hatte ich bereits während der beiden Tage im Moor etliche dieser Biester aus meiner Haut gezogen und viele andere weggewischt, bevor sie sich festsetzen konnten. Dass ich immer so viele Zecken habe, lässt sich leicht erklären. Ich trage bei Temperaturen über fünfzehn Grad eigentlich immer kurze Klamotten im Outback, mindestens aber eine kurze Hose.

Die zum Teil immer noch juckenden Quaddeln, aber natürlich auch die vielen Bilder, die ich machen konnte, erinnern mich in diesem Augenblick an zwei superschöne Tage im Collrunger Moor.