wilde perspektiven

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Samstag, 1. Juli 2017

Wundertüte Collrunger Moor

Ich weiß nicht, wie oft ich schon im Collrunger Moor gewesen bin.

Was ich weiß, ist, dass man tausendmal dort gewesen sein kann, um dann plötzlich doch noch etwas Neues zu entdecken.

Natürlich keine neue Art für die Wissenschaft, aber eine neue für mich!

Und das ist mir persönlich schon wichtig genug.

Wenn ich mich morgens im Moor befinde, dann ist mein Blick meist gesenkt. Dann suche ich nicht nach Vögeln, sondern nach Kleintieren in der Bodenvegetation. Ich schalte den Scanner ein und warte auf Signale. Irgendwen entdeckt man immer, doch meist sind es alte Bekannte, die man in der Vergangenheit schon oft gesehen hat und auch zur jeweiligen Jahreszeit erwartet.

Einer dieser Kandidaten ist  der attraktive Spiegelfleck, der mancherorts in Anlehnung an seine hüpfende Flugweise auch Hüpperling genannt wird:


Large Chequered Skipper covered by sundew on early morning

Den ersten Spiegelfleck sah ich in diesem Jahr am 19. Juni.

Er hüpfflog am Nachmittag über die Pfeifengrasflächen, wohl auf der Suche nach einem Teilzeitpartner. Inzwischen hat die Hauptsaison dieser Art begonnen. Jetzt kann man im Collrunger Moor auch schon mal zwanzig verschiedene Individuen an einem Nachmittag beobachten. 

Das ist nicht viel! Und trotzdem kann man diese kleinen Falter am frühen Morgen im taunassen Gras ganz gut ausfindig machen. Ich weiß aber nicht, warum. Irgendwie fallen sie mir einfach auf, möglicherweise wegen der kontrastreichen Zeichnung der Unterflügel.

Die Flugsaison des Spiegelflecks ist kurz. Sie beginnt immer Mite/Ende Juni und endet Anfang August, doch manchmal gelingt einem auch noch ein etwas späterer Nachweis. 

Kurios: In diesem Jahr sah ich diesen Schmetterling zum ersten Mal auch am Ems-Jade-Kanal. Und das gleich mehrfach! Eine dieser Feststellungen stammte aus dem Bereich, der an das Collrunger Moor angrenzt, war also keine große Überraschung. Doch zwei weitere Falter sah ich an der Kanalbrücke bei Akelsbarg. Ein Blick auf die Karte verriet mir später, dass sie aus dem Brockzeteler Moor gestammt haben dürften. 

Mitte Juni entdeckte ich diese Purpurstreifen-Zwergspanner, die sich am frühen Morgen paarten:

mating Purple-bordered Gold 

Das Männchen (unten) war scheu und wollte trotz der niedrigen Temperaturen wegfliegen.

Doch das Weibchen hatte glücklicherweise keinen Bock auf zusätzlichen Sport. Ihm allein ist es zu verdanken, dass ich ein paar Belegaufnahmen von den frisch Verliebten machen konnte. 

Wenn man das Moor nach einer klaren Nacht am frühen Morgen aufsucht, dann hat das den entscheidenden Vorteil, dass man alle Spinnennetze schon aus großer Distanz entdecken kann. Der Tau, der an den seidenen Fäden hängt, ist quasi die Petze, die dem neugierigen Beobachter jeden noch so versteckten Netzstandort verrät. Am Nachmittag, wenn sich der Tau längst in Luft aufgelost hat, ist davon nichts mehr zu sehen. Selbst bei genauem Hinsehen bekommt man von all den Kunstwerken kaum mehr etwas mit.

So sieht es in den Pfeifengrasflächen kurz nach Sonnenaufgang aus:

99, 998234 Prozent dieser Netze, das habe ich mal ganz genau ausgerechnet, stammen von der Gemeinen Streckerspinne:


Tetragnatha extensa

Das Bild und auch das folgende sind ein weiterer Beleg dafür, warum sich der Weg ins Moor vor allem am frühen Morgen lohnt. Dann befinden sich nämlich fast alle Spinnen noch im Zentrum ihrer Netze. wo sie auch die Nacht verbracht haben. Nach Sonnenaufgang ziehen sie sich zurück und verstecken sich, je nach Art, in einem extra angelegten Gespinst oder, wie die Streckerspinne, lang ausgestreckt und völlig regungslos auf einem Halm oder Blatt. 

Dasselbe Tier in seiner für diese Art typischen Haltung im Zentrum des Netzes:




same

Ein taugeschwängertes Spinnennetz ohne sichtbaren Bewohner:

Wahrscheinlich lauert er oben rechts, wo sich die Spinnfäden auffällig verdichten. 

Ende Juni sind auch schon die Wespenspinnen präsent.

Doch weil sie nach wie vor sehr klein sind und kaum wie Wespenspinnen aussehen, fallen sie kaum auf:

young Wasp Spider

Die Netze dieser Art fallen auch in der Mittagszeit auf.

Und zwar wegen des so genannten Stabiliments. Das sind die weißen, besonders dicht gewebten Teile des Netzes, die sich meist ober- und unterhalb der Nabe befinden, wobei hier auch andere Teile des Netzes einbezogen werden können. Das ist von Wespenspinne zu Wespenspinne ganz unterschiedlich.

Die Standardversion aber sieht man in dem Bild da oben. 

Eine neue Art für mich, wie oben bereits angekündigt, fand ich dann am frühen Morgen des 27. Juni. Es war ein ganz typisches Radnetz, das ich da in Bodennähe entdeckte, in dessen Zentrum eine Spinne hing. Weil sie sehr klein war, nur etwa acht Millimeter lang (Kopf-Rumpf-Länge!), musste ich mal wieder in die Knie gehen, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. 

So sah der inoffizielle Hauptdarsteller des heutigen Beitrags aus der Nähe aus:

Neoscona adianta (a lifer!)

Erst dachte ich an eine weitere Wespenspinne.

Dann an eine Gartenkreuzspinne. Beide Arten wollten aber nicht so recht passen, aus den verschiedensten Gründen. 

Da war zum Beispiel das silbrig behaarte Prosoma (bei den Spinnen der Vorderkörper), das dem einer Wespenspinne glich. Doch der schwarze Aalstrich schloss diese Art sofort aus. Ich wurde immer ratloser, doch dann fiel mir die Eichblatt-Radspinne ein, die ich allerdings noch nie gesehen hatte, und von der ich auch nicht wusste, ob sie überhaupt in Ostfriesland vorkommt.  

Immerhin erinnerte die Zeichnung auf dem Hinterkörper (Opisthosoma) an diese Art. Weil ich natürlich keine Bestimmungsliteratur am Start hatte und nach wie vor kein Smartphone besitze, machte ich einige Aufnahmen von dem Tier. Danach markierte ich den Fundort, um die Rätselspinne nach einigen Tagen erneut besuchen zu können, für den Fall, dass es sich hier um eine besondere Art handeln sollte. 

Ein weiteres Bild, das eigentlich nur ein Ausschnitt des obigen ist:

Und ein tatsächlich neues:

Abends stellte ich dann zwei Bilder in ein einschlägiges Internet-Forum, vermerkt mit meinem Verdacht, es handele sich vielleicht um eine Eichblatt-Radspinne.  

Doch das Resultat war noch etwas "spektakulärer". Jürgen Peters (Borgholzhausen) bestimmte das Tierchen als Heideradspinne, die wiederum der Eichblatt-Radspinne sehr ähneln kann. Auch diese Art hatte ich zuvor auf dem Schirm gehabt, nach der Sichtung nur eines Bildes im Bellmann (Kosmos Atlas Spinnentiere Europas), auf dem die Spinne ganz anders aussah als meine, aber voreilig ausgeschlossen. Ein dummer Fehler von mir, denn wie so viele Radnetzspinnen ist auch diese Art hinsichtlich ihrer Färbung unglaublich variabel! 

Nach Jürgens Bestimmung war die Freude bei mir groß, denn laut Wikipedia ist die Heideradspinne in Deutschland nur sehr lückig verbreitet und insgesamt eher selten. Sie ist bei uns als gefährdet eingestuft, weil sie vorzugsweise Offenland besiedelt, das nicht bewirtschaftet, also weder gedüngt noch gespritzt wird. Und so etwas gibt es in Deutschland kaum noch. 

Die hübsche Heideradspinne hat ein riesiges Verbreitungsgebiet, das sogar tropische Inselgruppen im Indischen Ozean einschließt! Vielleicht ist sie in Ostfriesland gar nicht so selten und von mir nur wegen ihrer geringen Größe übersehen worden. Mindestens einen Fund hat es vor meinem aber schon gegeben. Ein Tourist aus NRW konnte im Juli 2009 im Rahmen eines Dünenspaziergangs ein Individuum auf Langeoog fotografieren. Vielleicht hat er sich damals genauso gefreut wie ich.

Immerhin stand doch auch diese Art schon lange auf meinem Wunschzettel!

Künftig werde ich im Collrunger Moor noch genauer hinsehen, denn wo eine Heideradspinne ist, sollten auch weitere zu finden sein. Die Art kann unglaublich hübsch sein, genauso prachtvoll und bunt wie eine Wespenspinne. Und genau so ein buntes Individuum möchte ich finden. Und falls ich gleich mehrere finden sollte, dann bekommt die Heideradspinne hier einen eigenen Beitrag.


Eine noch junge Kurzflüglige Schwertschrecke gratulierte mir jedenfalls schon direkt vor Ort zu diesem Fund:


































Conocephalus dorsalis nymph

Langfühlerschrecken gefallen mir besser als Kurzfühlerschrecken. 

In Sachen Bildgestaltung aber sind einem enge Grenzen gesetzt. Weil die Antennen so furchtbar lang sind, kann man das Tier selbst nur in eine der Ecken des Fotos packen. Nichts wäre schlimmer als ein Foto von so einer Schrecke mit vom Bildrand abgeschnittenen Fühlern.  

Dieselbe Art, aber ein anderes Individuum:


different specimen 

Die Kurzflüglige Schwertschrecke begleitet mich schon durch mein ganzes Leben, weil sie ähnliche Lebensräume mag wie ich. Auch sie reagiert empfindlich auf den Einsatz von Chemikalien. In Moorwiesen aber kann sie in beachtlicher Dichte auftreten.

So auch im Collrunger Moor.

Hier mal eine Kurzfühlerschrecke, wahrscheinlich ein Gemeiner Grashüpfer, zum Vergleich:

likely Pseudochortippus spec.

Wie eine kostbare Perlenkette liegen die Tautropfen auf den Antennen dieses Zünslers. Wahrscheinlich wiegen sie mehr als das ganze Tier.

Ich gehe mal daon aus, dass es sich hier um Crambus pascuella handelt, kann aber C. uliginosellus nicht sicher ausschließen:

Crambus pascuella or C. uliginosellus

Zünsler sind eine eigene Familie innerhalb der Ordnung der Schmetterlinge. Sie sind ausnahmslos sehr klein und fallen deshalb kaum auf, obwohl viele von ihnen durchaus ansprechend aussehen.

Schöne grüne Augen:















































Twin-lobed Deer Fly

Ja, auch sie betritt ab Anfang Juni die Showbühne.

Die Goldaugenbremse kann zu einer echten Plage werden. Vor allem im Moor. Menschen mit einer ausgeprägten Abneigung gegen Blut saugende Fliegen sollten solche Orte also besser meiden. Im Gegensatz zur viel bekannteren Regenbremse ("Blinde Fliege"), der man nahezu überall begegnen kann, wo Wasser in der Nähe ist, kommt die Goldaugenbremse nur in Mooren in sehr hoher Dichte vor.

Mich stören diese Biester nicht, sie machen mir längst nichts mehr aus. Doch das war früher anders. Da konnte ich auch schon mal einen hysterischen Anfall bekommen, wenn sich mir eine Gruppe dieser Fliegen auch nur näherte. Und nur allzu oft bin ich erst gar nicht aus dem Wagen gestiegen, wenn sich unmittelbar nach dem Halten einige Bremsen blutrünstig, so würde es wohl die BILD beschreiben, auf der Windschutzscheibe niederließen.

Das gezeigte Individuum stellte allerdings keine Gefahr dar. Einerseits, weil es zu kalt war an diesem Morgen, auf der anderen Seite, weil es sich hier um ein Männchen handelte. Und die Männchen aller Bremsen nehmen keine Blutmahlzeiten zu sich, sie besuchen stattdessen Blüten verschiedenster Pflanzen.

Sie ist für mich immer ein Star:

Common Adder

Diese Kreuzotter lag am ganz frühen Morgen mitten auf dem Weg.

Leider konnte ich nur drei Bilder machen, die alle identisch aussehen, weil sich das Tier im Schneckentempo aus dem Staub machte und schließlich im Halmgewirr am Wegesrand verschwand.

So früh am Morgen hatte ich noch nie zuvor eine Kreuzotter gesehen. Immerhin war es rattenkalt bei einer Temperatur um zehn Grad Celsius. "Du wirst dich erkälten, wenn du so weitermachst", sagte ich spaßeshalber zu der Schlange, die noch sehr jung war und aus dem Vorjahr stammte. Und das wiederum ist ein Beleg dafür, dass sich die Kreuzottern im Collrunger Moor nach wie vor vermehren. Angesichts der Tatsache, dass die Population dort sehr klein ist, eine gute Nachricht.

Es war für mich deshalb die erste Kreuzotter des Jahres, weil ich zur entscheidenden Zeit, nämlich in den Monaten März und April, nicht ein einziges Mal in den Mooren am Ewigen Meer gewesen bin. Nur zu dieser Jahreszeit, wenn die Tiere ihre Winterquartiere verlassen und die Vegetation noch nicht so üppig ist, ist es ein Kinderspiel, Kreuzottern aufzuspüren. Im Sommer dagegen begegnen mir Kreuzottern meist nur zufällig. Erst im Herbst liegen sie dann wieder völlig frei wie Hundetörtchen in der Gegend herum, um ein letztes Mal ausgiebig Sonne zu tanken, bevor abermals der lange Winter vor der Tür steht.

Die Kreuzotter war jedenfalls verschwunden, und ich stand etwas ratlos auf dem Hauptweg, der durchs Moor führt. Gegen Sonnenaufgang hörte ich plötzlich ein Geräusch, das ich nicht einmal ansatzweise einordnen konnte: i-ü! Erst nur vereinzelt, fast zaghaft und aus größerer Distanz, doch später dann war es ein tausendköpfiger Chor: i-ü, i-ü, iiii-üüüüÜÜH!

Ich blickte mich nach allen Seiten um, konnte aber den oder die Verursacher nicht entdecken. Erst als das Geräusch auch in meiner unmittelbaren Nähe ertönte,  ging mir ein Licht auf.

Da war nur einen Meter von mir entfernt diese Zarte Rubinjungfer, die sich den Tau vom Körper wischte:

male Small Red Damselfly tried to wipe away the dew

Sieht ein bisschen aus wie Morgengymnastik.

Viele Insekten und auch Spinnen verbringen jeden Morgen ein paar Minuten damit, sich vom kalten Wasser der vorausgegangenen Nacht zu befreien. Man nennt das auch Morgentoilette. Und die geht meist um Sonnenaufgang über die Bühne.

Ihr kennt bestimmt das Geräusch, das entsteht, wenn man mit einem fast trockenen Schwamm über das Ceranfeld eines Herds oder einen Spiegel hin und her wischt: i-ü! Genauso hört es sich an, wenn kleine Tiere mit ihren kleinen Gliedmaßen über ihren Körper und besonders über die Augen fahren.

Iiii-üü!

Pause:

Dann irgendwann folgte die große Stille im Collrunger Moor.

Und wenig später erhoben sich die Libellen jubilierend in die Luft.

Die Zarte Rubinjungfer, auch Scharlachlibelle oder Späte Adonislibelle genannt, kommt in Deutschland nur an ganz wenigen Orten vor. Das liegt aber nur daran, dass unsere Republik sich am Rande des Areals dieser Art befindet. Diese sehr prächtige Libelle kommt ansonsten vor allem im westlichen Europa vor. Dort hat sie ihren Verbreitungsschwerpunkt.

In den ostfriesischen Mooren aber zählt sie zu den häufigsten Kleinlibellen. Selbst kleinste anmoorige Gebiete, wie sie mir aus der Gegend um Friedeburg bekannt sind, werden von der Zarten Rubinjungfer besiedelt. Ihre Flugzeit beginnt hier in Norddeutschland Jahr für Jahr Anfang Juni.

Darauf kann man sich verlassen.

I-ü!