Samstag, 25. Juni 2022

Schafstelzen-Colorado (Teil 2)

Mornell, Kinners, war gestern.

Heute geht es wieder um die Schafstelze in ihrer halben Variationsbreite.

Doch bevor ich mit ihr loslege, muss ich hier noch eine wahre Geschichte erzählen. 

Eine Geschichte, die ich erst anständig verdauen musste, bevor ich sie hier zum Besten geben konnte, um beim Erzählen nicht boshaft oder gar subjektiv zu werden.

Erinnert ihr euch noch an meine Begegnungen mit den prächtigen Strandpiepern im vergangenen Frühjahr?

Im Dunstkreis des Steinhaufens auf dem Manslagter Nacken?

Es war an einem ganz frühen Freitag-Morgen im März, als ich mich bei noch völliger Finsternis auf den Weg zu eben diesem Steinhaufen am Rande der Salzwiesen machte. Im Radio klang gerade die ARD-Popnacht aus, und Ben Streubel spielte mal wieder einen großartigen Song nach dem anderen.

Ich befuhr die Kreisstraße zwischen Manslagt und Pilsum, um dann in eine deutlich schmalere und gepflasterte Straße einzubiegen, die mich zum Deich führen sollte. 

Doch da war jetzt noch ein fettes Hindernis, das mein Unterfangen an diesem Morgen, Strandpieper zu knipsen, zumindest hinauszuzögern drohte, denn der Traktor direkt vor mir fuhr jetzt nicht mehr nur langsam.

Nein, er hielt.

Mitten auf dem Weg! 


male Yellow Wagtail (Blue-headed Wagtail)

Mitten im Outback!

Fast noch mitten in der Nacht!

Ich ahnte, was kommen würde, denn es war nicht das erste Mal, dass mir so etwas passierte. Der Fahrer stieg von seinem hohen Metallschlachtross und kam auf mich zu. Ich ließ die Seitenscheibe herunter und machte einen auf ahnungslos: "Was geht?"

Ein freundliches Moin unterschlug ich vorsätzlich.

Der Bauer kam sofort auf den Punkt: "Sie sind in letzter Zeit häufiger hier. Wissen Sie, wir betrachten diese Straße hier als unsere Straße, da interessiert uns schon, wer sich hier herumtreibt? Sagen Sie mir doch mal, was Sie hier zu dieser Zeit verloren haben?"

Meine Halsschlagader weitete sich augenblicklich, und meine Rechte fingerte unwillkürlich unter dem Fahrersitz herum. Trotzdem blieb ich noch relativ gelassen: "Zuerst einmal heißt das bitte. Das sind nur zwei Silben mehr. Und dann ist das hier ganz bestimmt nicht Ihre Straße, sondern eine öffentliche; ich weiß wirklich nicht, wie Sie auf diesen Trichter kommen. Und was ich hier mache, geht Sie folgerichtig überhaupt nichts an. Wenn ich Ihnen jetzt also trotzdem sage, was ich hier zu tun beabsichtige, dann nur deshalb, damit Sie endlich ihren bläden Traktor zur Seite fahren und mich nicht länger belästigen. Ich habe nämlich noch etwas vor!"

Der Bauer glotzte blöd, und ich fuhr fort: "Ich fotografiere Vögel, und jetzt sehen Sie bitte zu, dass Sie Land gewinnen. Vielleicht haben Sie einfach zu oft Aktenzeichen XY geguckt!"

Doch der Bauer glaubte mir nicht und zeigte sich dickfellig: "Was für Vögel kann man hier denn überhaupt zu dieser Stunde und bei dieser Dunkelheit fotografieren?

"Emus und Kasuare – äh – Nachtzug."  

Ich musste mir bei dieser Antwort ein Lachen verkneifen, doch dann ging schließlich doch mein Temperament mit mir durch: "Man bremst fremde Menschen nicht einfach so aus. Schon gar nicht in der Nacht. Das ist mindestens unverschämt, wenn nicht gar asozial. Für wen halten Sie sich eigentlich? Sind bei Ihnen noch alle Latten am Zaun, oder hat da etwa der Hausbock gewütet? Jetzt fahren Sie endlich weg, oder ich muss die Cops rufen, Sie Strafe biblischen Ausmaßes!"

Der Mann, der vielleicht so alt wie ich selbst war, kratzte sich jetzt am Ohr. Übersprungshandlung, so dachte ich spontan. Dann ging die Nervensäge viel zu langsam zu ihrem Traktor zurück und kletterte überraschend beweglich auf den hoch gelegenen Fahrersitz. Im selben Augenblick bekam meine Rechte den ausgehärteten Christstollen unterm Sitz zu fassen. 

Sei froh, dachte ich, dass du gerade noch rechtzeitig die Biege gemacht hast, Freundchen. Du weißt es nicht, dachte ich, während ich den steinharten Christstollen wieder losließ, aber du hast dem Tod bereits tief ins Auge geblickt.

Oh, wie süß, eine Schafstelze:


this male Yellow-crowned Wagtail is likely still present, but I havn't delivered a breeding record yet

Diesen männlichen Engländer hatte ich bereits im vorletzten Bericht (Teil 1) hier vorgestellt.

Er ist verpaart, und das Weibchen hat auch ein Nest gebaut weit draußen in einem Weizenfeld. Doch leider taucht dieser hübsche Vogel seit einiger Zeit nicht mehr an meinem Futterplatz auf. Der Grund dafür: Zwei Bachstelzen und gleich eine ganze Buchfinken-Familie gaben ihm dort immer mächtig auf die Mütze. Und als schwächstes Glied der Kette blieb diesem Schafstelzen-Mann schließlich nichts anderes als bedingungslose Kapitulation übrig. 

Drei weitere Bilder vom selben Vogel:


same




same

Und noch eins:


same

Der andere "echte" Engländer, der mit dem Brustfleck und den fast einheitlich grünen Ohrdecken, hält sich nach wie vor in der Nähe der Deichbaustelle auf, wo er meist auf Getreidehalmen herumsteht und singt:


the second true Yellow-crowned male is still present, too. His wife had built a nest several weeks ago, but since then the birds just relax and don't do anything. Maybe they have lost their clutch or children

Heute sah ich ihn beim Bad in einer Pfütze direkt neben der Deichstraße.

Zusammen mit seiner Frau und einigen Bluthänflingen sowie weiteren Schafstelzen planschte er dort bei recht hohen Temperaturen. Freibadatmoshäre für Sperlingsvögel zum Nulltarif, wenn man so will.

Leider ist es mir nie gelungen, dieses Männchen anzufüttern. Und weil er sehr scheu ist, gibt es auch jetzt keine berauschenden Bilder von ihm.

Die Frau hatte schon vor Wochen ein Nest in einem Gerstefeld gebaut, doch was daraus geworden ist, kann ich nicht schreiben. Die Getreidefelder in der Marsch sind riesig, und man kommt einfach nicht nahe genug an die Vögel heran, um sie sicher einer der beiden Unterarten zuordnen zu können, nicht zuletzt auch wegen der vielen blöden Gräben, die man in meinem Alter kaum mehr überspringen, ja nicht einmal mehr durchwaten  kann, aber auch deshalb, weil ich grundsätzlich nicht mit einem Spektiv herumlaufe.

Ich bin doch nicht bekloppt!.

Wie im letzten Jahr hat aber immerhin der Hybrid in den Salzwiesen bei Manslagt für Nachwuchs gesorgt:



hybrid with food for the offspring – this male had already bred at the same spot in 2021

Auf diesen Vogel kann ich mich immer verlassen.

Sobald ich im Gebiet auftauche, kommt er angeflogen. Und seine Ehefrau, die vielleicht auch die aus dem Vorjahr ist, ebenso. 

Kinners, wenn es doch immer so einfach wäre.


same male 

Ich will euch schreiben, was dann wäre, wenn alles immer so einfach wäre: Dann wäre es nur noch langweilig, weil es keine Herausforderung mehr gäbe, ihr Spacken da draußen.

Im letzten Jahr hat dieser Vogel gleich zweimal gebrütet, obwohl schon die erste Brut erfolgreich verlaufen war.

Das ist bemerkenswert, denn für die Schafstelze sollen zwei Jahresbruten keineswegs selbstverständlich sein.

Zu guter Letzt ist da noch der mutmaßliche Spanier, der ebenfalls noch herumtrödelt und nicht zu brüten scheint:


putative male Iberian Wagtail

Der Unterart-Status dieses Vogels wird sich wahrscheinlich nicht zweifelsfrei klären lassen, aber hier könnt ihr euch mal Vergleichsvögel ansehen, aufgenommen auf der Iberischen Halbinsel: klick!

Ihr werdet schnell feststellen, dass da eine beachtliche Variationsbreite zwischen den einzelnen Individuen existiert, wie das ja auch bei unserer oder der britschen Unterart der Schafstelze der Fall ist. Aber besonders der Vogel ganz rechts, fotografiert in Portugal, sieht "meinem" verblüffend ähnlich!

Das hier gezeigte Individuum, das sich mindestens seit dem 24. April in den Salzwiesen bei Manslagt aufhält, war zeiteilig nicht auffindbar. Und ich rechnete mit dem Schlimmsten, denn statt dieses Männchens stand da ab dem 8. Juni plötzlich ein "normales" im Revier herum. Erst nach knapp zwei Wochen des Verschollenseins gelang es mir, den Vogel wiederzuentdecken. Und zwar in einem Weizenfeld auf der anderen Seite des Deiches, wo ich dann auch das Weibchen beobachten konnte.

Das sieht so aus: 



Iberian's wife


same

Heute sah ich beide erstmals wieder an ihrem alten Platz in den Salzwiesen.

Und der Kerl singt nach wie vor sein einfaches Lied, wenn auch nicht mehr so oft: zri-zri.

Obwohl diese beiden Schafstelzen nun schon seit Wochen miteinander gehen, habe ich hier bislang keine Nestbau-Aktivitäten beobachten können. Möglicherweise habe ich da aber auch was übersehen. Jetzt stehen die Vögel, wie auch das weiter oben beschriebene englische Paar, nur noch herum und lassen den Tag geruhsam an sich vorbeiziehen.

All diese Bilder vom mutmaßlichen Iberer und seiner Frau stammen noch aus dem Mai, sind also nicht so ganz aktuell. 

Zuletzt hatte ich von diesem Männchen nur noch Belegfotos geschossen, um diese dann auf Ornitho hochzuladen. Einfach nur, um mal den aktuellen Stand der Dinge rauszuhauen. Sollten mir doch noch Brutnachweise gelingen, beim mutmaßlichen Spanier oder bei den echten Engländern, dann werde ich euch das hier wissen lassen.

Interessant ist im Zusammenhang mit der Englischen Schafstelze vielleicht noch, dass zurzeit bundesweit neben den Krummhörner Vögeln nur noch zwei weitere Gelbkopf-Schafstelzen auf Ornitho gemeldet werden. Und zwar handelt es sich hier um je ein Männchen bei Hagen (NRW) und bei Darmstadt. Letzteres hat zusammen mit einer heimischen Schafstelzen-Frau erfolgreich gebrütet. Das Foto eines bereits flüggen Jungvogels gibt es ebenfalls auf Ornitho zu sehen.

Eine "normale" männliche Schafstelze:


Blue-headed Wagtail, same bird as in the beginning

Dieser Kerl sang kurz nach Sonnenaufgang in einem taugeschwängerten Gerstefeld bei Groothusen.

Zwischendurch putzte er sich immer mal wieder, weil er beim Trällern gut aussehen wollte:


same

Neulich stand ich auf dem Deich nahe der Seeschleuse herum und beobachtete eine im Watt ruhende vorjährige Schwarzkopfmöwe:


second year Mediteranean Gull

Ich stand natürlich nicht wirklich herum, sondern saß in meinem Auto.

Oben auf der Deichkuppe begann nur einen Augenblick später ein sportlicher Wettkampf:


Schulz vs. Foreman

Schon oft hatte ich in der Vergangenheit boxende Feldhasen gesehen, doch noch nie welche mit so viel Ausdauer!

Als es losging, war ich wie gebannt. Und ich zögerte, die Kamera zu ergreifen, weil ich davon ausging, die Sache würde ohnehin nach nur wenigen Sekunden erledigt sein. Doch der Kampf ging weiter, und ich legte schließlich doch los, aber noch bevor ich ein erstes Bild schießen konnte, musste ich erst noch die Scheibe herunterlassen. Aber bevor ich sie herunterlassen konnte, musste ich den Zündschlüssel umdrehen. Doch das ging erst, nachdem ich ihn nach langer Suche irgendwo unter dem ganzen Gerümpel auf dem Beifahrersitz gefunden hatte.  

Eigentlich kam es nach dieser wirren Vorgeschichte einem Wunder gleich, dass ich doch noch Bilder schießen konnte:





I have seen many Hares boxing in my life, but never before a long lasting fight like this one

Und die Hasen hörten gar nicht auf:



same

Zwei Minuten dauert eine Runde beim Profiboxen an, wenn ich mich nicht irre.

Doch diese beiden Kontrahenten schossen zeitlich gesehen übers Ziel hinaus und boxten sich einen dreiminütigen Wolf. Leberhaken, Faust aufs Auge, alles war dabei, und ich fühlte mich sehr gut unterhalten. Doch warum dauerte der Kampf so lange? Wahrscheinlich waren beide Kämpfer gleich klug, sodass niemand nachgeben konnte. 

Für richtig schöne Bilder war die Distanz zu den Langohren aber leider zu groß. Trotzdem überwiegt natürlich auch jetzt noch meine Freude, ganz nah am Geschehen dabei gewesen zu sein, denn das Dabeisein ist frei nach Olympia alles!

Ein Regenbogen:


pretty rainbow

Wolken am frühen Morgen:


clouds on early morning

Und der geile Leuchtturm, den inzwischen eigentlich jeder Bundesbürger mindestens einmal gesehen haben müsste:


trillions of peolple visit Pilsum lighthouse every single day

Zurzeit sind wieder sehr viele Dunkle Wasserläufer im Watt unterwegs. 

Einige von ihnen verbringen die Nacht wohl in den Hauener Pütten, wo man sie mehr schlecht als recht um Sonnenaufgang herum von der Beobachtungshütte an der Straße aus fotografieren kann:


a resting flock of Spotted Redshank in front of the hide at so called Hauener Pütten

Morgens hat man dort immer Gegenlicht:


same

Es handelt sich hier zu dieser Jahreszeit natürlich noch ausschließlich um Altvögel, die bereits aus ihrem nordischen Brutgebiet zu uns zurückgekehrt sind und die sich ausnahmslos im Prachtkleid befinden, mal mehr, mal weniger abgetragen.  

Immer wieder flogen die nervösen Vögel auf:



same

An diesem Morgen war es eine wirklich traumhafte Stimmung mit viel Nebel über der Wasserfläche und kühlen Temperaturen, wie ich sie bevorzuge:


same

Zwei Säbelschnäbler waren zeitweilig auch dabei und führten die Gruppe selbstbewusst an: 



same with Avocet

Apropos Säbelschnäbler:


never ever seen an Avocet breeding on a field away from any water body

Ein Paar hat sich ausgerechnet ein blödes Maisfeld südlich des Pilsumer Leuchtturms als Brutplatz ausgesucht.  

Noch nie zuvor hatte ich auf einem Acker brütende Säbelschnäbler beobachtet. Das haben sich die hohlen Vögel wahrscheinlich von Kiebitz und Austernfischer abgeguckt. Wenn die Jungen schlüpfen, werden sie sofort vor einer kaum lösbaren Herausforderung stehen, so wie es bei mir früher immer der Fall war, wenn der Sportlehrer mit einem sadistischen Lächeln auf den Lippen zum Zirkeltraining rief.

Gleich zwei Gräben mit steilen Ufern müssten von den Federkugeln überwunden werden, einer davon ist zu allem Überfluss auch noch komplett verschilft. Dann folgen eine weite offene Fläche, der Deich sowie die dicht bewachsene Salzwiese. Erst dann würden sie eine größere, zuzeit noch geflutete, bald aber wohl trocken gefallene Schlammfläche erreicht haben. 

Ob ihnen dieser Coup gelingen wird? 

Ich habe da so meine Zweifel. 

Und dem ungeschlüpfen Nachwuchs bereits einmal das Leben gerettet, denn als ich an einem Abend auf dem Deich saß, um Vögel zu gucken, entdeckte ich den Bauern, der gerade im Begriff war, mit seinem Traktor den Maisacker zu befahren, um mal wieder eine Ladung Gift zu versprühen. Wie um mein Leben bin ich gerannt, nur um ihn heldenhaft zu stoppen und auf das Nest aufmerksam zu machen. Zum Glück zeigte er Verständnis und umkurvte das Gelege später sehr großzügig.

Beim so spontan von mir anberaumten Ortstermin schoss ich schnell ein Bild von den gut getarnten Eiern:

Avocet's clutch

Nur wenige Minuten später saß einer der Altvögel wieder auf dem Nest.

Apropos Nest: Irgendwo in der Krummhörn und in einem kleinen Gehölz fand ich am 14. Juni ein besetztes Sperbernest.

Eigentlich hatte ich in der Mittagszeit nach einem Ruheplatz im Schatten gesucht, doch dann sah ich das hier:



who did this?

Giersch, eine beliebte Gartenpflanze, komplett vollgekackt.

Und ich wusste auch sofort, von wem:


female Sparrowhawk wqith five children

Also blickte ich nach oben und sah das Nest auf dem windgebeugten Hauptstamm eines Weißdornes

Dann ging ich zum nahen Weg zurück, um einen Blick auf dieses Nest werfen zu können. Und da sah ich wie erwartet drei junge Sperber, die sich auf wackligen Beinen stehend noch etwas ungeschickt putzten. Nur wenig späer tauchte die Mama wie aus dem Nichts auf und fütterte ihren Nachwuchs mit frischem Kleinvogelfleisch, ohne mich überhaupt zu beachten. Alles ging bei Tisch übrigens ganz gesittet zu, es gab keinen Futterneid und entsprechend auch keine Streitereien.. 

Eine Woche später fand ich übrigens heraus, dass es nicht drei junge Sperber waren, sondern gleich fünf:


five healthy and well fed children

Und heute sah ich zwei der Jungen schon knapp außerhalb der Nestplattform auf nahen Ästen herumstehen:



Das Bild passt gar nicht zum Text.

Nestfotografie ist eigentlich scheiße!

Und ihr dürft das auf keinen Fall nachmachen.

Normalerweise verzichte ich auch komplett darauf. Doch weil es sich um mein erstes Sperbernest hier in Ostfriesland gehandelt hat und sich die Vögel mir gegenüber völlig störungsresistent verhalten haben, konnte ich meine Prinzipien einfach mal über Bord werfen. Ich meine, nicht umsonst haben die Eltern sich einen Brutplatz direkt neben einem stark von Menschen frequentierten Weg ausgesucht. 

Das wiederum bedeutet, diese Aufnahmen stehen nicht in einer Reihe mit jenen aus vergangenen Zeiten, wo es gang und gäbe war, dass Naturfotogiraffen Nester einfach freigeschnitten haben, um eine bessere Sicht auf sie und die Vögel darin zu bekommen. 

Nester auch und gerade von seltenen und bedrohten Arten! 

Kuckuck, ich bin die Mama:



mama

Einmal kam sie angeflogen mit einem unbestimmten Kleinvogel, landete auf dem Nestrand und – nichts passierte!

Alle Kinder waren offensichtlich pappsatt, keines bettelte oder schlug etwa aufgeregt mit den Flügeln, eines drehte der Mutter sogar demonstrativ den Rücken zu, um sich dann zu putzen. Schließlich verspeiste der Altvogel die Beute selbst.

"Machma ne Pause!" rief ich Frau Sperber zu: "Gönn dir was und nimm eine Auszeit vom Muttertier-Dasein!

Es ist unglaublich, wie schnell die Kleinen in nur einer Woche gewachsen sind. Lange wird es nicht mehr dauern und sie werden das Nest verlassen und ihren interessanten Job als Kleinvogelschreck aufnehmen. 

Ich wünsche ihnen ein langes Leben!




same

Heute ist der Sperber hier in Ostfriesland sicher kein seltener Brutvogel mehr. 

Doch vor ganz vielen Jahren mag das noch anders gewesen sein. Immerhin hat der inzwischen leider verstorbene Emder Vogelkenner Klaus Rettig in seiner über Jahrzehnte in Eigenregie herausgebrachten Schriftenreihe einmal einen Preis ausgelobt, und zwar für jenen Menschen, der ihm ein besetztes Sperbernest irgendwo in Ostfriesland auf dem Silbertablett servieren konnte. 

Gewonnen hat am Ende ein sympathischer Mensch aus Aurich.

Für mich war das hier, wie bereits betont, das erste Nest eines Sperbers in Ostfriesland. Das liegt aber nur daran, dass ich selten für diesen Greifvogel geeignete Gehölze betrete. Je dichter die Bäume stehen und je dunkler es im Innern ist, desto besser für den Sperber. 

Vor Jahren sah ich immerhin mal eine Beuteübergabe durch das Männchen an das Weibchen über einem kleinen Fichtenstangengehölz am Ems-Jade-Kanal bei Brockzetel. Die Mühe, einen sicheren Brutnachweis zu erbringen, machte ich mir seinerzeit aber nicht, denn das Gehölz befand sich auf der falschen Seite des Kanals. Und eine Brücke war weit und breit nicht zu sehen.

Bei dem hier und heute in Bildern vorgestellten Nest habe ich die Mama einige Male beim Füttern beobachtet, doch in keinem Fall konnte ich die Beute erkennen, weil Frau Sperberin immer auf der aus meiner Sicht rückwärtigen Seite des Nestes landete. Das Männchen habe ich zwar einige Male in der Nähe herumstehen sehen, aber nie am Nest. Ich weiß gar nicht, ob männliche Sperber überhaupt jemals selbst füttern. Zumindest in der Frühphase nach dem Schlupf der Küken tun sie das aber nicht.

Nahrung gibt es zurzeit übrigens im Überfluss und vor allem junge und unerfahrene Stare in großer Zahl:


Starling, maybe one of Sparrowhawk's main food source at this time of the year

Nachreichen kann ich noch einen Rotschenkel, der im Mai plötzlich auf einem Pfosten stand, den ich zuvor extra für die mutmaßliche Iberische Schafstelze vorübergehend in den Boden gerammt hatte. Er sang ausgiebig und war sehr, sehr laut!

Fotografiert habe ich ihn übrigens mit einer Zwanzigstelsekunde:




male Redshank

Mit Stativ kein Problem. 

Am selben Morgen knipste ich auch einen Wiesenpieper:




Meadow Pipit standing and singing on my hide

Sein Federkleid war noch nass vom Tau:


same




same

Weitere drei Fotos:




same

Und dann kam die Morgensonne:


same

Auch wenn die die meisten dieser Fotos den Vogel auf dem Pfosten stehend zeigen, als Singwarte bevorzugte er eindeutig mein Tarnzelt.

Und ich kann euch schreiben, dass der Gesang dieses kleinen Vogels wie der des Rotschenkels da oben ganz schön laut ist aus so geringer Distanz. 

Am 18. Juni sah ich mein erstes Taubenschwänzchen des Jahres 2022:


my first Hummingbird Hawk-moth in 2022 I found on 18th June (this image is taken from my archives)

Es flitzte in der Mittagszeit wie ein geölter Blitz über die Deichbaustelle und war rasch wieder verschwunden. 

Nur zwei Tage später begegnete mir ein zweites beim Sperbernest. Das Tier auf dem Bild stammt aber aus meinem hauseigenen Archiv und aus dem Jahr 2018 oder so.

Jetzt folgt eine Premiere:



White Sork with Dutch ring

Ich glaube, das ist der erste jemals in diesem Blog gezeigte Weißstorch!

Hundertprozentig sicher bin ich mir jetzt aber auch wieder nicht. Jedenfalls trug der Vogel einen niederländischen Ring am rechten Bein, den ich aber nicht komplett ablesen konnte. Während ich meine Bilder schoss, fragte ich mich, ob es überhaupt (noch) unberingte Weißstörche gibt auf dieser Welt und ob man in der heutigen Zeit bei dieser gut untersuchten Art überhaupt noch etwas Neues durch Beringung herausfinden kann.  

Wisst ihr mehr?

Der späteste Schwarzblaue Ölkäfer meines Lebens begegnete mir am 30. Mai am Diekskiel auf einer noch ungemähten Fläche direkt neben dem Deicharbeiterdenkmal:



I had never seen a Meloe proscarabaeus at the end of May. Most specimens occur in March and April

Obwohl diese Art im Volksmund auch gerne als Maiwurm bezeichnet wird, sind mir seit meinem Umzug nach Ostfriesland vor 13 Jahren die meisten Feststellungen in den Monaten März und April gelungen, natürlich immer in Abhängigkeit von der jeweils vorherrschenden Witterung. 

In meiner alten Heimat Osnabrück kommt dieser Käfer sehr wahrscheinlich schon lange nicht mehr vor, ein Schicksal, das sich locker auf nahezu die ganze Republik übertragen lässt. Warum es dem Ölkäfer ausgerechnet am Deich so gut gefällt, weiß wahrscheinlich nicht einmal er selbst. 

Interessant: Kaum hatte ich ihn fotografiert, da plumpste der Fettsack auch schon zu Boden.

Morgenstund hat Gold im Mund:


beautiful morning

Von hinten greift man nicht an:


Marsh Harrier and Oystercatcher

Genau das rief ich diesem ungezogenen Austernfischer zu, der sich anschickte, die überfliegende Rohrweihe zu belästigen:


same

Auf mich hören wollte der Vogel aber nicht.

Karpfen- oder Graskarpfen-Balz in einem der Gräben am Deich (Pilsumer Tief):


likely Carp or White Shark

Ich glaube, die hiesigen Angler wissen nichts davon, dass da die fettesten Oschis durchs trübe Wasser schwimmen. 

Ich meine, sonst haben die auch keine Hemmungen, wenn es ums Angeln von Karpfen geht. Ich wiederum brauche keinen zweiten Versuch. Nur einmal, ein einziges Mal habe ich diesen Fisch probiert. 

Vergessen werde ich dieses Erlebnis niemals.

Ein Sonnenbad am frühen Morgen kann grundsätzlich nie schaden:


sun bath

Guckt mal, wie die junge Katze dem Fasan hinterherschaut:


I would like to eat him

Kann man den aufessen? fragte sie sich bestimmt in Gedanken.

Gestern war ich zum ersten Mal in diesem Frühsommer im Berumerfehner Moor.

Genau genommen war ich im Wald, um dort nach dem Großen Schillerfalter zu fahnden. Ab Mitte Juni kann man mit dieser superhübschen Art rechnen, zumindest dann, wenn das Wetter es zulässt. Die besten Chancen hat man nach meinen eigenen Erfahrungen aber in der ersten Julihälfte. 

Und genau dann werde ich es ein weiteres Mal versuchen müssen, bin ich doch gestern trotz der ausgezeichneten Rahmenbedingungen leer ausgegangen. 

Ganz leer aber auch wieder nicht:



my first Lesser Butterfly-orchid here in Ostfriesland I found yesterday in a wood near Aurich

Es mag unglaublich klingen, aber dieses Bild zeigt meine erste Zweiblättrige Waldhyazinthe überhaupt hier in Ostfriesland! 

Meine letzte Begegnung mit dieser Art war mir vor etwa 40 Jahren gelungen, damals noch bei Hollage im Landkreis Osnabrück. Dieses Vorkommen existiert aber schon ewig nicht mehr; der Besitzer der Fläche hatte damals einfach alles umgepflügt, um bescheuerten Mais anzubauen. Er hat das wohl auch deshalb getan, weil es seitens irgendwelcher Menschen Bestrebungen gab, die anmoorige Wiese unter Schutz stellen zu lassen. 

Da ging dem Landwirt die Düse. 

Mit der Zweibl. Waldhyazinthe verschwanden seinerzeit auch Lungenenzian, Waldläusekraut, weitere Orchideen, zwei Sonnentau-Arten und viele Amphibien und Reptilien, die man in der ohnehin so naturfernen, aus ökologischer Sicht hirntoten Gemeinde Wallenhorst längst nirgends mehr finden kann.

Im Berumerfehner Moor entdeckte ich von dieser Orchidee gleich eine kleine Herde, bestehend aus elf Individuen. Nachdem ich die erste Pflanze entdeckt hatte, warf ich mich umgehend auf den Boden, um meine Nase ganz dicht an die Blüten zu halten. Der Duft dieser Pflanze ist wirklich unglaublich angenehm.

Und dieser Duft weckte tatsächlich Kindheitserinnerungen in mir!

Bestimmt handelt es sich hier nicht um das erste oder gar einzige Vorkommen der Zweibl. Waldhyazinthe in Ostfriesland. 

Es handelt sich aber um das einzige mir bekannte.

Warum nicht einfach mal mit Fiffi die Salzwiesen erkunden:



actually dogs are prohibited in the saltmeadows, but nobody cares 

An wirklich jedem Deichtor hängen zwei Schilder, wonach Hunde nicht passieren dürfen. 

Doch das interessiert keine Sau. Dieser Hundebesitzer zum Beispiel machte seine Ausfahrt am späten Abend. Und er fährt hier nicht etwa durchs dichte Gras, wie man meinen könnte, sondern auf einem angelegten Weg, doch erlaubt ist das Betreten oder Befahren dieses Weges mit einem Hund auch nicht. 

Noch schlimmer aber sind diese beiden Zeitgenossen hier:


hunters, my best friends

Zwei Jungjäger auf ihrem Weg durchs Weizenfeld.

Es sind die Jäger, die überall ihre blöden Schilder aufhängen, wonach Hunde an der Leine zu führen seien. Sie selbst halten sich fast nie an diese von ihnen selbst aufgestellte Regel. Hier trägt der eine Jäger den Hund zwar auf dem Arm, doch zuvor hatte der Vierbeiner nahezu das ganze Feld und die darin lebenden Tiere aufgemischt. 

Statt eines Fernglases trägt man als Jäger lieber eine Schusswaffe. Ich meine, man muss auch Prioritäten setzen. Ich verzichte ja auch aufs Spektiv. Und wenn man sowieso nicht wirklich an der Natur interessiert ist, sondern nur an jenen Arten, die man verfolgt, wozu, zum Teufel, benötigt man da ein Fernglas? 

Und dieser Begriff erst: Jungjäger! 

Bin ich etwa Altornithologe? 

Als ich noch klein war, da hieß es, den Jagdverbänden fehle der Nachwuchs. Für mich beinhaltete diese Nachricht vor allem eines: Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass dieser Blödsinn endlich vorbei sein würde. Doch heute sieht schon wieder alles ganz anders aus. Die Jagd boomt. Viele Menschen glauben, nur durch die Jagd ein naturverbundenes Leben führen zu können, obwohl die Hobbyjagd, wie sie heute durchgeführt wird, mit Naturverbundenheit ungefähr so viel zu tun hat wie Hundekacke etwas mit einer leckeren Pasta. 

Und ich frage mich, was ich in meinem ganzen Leben (falsch) gemacht habe.

Und als ich zu allem Überfluss auch noch das hier sah, wurde mir wirklich schlecht:



even within strictly protected areas like German nationalparks hunting is okay

Zum ersten Mal überhaupt, seit ich in Ostfriesland wohne, stehen da zwei mobile Hochsitze in den Salzwiesen bei Manslagt. 

Mitten in der Ruhezone:


why?

Es ist ein Märchen, dass man bedrohte Arten schützen kann, indem man ihre natürlichen Feinde bekämpft. 

Kein Fuchs hat es verdient, von einem naturfernen Lodenträger abgeballert zu werden. Das ist auch und vor allem ein ethisch-moralisches Ding, denn nicht etwa der Fuchs ist für den Artenschwund verantwortlich, sondern der Mensch. 

Ausschließlich der Mensch!

Wir sind ganz groß darin, anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, dass wir uns selbst und vor allem unsere Anzahl hinterfragen.

 

Es vergingen einige Tage im März, bis ich wieder einmal mit Corsilein den gepflasterten Wirtschaftsweg Richtung Deich befuhr, diesmal am Tage. 

Ich freute mich auf meine zappeligen Strandpieper und ahnte nichts Böses, doch da sah ich sie auch schon in größerer Entfernung, die ganze prächtige Bauernfamilie, wie sie mir bei herrlichstem Sonnenschein entgegenspazierte. Ich kam näher und näher, und dann geschah das Unfassbare! Mit ausgebreiteten Armen stellte sich mir der Mann plötzlich heroisch in den Weg.

Er will sterben, so dachte ich, er legt es drauf an. Erweiterter Suizid vielleicht, die ganze Familie will er mit den den Tod reißen, dieser Pfosten. Ich trat auf die Bremse und kam genau vor ihm zum Stehen. Alle, zwei Kinder, ein Hund, die Oma, die Ehefrau und der Bauer selbst, standen wenig später neben meinem Wagen, und alle, bis auf den Hund und die Kinder, beugten sich hinab, um ins unaufgeräumte Innere zu stieren. Ich ließ die Seitenscheibe aus Sicherheitsgründen nur ein ganz kleines Stück herunter. Diesmal die auf der Beifahrerseite. 

Viel Mühe, freundlich zu sein, gab ich mir jetzt nicht mehr.

Im Gegenteil, unverhohlen zeigte ich meine Abneigung: "Bitte nicht Sie schon wieder!

"Sie fahren zu schnell!"

Ich konnte es nicht fassen: "Ich weiß jetzt nicht, ob Sie sich vor Ihrer Familie profilieren wollen oder was, aber ich fahre hier nie schneller als vierzig, meistens sogar nur dreißig. Das aber auch nur deshalb, weil Sie die Straße mit ihren fahrenden Einfamilienhäusern längst völlig ruiniert haben.

Sechs Augenpaare waren auf mich gerichtet, selbst das des Hundes. So muss es sein, wenn man auf einer Bühne steht, dachte ich, um mich selbst aufzumuntern. Faust oder Der zerbrochene Krug. Ich war plötzlich ganz weit weg, doch der rücksichtslose Bauer riss mich jäh aus meinen Gedanken: "In diesem Haus leben Kinder. Und wir haben auch einen Hund und mehrere Katzen."

"Und nu?" fragte ich.. 

Jetzt mischte sich plötzlich auch noch die Frau ein, die eigentlich viel zu alt war für die kleinen Kinder, die immer noch glotzten wie aufgepumpte Kugelfische. Spätgebärend, so dachte ich. Manche Menschen haben so ein bestimmtes Talent, den geeignetsten Moment im Leben zu verpassen. "Wenn eines unserer Kinder vor Ihr Auto läuft, dann will ich Sie sehen."

Ja, so dachte ich, die Kinder. Ihre armen Kinder. Wahrscheinlich sind sie wirklich in Gefahr. Und die Gefahr besteht darin, dass sie so werden wie Sie. Eigentlich sehen sie ganz lieb aus, dachte ich. Aber meine Fresse, bei solchen Vorbildern. Das Zwischenmenschliche wird wohl früher oder später auf der Strecke bleiben, dachte ich. Eher früher. Und schließlich werden diese Kinder eine Strafe sein, eine Strafe für all jene Menschen, die doch eigentlich nur ihre Ruhe haben wollen. 

Und im Falle des Hundes, der offensichtlich schon älter als die Kinder war, konnte ich tatsächlich bereits die ersten Indizien einer bedenklichen Entwicklung erkennen, denn das Riesenviech hatte sich inzwischen aufgestellt und zerkratzte jetzt mit seinen bekrallten Pfoten meine Beifahrertür, ohne dass es außer mir auch nur eine weitere Seele kümmerte, nur um noch besser durchs Fenster schauen zu können und bloß nichts zu verpassen. Genauso ein neugieriger Wichtigtuer, dachte ich, wie sein Herrchen, das fremde Menschen nicht einmal gegen Ende einer beschaulichen Nacht in Frieden leben lassen kann. 

Ja, es stimmt, vergleichbare Situationen hatte ich zuvor bereits zweimal erlebt. Eigentlich sogar dreimal, wenn man die eingangs erzählte Geschichte mit dem Traktor mitrechnet. In den beiden weiteren Fällen waren Altjäger die Antagonisten gewesen, und in beiden Fällen hatten auch sie mich unverschämterweise ausgebremst, nur um mir ihre Macht zu demonstrieren, die sie gar nicht besaßen. Die sie niemals besitzen werden. 

Längst ruhen sie in Frieden.

Ich holte tief Luft, weil ich wusste, dass es diesmal nicht mit zwei Worten getan war: "Jetzt hören Sie mir mal zu, Frau wie auch immer. Sie brauchen gar nicht diesen blöden Plastiktraktor da vors Haus und neben die Straße zu stellen." Ich zeigte demonstrativ in die entsprechende Richtung: "Langsamer fahre ich wegen dem Teil jedenfalls nicht. Langsamer kann ich auch gar nicht mehr fahren, weil ich eh schon krieche. Sie können mir glauben, dass ich aufpasse." 

Kunstpause, weil ich kurz überlegen musste, wie es mit meinem Monolog weitergehen sollte. Ganz spontan beschloss ich, den Spieß einfach umzudrehen.

"Passen Sie eigentlich auch auf? Ich meine, Sie sollten auf Ihre Kinder und Hunde und Katzen achtgeben, wenn Ihnen etwas an ihnen liegt. Das nennt man Aufsichtspflicht! Schon kleinsten Kindern kann man übrigens beibringen, dass Straßen tabu sind!" 

Ich meine, sonst wären wir doch längst eine bedrohte Spezies. Sind wir aber leider nicht, so dachte ich, um dann der Frau und dem Mann den Todesstoß zu versetzen, indem ich mühselig über die Kopfstütze des Beifahrersitzes hinweg nach hinten zeigte, wobei ich mir beinahe den rechten Arm auskugelte: "Sehen Sie die Kreisstraße da drüben?

Ratlosigkeit, ja fast schon Leblosigkeit in allen Augen. Nein, nicht in allen. Die Augen der Oma glänzten geradezu und wirkten jetzt hellwach! Zwar hatte sie bislang nichts gesagt, aber da war dieses unscheinbare Mona-Lisa-Lächeln, das schon die ganze Zeit lang ihre Mundwinkel umspielte. 

"Da stehen auch Häuser!" fuhr ich fort.  

"Und in all diesen Häusern", ich gefiel mir jetzt in der Rolle des Vortragenden, "gibt es Kinder, Köter und Katzen. Im ganzen Land stehen an jeder Straße Häuser mit Kindern, Kötern und Katzen. Jetzt die Preisfrage: Fahren Sie beide da auch so langsam, wie Sie es sich hier vor Ihrem eigenen Haus und auf einer öffentlichen Straße außerhalb einer geschlossenen Ortschaft von anderen Verkehrsteilnehmern wünschen? Nein, ich beantworte diese Frage gleich für Sie mit, weil ich weiß, dass Sie in Ihrer Überheblichkeit von anderen Menschen einfach mal so Dinge verlangen, die Sie selbst nicht zu leisten imstande sind.

Ich musste doch noch einmal Luft holen, weil ich mich verkalkuliert hatte, um dann fast ausfallend zu werden: "Sie sind selbstgefällig ohne Ende, Sie halten sich für wichtig, ohne dass mir auch nur ein einziger Grund einfiele, wieso Sie so denken könnten. Und was meinen Sie, wenn sich alle Bürger in dieser geilen Republik so unverschämt wie Sie verhielten und einen blöden Plastiktraktor neben die Straße stellen würden? Genau, das ganze Land wäre eine einzige blöde Zwanzigerzone!

Zweimal blöd hintereinander, so dachte ich, das war nicht gut. Wiederholungen sollte man vermeiden. 

"Und jetzt gehen Sie mir aus dem Weg!" rief ich wirklich nicht zu laut, doch noch bevor ich den Gang einlegen und durchstarten konnte, öffnete sich der Mund der alten Frau. Während sie gleichzeitig nickte, sagte sie: "Da hat er recht. Das stimmt. Das stimmt alles, was er sagt. Und der junge Mann ist doch wirklich nicht zu schnell gefahren.

Jetzt wusste ich, ihre Augen konnten trotz ihres Glanzes doch nicht mehr so ganz okay sein, doch eine Frage konnte ich mir selbst in diesem Augenblick des aufkeimenden Mitleids mit ihr nicht mehr verkneifen: "Ist der da eigentlich Ihr Sohn?" Ich zeigte auf ihren mutmaßlichen Nachwuchs, ohne ihn anzusehen, und die alte Frau nickte. "Danke für Ihren Beistand, der lässt mich für die Zukunft hoffen. Sie sind ein guter Mensch. Aber irgendwas müssen Sie falsch gemacht haben bei der Erziehung. Ich meine, von nichts kommt schließlich nichts." Ich überlegte, ob ich es raushauen sollte oder nicht, doch dann hielt ich es für erforderlich: "Wenn der da mein Sohn wäre", ich sagte das absichtlich besonders laut und ganz langsam, sodass jetzt selbst der Hund seine Schlappohren aufstellte,  "das will ich Ihnen jetzt mal ganz schnell noch mit auf den Weg geben, liebe Frau, dann hätte ich ihn längst ins Heim gegeben!

Nur die Oma schmunzelte. Und ich gab Gas, weil ich mir jetzt ein triumphierendes Lachen nicht mehr verkneifen konnte. 

Doch noch ein guter Tag, so dachte ich erleichtert.

Ein richtig guter!

Bilder von den Strandpiepern gelangen mir an diesem richtig guten Tag allerdings nicht mehr.