Neulich hatte ich einen ganz schlimmen Albtraum.
Es war der schlimmste meines Lebens.
Ich saß in diesem Traum auf einem Hochsitz und spannte durch eine der Luken ahnungslos ins Outback.
Und ich trug einen olivgrünen Polyesterschaf-Fellpullover.
Wenn ihr versteht, was ich meine.
Moin Kinners,
heute geht es um den Wolf!
Bis zum 14. Mai 2024 war ich ihm genau dreimal ganz nahe gekommen, ohne ihn aber "in echt" zu Gesicht zu bekommen:
1. Über etwa zwölf Monate hielt sich vor einigen Jahren ein junger Wolf im Knyphauser Wald bei Friedeburg und somit im östlichsten Ostfriesland auf.
Mehrfach wurde er von Wildkameras geknipst.
Doch trotz mehrerer Besuche dieses Waldgebietes konnte ich selbst nur seine Hinterlassenschaften mitten auf einer Wegekreuzung finden und ablichten.
2. Auf dem Titel der Emder Zeitung prangte vor einigen Jahren das Bild eines wandernden Wolfes. Als ich es sah, wusste ich sofort, wo man es aufgenommen haben musste. Es handelte sich um einen Landesstraßenabschnitt bei Emden-Wybelsum, den ich selbst zuvor bestimmt schon einige hundert Male befahren hatte, freilich immer ohne Wolfssichtung. Während der eigentliche Artikel ganz nüchtern und fair geschrieben war, wetterte eine andere Redakteurin in ihrem Kommentar in derselben Ausgabe geradezu in Goebbels-Manier gegen Isegrim, und als ich das las, fehlten mir wirklich die Worte, was nur sehr selten vorkommt.
3. In einem Gebiet unweit meines Wohnortes, dessen Name hier nichts zur Sache tut, musste sich über mehrere Wintermonate am Stück ein Wolf aufgehalten haben, doch auch ihn bekam ich trotz meiner vielen Besuche zu allen erdenklichen Tageszeiten nicht ein einziges Mal zu Gesicht.
Entdecken konnte ich nur zwei frisch gerissene Rehe (ich berichtete hier darüber) sowie (wieder einmal) die fast nur aus Haaren und Knochen bestehenden Hinterlassenschaften.
Das Ganze liegt jetzt auch schon wieder gut zwei Jahre zurück, wenn ich mich nicht irre.
Seht doch mal:
"Protecting the Wolf by politics and wildlife organizations means animal cruelty!"
So many farmers and hunters in Ostfriesland and most parts of Germany are against the Wolf – and nature in general. Plates like this one can be seen nearly everywhere in Ostfriesland, since there had been a demonstration against the Wolf in Aurich two years ago
Wie kreativ.
Und so schöööön!
Am 14. Mai 2024 fuhr ich am ganz frühen Morgen nahe Pilsum (Krummhörn/Kreis Aurich) Richtung Deich. Es war Viertel vor fünf, als ich mich zu Fuß auf den Weg machte. Ich weiß noch, was ich dachte, unmittelbar nachdem ich die Wagentür zugeknallt hatte: Mensch, die Sonne hat verpennt.
Dabei hatte ich, wie so oft, nur nicht richtig auf die Uhr gesehen.
Zunächst ging ich sechs Kilometer in die eine, danach sieben Kilometer in die entgegengesetzte Richtung, um schließlich erneut auf dem Absatz kehrtzumachen und einen weiteren und letzten Kilometer bis zu meinem Wagen zurückzulegen.
Ich war etwas enttäuscht, denn viel entdeckt hatte ich auf meiner vierstündigen Exkursion leider nicht, nur einen Trupp Thunbergschafstelzen und natürlich all jene Arten, die man dort zu dieser Jahreszeit an jedem Tag beobachten kann, wenn man nicht blind ist. Meine Ausbeute stand also wieder einmal in einem eher ungünstigen Verhältnis zum Aufwand, den ich betrieben hatte.
Weil es vor Sonnenaufgang noch sehr frisch gewesen war und darüber hinaus an diesem Tag ein richtig fieser Ostwind blies, hatte ich mich dick eingepackt. Doch inzwischen war es viel zu warm geworden in meiner fetten Pelle, und ich war ganz nahe dran, einem Schweißausbruch zu erliegen. Also zog ich Jacke und Pullover aus, setzte mich ins Auto und steuerte einen Parkplatz an, der eigentlich keiner war. Im Schatten einer Windenergieanlage und nach wie vor im Auto sitzend beobachtete ich jetzt ganz entspannt das Vogelleben um mich herum, während ich gleichzeitig von einem leckeren Käsebrötchen träumte.
In den Niederlanden und Belgien waren nur einen Tag zuvor interessante Greife entdeckt worden; neben einem Zwergadler, einem Schreiadler und gleich mehreren Schlangenadlern zum Beispiel auch ein Mönchsgeier sowie ein für Mitteleuropa noch viel spektakulärerer, weil hier deutlich seltener auftauchender Schmutzgeier, sodass ich in erster Linie auf das Geschehen am azurblauen Himmel achtete.
Was soll ich schreiben, es tat sich nichts.
Stattdessen wirbelte der Scheißostwind permanent Tonnen von Gräserpollen durch die klare Luft, und während ich mir immerzu die juckenden und tränenden Augen rieb, gleichzeitig die Nase putzte und nach wie vor vom Käsebrötchen träumte, kramte ich Erich unter meinem Fahrersitz hervor (Multitasking!).
Erich Maria Remarque.
All seine Bücher habe ich in den letzten 30 Jahren geradezu verschlungen, alle auch x-mal und immer wieder, und Arq de Triomphe könnte ich wohl inzwischen auswendig aufsagen, wenn es jemand von mir verlangte. Doch das berühmteste Werk meines Lieblingsautors, Im Westen nichts Neues, habe ich mir erst vor zwei Wochen zum ersten Mal gekauft. Und so saß ich jetzt mit immer noch laufender Nase im Auto, während mein rechtes Auge fleißig las und mein linkes auf mögliches Geschehen am Himmel achtete.
Paul Bäumer, der Protagonist der Geschichte des Buches, das ich in meinen Händen hielt, begab sich gerade auf seinen Weg Richtung Fronturlaub, als ich aus dem Augenwinkel plötzlich einen Kandidaten bemerkte, der im Trab und somit recht fix einen weiter entfernten Acker überquerte. Doch kaum hatte ich meinen Blick auf ihn gerichtet, da war er auch schon wieder verschwunden. Da stand nämlich ein bescheuerter Busch im Weg, der mir jetzt die Sicht versperrte. Ich musste an meinen Fuchsschwanz denken, der hinter dem Beifahrersitz geduldig auf seinen nächsten Einsatz wartete, ließ den Busch in meiner grenzenlosen Großzügigkeit aber am Leben. Und ich ahnte, wen ich soeben gesehen hatte, schnappte mir also nicht etwa das Fernglas, wie ich es sonst oft in solchen Fällen zu tun pflege, sondern gleich die Kamera.
Es war jetzt genau halb zehn.
Reichlich überhastet stieg ich aus – mein T-Shirt bekam an der Seite einen langen Riss, weil da seit einer Ewigkeit eine rostige Schraube aus der Fahrertür ragt –, und da tauchte auch wie von mir erwartet der Kandidat wieder auf. Schnell schoss ich einige Belegbilder, nur um dann wieder in den Wagen zu klettern. Der Kandidat, ihr wisst natürlich längst, um wen es hier geht, stand jetzt für etwa fünf Sekunden unschlüssig vor einem Graben herum, den es zu durchqueren galt. Sein eingezogener Schwanz signalisierte mir, dass er sich unwohl fühlte und wohl auch Angst hatte.
Schließlich tauchte er im Graben ab.
Ich startete den Motor und fuhr bis ans Ende des Stichweges, um die Distanz zum Überraschungsgast wenigstens ein kleines Bisschen zu verringern.
Doch leider tauchte der Wolf viel zu schnell auf der anderen Seite des viel zu schmalen Grabens wieder auf. Und weil er nicht dumm war, sondern klug und aufmerksam, bemerkte er mich natürlich jetzt. Im Galopp eilte er über einen zweiten Acker davon und verschwand schließlich in einem weiteren Entwässerungsgraben, der wie schon der erste komplett verschilft war.
Und genau dieses blöde Schilf nahm mir nun, wie schon zuvor der bescheuerte Busch, die Sicht. Diesmal aber endgültig. Der Wolf war weg, es blieb eine heftige Ganzkörper-Entenpelle.
Entenpelle vor Aufregung, Entenpelle vor Glück!
Natürlich hatte ich meine erste Wolfsbeobachtung schon seit Jahren erwartet, aber nun war sie doch irgendwie eine Megaüberraschung, was wohl letztendlich mit dem Ort zu tun haben dürfte, an dem sie mir jetzt gelungen war. Ich meine, ich hatte eher mit einer Begegnung mit dem Wolf in einem der Wald- oder Moorgebiete um Aurich herum gerechnet, aber ganz bestimmt nicht unmittelbar am Deich, auch wenn ich natürlich weiß, dass es schon früher der eine oder andere Wolf bis zur Wasserkante geschafft hatte.
Expect the unexpected, fällt mir jetzt dazu ein.
Was für ein schöner Tag!
Ein Foto von Isegrim:
on May 14th I spotted my very first wild Wolf close to the dike near the village of Pilsum. It was a rather brief encounter, but I still get goosebumps, when thinking of it ;-)
Ich kann also nur vermuten, welchen Weg der Wolf anschließend genommen hat.
Die Weiden und Felder im Norden konnte ich nach wie vor überblicken, kein Wolf zu sehen, und zum Deich konnte er auch nicht vorgedrungen sein, denn an dessen Fuß waren schon seit etwa einer Stunde viele Radfahrer unterwegs, und genau in diesem Augenblick tauchte dort sogar ein echtes Endlos-Peloton aus bunt gekleideten Freizeitsportlern auf.
Fast wie bestellt.
Es war ein kleines Feldgehölz, das den Wolf möglicherweise verschluckt haben konnte und in dem er vielleicht den Rest des Tages verbracht hat.
In diesem Feldgehölz befindet sich seit vielen Jahren die Fuchsfalle eines völlig durchgeknallten Jägers, der einfach mal so Arschloch zu mir gesagt hat. Und das nur, weil ich ihn bei unseren unzähligen Begegnungen nie gegrüßt habe und auch künftig nie grüßen werde. Da ist nämlich so eine Hemmschwelle in mir, die ich partout nicht überwinden kann, wenn ich einfach gestrickte Flintenökologen nur sehe.
Geht halt nicht und so weiter. Ich meine, ich grüße doch auch keine Nazis.
Die Zahl der Menschen schnellte an diesem Morgen jedenfalls wie an fast jedem Tag unaufhaltsam immer weiter in die Höhe, und der Peak war zu diesem Zeitpunkt sicher noch längst nicht überschritten worden. Da war es sicher besser, wenn man als Wolf so einen sonnigen und warmen Tag im Schatten verpennt, bis die vielen Menschen wieder in ihren Wohnzimmern auf ihren Sofata (neue Pluralvariante) sitzen und im Outback endlich wieder Ruhe einkehren würde. Eine andere Wahl hat man in diesem viel zu dicht bevölkerten Landstrich wohl ohnehin nicht.
Meine Euphorie, meine Riesenfreude über diese wirklich lang ersehnte Beobachtung, ebbte jetzt schlagartig ab. Stattdessen keimten in mir unangenehme Vorahnungen auf. Das westliche Ostfriesland stellt für einen wandernden Wolf nämlich eine Sackgasse dar. Und das keineswegs nur in geografischer Hinsicht. Im platten Nordwesten gibt es vielleicht die höchste Wolfsgegner-Dichte der ganzen Republik. Schilder und Plakate, die diese Menschen in den letzten Jahren nahezu überall aufgestellt haben, auch am von Touristen millionenfach besuchten Pilsumer Leuchtturm (siehe unten), sprechen eine deutliche Sprache.
Ein weiteres Bild vom Wolf:
the next morning I failed to relocate the Wolf, which doesn't mean anything, but I hope this guy left the night before, which would be a good decision. The Western part of the Ostfriesian peninsula is still wolf-free, but on the Eastern edge there lives already at least one pack, which successfully raised offspring one or two years ago
Doch wer sind eigentlich die aufgebrachten Bürger, die dem Wolf das Existenzrecht in Ostfriesland oder gleich in der ganzen Republik absprechen?
Es folgt eine Auflistung:
Landwirte und Nutztierhalter: Diese Gruppierung steht, wenn es gegen den Wolf geht, Hand in Hand mit den Grünröcken (siehe unten) an vorderster Front.
Dass diese Menschen keines ihrer Tiere freiwillig an Isegrim abtreten möchten, kann ich sogar noch verstehen, obwohl es bei uns für jeden Verlust Ausgleichszahlungen gibt, wie sie keineswegs in jedem Land dieser Erde üblich sind.
Ich glaube, sie sind sogar weltweit einzigartig!
Was ich aber überhaupt nicht verstehen kann, ist die verfickte Doppelmoral dieser Bürger! Denn wenn sie ihre Tiere zum Schlachthof karren, weinen sie ihnen auch keine Träne hinterher. Der Grund: Die Rechnungen sind dann bereits beglichen worden. Sie weinen auch nicht herum, wenn ihre Schutzbefohlenen ein erbärmliches Dasein fristen müssen. Von der Geburt bis zum Tod. Es wird immer von einer artgerechten Tierhaltung gesprochen und geschrieben, doch mal ehrlich, welches Tier lebt von Natur aus auf einer eingezäunten Weide oder gar in einem Stall mit Kunstlicht und ohne Frischluft? Und welches Tier steht natürlicherweise nach wenigen Lebensjahren oder gar nur -monaten vor seinem Henker?
Und ausgerechnet diese Menschen sprechen im Zusammenhang mit dem Wolf immer von Tierquälerei! Und Tierquälerei werfen sie gleich auch noch der aus ihrer Sicht verantwortlichen Politik vor (siehe erstes Bild).
Schäfer (Küstenschutz): Schäfer sind natürlich auch Nutztierhalter, doch wegen ihrer besonderen Aufgabe im so genannten Küstenschutz liste ich sie hier gesondert auf.
Wart ihr mal im Winter auf dem Deich? Nein? Dann holt das bitte mal nach. Im Winter ist der Deich ein einziges Schlam(m)assel, weil seine äußerste Schicht aus nahezu wasserundurchlässigem Klei besteht. Und zu allem Überfluss ist die Grasnarbe zu dieser Jahreszeit alles andere als geschlossen. Das liegt an den zahlreichen Wühlmäusen, die überall ihre Trampelpfade hinterlassen, vor allem aber daran, dass die Schafe bis weit in den Dezember hinein auf den Deichen verbleiben, obwohl bereits im Oktober die herbstlichen Regenfälle einsetzen. Die winterliche Stallzeit soll aber so kurz wie möglich gehalten werden, um einen Futter-Engpass zu unterbinden. Gleichzeitig machen Schafe auf dem Deich natürlich viel weniger Arbeit als welche im Stall.
Ein aufgeweichter Deich mit einer lückigen Grasnarbe wird den Blanken Hans aber kaum aufhalten können, wenn der mal so richtig wütend ist. Und wenn es bislang keinen Deichbruch gegeben hat, dann nur deshalb, weil das Wasser nie auch nur annähernd hoch genug aufgelaufen ist.
Jäger: Für Jäger und das, was sie tun (besser: anrichten), fehlt mir jegliches Verständnis. Jeder, der hier regelmäßig reinschaut, weiß, was ich von der Jagd und den aller meisten Jägern halte.
Nichts.
Absolut nichts.
Und das ist noch sehr moderat ausgedrückt.
Die Jagd hatte mal einen Sinn, doch das war in einer Epoche, als der Mensch noch in der Höhle lebte und den Bogen zahlenmäßig noch nicht überspannt hatte. Jäger bezeichnen sich selbst gerne als Naturschützer, sogar als die einzigen staatlich geprüften Naturschützer ("Grüner Hauptschulabschluss"), doch mit Naturschutz hat die Jagd ungefähr so viel zu tun wie Hundekacke etwas mit einer leckeren Pasta. Ich meine, wer die Jagd für Naturschutz hält, der glaubt auch an den Weihnachtsmann oder gar an einen Gott.
Die allermeisten Jäger kennen keine einzige Libelle, keine Spinne, keinen Falter, kein Reptil, nur zwei Vögel (Fasan und Brathähnchen) und kaum eine Pflanze, von Mais einmal abgesehen. Einen Vierfleck oder einen Großen Asseljäger kann man nicht erschießen, deshalb sind diese Tiere aus der Sicht der Lodenträger völlig belanglos.
Man braucht sie also gar nicht zu kennen.
Die allermeisten Jäger interessieren sich nicht im Geringsten für die Natur ganz allgemein, sondern ausschließlich für einen klitzekleinen Teil, also für jene Tiere, die sie verfolgen. Für das Niederwild – so von Reh bis Hase – und für jene Arten, die ihnen die Beute streitigmachen könnten. Ich habe das hier bereits tausendmal geschrieben, es geht bei der Jagd nur ums Schießen auf lebende Zielscheiben, und ich habe vor Jahren sogar mal einen Jäger getroffen, der das unumwunden zugegeben hat.
Ein echtes Arschloch. Aber immerhin ein ehrliches.
Um eine möglichst hohe Niederwilddichte zu erzielen, verfolgen Jäger alle Tiere, die spitze Zähne haben, und töten deshalb jeden Fuchs und Steinmarder, der ihnen in die
Falle geht. Und all das nur, um später selbst einen angeblich "durch
diese Hegemaßnahmen erwirtschafteten Überschuss abzuschöpfen". Wie ich selbst mehrfach erleben durfte, verfolgen einige Jäger im Verborgenen und illegalerweise auch Krummschnäbel, und sie hassen wirklich jede Krähe und jede Elster.
Dass Populationen wild lebender Tiere in Abhängigkeit verschiedener Faktoren in ihrer Größe schwanken und es gar keinen Überschuss gibt, wissen Jäger leider nicht.
Hundebesitzer: Als Hundebesitzer müsste man den Stammvater von Dackel, Dogge und Dobermann doch eigentlich lieben und wertschätzen, möchte man meinen.
Doch das ist leider nur sehr selten der Fall, wie ich immer wieder in Gesprächen erfahren musste. Sowohl in der Südheide und um Osnabrück herum als auch in Ostfriesland. Nahezu einhelliger Tenor: Wölfe ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür. Hundebesitzer trauen sich oft nicht mehr nach draußen, weil sie Angst vor dem Wolf und möglichen Zwischenfällen mit ihm haben. Und selbst Hundebesitzer werfen dem Wolf nur allzu oft das Töten von Nutztieren vor. Und das schlägt dem Fass wirklich den Boden aus, weil es ganz eindrucksvoll belegt, wie realitätsfern Menschen auch im 21. Jahrhundert noch sein können.
"Wir basteln uns die Welt, wie sie uns gefällt!", möchte man ihnen zurufen. Liebe Hundebesitzer, es wird euch nicht gefallen, aber eure Vierbeiner lutschen keine Bonbons, sie kauen keine Rosinenbrötchen.
1500 Wölfe in Deutschland töten im Schnitt zwischen 3000 und 4000 Nutztiere im Jahr, doch geschätzte sechs Millionen Hunde (Hauskatzen lasse ich heute mal großzügig weg) verschlingen in diesem Zeitraum satte 16 Millionen Schafe, Schweine und Rinder, wenn man für einen Durchschnittshund drei Nutztiere pro Jahr veranschlagt. Große Hunde benötigen mehr, kleine natürlich deutlich weniger Fleisch.
Keiner findet das schlimm, niemand hängt Plakate auf. Es gibt keine Demonstrationen oder andere Anzeichen für eine Unzufriedenheit mit dieser Situation. Die Gründe dafür: Auch hier sind die Rechnungen bereits bezahlt worden. Ganz wichtig auch: Der Hund vertreibt den Menschen die Langeweile, weil viele von ihnen sonst nichts mit sich anzufangen wüssten. Ein Wolf kann das leider nicht. Und darüber hinaus muss der Hund nicht selber töten, diese Drecksarbeit nimmt ihm der Mensch ab, übrigens weitestgehend im Verborgenen, damit den zartbesaiteten Bürgern dieser Republik die tagtäglichen Grausamkeiten erspart bleiben. Immer wieder werden in den Medien vom Wolf getötete Nutztiere präsentiert, um auf perfide Weise gegen ihn zu hetzen, doch niemand zeigt Bilder aus dem Schlachthof, wo an jedem Tag hundertausendfach hingerichtet wird – für Hund, Katze und vor allem Mensch!
Auch hier gilt: Verlogenheit und Doppelmoral kennen offenbar keine Grenzen.
Eltern kleiner Kinder und andere ängstliche Menschen: Das ist Psychologie, da bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.
Wenn jemand unter rational nicht begründbaren Ängsten leidet, dann sollte er sich professionelle Hilfe holen. Und Ängste vor dem Wolf sind rational nicht begründbar.
Denn es ist Fakt, dass aus Deutschland und sehr wahrscheinlich aus ganz Europa für die mindestens letzten 200 Jahre keine belegten Angriffe von Wölfen auf Menschen vorliegen, auch wenn Jäger mir gegenüber immer wieder Gegenteiliges behauptet haben in der Vergangenheit. Aber selbst wenn es zu einem Angriff, vielleicht sogar mit tödlichem Ausgang, käme, dann wäre er die absolute Ausnahme.
Grundsätzlich ist das Leben mit Gefahren verbunden. Ich meine, wir säbeln doch auch nicht alle Straßenbäume ab, nur um zu verhindern, dass jemand mit einem von ihnen kollidiert. Menschen sterben im Straßenverkehr, niemand fordert die Abschaffung des Autos, Menschen sterben durch Rauchen und Trinken, kaum jemand verdammt Zigaretten und Alkohol. Menschen werden von Hunden getötet, doch der Hund ist und bleibt des Deutschen Liebling. Und immer wieder werden Unschuldige von Jägern erschossen, und allein für meine alte Heimat, den Landkreis Osnabrück sowie das an diesen angrenzende Westfalen, fallen mir gleich etliche Beispiele ein.
Doch warum fordern die Jäger nach solchen Zwischenfällen nicht die Abschaffung der Jagd? Kein einziger von ihnen erhebt seine Stimme. Nicht selten schiebt man dem Getöteten sogar noch eine Teilschuld zu, frei nach dem Motto: "Was hatte der da zu dieser Zeit verloren?"
Ob man sich als Wolf in diesem Land auch so einen Fehltritt erlauben dürfte?
Ihr kennt die Antwort.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich abschließend, dass es hierzulande natürlich auch Zeitgenossen gibt, die alles gleichzeitig sind. Gemeint sind Landwirte, die im Auftrag des NLWKN (das ist so eine geile Landesbehörde, wo man Konträrinteressen unter einem Dach zusammengepfercht hat) die Deiche mähen und der Jagd frönen, die mindestens einen Hund und dann auch noch etliche Kinder haben. Ob es unter solchen Bürgern noch welche gibt, die dem Wolf tolerant gegenüberstehen?
Eher nicht.
Und wenn ein Teil dieser Bürger dem Wolf also das Töten von Nutztieren vorwirft und das Essen von Fleisch, dann gehe ich automatisch davon aus, dass all diese Menschen vegan leben, wenigstens aber vegetarisch, und sich nicht etwa zum Frühstück eine fette Scheibe Wurst auf die Stulle legen. Ich gehe darüber hinaus davon aus, dass sie weder einen Hund noch eine Katze besitzen (siehe oben).
Das ist natürlich fast nie der Fall, und einen Hundebesitzer ohne Hund wird es auch nicht geben. Aber selbst dann, wenn alle Bürger dieses Landes Veganer wären, stünde es keinem Menschen auf diesem Planeten zu, über ein Wildtier und dessen Verhalten zu urteilen, denn jedes Wildtier macht ausschließlich das, was Mutter Natur ihm aufgetragen hat. Und Mutter Natur ist viel klüger, als jeder Jäger oder Landwirt es jemals sein könnte.
Lecker Schafe auf dem Deich:
Wat zou je doen (Bløf)? And what do wolves actually think: Sheep (in da background) would be nice for breakfast
"Hier, er guckt schon Richtung Schafe!" werden einfach gestrickte Menschen beim Betrachten dieses Bildes ausrufen, weil sie immer das sehen, was sie sehen wollen.
Tatsächlich suchte der Wolf nur nach einem Ausweg, und er hatte zuvor nach allen Richtungen gespäht.
Was soll ich tun, dachte er also, als er mit eingezogenem Schwanz vor einem Graben stand, überall wimmelt es von diesen blöden Menschen:
crop of same image – note the tail tucked between the hind legs, which is a sign of fear. There were already tons of poeple hiking and biking close to the dike that day, but I was the only one who noticed the Wolf, like I am almost always the only one who notices wildlife
Mir stellen sich übrigens die Nackenhaare auf, wenn ich hier völlig unscharfe Bilder hochlade:
another crop – note the limbs are still dark and wet and so are belly and the tail. This Wolf must have crossed one of the wider ditches, a so called Tief, before
Bei so einem geilen Gast bleibt mir aber nichts Anderes übrig.
Denn nur so kann man interessante Details erkennen.
Man sieht zum Beispiel sehr gut, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme noch alle Gliedmaßen nass waren, wie auch der Bauch und der Schwanz des Wolfes. Kurz zuvor wird er sicherlich eines der vielen breiteren Tiefs durchquert haben auf seinem Weg zum Deich und zu mir.
Noch so eine üble Ausschnittvergrößerung für euch:
same
Weil der Schwanz auch nass war, konnte man die für den Wolf so typische schwarze Schwanzspitze nicht erkennen.
Kennt ihr Frank Raimer?
Frank Raimer, inzwischen leider verstorbener Harzer Förster und Wolfsaktivist, hat es schon vor Jahren in einem Vortrag, den ihr auch auf Youtube finden könnt, auf den Punkt gebracht: Ein Teil der Nutztiere der Menschen gehöre dem Wolf. Und: Es bringe überhaupt nichts, Wölfe zu schießen, denn der daraus resultierende Nutzen sei praktisch nicht vorhanden. Und: Nicht die Natur müsse sich den Menschen unterordnen, sondern umgekehrt.
Dieser Mann sprach mir aus der Seele, und ich füge hinzu: Eine Spezies, von der es allein in diesem kleinen Land 84 Millionen Individuen gibt, im Schnitt sind das satte und unglaubliche 236 auf jedem Quadratkilometer, sollte einfach mal den Ball flach und die Fresse halten, wenn es um die Häufigkeit anderer Arten geht. Keinem Menschen steht es zu, der Natur ins Handwerk zu pfuschen, allein schon deshalb, weil wir diejeneigen sind, die von ihr nichts übrig lassen.
"Probleme" mit Wildgänsen, Kormoranen oder eben Wölfen, um nur drei Beispiele von ganz vielen zu nennen, gibt es nur deshalb, weil der Mensch so zahlreich ist und jeden Quadratmeter dieses Landes für sich und seine Zwecke beansprucht und missbraucht.
Und es ist frech, eigentlich sogar unverschämt, ein ganzes Land zu zersiedeln und überall Nutztiere in die Landschaft zu stellen und dann zu behaupten, für den Wolf sei nun kein Platz mehr. Ich war noch nie auf Mallorca, fühle mich aber an diese Touristen erinnert, von denen immer wieder die Rede ist, die frühmorgens ihre Handtücher auf die Liegestühle an Strand oder Pool klatschen und auf diese Weise anderen Urlaubern mitteilen möchten, sie hätten hier nun nichts mehr verloren.
Das ist richtig asoziales Verhalten!
Und nein, ich bin kein Menschenfeind. Wer mich kennt, der kann das bestätigen. Ich bin nur kein Freund einer viel zu hohen Siedlungsdichte, die die Ursache aller rezenten Probleme darstellt auf der ganzen Welt. Und ich mag auch Hunde. Aber ich hasse es, wenn von ihren Haltern aus purem Eigennutz Fakten verdreht und so ausgelegt werden, wie sie sie gerade brauchen!
All den oben aufgelisteten Gruppierungen (aber nicht allen Individuen!) fehlt es an Respekt der geilen Natur gegenüber. Und wie Menschen den Wert eines Tieres einschätzen, hängt ganz allein davon ab, welchen Nutzen es für sie persönlich hat. Wenn ein Tier den Menschen nichts bringt, ist es aus ihrer Sicht überflüssig und kann weg. Das wird nicht selten auch ganz offen so ausgesprochen: "Was bringt mir der Wolf?"
Genauso gut könnte ich fragen: "Was bringt ein Jäger dem Wolf?"
Okay, die Antwort ist einfach: ein Projektil.
Oder: "Was bringt mir meine Vermieterin?"
Nichts, aber erschieße ich sie deswegen gleich? Nein, obwohl ihre Tochter mir schon mehrfach ein beträchtliches Sümmchen geboten hat für den Fall, dass ich ihr zu einem vorgezogenen Erbe verhelfe und so weiter. Okay, irgendwann muss ich es wohl tatsächlich tun, auch ohne Geld und aus eigenem Antrieb, wenn sie mir weiterhin so sehr auf den Sack gehen sollte wie bisher. Jedenfalls darf man grundsätzlich nichts ausschließen, wenn es um nervige Menschen geht, wie ich finde. Da muss man auch schon mal andere Saiten aufziehen dürfen, wenn es erforderlich ist und so.
Kleiner Scherz.
"Hau ab!" rief ich dem ohnehin schon davonlaufenden Wolf schnell noch hinterher:
these two Shelducks witnessed my encounter with Isegrim (Diekskiel parking lot in da background)
Und das nicht etwa deshalb, weil ich ihn nicht mochte oder nicht mehr sehen wollte, sondern seiner eigenen Sicherheit wegen.
Je eher er die Krummhörn wieder verlässt, so mein Gedanke, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit sein, dass ihm ein bösartiger und einfach gestrickter Mensch an den Kragen geht. Denn dass Wölfe in Deutschland immer wieder bewusst und vorsätzlich getötet werden, ist ganz bestimmt kein Jägerlatein. Seit dem Jahr 2000 sind es 94 Individuen gewesen. Die Dunkelziffer dürfte aber um ein Mehrfaches bis Vielfaches höher liegen, denn man kann davon ausgehen, dass nur die allerwenigsten getöteten Wölfe auch gefunden werden. Und wer bekommt schon etwas davon mit, wenn ein Waidmann in seinem Revier kurz vor Einbruch der Dunkelheit Selbstjustiz verübt? Richtig, niemand. Schießen. Schaufeln. Schweigen, das, so liest man immer wieder, soll die Herangehensweise so manchen Jägers sein.
Nein, falsch, manchmal werden Teile getöteter Wölfe sogar bewusst "ausgestellt" von Menschen, mit denen etwas nicht stimmen kann. So etwas ist mal geschehen am Mittellandkanal bei Hannover.
Ängste vieler Bürger dieses Landes dem Wolf gegenüber sind das Resultat von Unwissenheit und Irrglaube. Das gute Rotkäppchen und weitere sinnfreie Märchen haben natürlich auch ihr Scherflein dazu beigetragen, die Furcht vor dem Wolf zu befeuern. Doch diese Ängste sind unbegründet. Und hier in der Krummhörn sowie in Emden braucht sich ohnehin niemand Sorgen zu machen, dass sich hier jemals ein Wolfsrudel niederlassen wird.
Höchstens auf dem Rysumer Nacken (siehe unten) ...
Es gibt hier nämlich keinen einzigen echten Rückzugsort, an dem man sich als Wolf mal ganz entspannt zurücklehnen könnte. Ich weiß, worüber ich schreibe, denn auch mir ist es hier in 16 Jahren nicht ein einziges Mal gelungen, mal einen ganzen Tag draußen zu verbringen und gleichzeitig für mich zu sein. Überall wimmelt es zu jeder Tageszeit von Menschen, jeder noch so versteckte Quadratmeter wird mindestens einmal am Tag von Spaziergängern und Radfahrern touchiert. Nicht selten in Begleitung eines Hundes.
Das ist nichts für den Wolf, obwohl er ganz bestimmt sehr anpassungsfähig ist und im Prinzip überall leben könnte, wenn man ihn nur ließe.
Es wird hier in unmittelbarer Nähe zum Deich also immer nur bei einzelnen Individuen bleiben, die so plötzlich verschwinden, wie sie zuvor aufgetaucht sind.
Im Osten Ostfrieslands ist das allerdings anders. Dem ersten nachgewiesenen Wolf (siehe oben) musste mindestens ein weiterer gefolgt sein, denn es hat dort bereits Nachwuchs gegeben. Im Osten Ostfrieslands und im angrenzenden Friesland gibt es aber auch größere Forstgebiete wie etwa den bereits eingangs erwähnten Knyphauser Wald, den an diesen angrenzenden Forst Upjever, den Hopelser Wald, die Schweinebrücker Fuhrenkämpe, den Neuenburger Urwald sowie auch das Stapeler Moor. Die Entfernung von einem Gebiet bis zum nächsten beträgt nie mehr als vier Kilometer, oft sogar nur zwei.
Für den Wolf ist so eine Strecke ein Klacks.
Ein weiteres Vordringen des Wolfes nach Westen würde ich aber auch nicht ausschließen wollen. Das Gebiet rund um das Ewige Meer inklusive einiger Waldgebiete ganz in dessen Nähe (Berumerfehner Moorwald, Meerhusener Wald, Plaggenburger Moorwald, Egelser Wald und vielleicht auch noch der etwas weiter abseits gelegene Schooer Wald) könnte meiner Meinung nach ebenfalls ein Rudel aufnehmen. Und ganz vielleicht wäre auch auf dem Rysumer Nacken was möglich, aber da würden naturfernste Bürger, die Emdens schönste Ecke in sehr großer Zahl als Naherholungs- und Schießgebiet nutzen, sicher zuvor einschreiten.
Mehr ginge aus den genannten Gründen leider nicht. Die Menschen auf Borkum, Norderney und Juist können also aufatmen.
Haaalt, stopp, auch das kann man so nicht stehen lassen, denn natürlich kann es ein Wolf auch bis auf eine der Inseln schaffen, vor allem auf eine der küstennahen. Immerhin gibt es auf Norderney Rotfüchse. Viele Jäger haben eine Schwäche für Verschwörungstheorien und Märchen, und so soll einer von ihnen gesagt haben, der Fuchs sei auf Norderney ausgesetzt worden. Füchse Norderneys, so dieser Jäger, sähen auch ganz anders aus als jene vom Festland.
Bullshit zum Nulltarif.
Ist es nicht viel einfacher und wahrscheinlicher, dass ein Fuchs vom Festland aus Richtung Inseln läuft? Allein zwischen 2009 und 2012 war das Wattenmeer gleich einige Male komplett und über jeweils längere Zeiträume vereist, da dürfte es auch für Reineke kaum mehr eine Herausforderung gewesen sein, diese kurze Strecke in einem Stück zurückzulegen. Zwischen dem so genannten Naturstrand in Hilgenriedersiel und der Insel zum Beispiel sind es gerade mal 3,4 Kilometer.
Und was ein Fuchs kann, Kinners, das kann ganz bestimmt auch der Wolf. Und der brauchte auch gar nicht erst auf Frost zu warten, denn wer locker die Oder packt oder andere große Flüsse, für den sollte ein schmaler Priel kaum mehr ein Hindernis darstellen.
Und die Nahrungsgrundlage auch für ein ganzes Rudel böte gerade diese Insel auch. Wenigstens vorübergehend. Denn es gibt Rehe, es gibt Damwild, und es gibt Nutztiere ohne Ende. Und eine junge Seemöve als Snack für zwischendurch wäre bestimmt auch mal okay. Und dann wimmelt es gerade auf Norderney auch noch von Wildkaninchen! Man sieht sie den ganzen Tag über, auch mitten im Ort. Wie viele es aber wirklich sind, kann man vor allem in der Dämmerung erahnen – sowohl morgens als auch am Abend.
Das Gemeine Karnickel sorgt auf Norderney auf sandigem und vor allem ungedüngtem Grund für kurzrasige und vegetationsfreie Flächen, wie sie für viele andere Tiere, vor allem anspruchsvolle Insekten und Spinnen (kann man als Jäger nichts mit anfangen, ich weiß), so wichtig sind, und es buddelt überall Höhlen, die es zum Teil gemeinsam mit Steinschmätzer, Dohle, Hohltaube und Brandente bewohnt. Aber selbst dann, wenn es nicht als Landschaftsgärtner oder Tiefbau-Ingenieur arbeitete, schädlich aus ökologischer Sicht wäre es natürlich trotzdem nicht, obwohl es den Weg zur Insel nur mit Unterstützung des Menschen geschafft hat. Das Wildkaninchen ist bereits im 17. Jahrhundert auf Norderney gezielt angesiedelt worden. Übrigens von Jägern und wie so oft, damit sie was zu schießen haben. Und das Ganze gilt natürlich auch für einige der anderen Eilande vor der ostfriesischen Küste, z. B. auch für Memmert.
Hunger leiden müssten Wölfe auf Norderney also ganz bestimmt nicht, und vielleicht würde so ein Rudel zu guter Letzt auch noch dazu beitragen, den ekelhaften Insel-Massenterrorismus, wie man ihn auf Mallorca inzwischen und vor allem endlich öffentlich anprangert, wieder in erträgliche Bahnen zu lenken.
Der Wolf war also weg, und am kommenden Morgen kontrollierte ich sicherheitshalber die Schafherden auf dem nahen Deich. Ich fand keinen Riss, keine Überbleibsel. Zum Glück, so dachte ich, denn das Spektakel wäre in so einem Fall sicher groß gewesen. Und es wäre noch viel größer geworden, wenn ich den zuständigen Schäfer gewarnt und darum gebeten hätte, die folgenden Tage und Nächte mehr Präsenz am Deich zu zeigen.
Zum Schutze seiner Tiere, aber vor allem auch zum Wohle des Wolfs.
Ja, einen solchen Schritt hatte ich tatsächlich für einen sehr kurzen Augenblick in Erwägung gezogen, doch dann auch ganz schnell wieder verworfen. Denn dieser Schäfer ist ebenfalls ein Wolfsgegner. Und leider hat er viele Jäger in seinem Bekannten- und Freundeskreis, wie ich aus sicherer Quelle weiß. Und dass krude Ideologien abfärben können, ist wirklich nicht neu. Tatsächlich schenkt dieser Schäfer den Horrormärchen der Grünröcke ("Wolf mit Mistgabel aus Pferdestall vertrieben" und so weiter) leider auch noch jenen Glauben, den die Geschichten solcher Menschen nicht einmal im Ansatz verdienen. Ich meine, jeder weiß doch, dass es die meisten Jäger mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
Oder woher stammt der Begriff Jägerlatein?
Traurig stimmt mich jetzt eigentlich nur noch, dass ich ausschließlich so grottige Bilder von meinem allerersten Wolf in Deutschland hinbekommen habe. Das ist, neben den vielen Wolfsgegnern, der einzige weitere Wermutstropfen der ganzen Geschichte. Verantwortlich dafür waren die große Distanz zum Tier und das grelle Licht an diesem Tag. Schon seit über einer Woche herrscht hier nämlich eine bescheuerte Ostwind-Wetterlage vor, die zum Beispiel sehr viele Libellen zum Diekskiel-Parkplatz und noch viel mehr Rübsen-Blattwespen (Millionen!) Richtung Deich verfrachtet hat; es bläst hier unablässig wie Sau, sodass es in dieser Zeit nicht ein einziges Mal für ansprechenden Morgentau oder pittoresken Bodennebel gereicht hat. Und selbst wenn die blöde Sonne am ganz frühen Morgen nur zu einem Zehntel über den Horizont blinzelt, ist das Licht schon so richtig scheiße, dass man gar nicht erst auf die Idee kommen kann, die Kamera aus dem Rucksack zu pulen. Da wäre ein bedeckter Tag sicher cooler gewesen, doch man hat es nicht selbst in der Hand.
Nicht einmal ich, ihr kleinen Tunichtgute da draußen.
Vielleicht wird es für mich ja doch noch für eine zweite Begegnung mit einem Wolf in Ostfriesland reichen. Und dann wünsche ich mir einen prächtigen Kerl oder gleich ein ganzes Rudel auf dem Rysumer Nacken, mitten im Winter. Denn ein Wolf im hübschen Winterpulli macht noch viel mehr her als einer im Sommerkleid. Und vor allem macht er viel mehr her als jeder Hund in diesem Land.
Nachtrag vom 18. Mai 2024: Heute war ich nach längerer Zeit mal wieder am Pilsumer Leuchtturm.
Und was sah ich dort?
Das hier:
one more plate, set up at Pilsum Lighthouse two years ago or so, but now with an orange graffito
Endlich hat da mal jemand Flagge gezeigt!
Ich hoffe, dass die Jäger dieses Plakat nun endlich entfernen. Denn so, wie es jetzt ausschaut, werden sie es wohl kaum stehen lassen können.
Und vielleicht ist es ja sogar der Wolf selbst gewesen, der die ewigen Lügen der Jäger und Nutztierhalter nicht mehr ertragen konnte und nun eine Sprühdose in die Pfote genommen hat.
Zu guter Letzt gibt es jetzt noch zwei lustige und ein trauriges Bild für euch:
male Tufted Duck with a fishing hook pierced through the tongue. With the support of a present fisherman I could free the bird after a while
Am 17. Mai hörte ich am Rande des Mahlbusens des Norder Tiefs bei Neuwesteel aus dem Schilf ein plätscherndes Geräusch.
Ein Bisam taucht ab, so dachte ich. Doch es plätscherte sofort weiter. Fette Karpfen am Laichen, war mein nächster Gedanke, ohne wirklich hinzusehen. Doch das Plätschern wollte einfach nicht aufhören. Mit bloßem Auge sah ich nun eine Ente. Mama verleitet, glaubte ich jetzt zu wissen, aber ich lag tatsächlich zum dritten Mal in Folge falsch!
Erst jetzt wagte ich einen prüfenden Blick durch mein Fernglas. Und ich war erstaunt, denn es handelte sich um eine männliche Reiherente, die offensichtlich einen Angelhaken verschluckt hatte. Und das, was da aus dem Schnabel des armen Vogels heraushing, hielt ich für einen Blinker.
Mitten auf dem See dümpelte ein kleines Boot, und in dem Boot stand ein Angler. Ich pfiff mit vier Fingern so laut wie lange nicht mehr, und der Angler, ein junger Mann, drehte sich nach mir um. Nachdem ich ihm mit wildem Winken zu verstehen gegeben hatte, dass ich seine Hilfe benötigte, schmiss er endlich den Motor an.
Wenig später hatte er das Ufer erreicht, und ich zeigte ihm den Vogel, der nicht von der Stelle kam, nicht von der Stelle kommen konnte. Ich zog meine Hose aus, watete durch das flache Wasser und ergriff die abtauchende Reiherente mit beiden Händen. Und jetzt sah ich, dass es gar kein Blinker war, der da aus dem Schnabel heraushing, sondern die Zunge.
Und der kleine Haken steckte mittendrin!
Angler haben bekanntlich das Werkzeug, das man benötigt, um einen Fisch vom Haken zu nehmen. Und so arbeiteten wir jetzt sehr gut zusammen. Ich hielt den überraschend ruhigen Vogel, der junge Mann schnitt vom Boot aus zunächst die kurze Schnur ab, sodass ich mich endlich wieder aufrichten konnte, um daraufhin mit einer Zange den Haken aus der Zunge zu ziehen. Ganz ohne Blutvergießen ging es leider nicht, doch nachdem ich dem Vogel die Zunge zurück in den Schnabel geschoben hatte – die Widerhaken an ihrer Wurzel hatten das die ganze Zeit über verhindert –, war alles wieder gut.
Auch im Namen der Reiherente bedankte ich mich beim sympathischen und hilfsbereiten jungen Mann, der wieder auf den Mahlbusen hinaustuckerte.
Dann ließ ich den Vogel frei. Er landete entfernt auf dem Wasser, um sich dann ausgiebig zu putzen und zu baden. Und weil er dem Anschein nach sehr erschöpft war, schob er daraufhin seinen Schnabel ins Gefieder und schlief. Ich behielt ihn weiterhin im Auge, weil ich wissen wollte, ob wirklich alles in Ordnung war, und nur eine halbe Stunde später begann die Reihernente zu tauchen und nach Nahrung zu suchen.
Zuvor, nämlich am ganz frühen Morgen und noch vor Sonnenaufgang, hatte ich bereits Norddeich einen Besuch abgestattet.
Am dortigen Strand wurde schon emsig alles untersucht, was eine leckere Belohnung versprach:
Carrion Crow investigating three pizza boxes in a row on early morning
Doch die Rabenkrähe blieb erfolglos, denn alle drei Pizzaschachteln, die sie nacheinander auf einen möglichen Inhalt überprüfte, waren leer.
Auch diese:
but without success: unfortunately no food inside
Mal ehrlich, auch oder gerade als Rabenkrähe sollte man doch wissen, dass es so gut wie keine Menschen gibt, die von einer leckeren Pizza etwas übrig lassen.
Ich meine, das ist ein absolutes No-Go, selbst dann, wenn die Pizza so groß und schwer ist wie ein Gullydeckel?
Dann doch lieber Bauchschmerzen.
Ja, Kinners, der Albtraum war wirklich gruselig.
Und gleich von Beginn an so seltsam, dass ich zumindest ahnte, es handele sich nur um einen Traum. Doch erst als ich nach der Kornpulle griff, die neben mir auf dem Boden stand, da wurde die Vorahnung zur Gewissheit.
Ich trinke nämlich gar keinen Alkohol.
Nur Radler.
Schweißgebadet, war ich aufgewacht, schweißgebadet, aber erleichtert, schlief ich nun wieder ein.
Und jetzt träumte ich von einem knrusprigen Käsebrötchen.
Und vom Wolf.
Nachtrag vom 21. Juni 2024: Wie ich gerade herausgefunden habe, war bereits am 7. Mai 2024 ein Wolf bei Jemgum gefilmt worden. Bilder von diesem Tier legen den Schluss nahe, dass es sich um dasselbe Individuum gehandelt hat.
Hier ein Link für euch: klick!
Nachtrag vom 24. Juni 2024: In diesem Bericht hatte ich ja geschrieben, dass selbst die Menschen auf den Inseln im Wattenmeer jederzeit mit der Ankunft eines Wolfes rechnen müssten.
Und jetzt, nicht einmal einen Monat später, ist es tatsächlich passiert. Zum allerersten Mal. Ein waschechter Wolf hat es bis nach Norderney geschafft! Bereits am 6. Juni und dann wieder am 20. ist das Biest von einer Wildkamera fotografiert worden, gesehen hat den Wolf aber bislang noch niemand auf der Insel. Vielleicht handelt es sich auch bei diesem Tier um dasselbe Individuum, das zuvor bei Jemgum und dann von mir bei Pilsum gesehen worden war. Doch sicher schreiben kann ich das leider nicht.
Ihr seht aber, ich habe seherische Fähigkeiten und jetzt auch keine Zeit mehr.
Ich muss schnell einen Lottoschein ausfüllen.