Donnerstag, 2. Mai 2019

Unsichtbare Jäger

Tach Kinners,

heute gibt es wieder einmal einen Bericht über diverse Bewohner des Knyphauser Waldes.

Bereits Ende März hatte ich dort an einem sonnigen und warmen Tag die ersten Gerandeten Jagdspinnen des Jahres beobachten können. 

Am 17. April war ich dann abermals im Gebiet unterwegs und fand, noch vor Sonnenaufgang, eine erste Spinne, die regungslos auf der Wasseroberfläche eines Grabens ruhte. So, wie ich sie an diesem Morgen vorfand, hatte sie zuvor ganz offensichtlich auch die kalte Nacht verbracht, war das Tier doch mit Tau bedeckt. Spontan stieg ich mit meiner Kamera, die sich auf dem Stativ befand, zu der Spinne hinab und ins saukalte Wasser hinein – natürlich in kurzen Hosen und barfuß!

Der Achtbeiner rührte sich nicht. 

Das führte ich auf die niedrige Temperatur und eine daraus resultierende mögliche Kältestarre des Tieres zurück. Nach ein paar weiteren Minuten hatte ich meine ersten Bilder im Kasten. Vor der Entdeckung dieses Individuums hatte ich das mir bekannte Gelände bereits ausgiebig nach Jagdspinnen abgesucht, doch wegen der Dunkelheit etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang keinen Erfolg verzeichnen können. 

Jetzt hockte ich also da im Wasser und entdeckte beinahe im Minutentakt eine Gerandete Jagdspinne nach der anderen. Ausnahmslos in meiner unmittelbaren Nähe, zum Teil nur wenige Zentimeter von mir entfernt! Ja, diese Tiere sind oft gar nicht so scheu, wie immer wieder behauptet wird. Und sie sind tatsächlich sehr unauffällig und verschwimmen wegen der hellen Streifen auf beiden Seiten des dunklen Körpers perfekt mit ihrer Umgebung, die ja in erster Linie aus fast schwarzem Wasser und den blassen Halmen des Pfeifengrases besteht.

Hier eines der Tiere, die ausnahmslos adult waren:







sporty Raft Spider waiting for pray on early morning

Wenn ich die Spinnen zunächst noch für bewegungsunfähig gehalten hatte, so wurde ich schnell eines Besseren belehrt. 

Denn plötzlich ruderte eines der Biester auf ein anderes zu,...


interactions of two specimens

... wurde von diesem aber mit erhobenen Armen auf Distanz gehalten.

Interessant war, dass das rechte, also das abwehrende Individuum erregt mit dem Hinterleib zuckte. Ob ich hier den Versuch einer Paarung gesehen hatte, kann ich aber nicht mit letzter Sicherheit schreiben. Jedenfalls drehte das Männchen im Vordergrund schließlich bei, um sich im Uferbereich auf die Lauer zu stellen. 

Ein weiblicher Erlenzeisig sammelte am 30. März 2019 Nistmaterial am Rande eines Weges:

this female Eurasian Siskin was building a nest somewhere in the woods and therefore collecting nesting material (kind of animal hair or so) at the edge of a hiking trail. The species is considered an unregular breeder in Ostfriesland in changing but always low numbers. Because Siskin is an abundant winter visitor from the North with tons of birds staying here and even singing until May, it is almost impossible to separate breeders from overwinterers. This is why true breeding records of Eurasian Siskin are rare

Der kleine Vogel landete unmittelbar vor mir auf dem Weg, wo er dann umherhüpfte.

Erlenzeisige sind oft wenig scheu, weshalb ich jetzt nicht überrascht war, dass dieses Exemplar mich für harmlos hielt. Ich ging davon aus, dass es nach Nahrung suchte und war entsprechend erstaunt, als der Piepmatz sich plötzlich eher für Halme und so weiter interessierte. Weil ich meinen Rucksack etwas zu holprig von meinen Schultern nahm, flog der Erlenzeisig auf, um dann abermals den Boden anzusteuern. Diesmal landete er neben dem Weg und am Fuße einer alten Fichte, wo er auf der Stelle mit dem Aufsammeln von Tierhaaren begann. Nach wenigen Sekunden flog der Vogel ab und in den dunklen Forst hinein. Erst jetzt bemerkte ich das Männchen, das das Weibchen beim Sammeln von Nistmaterial begleitet und auf einem Zweig ganz in der Nähe gewartet hatte und nun ebenfalls im Wald verschwand. 

Nach nur wenigen Minuten kehrte das Paar zurück, und das Ganze ging von vorne los.

Der Erlenzeisig ist in Ostfriesland ein seltener, wahrscheinlich nicht einmal alljährlicher Brutvogel. Brutnachweise sind wohl auch deshalb schwer zu erbringen, weil die Art in sehr großer Zahl bei uns überwintert und diese Wintergäste nicht selten bis in den Mai hinein in unseren Forsten verweilen. Zu allem Überfluss singen die Männchen auch noch ausgiebig, lange bevor sie sich auf den Weg zurück in ihre nordische Heimat aufmachen. Einzelne Brutpaare dürften deshalb in der Regel unbemerkt bleiben. Ich meine, es gehört auch schon reichlich Glück dazu, dass einem so ein Nistmaterial sammelndes Weibchen direkt vor die Füße flattert.

Oh, da kam doch glatt ein Kranich angeflogen:

Common Crane

Wenn man sich im Knyphauser Wald aufhält, dann kann man auch schon mal überfliegende Kraniche beobachten.

Ob die in der Nähe brüten oder nicht, kann ich nicht schreiben.

Die dem Forst nahesten mir bekannten Paare schreiten alljährlich im Collrunger Moor zur Brut, also nur wenige Kilometer vom Knyphauser Wald entfernt. 

Dort entstanden auch die hier gezeigten Fotos:

same

Längst ist diese imposante Vogelart ein alljährlicher Brutvogel in einigen Paaren, die sich auf die letzten Moorfragmente Ostfrieslands beschränken. 

Über sehr viele Jahrzehnte kam der Kranich hier gar nicht mehr als Brutvogel vor. Die erneute Arealexpansion begann eigentümlicherweise mit dem Fall der Mauer, also des antifaschistischen Schutzwalls, wie sie die DDR-Oberen nannten, und der Grenzzäune. Gleichzeitig begannen sich auch See- und Fischadler wieder nach Westen hin auszubreiten, und auch der geile Kolkrabe gab endlich wieder richtig Gas. 

same

Ein Zusammenhang dürfte da aber natürlich nicht bestehen – kann auch nicht bestehen –, weil sich all die genannten Vogelarten kaum durch irgendwelche Grenzanlagen aufhalten ließen. Doch dass diese Ereignisse zeitlich zusammenfielen, lässt sich nicht leugnen. 

Anders sieht es beim Wolf aus, der nach dem Entfernen der Grenzzäune plötzlich freie Bahn hatte und nun vermehrt im Westen aufkreuzte. Und seit dem vergangenen Jahr hält sich nun auch mindestens ein Individuum im Knyphauser Wald auf, wo ich am 17. April 2019 mitten auf dem Weg und unweit der Stelle, an der mir der Erlenzeisig begegnet war, auf Wolfskot stieß!

Von den Maßen her entsprach er dem eines großen Hundes, doch bestand er aus einigen voneinander getrennten Stücken, die wiederum vor allem Haare und Knochen beinhalteten. 

Hier ein Belegfoto, das aber nur drei der Fragmente zeigt:

likely Wolf`s feces

Ich war wie elektrisiert!

Ein echter Wolf musste denselben Weg genutzt haben wie ich, wenn auch leider nicht zur selben Zeit. Spannender und aufregender ging es ja wohl nicht mehr.

Huaaah!

Ich schrieb zuständige Stellen an und bekam auch umgehend Antworten. Leider wurde ich in einem aus meiner Sicht besonders wichtigen Punkt mächtig enttäuscht. Denn wenn man mir auch nicht bezüglich der Artdiagnose widersprach, so gab man mir doch deutlich zu verstehen, dass eine genetische Analyse des Kotes kaum mehr möglich sei. Ich hätte, so teilte man mir mit, die mitgenommene Probe in Alkohol einlegen, mindestens aber einfrieren müssen. Tatsächlich hatte ich sie aber einfach in eine Pappschachtel gestopft und ins Regal gestellt, wo sie sich auch heute noch befindet. 

Zu gerne hätte ich etwas über die Herkunft des Tieres erfahren. Doch das scheint nun nicht mehr möglich zu sein. Mich wundert das aber, denn als ein echter Fan von Medical Detectives hatte ich von einigen Fällen aus der Vergangenheit gehört, in denen es gelungen war, auch noch Jahrzehnte nach einer Tat den genetischen Fingerabdruck verschiedener Mörder zu erstellen. Und die Proben, Haare, Zigarettenstummel und so weiter, die man dazu eingesetzt hatte, waren zuvor für eine Ewigkeit in irgendeiner staubigen Asservatenkammer aufbewahrt worden. 

In Plastikbeuteln!

Egal, so sieht übrigens die Kacke eines modernen Hundes aus, nur so zum Vergleich:


this is how modern dogs in Ostfriesland poop today

Ihr seht, man kann sie kaum mit Wolfskot verwechseln.

Wenn die süße Pandora seinerzeit ihre Neugier besser im Griff gehabt und auf einen Blick in die verfickte Büchse verzichtet hätte, dann wäre uns neben allen anderen Übeln wohl auch die Dummheit vieler Zeitgenossen erspart geblieben. Die Dummheit jener Menschen, die die Kacke ihres Hundes erst eintüten und dann doch wegwerfen, statt sie einfach unverpackt im Sand liegen zu lassen.

Das Bild entstand im März am Strand von Norddeich. Im Hintergrund erkennt man die nach dem Winterschlaf wieder aufgestellten Strandkörbe. Ein untrügliches Zeichen für den Start des allsommerlichen Horrors, hat doch die Touristensaison endlich wieder begonnen und mit dem bescheuerten Osterfest auch schon ihren ersten Höhepunkt hinter sich gelassen.

Endlich Sonnenaufgang im Knyphauser Wald:

Fallow Deer

Ein Damhirsch huschte eilig über den Weg, nachdem er für den Bruchteil einer Sekunde stehen geblieben war und mir zugezwinkert hatte.

Wenig später oder kurz davor sah ich an derselben Stelle einen Feldhasen sitzen:

European Hare

Wenn ich das so oder ähnlich auch schon so furchtbar oft beobachtet habe, erscheinen mir Hasen im tiefsten Wald doch immer etwas seltsam.

Dieser hier trat plötzlich aus einem Fichtenforst hervor, um dann mitten auf dem Weg eine kleine Pause einzulegen und die nächsten Schritte zu überdenken. Wenig später hoppelte er in Richtung der aufgegangenen Sonne davon.

Kalt war es natürlich auch jetzt noch.

Und ich stand nach wie vor im Wasser, das kaum wärmer als sieben Grad Celsius gewesen sein dürfte an diesem Morgen.










another Raft Spider

Und die geilen Spinnen um mich herum waren auch noch alle da:

another

Das ist für mich das wahre Leben!

Barfuß in einem Graben stehen, zu welcher Jahreszeit auch immer. Ganz allgemein rausgehen ins Outback, suchen, entdecken und erfreuen. Ich benötige keinen besonderen Kick; mein Adrenalinspiegel schwappt beinahe täglich über, weil Mutter Natur so unglaublich vielfältig ist und mich bis heute kein einziges Mal im Stich gelassen, mich nie gelangweilt hat!

Trotzdem musste ich natürlich nach etwa einer Stunde mein nasses Domizil verlassen, konnte ich doch meine Füße kaum mehr spüren.

Ich war erstaunt darüber, dass sie nicht abgestorben waren nach dieser eigentlich viel zu lang andauernden Tortur. Immerhin torkelte ich für ein paar Minuten mehr, als dass ich ging wie ein aufrechter Mensch. Doch nach einiger Zeit war das Taubheitsgefühl wieder aus meinen Füßen gewichen, die vorübergehend eine leuchtend rote Farbe annahmen.

Ich hatte meinen frühmorgendlichen Ausflug in den Graben tatsächlich überlebt!

Später, inzwischen streichelten erste Sonnenstrahlen auch die Böschung des Spinnengrabens, entdeckte ich dort noch einige männliche Waldeidechsen, die sich um die besten Sonnplätze stritten oder aber einfach nur die Grenzen ihrer Reviere absteckten.

Eine davon konnte ich auch fotografieren:


male Viviparous Lizard

Vor diesem Reptil, das ausschließlich dicht bewachsene, bodenfeuchte und nicht intensiv bewirtschaftete Flächen besiedelt, müssen sich junge Jagdspinnen in Acht nehmen.

Umgekehrt könnten ganz junge Waldeidechsen durchaus zur Beute einer adulten Gerandeten Jagdspinne werden. Ich weiß aber nicht, ob das schon einmal beobachtet oder gar fotografiert worden ist.

Egal.

Wenn ich den Titel dieses Beitrages zunächst nur auf die Jagdspinne und den Wolf bezogen hatte, so muss ich jetzt auch die Waldeidechse mit einbeziehen. Denn auch sie ist ein unsichtbarer Jäger! Zumindest für die allermeisten Menschen, die ihr niemals wissentlich begegnen, obwohl sie vielleicht mindestens einmal am Tag durch den Knyphauser Wald oder andere geeignete Lebensräume spazieren.

So ist das!

Und zum letzten Bericht: Lärmende Austernfischer machen mir natürlich rein gar nichts aus ;-)