Montag, 25. November 2019

Ein verdammt später Gelbbrauen-Laubsänger besucht Norddeich

Moin Kinners,

ich lebe immer noch.

In den letzten Wochen habe ich nicht so fuchtbar viel entdecken können, worüber es sich zu berichten gelohnt hätte.

Weil der letzte Beitrag aber schon satte sechs bis acht Wochen zurückliegt und mich mehrere Beschwerde-Mails erreicht haben, verwurste ich heute einige Bilder, die sich in der Zwischenzeit auf meinem Rechner angesammelt haben. 

Freut euch!

Am 18. November sah ich im Kurpark von Norddeich einen Gelbbrauen-Kaubsänger, den ich zu dieser Jahreszeit nicht mehr erwartet hatte. Doch bevor ich etwas ausführlicher auf diesen Vogel eingehe, erzähle ich euch ein bisschen was über einige andere Begegnungen vorm oder hinterm Deich.

Früher Morgen am 5. Oktober im Rysumer Hammrich:



early morning is my favorite time of the day – no people, perfect light conditions

Am Rande des Bolzplatzes in Rysum zeigte sich eine Hohltaube ungeduldig. 

Statt darauf zu warten, dass die Sonnenblumensamen von ganz allein zu Boden fallen, stellte sich der Vogel einfach auf die Pflanze, um direkt an der einstigen Blüte zu naschen:

Stock Dove loves Sunflower seed

Gar nicht so weit von Rysum entfernt, nämlich auf dem gleichnamigen Nacken, entdeckte ich bereits am 7. September eine ganze Braunkehlchen-Bande, die entlang eines Wirtschaftsweges nach Nahrung suchte:


Whinchat on migration

Dass es sich bei diesem Ort ausgerechnet um den letzten Brutplatz des Braunkehlchens in Emden und einen der letzten in ganz Ostfriesland handelte, war eher Zufall. Zu diesem Zeitpunkt waren die heimischen Individuen längst abgereist, sodass ich mit Sicherheit schreiben kann, dass es sich bei den abgebildeten Vögeln um Durchzügler handelte. 

Am 30. September gab es die erste richtige Sturmflut des Herbstes:

heavy westerlies almost always cause a very high tide. At the end of september the water hit the dike while the saltmeadows in the background were completely flooded for the first time this fall

Wie ihr sehen könnt, reichte das Wasser bis an den Deichfuß, auf dem ich stand.

Die erste Sturmflut des Jahres ist auch immer die dramatischste, denn nur sie bringt all den Kleinsäugern und zum Teil auch Insekten, die sich im Laufe eines Sommerhalbjahres in den Salzwiesen angesiedelt und vermehrt haben, innerhalb kürzester Zeit den Tod. Gesehen habe ich vor allem Wühlmäuse, aber auch je ein Mauswiesel und ein Hermelin mussten an diesem Tag ihr Leben lassen. Wenn ich geschrieben habe, dass ich auf dem Deich stand, dann war das nicht die ganze Wahrheit, saß ich doch gemütlich in meinem Corsilein.

Es war schier unglaublich, aber überall tauchten Wühlmäuse auf, die sich schwimmend Richtung Ufer retteten. Es waren so viele, dass ich sie nicht gezählt habe. Eine machte unter meinem Wagen eine kleine Pause, um sich an diesem sicheren Ort das völlig durchnässte Fell zu putzen:




this exhausted Vole spec. had a rest underneath my vehicle, after swimming tons of miles

Andere hatten weniger Glück, denn natürlich war ich nicht der Einzige, dem die vielen Richtung Deich flüchtenden Mäuse auffielen:

many Gulls were looking for an easy meal, all these birds were looking exclusively for small mammals – same procedure as every year, when the first storm flood shows up

Und es waren keineswegs nur Großmöwen an der Jagd beteiligt. Auch Sturm- und Lachmöwen ließen es sich an diesem Tag so richtig schmecken:

Common Gull with prey 

likely the same

Eine glückliche Lachmöwe:

Black-headed Gull with vole

Auch eine durchreisende Sumpfohreule freute sich diebisch über das vermeintliche Manna, das diesmal aber nicht vom Himmel fiel:

Short-eared Owl in paradise 

Wahrscheinlich war sie felsenfest davon überzeugt, direkt im Eulen-Paradies angekommen zu sein – und wer könnte ihr das angesichts des verschwenderischen Überflusses auch verübeln.

Gleich mehrere Turmfalken, es handelte sich hier um die Mitglieder einer Familie, die sich schon seit geraumer Zeit an diesem Deichabschnitt aufhielt, waren irgendwann so satt, dass sie einfach nur noch im Gras oder auf dem Asphalt standen und staunten. Beim Anblick einer vorbeihuschenden Maus nickten sie zwar noch erregt mit ihren Köpfchen, unternahmen aber nicht mehr auch nur ansatzweise einen Versuch, sie zu erbeuten. Boah ey, nicht noch eine, so dachten sie bestimmt unter großem Bauchweh. Eine Maus eilte sogar direkt neben einem der Vögel durchs kurze Gras. Statt sie einfach zu ergreifen, sprang der Vogel angewidert zur Seite, um ihr Platz zu machen. Ich konnte das nachempfinden. Genau so fühle ich mich nämlich immer, nachdem ich ein ganzes Blech Pizza in zwei Sekunden hinuntergeschlungen habe. 

Plötzlich tauchte direkt vor meinem Wagen ein Feldhase auf!  

Der Himmel, der sich im Wasser spiegelte, war fast weiß, die Belichtung meiner Kamera falsch eingestellt. Der Hase erreichte das Ufer, schüttelte sich kräftig und raste dann den Deich hinauf, um auf der anderen Seite abzutauchen. Ich kontrollierte meine Bilder, doch sie waren allesamt völlig unterbelichtet. Ich ärgerte mich aber nur kurz, denn nur wenige Minuten später bekam ich eine zweite Chance. 

Es war unglaublich, aber wieder unmittelbar neben meinem Auto erschien ein zweiter Feldhase:






this European Hare was a good swimmer and escaped the flood

Ich wünschte ihm alles Gute, das rief ich ihm auch zu, als da plötzlich auch noch ein Fuchs die Bühne betrat!

Doch Füchse sind keine Hasen. Der Blödmann bemerkte mich natürlich gerade noch rechtzeitig und tauchte in der immer noch aus dem Wasser herausragenden Vegetation ab. Ich sah ihn später im Rückspiegel den Weg queren und dann den Deich erklimmen. Ich gehe davon aus, dass auch er sich ein richtiges Festmahl gegönnt hat an diesem denkwürdigen Tag. Interessanterweise sah ich keinen einzigen Mäusebussard auf der Seeseite des Deiches nach Mäusen jagen. Wahrscheinlich haben die ihren Einsatz einfach verpennt. 

Oh, wer bist denn du?

this secretive Corn Crake did the same (record shot)

habitat of Corn Crake

Seht ihr den Grasstreifen auf dem Bild zwischen Wasser und Asphalt?

Nur der Kopf eines Vogel war dort ab und an zu sehen, ohne dass ich etwas Genaueres erkennen konnte. Also fuhr ich mit dem Wagen etwas näher heran, um der Sache auf den Grund zu gehen, und war überrascht, als da ein Wachtelkönig neben meinem Auto stand! Es war für mich erst der dritte Wachtelkönig überhaupt in Ostfriesland, und in allen drei Fällen hat es sich um rastende Durchzügler gehandelt. Einer davon war mir sogar erst wenige Wochen zuvor auf dem Rysumer Nacken begegnet.

Dieser Wachtelkönig querte schließlich den Weg und schlich den Deich hinauf. Weil sich zwischen ihm und mir die Windschutzscheibe befand, konnte ich keine weiteren Bilder schießen. Ich genoss es einfach, ihn mit meinem Fernglas zu beobachten. Doch einfach war das nicht, entzog sich der Vogel doch sehr geschickt meinen Blicken, obwohl das Gras nur wenige Zentimeter lang war.

Lustig, gell? 

Ein wunderbares, absolut sehenswertes Video vom Wachtelkönig, aufgenommen in Weißrussland von Dmitry Yakubovich, gibt es hier zu sehen: klick!

Ja, einst war der Wachtelkönig auch in Deutschland ein häufiger Brutvogel. Weil wir Menschen aber so viele sind und jeden Quadratmeter bewirtschaften müssen, um satt zu werden, bleibt für den kleinen Vogel mit der schrägen Stimme kein Platz mehr. Er gehört zu jenen Arten, die in unserem hoch kultivierten Land kurz vor dem Aus stehen. In Osteuropa aber, in Polen und in Weißrussland z. B., ist die Welt noch eine heile, so aus naturkundlicher Sicht. Ich wünsche mir, dass das auch künftig so bleiben wird!

Mitte Oktober sonnten sich am Diekskiel gleich zwei verschiedene Libellenarten in einem Gebüsch aus Rotem Hartriegel:






male Migrant Hawker with male Southern Hawker 
 
Zuerst landete eine männliche Herbstmosaikjungfer direkt vor meinen Augen auf einem Zweig und dann auch noch eine Blaugrüne auf der ersten Libelle. 

Als ob es keinen anderen Landeplatz mehr gegeben hätte! Und nein, Kinners, es handelte sich hier nicht etwa um einen Angriff des größeren Tieres auf das kleinere, was bei Libellen durchaus vorkommen mag. Es ging wirklich nur darum, wärmende Sonnenstrahlen zu erhaschen, denn es war ausnahmsweise mal ein sehr kühler Morgen. Erst sehr viel später düsten die ersten Tiere durch die Luft, um nach kleinen Insekten zu jagen. 

Am 30. Oktober hielten sich zwei Singschwäne auf einem der Manslagter Teiche auf, die bereits am folgenden Tag wieder verschwunden waren:

Whooper Swan

Die Vögel waren sehr scheu, an gute Bilder deshalb nicht zu denken.

Hübsche Nonnengänse über der Emsmündung:

pretty Barnacle Goose 

Am 9. Oktober sah ich eine junge Steppenweihe bei Pilsum, die sich dort auch noch am nächsten Tag in großer Entfernung zeigte:


juvenile Palid Harrier 

Der Vogel tauchte so plötzlich neben meinem Auto auf, dass ich nicht einmal mehr die Zeit hatte, die versiffte Seitenscheibe zu öffnen. Tja, und dann war die Weihe auch schon wieder verschwunden. Als Fußballer würde man sagen: Erst hatte ich kein Glück. Und dann kam auch noch Pech dazu.

Ein beringter junger Steinschmätzer ließ sich am späten Nachmittag des 14. Oktober bei Pilsum auf dem Deckwerk blicken. Er war nicht besonders scheu, doch selbst aus geringer Distanz war der Ring einfach nicht abzulesen. Ich schoss sicherheitshalber einige Bilder und fertigte zu Hause Ausschnittvergrößerungen an, doch leider blieb ausgerechnet die letzte Ziffer unentschlüsselt:








Northern Wheatear at Pilsum, which was ringed already in September on the island of Helgoland

Immerhin kam dabei heraus, dass der Vogel zuvor auf Helgoland beringt worden war. Um welches Individuum genau es sich handelte, konnte mir der Beringer leider nicht schreiben, eben weil die letzte Ziffer entscheidend gewesen wäre.

Eine Ausschnittvergrößerung des Fußes (für die Fußfetischisten da draußen):


details – unfortunately I could not read the last number

Auch hier ging einfach nichts:

ringed Black-headed Gull of unknown origin

Diese blöde Lachmöwe in Norddeich zeigte mir immer genau denselben Ringausschnitt, um dann irgendwann einfach mit vollem Magen abzufliegen. 

Ich hasse Vögel!

Was zu viel Milchkaffee anrichten kann:


Brent Goose, two leucists

Diese beiden leuzistischen  Ringelgänse waren definitiv Geschwister.  

Zum ersten Mal sah ich sie am 24. Oktober im Watt vorm NSG Leyhörn. Dort hielten sie sich einige Tage auf, bis sie schließlich wieder verschwanden. Weil die beiden Vögel unverkennbar waren und Leuzismus auch bei Ringelgänsen kaum alltäglich ist, sollte es möglich sein, ihren Weg im Winterquartier genau zu verfolgen, sofern sie jemals wieder irgendwo auftauchen sollten. Ich vermute, sie befinden sich jetzt in NL.

Diese zwei Wanderfalken im Deichvorland östlich von Norddeich genossen die Oktobersonne:

two Peregrines

Zwischenzeitlich attackierten sie eine vorbeifliegende Rabenkrähe, indem sie immer im Wechsel zustießen. Um einen ernsthaften Jagdversuch kann es sich dabei aber nicht gehandelt haben, denn dann wäre die Krähe nicht so leicht mit ihrem Leben davongekommen. Eher ist es so, dass auch Greifvögel einem kleinen Spiel niemals abgeneigt sind. 

Im Hintergrund kann man übrigens Norderney sehen. So schemenhaft und so weiter. 

Der Gelbbrauen-Laubsänger von Norddeich sah so aus:

maybe the latest Yellow-browed Warbler ever for Germany showed up on 18th November at Norddeich

Ich ging durch den Kurpark und steuerte dort gerade den künstlichen Teich an, als mir in einer nur noch lückig belaubten Weide ein kleiner Vogel auffiel, der hastig von Zweig zu Zweig hüpfte. Ich dachte an ein Goldhähnchen, doch beim Blick durchs Fernglas traute ich meinen Augen nicht, denn tatsächlich handelte es sich um einen Gelbbrauen-Laubsänger! 

Zu dieser Jahreszeit wäre der sehr ähnliche Tienshanlaubsänger viel wahrscheinlicher gewesen – eine Art übrigens, die ich noch nie gesehen habe –, doch sprachen alle erkannten Merkmale gegen diese seltenere Variante, deren Areal sich vor allem über die zentralasiatischen Gebirgszüge erstreckt. Das Licht war sehr schlecht, der Vogel eher unkooperativ, obwohl er sich mir keineswegs scheu präsentierte. Doch leider zog er es vor, nahezu auschließlich in den obersten Etagen der Büsche nach Nahrung zu suchen, sodass die Perspektive nie wirklich gut war und der weiße Hintergrund die Fotos zu üblen Schnappschüssen mutieren ließ. 

Es war tatsächlich erst der zweite GBLS für mich in diesem Herbst (das schlechteste Ergebnis in Bezug auf diese sibirische Art, seit ich nach Emden gezogen bin). Vor meinem Spaziergang durch Norddeich hatte ich den GBLS für diese Saison längst abgehakt. Umso größer war die Freude über diesen jahreszeitlich deutlich aus dem Rahmen fallenden Vogel, der bis zum nächsten Tag in den Gebüschen am Kurparkteich blieb. Möglicherweise hat es sich sogar um den spätesten GBLS überhaupt für ganz Deutschland gehandelt. In der Avifauna der OAG Helgoland z. B. wird für die Insel als jahreszeitlich letztes Datum der 8. November genannt. Ob es in den darauffolgenden Jahren spätere Beobachtungen gegeben hat, ist mir nicht bekannt. Mir fehlen jetzt auch Lust und Zeit, alle auf die Avifauna folgenden Jahresberichte durchzustöbern.  

Es folgt eine Szene, die jeder Birder schon mal gesehen haben dürfte:


Common Sandpiper with Kingfisher

Ein Flussuferläufer pirscht sich in Zeitlupe an einen Eisvogel heran, um ihm in böser Absicht mit seinem langen Schnabel in die Seite zu piksen. Doch als Eisvogel ist man natürlich nicht blind. Wer Fische selbst in trübstem Wasser ausmachen und stoßtauchend erbeuten kann, der sieht natürlich auch, wenn sich da ein Arschloch von hinten annähert.

Ich will ehrlich sein: Den Flusuferläufer hatte ich zuvor selbst versehentlich am Ufer aufgescheucht. In Ermangelung geeigneter Schlammflächen stellte er sich nach mehreren Runden über den Teich einfach auf den dicken Ast. Aus großer Distanz schoss ich einige Bilder, weil das Licht so schön war und die verfickte Sonne noch nicht über die Baumkronen blinzelte. Mit Sonne im Rücken wäre es ein schreckliches Foto geworden, aber so finde ich es geradezu spitzenmäßig. Meine Bescheidenheit lässt es aber nicht zu, dass ich mich selbst lobe. Ihr aber seid geradezu dazu verpflichtet, ihr Nullnummern!

Und noch eine Beichte: Ich war so sehr darauf fokussiert, den Flusuferläufer scharf zu stellen, dass ich den Eisvogel erst bemerkte, als er abflog. 

Huaaah:


female Giant House Spider inmy shower

Auch dieses Bild zeigt eine Situation, die jeder Mensch kennt.

Ich ging nachts aufs Klo und sah diese riesige Große Winkelspinne in meiner Dusche. Obwohl ich hundemüde war, musste ich doch ein Belegfoto anfertigen. Ich meine, ich hätte sonst nicht wieder einschlafen können. Mit meiner Taschenlampe leuchtete ich das Tier an, um es dann mit der Knipse zu fotografieren. Mit dem integrierten Blitz wollten mir nämlich keine brauchbaren Aufnahmen gelingen; entweder waren sie zu dunkel oder aber hoffnungslos ausgeleuchtet. Am nächsten Morgen war das Biest wieder verschwunden.

Die Große Winkelspinne hat neben dem mit einem Pantoffel bewehrten Menschen nur noch einen Feind. Es sind die sehr langbeinigen und zarten Zitterspinnen der Gattung Pholcus, die man ebenfalls in jeder Wohnung finden kann. In meiner sind sie jedenfalls in großer Zahl vorhanden. Man traut es ihnen nicht zu, aber sie können die viel größere Winkelspinne aus sicherer Distanz so lange mit klebrigen Fäden bewerfen, bis diese bewegungsunfähig wird. Was dann folgt, kann sich jeder ausmalen. Ein Festmahl, wie es die Welt noch nie zuvor gesehen hat.

Guten Appetit.