Sonntag, 22. Dezember 2019

Ein vorweihnachtlicher Flussuferläufer besucht Manslagt

Ach, Kinners, was bin ich doch froh.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Endlich hat man Nägel mit Köpfen gemacht.

Das ewige Rumgeeiere hat ein Ende.

Am letzten Donnerstag (19. Dezember 2019) hat man es offiziell in den Nachrichten vermeldet: Die Bundesregierung hat beschlossen, den Abschuss von Wölfen künftig zu erleichtern.

Es ist nicht etwa so, dass mich diese Meldung überrascht hat. Im Grunde habe ich beinahe täglich mit ihr gerechnet, seit ein Wolfspaar im Jahr 2000 in der Muskauer Heide im fernen Sachsen zum ersten Mal seit über hundert Jahren für Nachwuchs in Deutschland gesorgt hat. Dass man den Wolf hier bereits im 19. Jahrhundert ausgerottet hatte, ist hinlänglich bekannt. Dass zwischen 1945 und 1999 insgesamt 30 aus dem Osten zugewanderte Wölfe illegalerweise abgeballert wurden, muss man nicht wissen. Ohnehin handelt es sich hier nur um die bekannt gewordenen Fälle; die Dunkelziffer dürfte um ein Mehrfaches höher liegen. "Schießen, schaufeln, schweigen", lautet nicht umsonst ein oft zitiertes Motto vieler Jäger.

Offiziell heißt es also bald, dass ein Wolf, der mindestens ein vorbildlich eingezäuntes Nutztier tötet, geschossen werden darf. Weil es sehr schwer bis unmöglich ist, einem speziellen Wolf eine bestimmte Attacke zuzuordnen, dürfen nach einem Übergriff auf Nutztiere innerhalb einer Region so viele Wölfe getötet werden, bis es nicht mehr zu Angriffen auf Schafe, Ziegen und Rinder kommt. Es handelt sich hier im Prinzip um nichts anderes als Sippenhaft.

Und es ist ein Freibrief, der es den Wolfsgegnern gestattet, die unbeliebten Spitzenprädatoren aus ihrem Umfeld zu beseitigen. Der Traum vieler Landwirte, Nutztierhalter und Jäger ist endlich wahr geworden. So viele Jahre haben sie geschrien, gebettelt und geweint und wahrscheinlich auch im Hintergrund einige Hebel in Bewegung gesetzt, um geltendes EU-Recht zu untergraben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass nach wie vor jeder einzelne Abschuss zuvor behördlich genehmigt werden muss.

Würde man es ganz böse meinen, und es gibt sehr viele böse Menschen da draußen, ließe sich ein Tatort sogar inszenieren! Ein Wolf reißt ein Dutzend nicht ausreichend geschützter Schafe? Kein Problem, man kann auch nach dem Angriff noch schnell einen Zaun errichten, um erst dann den Wolfsberater (oft sind das übrigens Jäger!) anzurufen. "Sie sehen, der Zaun ist hoch genug. Trotzdem ist er rübergesprungen." Ich befürchte Schlimmstes, habe immer Schlimmstes befürchtet. Die Dummheit der Menschen ist eben doch unantastbar.

Lob kommt vom Deutschen Jagdverband – warum wundert mich das nicht  –, und auch Olaf Lies (SPD) findet die neue Regelung ganz toll. Man habe endlich vernünftige gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen, um den Wünschen der Nutztierhalter nachzukommen und ihnen so eine Perspektive zu bieten, so der niederträchtige, äh – niedersächsische Umweltminister, der vielleicht in einem anderen Ressort besser aufgehoben wäre.

Was wohl in unserer geilen und naturfernen Republik los wäre, wenn ein Wolf tatsächlich mal einen Menschen anfiele? Immer wieder kommt es im Rahmen der sinnfreien Hobbyjagd zu tödlichen Unfällen, nicht selten waren in der Vergangenheit sogar Menschen betroffen, die mit der Jagd überhaupt nichts am Hut hatten. Doch in solchen Fällen heben die Lodenträger immer beschwichtigend ihre blutigen Hände und schieben den Opfern mindestens eine Teilschuld in die Schuhe. Ob sich ein Wolf in diesem Land auch so einen Fehltritt leisten dürfte? 

Ihr kennt die Antwort.

Hier mal ein Jäger, der das Ökosystem nicht ins Wanken bringt:

Great Grey Shrike (taken from the archives)

Auf dem Rysumer Nacken überwintert ein Raubwürger.

Das Gebiet ist weit und breit das einzige, das nicht intensiv bewirtschaftet wird. Für einen Raubwürger aus dem Norden ist es ein echtes Paradies. Allerdings zeigt das Foto ein Individuum, dass den Winter 2011/2012 am Großen Meer verbracht hat.

Der nächste Vogel überwinterte dort von Oktober 2013 bis in den März 2014 hinein:









another from the archives

Und jetzt zeige ich ein Bild vom aktuellen Raubwürger auf dem Rysumer Nacken:

this individual I shot few days ago

Am frühen Morgen des 31. Oktober stolzierte dieser Fasanengockel durch die Agrarsteppe der Krummhörn:

the only bird species hunters are really interested in

Es war einer der bislang ganz wenigen Tage in diesem Herbst, an denen die Temperature so richtig in den Keller fielen, wie man unschwer erkennen kann.

Ja, auch die niedlichen Sanderlinge sind längst wieder in Mitteleuropa eingetroffen. Diese dösende Gruppe fotografierte ich am Emsstrand auf dem Rysumer Nacken:








Sanderling

Der Sanderling brütet zirkumpolar in der Arktis.

Würden die Temperaturen in seinen tundrigen Brutgebieten infolge der Klimaerwärmung tatsächlich ansteigen, könnte er nicht mehr weiter nach Norden ausweichen. Dort befindet sich nämlich nur noch offenes Wasser. Die Klimaerwärmung stellt also eine echte Bedrohung vor allem für all jene Arten dar, die sich im Laufe ihrer Evolution an kühle Klimate angepasst und entsprechende Lebensräume erobert haben. Neben den Bewohnern arktischer Regionen wären auch jene hochalpiner Habitate als erste vom Temperaturanstieg betroffen. Auch sie könnten nicht in höhere Lagen ausweichen. 

Man mag sich das wirklich nicht vorstellen!

same flock













































climate change constitutes a true threat to many arctic species like Sanderling. Fortunately this bird doesn't know anything about it yet

Fliegende Sanderlinge:


















in flight

Einne kleine Gruppe von Singschwänen konnte ich am 29. November auf einer Wasserfläche in den Hauener Pütten entdecken:






































Whooper Swan

Auch sie stammen aus dem Norden, wenn auch nicht aus der Tundra,

Auf dem Foto kann man zwei Jungvögel erkennen und einen Altvogel (links). In der Krummhörn ist es in der Regel eher der ähnlich aussehende Zwergschwan, den man zu Gesicht bekommt. In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um durchziehende Trupps unterschiedlicher Größe. Rastende Gruppen sieht man hier eher selten und falls doch, dann handelt es sich meistens um nur wenige Individuuen, die hier nur wenige Tage verweilen.

Moin:













same family plus another adult

few Ruffs try to overwinter in Ostfriesland

Auf der anderen Straßenseite, nämlich auf einem Acker, der an die Pütten angrenzt, sah ich am 7. Dezember gleich 18 Kampfläufer (fünf davon sind auf dem Bild zu sehen), die sich in einem großen gemischten Trupp aus Goldregenpfeifern und Kiebitzen versteckten.

Noch bevor ich mit meinem Fernglas einmal komplett von links nach rechts schwenken konnte, um nach weiteren Kostbarkeiten zu suchen, flogen alle Vögel auf. Ein doofer Wanderfalke war für die Massenpanik verantwortlich, obwohl er sich nicht einmal auf der Jagd befand, sondern stattdessen einfach nur gemütlich Richtung Pilsum zog.

Glücklicherweise hatte ich sofort nach ihrer Entdeckung einige Belegaufnahmen von den Kampfläufern angefertigt. Immerhin überwintert diese Limikole normalerweise in Afrika, und auf der Verbreitungskarte auf Ornitho waren bundesweit nur nich ganz wenige weitere Feststellung eingetragen worden. Nichtsdestotrotz kann der Kampfläufer vor allem im Küstenbereich Norddeutschlands in kleiner Zahl überwintern, wie das auch schon vor einem Jahr der Fall gewesen ist.

Noch unwahrscheinlicher als ein winterlicher Kampfläufer ist ein Flussuferläufer zu dieser Jahreszeit:









first my second Common Sandpiper in winter 

Der hier gezeigte Vogel ruhte sich am 18. Dezember an einem der drei Teiche bei Manslagt aus.

Bis auf etwa zehn Meter konnte ich mich an ihn heranpirschen, um wenigstens eine Belegaufnahme hinzubekommen, dann flog der Flussuferläufer auf die andere Seite des Gewässers. Da waren einige Zweige im Weg, wie ihr unschwer sehen könnt, aber ich finde das toll, weil es dem Bild so ein bisschen was Geheimnisvolles verleiht. Noch witziger war, dass sich da ein einzelner Sonnenstrahl durch die Bäume gekämpft hatte und genau den Vogel ins rechte Licht setzte, während Hintergrund und Vordergrund im Schatten blieben. Leider wurde auch dieses verfickte große gelbe Blatt angestrahlt, das von dem Uferläufer ablenkt und so die Bildkomposition wieder etwas in Mitleidenschaft zieht. Nur eine halbe Minute später hatte jemand das Spotlicht wieder ausgeschaltet, aber da war die Limikole sowieso längst abgeflogen.

Tatsächlich handelt es sich hier erst um meinen zweiten Winternachweis eines Flussuferläufers in Deutschland. Auf der Verbreitungskarte auf Ornitho kann man sehen, dass sich zurzeit vor allem in der Südhälfte der Republik und hier besonders entlang des Rheins noch einige Individuen herumtreiben. Ein Einzelvogel harrt noch weiter im Norden aus als der von mir entdeckte und zwar bei Brunsbüttel.

Es folgt mein allererster Admiral in einem der drei Wintermonate:




this Red Admiral showed suddenly up at Rysumer Nacken last Tuesday constituting my very first specimen in winter 

Er flog am letzten Dienstag (17. Dezember) bei frühlingshaften elf Grad Celsius durch die Luft, um sich dann hoch im blattlosen Geäst eine Pause zu gönnen.

Dass der Admiral inzwischen dazu in der Lage ist, unseren mitteleuropäischen Winter heil zu überstehen, ist bekannt. Früher war es so, dass er alljährlich aus dem Süden zu uns einwandern musste, wenn er mal Deutschland bereisen wollte, ähnlich wie der nahe mit ihm verwandte Distelfalter, bei dem das auch heute noch so ist. Jedenfalls war ich echt überrascht, als der Falter da am weißen Himmel über mir auftauchte. Die Natur hat immer wieder großartige Überraschungen parat.

Überrascht war ich auch, als da plötzlich eine Waldmaus auf meinem Schreibtisch herumlief:

Wood Mouse trapped on my desk while watching youtube

Ich saß abends am Schreibtisch und schaute mir gerade eine Dokumentation über Armenien an, als da plötzlich diese Waldmaus wie aus dem Nichts auftauchte. Ich erschrak, weil ich sie nicht erwartet hatte, blieb dann aber regungslos sitzen, um sie zu beobachten. Sie war nicht scheu und hatte es auf einen kleinen Rest Christstollen abgesehen, dessen Duft ihr in die Nase gestiegen sein musste. Ich teile gerne, aber mein Hunger war nach wie vor groß. Zu groß, als dass ich etwas abgeben konnte. Ich stand auf und verscheuchte die Waldmaus, schaltete dann das Licht ein und sah nach, wohin sie lief. Doch sie war viel schneller als ich und nicht mehr auffindbar. Also setzte ich mich wieder hin.

Nur fünf Minuten später war sie schon wieder da! Abermals verscheuchte ich sie, um dann meine Lebendfalle zu holen und mit einem Köder zu versehen. Ich stellte sie einfach neben die Tastatur. Drei Stunden passierte nichts, und in einem Augenblick, als ich den Überraschungsgast schon längst wieder vergessen hatte, sprang die Maus plötzlich wieder hinter dem Monitor hervor. Ich musste schmunzeln, denn es war das erste Mal überhaupt, dass ich eine Maus dabei beobachten konnte, wie sie mir auf den Leim ging.

Und das aus nächster Nähe!

Zunächst versuchte das Tier, eine der Rosinen mit seinen Patscherhändchen durch die Stäbe hindurch nach draußen zu befördern, doch das wollte nicht klappen. Sie umrundete die Falle mehrfach, kletterte dann aufs Dach, wo sich auch ein Eingang befindet, und wieder hinunter. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie dem verlockenden Christstollen nicht mehr widerstehen konnte. Durch den Seiteneingang schlüpfte sie in die Falle, schnappte sich ein Stück vom Stollen, um ihn rasch wegszutragen. Sofort erkannte sie, dass da gar kein Ausgang war. Sie ließ die Beute fallen und wurde immer nervöser, beinahe sogar panisch.

Das war schließlich zu viel für meine schwachen Nerven.

same

Was soll ich schreiben, ich musste meinen Fernsehabend (Youtube) unterbrechen und Corsilein zu einer letzten Spritztour überreden. Es ging hinaus in die Agrarsteppe, wo ich die Waldmaus am Rande eines kleinen Gehölzes in die Freiheit entließ.

Ohne Christstollen.

Zu guter Letzt:


the best football club ever, the notorious VfL Osnabrück, is very successful this year in 2. Bundesliga!

Ja, der gute alte VfL Osnabrück überwintert nach der Hinrunde und einem Spiel, das bereits Teil der Rückrunde war, auf einem sagenhaften sechsten Tabellenplatz in der 2. Bundesliga! Das konnte man so nicht erwarten nach dem Aufstieg.

Ich fühle mich an frühere Zeiten erinnert, an die Saison 1986/87, als der VfL nach einer unglaublichen Hinserie auf einem zweiten Tabellenpatz überwintern durfte, hinter Hannover 96. Am Ende der Saison reichte es zwar nicht für den Aufstieg, aber immerhin für Platz sechs. Für mich war das seinerzeit die wohl beste VfL-Elf des Jahrhunderts mit großartigen Spielern wie Paul Linz, Günter Eymold, Oskar Bauer, Neale Marmon sowie einigen hochtalentierten Eigengewächsen wie Ulf Metschies, Ralf Heskamp, Dirk Gellrich, Paul Jaschke (leider inzwischen verstorben) und ganz besonders Andreas Helmer und Stefan Holze. Letzterer war damals mein Lieblingsspieler.

Mal schauen, was diese Saison noch für die Lila-Weißen zu bieten hat.

Eine Randnotiz: Die Wiesenhof-Werderaner überwintern in der Bundesliga übrigens auf einem Abstiegsplatz. Vielleicht ist das einfach eine gerechte Strafe. Ich meine, wenn man so einen Trikot-Sponsor hat.

Egal, ich wünsche allen Besuchern dieser Seite einige entspannte Tage ohne Stress, Streit, Hektik und seltsam beleuchtetes Tannengrün, dafür aber mit einem Lächeln auf den Lippen und hundertausend Kalorien erst auf dem Teller und dann im Körper, wie sie wahrscheinlich bereits ein einzelner Christstollen in sich birgt. Ich liebe den Marzipanstollen von LIDL, das kann man ja auch ruhig mal zugeben. Er schmeckt unglaublich lecker, ist allerdings auch tonnenschwer. Ein ganzes Exemplar sollte man jedenfalls nicht in zu kurzer Zeit aufessen. Es könnte nämlich sein, dass man dann nicht mehr aufstehen kann und den Rest der Feiertage im Sitzen verbringen muss.

Und deshalb verzichte ich heute auf die süße Sünde und werde stattdessen jetzt das leckere Käsebrötchen reißen, das da auf einem Teller neben der Tastatur liegt und mich bereits seit einer guten Stunde anlächelt.

In diesem Sinne!