Sonntag, 11. Juli 2021

Blutspende

Wenn ich etwas nicht mag, Kinners, dann sind das kniepige Menschen. 

Ich selbst besitze wenig, gebe aber gern.

Neulich hatte ich endlich mal wieder die Gelegenheit, meine samaritische Seite so richtig auszuleben.

Ich saß auf meinem geilen Klappstuhl auf dem Rysumer Nacken, um vorbeiziehende Vögel durchzuchecken, als ich plötzlich einen im wahrsten Wortsinn stechenden Schmerz in meiner linken Wade verspürte. 

Reflexartig schlug ich zu, doch das Biest, das es auf mein leckeres Blut abgesehen hatte, war sehr aufmerksam und schnell.

Schneller als ich jedenfalls.

Es landete auf der anderen Seite meiner Wade, nur um dort sofort wieder zuzustechen. Meine linke Hand hatte ich bereits wieder ausgeholt, als mir plötzlich etwas Besseres einfiel. Ich kramte meine Kamera aus dem Rucksack und schoss ein paar Bilder.

Eines der ersten sah so aus:


Stable Fly loves my blood

Dieser Wolf im Schafspelz, der bei oberflächlicher Betrachtung wie eine Stubenfliege aussieht, ist ein Wadenstecher.  

Und zwar ein weiblicher.

"Nimm dir ruhig, was du brauchst", sagte ich ganz ruhig zu ihm: "Ich habe genug von dem Zeug."

Und die Fliege nahm! 

Sie tankte voll, wie das nächste Bild eindrucksvoll illustriert:



completely filled up after only one minute 

Nach nur einer knappen Minute war ihr Abdomen prall gefüllt.

Und noch bevor ich abermals zuschlagen konnte, war die Wadenstecherin auch schon verschwunden. 

Und ich saß da und freute mich darüber, wieder einmal etwas Gutes getan zu haben. Wenig später sackte ich auf meinem Stuhl zusammen, weil ich nur noch eine leere Hülle war.

Der Wadenstecher ist auch in Mitteleuropa eine häufige Fliege. Im Gegensatz zu zum Beispiel diversen Bremsen attackiert er aber immer nur einzeln, maximal zu zweit. Ihn zu erschlagen, ist eine echte Herausforderung, denn das Tier besitzt ein unglaubliches Reaktionsvermögen. 

Es sticht nahezu ausschließlich in die Beine, besonders in die Unterschenkel – daher der Name. Wenn man aber auf dem Boden liegt, können auch Stiche in die Arme erfolgen. Ich erinnere mich in diesem Augenblick an eine Fotosession in South Carolina. Ich lag am Strand von Myrtle Beach und robbte mich langsam an rastende Seeschalben und Scherenschnäbel heran. 

Als ich endlich die richtige Distanz erreicht hatte, schoss ich ein Bild nach dem anderen, während ich mich mit den Ellbogen im Sand abstützte. Der Schmerz war kaum auszuhalten, aber ruckartig bewegen durfte ich mich in diesem Moment auch nicht, denn ich wollte ja die Vögel nicht aufscheuchen. Dutzende Wadenstecher mit sehr schlechtem Charakter nutzten meine Situation gnadenlos aus. Jene Individuern, die fertig waren, flogen ab und machten Platz für Neuankömmlinge, die nie lange auf sich warten ließen. 

Kinners, ich war wirklich froh, als ich meine Fotos schließlich im Kasten hatte und aufstehen konnte. Die saugenden Wadenstecher ergriffen die Flucht, die Vögel blieben zu meiner Überraschung ungerührt stehen. Ich hatte nicht ahnen können, dass sie keine Furcht vor Menschen besaßen.

In Deutschland, ich schrieb das bereits, sind mir solche Wadenstecher-Truppen nie begegnet. Und das ist auch gut so.

Gestern bekam ich eine überraschende und sehr schöne Mail zugeschickt:



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

this male Purple Emperor showed up the day before yesterday near Aurich. The beautiful butterfly was found and photographed by Herbert Janssen (Aurich)

Herbert Janssen aus Aurich teilte mir kurz und knapp mit, einen männlichen Großen Schillerfalter bei Georgsfeld beobachtet und mit seinem Handy fotografiert zu haben.  

Eine wirklich tolle Beobachtung, das schrieb ich ihm auch, denn ich selbst habe diesen eindrucksvollen und superschönen Schmetterling noch nie in Ostfriesland gesehen, trotz gezielter Suche. In den verschiedensten Waldgebieten habe ich es in den vergangenen Jahren mit Ködern versucht, so von stinkendem Käse bis Fuchskot und einmal auch an jenem Ort, wo Herbert jetzt fündig geworden ist, doch stets ohne Erfolg. 

Trotzdem ging ich nach wie vor von dem einen oder anderen Vorkommen aus, weil ich aus meiner alten Heimat wusste, dass das mit dem Anlocken nicht immer klappen muss. Genau genommen hat es bei mir noch nie geklappt, obwohl ich es auch an Orten probiert habe, an denen der Große Schillerfalter nachweislich vorkommt und wo ich ihn zuvor einige Male entdeckt hatte, wie zum Beispiel auf dem Flugplatz Achmer oder im Gehn (Landkreis Osnabrück). 

Es folgt ein dingfest gemachter abendlicher Besucher auf meinem Schreibtisch:


this Scotopaeus spec. visited me in the evening, when I was watching a video about Ji Jinping, which was already creepy enough

Anfang Juni saß ich vor meinem Bildschirm und schaute mir gerade eine Reportage über Chinas Staatspräsidenten Ji Jinping an, als ich eine kleine Spinne bemerkte, die gerade einen von mir errichteten Bücherturm erklomm. 

Mit einem Platikbecher und einer Postkarte machte ich mich auf, das Tier zu fangen. Doch es entkam. Glücklicherweise tauchte die Spinne aber nach nur wenigen Minuten wieder auf, doch auch diesmal scheiterte ich kläglich. 

Erst im sechsten Anlauf klappte es dann!

Schon im Halbdunkel hatte ich erkannt, dass es sich hier nicht um einen der üblichen Verdächtigen handeln konnte. Umso aufgeregter war ich während meiner Fangaktion, und mit jedem Fehlschlag wurde es spannender. Ich will ehrlich sein, ich hatte mit einem Hausdornfinger gerechnet, das ist eine Art, die sich gerade aufmacht, die Republik zu erobern, so von Süden her. Es wäre dann wohl der erste Nachweis für Ostfriesland gewesen, sehr wahrschelichlich sogar für ganz Niedersachsen. 

Bei Licht betrachtet, war die Enttäuschung groß. Nur eine Sackspinne, so dachte ich. Gelangweilt schoss ich ein paar Bilder und stellte diese in ein Forum, versehen mit der Bitte um eine genaue Bestimmung. Die Antwort sollte nicht lange auf sich warten lassen. Es war gar keine Sackspinne, sondern eine Plattbauchspinne. Beide Familien sind miteinander verwandt und ähneln einander so sehr, dass ein Laie wie ich auch schon mal falsch liegen kann. 

Das Tier ließ sich immerhin bis auf Gattungsniveau bestimmen (Scotopaeus), mehr war leider nicht möglich. 

Spinnen jagen mir keine Angst ein. Und weil sich diese Art besonders gerne innerhalb von Gebäuden aufhält, ließ ich sie gleich an Ort und Stelle wieder frei. Viel gruseliger als das Tier kam aus meiner Sicht der chinesische Staatspräsident rüber, dieser kalte Fisch mit dem maskenhaften Lächeln, der wohl den alten Traum von der Weltherrschaft wieder aufleben lassen möchte. 

Ich weiß, ihr werdet jetzt denken, dass der Staub im Glas, sichtbar gemacht durch das stark vergrößernde Makro, noch viel gruseliger ist.

"Lasst mich raus! Ich will frei sein!"

Dieses nachdrückliche Flehen drang vor einiger Zeit in mein Ohr, als ich mich gerade irgendwo bei Osteel befand und am Straßenrand nach interessanten Insekten fahndete. Es kam aus einer Richtung, in der ein verlassenes Gebäude stand. Oh Gott, so dachte ich, da wird jemand gegen seinen Willen festgehalten. 

Eine Entführung!

Sofort poppte Eduard Zimmermann in meinem kleinen Hirn auf. 

Ich starrte das Gebäude einige lange Sekunden mit weit aufgerissenen Augen an, bis mir endlich ein Licht aufging:

this helpless Rosebay Willowherb behind bars (actually behind a window of an abandoned building) was calling for help

Es war nicht etwa die Bachstelze auf dem Dach, die um Hilfe rief, sondern das Schmalblättrige Weidenröschen hinter der Scheibe!

Immerhin hatte es die Blume bis zur Blüte gebracht. Und ich sah jetzt auch keinen Grund, die Scheibe einzuschlagen und fremdes Eigentum zu bschädigen. 

So sieht übrigens ein Schmalblättriges Weidenröschen in Freiheit aus:


same species, but free

Aufgenommen erst heute Morgen auf dem Rysumer Nacken, wo zurzeit und wie in jedem Jahr große Bestände dieser Pflanze für mächtig Farbe sorgen. 

Im Gegenlicht:




same

Das Schmalblättrige Weidenröschen kann es bezüglich seiner Pracht und Anmut wirklich ganz locker mit jeder heimischen Orchidee aufnehmen, doch es teilt das Schicksal mit so vielen häufigen Pflanzen- und Tierarten, die kaum oder gar keine Beachtung finden, eben weil sie so häufig sind.  

Das Leben ist einfach nicht gerecht!

Achtung, jetzt wird's richtig eklig:


Myrmicine worker ants are capable to sting like a wasp – the result is shown in the picture

Ameisen gehören zu den Hautflüglern.

Und einige Vertreter haben auch tatsächlich einen Giftstachel, wie man ihn sonst eher von Wespen und Bienen kennt.

Wenn man sich in feuchtem Gelände aufhält, muss man damit rechnen, dass dort irgendwelche Knotenameisen vorkommen. Das sind so kleine, meist rötliche und halbtransparente Arschkrampen, die vor Schlechtigkeit nur so triefen. Mindestens einmal im Jahr attackieren sie mich. Die Folge sind dicke und zunächst steinharte Quaddeln, die erst schmerzen und später heftig jucken, im Prinzip vergleichbar mit einem Bienenstich. 

Im Endstadium bildet sich in ihnen Eiter, der irgendwann austritt und so dem finalen Heilungsprozess den Staffelstab in die Hand drückt. Bis ins letzte Detail gleichen die Symptome jenen, die man nach einem Feuerameisen-Angriff erleiden muss. Und das ist kein Zufall, denn auch die Feuerameisen gehören zur Unterfamilie der Knotenameisen!

Die Rote Feuerameise stammt eigentlich aus Südamerika. Der Mensch hat sie versehentlich nach Nordamerika verfrachtet, wo sie sich im Südosten der USA rasant ausbreiten konnte. In Florida zum Beispiel ist sie nahezu flächendeckend vertreten. Man muss dort wirklich jeden Schritt mit Bedacht setzen, vor allem dann, wenn man wie ich dazu neigt, barfuß zu laufen. 

Der Unterschied zu europäischen Knotenameisen besteht lediglich darin, dass die Feuerameise immer in großer Zahl und blitzschnell attackiert. Mit nur wenigen Stichen, wie sie mein Foto zeigt, kommt man auf der anderen Seite des großen Teichs jedenfalls nur selten davon.

Corsilein im Einsatz:



Corsilein, my lovely and loyal vehicle

Hier befindet sich mein liebes Auto am Rande der Manslagter Kleientnahmestelle.  

Aufgenommen habe ich das Bild am gestrigen Nachmittag, als ich noch einmal nach den beiden am Morgen von mir entdeckten Sumpfläufern sehen wollte. 

Leider waren sie bereits abgereist.

Schon am Freitag hatte ich dort einen einzelnen Sumpfläufer gefunden. Es war der allererste für mich in Deutschland! Er sah nicht mehr so prickelnd aus, weil er sich bereits im abgetragenen Prachtkleid befand. Farblich erinnerte mich der Vogel ein bisschen an Zartbitterschokolade, die ich auch nicht wirklich mag. Irgendwann flog er einfach auf und über den Deich. Und auch nach einer ganzen Stunde des bangen Wartens kehrte er nicht mehr zurück. 

Umso größer war meine Freude, als ich am ganz frühen Samstag-Morgen am selben Ort gleich zwei Sumpfläufer entdecken konnte! Ich meine, Ostfriesland ist nicht SH-Westküste, wo die Art alljährlich und zu beiden Zugzeiten beobachtet wird. Wir haben hier keine Köge und somit auch kaum für Limikolen geeignete Gewässer.

Und zu allem Überfluss soll die Kleipütte bei Manslagt noch in diesem Jahr wieder eingeebnet werden, wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe. Es wird von Seiten der Politik immer nur gefaselt. Blablabla, man wolle die Artenvielfalt erhalten und so weiter, doch tatsächlich geht es immer weiter und stetig bergab. 

In den letzten Jahren hat sich an diesem Ort was Schönes entwickelt, für einige geschützte Arten stellt die Kleientnahmestelle inzwischen ein wichtiges Refugium dar. Aber was bringt es, Arten unter Schutz zu stellen, wenn man ihnen am Ende doch wieder den Lebensraum nimmt?

Wieder kein schönes Ende heute; das tut mir leid.

Na ja, ganz zum Schluss gibt es immerhin noch eine schlechte Belegaufnahme von den beiden seltenen Gästen:


I proudly present my very first Broad-billed Sandpipers in Germany!