Montag, 27. September 2021

Die Gemeine Sichelschrecke, eine neue Art für Emden

Im letzten Bericht hatte ich großspurig zwei neue Arten für Ostfriesland angekündigt.

Ich glaube, ich habe untertrieben. 

Moin Kinners,

als ich vor fast genau vier Jahren in der Südheide der Gemeinen Sichelschrecke begegnete, da konnte ich noch nicht ahnen, dass sie mich mal hier in Emden besuchen würde.

Per E-Mail ließ mich aber schon damals jemand wissen, sie sei bereits auf dem Weg nach Ostfriesland.  

Tatsächlich hatte es schon lange vor meinem Tripp in die Südheide Nachweise aus Ganderkesee, Wildeshausen und Nienburg gegeben. Eine gedachte Linie zwischen den Kleinstädten Wildeshausen und Ganderkesee bildete seinerzeit also die bekannte nordwestliche Verbreitungsgrenze dieser Art.

Das war im Jahr 2011. 

Am 5. September 2021 spazierte ich am späten Nachmittag mal wieder über den Rysumer Nacken. Dumdidumdidum und so weiter.

Ihr wisst.

Ich ging gerade den Gassco-Zaun entlang, als unmittelbar vor meinen Füßen eine Sichelschrecke aufflog und etwa zehn Meter weiter wieder landete. Natürlich wusste ich sofort, wen ich da versehentlich aufgescheucht hatte, und so freute ich mich wieder einmal diebisch.

Es war ein hübscher Kerl:


male Sickle-bearing Bush-cricket, the first specimen ever found in Emden and likely in Ostfriesland

Ja, ich hatte die Gemeine Sichelschrecke tatsächlich erwartet.

Und ja, ich hatte sie ganz bestimmt auch exakt in diesem Gebiet erwartet!

Denn der Rysumer Nacken bietet dieser Schrecke die gewünschten Flächen, bestehend aus ungedüngten, ungemähten und ungespritzten Wiesen. Vom äußersten Westen Emdens aus ist es jetzt nur noch ein Katzensprung hinüber zu den geilen Inseln, die ein Paradies für die Sichelschrecke wären. 

Doch langsam, denn so schnell wird in Preußen nicht geschossen.  

Ich weiß nicht, wann genau es mit der Arealausweitung bei der Sichelschrecke losging. Ursprünglich war sie jedenfalls eine Art des Mittelmeerraums. Der Klimawandel schaffte für viele südliche Tiere wie aus dem Nichts neue Voraussetzungen, und wie schnell Tiere auf veränderte Bedingungen reagieren können, das zeigt uns eben auch die Sichelschrecke. 

Ein weiteres Bild:



within few decades this species has expanded her range from the Mediterranean as far North as Northern Germany, supported by the Human-made climate change

Es handelt sich hier sicher um einen Emder Erstnachweis.

Und sehr wahrscheinlich auch um den ersten Nachweis für Ostfriesland. Weitere Vorkommen sollte es aber schon geben, doch möglicherweise sind sie bis heute unentdeckt geblieben. Wie ich in der Südheide feststellen durfte, mag die Sichelschrecke nämlich auch die Randbereiche von Mooren.

Und Moore gibt es auf der ostfriesischen Geest noch einige!

Auf halber Strecke zwischen den genannten Städtchen und dem Rysumer Nacken befindet sich zum Beispiel das Stapeler Moor, aber auch in den Moorkörpern rund um Aurich könnte es bereits Sichelschrecken geben, auch wenn ich selbst dort bislang nicht fündig geworden bin. 

Auf dem Rysumer Nacken konnte ich trotz intensiver Suche keine weiteren Individuen finden, obwohl ich sogar mitten durch die Reitgraswiesen gelatscht bin. Das wiederum bedeutet, dass es möglicherweise noch ein bisschen dauern kann, bis sich dort eine überlebensfähige Population gebildet hat. 

Ein einzelnes Männchen reicht als Fundament jedenfalls nicht aus. Da müsste sich mindestens eine schwangere Dame auf die Reise machen.

Seht, ein Fuß wird gesäubert:


Ich kann es natürlich nicht belegen, aber es erscheint mir zumindest möglich, dass dieses Männchen genau an jenem Tag in Emden angekommen ist.

Es war sonnig und warm, ein leichter Ostwind sorgte für eine kaum spürbare Erfrischung. Niemand hat jemals eine ziehende Sichelschrecke gesehen. Niemand weiß, in welcher Höhe sie fliegen und welche Distanzen sie in einem Stück zurücklegen können. Ganz offensichtlich sind diese Tiere aber viel leistungsfähiger, als man es sich vorstellen kann. 

Die Sichelschrecke ist sehr elegant gebaut. Sie wirkt geradezu ultraleicht und fragil, und ihre langen Flügel erinnern an jene eines Segelfliegers. Das deutlich größere und schwerere Grüne Heupferd, das hier in Ostfrielsand und auch auf dem Rysumer Nacken sehr häufig ist, wirkt im direkten Vergleich mit ihr geradezu plump und schwerfällig wie ein Walross

Guckt mal:




all images show the same male

Der Lebensraum auf dem Rysumer Nacken:


habitat shot

Man sieht offene Bodenstellen, Strandhafer-Bestände und Sanddorn-Gebüsche im Hintergrund sowie bereits fruchtende Exemplare des Kanadischen Berufkrautes im Vordergrund, das in diesem Bereich des Gebietes sehr häufig ist.   

Was man nicht erkennen kann, sind die weiten Landreitgras-Wiesen, die sich links von mir befanden. Da kann man es als Sichelschrecke sehr gut aushalten.

Wäre da nicht die aus Sichelschrecken-Sicht so verfickte Heuschrecken-Sandwespe (im Folgenden einfach HSSW genannt), die ich nur wenige Wochen zuvor und nur ein paar hundert Meter weiter zum allerersten Mal für Emden und ganz bestimmt auch Ostfriesland nachweisen konnte!

Am 12. August 2021 saß ich auf meinem Klappstuhl auf dem Rysumer Nacken und beobachtete Bienenwölfe bei ihrer Arbeit, die darin bestand, Brutröhren zu buddeln und Honigbienen herbeizuschleppen (siehe den vorletzten Bericht). 

Plötzlich landete eine große, rot-schwarz gefärbte "Wegwespe" unweit von mir auf dem sandigen Boden. Nach kurzer Körperpflege eilte sie los, lief einige Schritte, um dann ein paar Meter zu fliegen, wobei sie so schnell durch die Gegend schoss, dass der Autofokus meiner Kamera kaum eine realistische Chance hatte. Im Grunde bewegte sie sich ähnlich wie die gleichzeitig anwesenden Gemeinen Sandwespen (siehe Bild unten und dort links), nur noch deutlich schneller. 

Ein übles Belegfoto:



first ever record of Sphex funerarius (right) for Ostfriesland (record shot of a fast moving female) in August 2021. Note the size compared with the female Ammophila sabulosa

So schlecht das Foto auch ist, es lässt sich alles erkennen, doch statt einen Blick in mein einziges Wespenbuch zu werfen, fragte ich in einem Forum nach.

Weil das Bild so übel war, erwartete ich erst gar keine Bestimmung bis auf Artniveau. Was ich nicht wusste, ist, dass die HSSW so einzigartig ausschaut, dass man sie im Grunde mit keiner anderen Art verwechseln kann. Und so trudelte die Antwort bereits nach wenigen Minuten ein: keine Wegwespe, sondern eben eine Sandwespe. 

Und zwar die wohl spektakulärste, die man sich nur vorstellen könnte!

Umgehend begann ich zu recherchieren. Das Netz ist ein nie versiegender Fundus, der einem wirklich viel Freude bereiten kann. Und so erfuhr ich schnell, dass die HSSW nur zwei Jahre zuvor zum ersten Mal überhaupt in Niedersachsen festgestellt worden war. Und zwar im fernen Osten des Bundeslandes. 2019 wurde diese thermophile Art zuerst im Wendland und nur wenig später zwischen Hannover und Hildesheim beobachtet und fotografiert. 

Im selben Jahr gelang übrigens auch der Erstnachweis für Schleswig-Holstein. 

Ein weiteres Foto, das sogar noch schlechter ist als das erste:




same

Trotzdem kann man auch aus dieser vermeintlich ungünstigen Perspektive alles erkennen, was für eine korrekte Bestimmung relevant ist: die rötlich-braunen Tarsen (Weibchen!), Färbung und Zeichnung des Abdomens, die dichte silbrig-weiße Behaarung des Thorax' sowie die dunkel abgesetzten Flügelspitzen. 

Ich schreibe es immer wieder: Belegfotos können nicht durch einen ellenlangen Text ersetzt werden. Und selbst eine auf den ersten Blick üble Aufnahme zeigt bei genauerer Betrachtung oft viel mehr, als man zunächst zu erkennen glaubt (vgl. auch die Doppelschnepfe in einem früheren Beitrag). Niemals sollte man ein Bild bereits im Feld löschen, immer lohnt sich ein Blick aufs Foto am heimischen Rechner!

Die HSSW ist eine Grabwespe, die Brutröhren anlegt und diese ausschließlich mit Langfühlerschrecken verproviantiert, die sie in der Regel fliegend transportiert (Heupferd wohl ausgenommen). Die Gemeine Sichelschrecke scheint so etwas wie eine Lieblingsbeute der HSSW zu sein, wenn beide Arten nebeneinander vorkommen. Manche Autoren vermuten deshalb, die HSSW habe sich quasi erst im Kielwasser der Sichelschrecke nach Norden ausbreiten können. 

Zweifel sind aber angebracht, vor allem deshalb, weil die HSSW bezüglich ihrer Beutetiere sehr plastisch ist. Nur lange Fühler müssen diese halt haben, mit Kurzfühlerschrecken kann sie jedenfalls nichts anfangen. Ein Fotograf aus Brandenburg schreibt zum Beispiel, die HSSW vor seiner Haustür erbeuteten ausschließlich Beißschrecken. Grundsätzlich müssen sich bei Anwesenheit der HSSW einfach alle Langfühlerschrecken in Acht nehmen, eben auch Heupferde und sogar Grillen

Noch ein unscharfes Belegfoto:



same

Aus den genannten Gründen vermute ich, dass sich Sichelschrecke und HSSW unabhängig voneinander ausgebreitet haben. 

Und ich bin wirklich gespannt darauf, wie die Geschichte weitergehen wird!

Denn leider habe ich das Anlegen von Brutröhren nicht beobachten können. Viele Stunden habe ich an den Wochenenden bei den Bienenwölfen verbracht, allein schon deshalb, weil ich nach der ersten Sichtung auf eine Rückkehr der HSSW gehofft hatte. Tatsächlich sah ich sie an allen Beobachtungstagen, aber immer nur für wenige Sekunden. War sie am ersten Tag noch auf der Sandfläche umhergelaufen und -geflogen, rastete sie an den folgenden immer nur bewegungslos für einen sehr kurzen Augenblick (siehe letztes Bild). Sie landete und einen Augenblick später hob sie auch schon wieder ab. Nie sah ich sie zweimal an einem Tag. Und leider konnte ich auch nicht ermitteln, an welchen Orten sie sich aufhielt, wenn sie mich nicht gerade bei den Bienenwölfen besuchte.

Aufgrund des Verhaltens gehe ich davon aus, dass es sich in allen Fällen um dasselbe Weibchen gehandelt hat, das ich letztmalig am 26. August beobachten konnte. 

Um das Ganze abzuschließen: Auf der schwedischen Insel Gotland existiert wohl schon seit Jahrzehnten ein isoliertes Vorkommen der HSSW. In Deutschland galt sie lange Zeit als verschollen, bis sie sich in den 90er Jahren des letzten Jahrhundets wieder auszubreiten begann. Damals gelangen viele Funde im Oberrheingraben im Südwesten der Republik.

Im Jahr 2021 hat es auch erstmals je einen Nachweis bei Westerstede und Bremen gegeben. Im Wendland und wohl auch bei Hannover sind weitere Beobachtungen auch von Bruten hinzugekommen, sodass man inzwischen von einer punktuellen Etablierung der Art im Osten Niedersachsens ausgehen kann.  

Zurück zur Gemeinen Sichelschrecke:



still the same male

Körperpflege ist essenziell:


Als Sichelschrecke ist man nicht nur beneidenswert schlank, sondern auch sehr beweglich:

Oh Gott, jetzt auch noch da hin:


Auch die Sichelschrecke hat längst Schleswig-Holstein und sogar die Insel Rügen erreicht.  

Im Dunstkreis der Nordsee ist sie aber wohl noch sehr selten. Eigentlich ist mir nur noch ein weiteres Vorkommen bekannt. Und zwar aus dem so genannten Schwimmenden Moor am Jadebusen.

Am 19. September 2021 war ich schon wieder auf dem Rysumer Nacken unterwegs. Unweit der Stelle, wo ich die Sichelschrecke entdeckt hatte, sah ich nun ein interessantes Gespinst, angelegt zwischen mehreren Fruchtständen des Landreitgrases.

Das Adrenalin trat mir förmlich aus den Augen, so aufgeregt war ich in diesem Moment. Ganz vorsichtig öffnete ich die Wundertüte mit meinen bloßen Fingern.

Huaaaah:

Yellow Sac Spider – first record ever for Emden

Jetzt hatte ich ihn endlich erwischt!

Der Ammendornfinger wich meinem Blick keineswegs aus. Stand the ground, so dachte er bestimmt, ohne allerdings eine Schusswaffe zu zücken, wie es etwa ein Südstaatler tun würde in einer vergleichbaren Situation (habe ich selbst mehrfach erlebt, und ich war das Opfer, bewaffnet nur mit einer Kamera!).

Ich war so von der Rolle angesichts dieser unglaublichen Entdeckung, dass ich am ganzen Körper zitterte wie ein Lämmerschwanz. Nur ein einziges scharfes Bild sollte mir deshalb gelingen, wozu auch der stürmische Ostwind seinen Beitrag leistete. 

Egal, so dachte ich, als Beleg reicht es allemal.

Ein totes Deichschaf:


Sheep, cause of death unknown

Es trieb im trüben Wasser in der so genannten Schweinebucht unmittelbar östlich der Knock. 

Ein paar Tage später sah es schon so aus:




few days later

Weder habe ich Gänsegeier noch Goldschakale am Strand gesehen, aber viele Fußspuren im Watt, die mutmaßlich von einem Rotfuchs stammten. 

Der wird das Schaf aber kaum selbst getötet haben. Möglicherweise ist es ertrunken, doch das ist natürlich reine Spekulation.  

Schnell noch eine weitere oder dieselbe Gemeine Winterlibelle vom Rysumer Nacken: 


another Common Winter Damselfly

Und eine süße Seidenbiene:



likely Colletes halophilus

Sie sonnte sich morgens neben ihrem Bau, den sie wiederum in einem Sandhaufen irgendwo in der Krummhörn angelegt hatte.

Und es war keineswegs nur eine Seidenbiene anwesend:


burrows of Colletes

Das Foto hatte ich zuvor am ganz fühen Morgen gemacht, als es noch dunstig gewesen war.

Noch ein Bild:


looks almost like a Sand Martin colony

Ich gehe davon aus, dass es sich hier um die Strandaster-Seidenbiene handelt, die ausschließlich in der Nähe von Salzwiesen vorkommen soll. 

Dort steuert sie vor allem die Blüten der hübschen Strandaster an, die wiederum so aussieht:



Sea Aster is the main food source for this bee species

Oder so:


same

Wenn diese Biene aber die Wahl hat, zieht sie den Blüten der Strandaster jene der Gemeinen Gänsedistel eindeutig vor! 

Auf den gelben Blütenkörben tummelten sich diese Bienen regelrecht, während die umstehenden Strandastern komplett ignoriert wurden. Waren keine Gänsedisteln erreichbar, und das ist in den Salzwiesen die Regel, wurden eben Pollen und Nektar auf den Blüten der Strandastern gesammelt. 

Der Sandhaufen mit den baffzigtausend Brutröhren ist nur wenige Tage später von einem Normalsterblichen (so nenne ich all die Menschen, die keinen Bezug zur Natur haben) entfernt worden. Die meisten Leute in diesem Land haben leider keine Augen im Kopf und keinen Blick für andere Erdenbürger und die fleißigen Seidenbienen deshalb den ganzen Hochsommer einfach mal so völlig umsonst malocht. 

Mir fehlen auch jetzt noch die Worte.


my very first Southern Oak Bush-cricket (a male)

Es war einem großen Zufall zu verdanken, dass ich die oben abgebildete Heuschrecke zum ersten Mal in meinem Leben zu Gesicht bekam. 

Ein aus einem Busch herausragender Zweig touchierte während der Fahrt irgendwann im September Corsileins Windschutzscheibe. Und zack, da stand das grüne Biest auch schon auf dem gläsernen Präsentierteller. Ich sah es zunächst von unten und hatte sofort einen Verdacht, der sich nach dem Abwürgen des Motors und dem schnellen Aussteigen aus dem Wagen auch erhärten ließ. 

Das Bild zeigt die erste Südliche Eichenschrecke meines Lebens!

Auch diese Art hat sich in den letzten Jahren rasant nach Norden ausgebreitet und längst auch die Ostsee erreicht. Entgegen ihrem deutschen Trivialnamen ist sie aber nicht etwa auf Eichen angewiesen, sondern kann eigentlich in jedem Gebüsch leben. 

Ganz nah am Geschehen:


same

Hübsch, oder?

Die Bilder entstanden übrigens (mal wieder) auf dem Rysumer Nacken und dort auf dem Parkplatz des Restaurantes Strandlust. Das passt wie Arsch auf Eimer, denn man hat nachgewiesen, dass diese im Gegensatz zur Sichelschrecke komplett flugunfähige Heuschrecke PKW, LKW und auch Züge nutzt, um mal andere Orte zu erreichen und was Neues zu sehen. 

Sie macht das allerdings nicht bewusst, aber das spielt natürlich keine Rolle. 

Der Fundort (mit den Büschen links im Bild):



habitat of Southern Oak Bush-cricket on a parking lot (shrubbery left hand side) right at the edge of the Ems estuary

Der Parkplatz auf dem Rysumer Nacken wird tagtäglich von Menschen aus dem ganzen Land, ja sogar aus der Schweiz und Österreich und anderen europäischen Staaten aufgesucht. Und in diesem Sommer habe ich dort sogar zum ersten Mal einen Kanadier gesehen, der mit seinem eigenen PKW nach Deutschland gekommen war. 

Wohl per Schiff.

Noch vor einigen Jahren war man davon ausgegangen, dass die Südliche Eichenschrecke nördlich der Alpen nur innerhalb von Städten überleben könne, doch längst hat sie sich auch außerhalb menschlicher Siedlungen etabliert. 

Nachweisen kann man sie ürbrigens ganz leicht, indem man Büsche im wahrsten Wortsinn abklopft. Die Tiere lassen sich dann fallen und können mit einem Netz oder einem umgedrehten Regenschirm aufgefangen werden. Ich selbst habe so etwas allerdings noch nie ausprobiert. 

Ich wette, diese Langfühlerschrecke kommt schon seit Jahren in Ostfriesland vor. Und vielleicht hat sie sogar schon jemand an einem anderen Ort im platten Nordwesten entdeckt. So etwas kann schnell untergehen. Ich meine, nicht alle Beobachter gehen mit ihrem Halbwissen so offensiv um wie ich.

Und wer freut sich besonders über die Ankunft der Südlichen Eichenschrecke?

Natürlich die geile HSSW. Ein Leckerbissen mehr für meine Blagen, so denkt sie bestimmt.

Schnell noch einmal das Bild vom angeblichen Ammendornfinger, diesmal in Farbe:


I was just kidding; the image shows indeed a Clubiona spec., which shows similarities with the Yellow Sac Spieder in shape and whole appearance, but is differently sized and coloured

Natürlich habe ich euch veräppelt. 

Kenner werden es sofort bemerkt haben, allein schon wegen der völlig anders, nämlich einheitlich dunkel gefärbten Kieferklauen. Im Feld konnte ich darüber hinaus noch eine viel geringere Größe ausmachen, sodass es kein Kunststück mehr war, einen Dornfinger auf der Stelle auszuschließen. Das Foto zeigt eine nicht näher bestimmbare Sackspinne aus der Gattung Clubbiona, die trotz ihrer oberflächlichen Ähnlichkeit nur entfernt mit dem Dornfinger verwandt ist. Beide Arten gehören innerhalb der so genannten Echten Webspinnen immerhin zur selben Teilordnung. 

Ihr seht, der allein durch uns Menschen ausgelöste Klimawandel kann echt spannend sein!

In erster Linie stellt er aber eine Bedrohung dar. 

Vor allem Tiere und Pflanzen kühler Klimate werden künftig zu den Verlierern gehören. Arktische und alpine Spezies können im Falle einer anhaltenden Erwärmung nicht weiter nach Norden oder in höher gelegene Bereiche ausweichen, weil da nur noch Wasser kommt und jeder Berg einen Gipfel und somit ein Ende besitzt. Eisbär und Edelweiß werden also wohl früher oder später aussterben, wenn sich wider Erwarten nicht doch noch etwas ändern sollte.

Und auf der Klimawandel-Abschussliste stehen zu meinem Bedauern auch fast alle Limikolen!

Wie etwa der niedliche Zwergstrandläufer:


juvenile Little Stint is threatened by climate change, like most arctic wader species

Fotografiert habe ich ihn am Strand der Schweinebucht. 

Maximal sah ich dort im September 2021 19 Individuen gleichzeitig, was schon für ein sehr gutes Zwergstrandläufer-Jahr spricht. Auf den Inseln sind sogar noch deutlich größere Trupp beobachtet worden mit bis zu 50 Vögeln!

Ich erinnere mich an einen Herbst auf der Helgoländer Düne vor ganz vielen Jahren. Seinerzeit hielten sich am Nordstrand knapp hundert Zwergstrandläufer auf, und ein Kenner der Insel bezeichnete diese Zahl schon damals als etwas ganz Besonderes. Tatsächlich bewegen sich die Rastzahlen bei dieser Art auf Helgoland im Herbst normalerweise im einstelligen Bereich.

Sechs auf einem Bild:


a surprisingly rare sighting in Emden and Ostfriesland: 6 Little Stints together. This fall I found up to 19 birds in one flock 

Ob künftige Generationen noch das Glück haben werden, so etwas Tolles zu beobachten?

Leider war es an diesem Tag sehr dunkel. Ich meine, das schwarze Brett an unserer Schule im letzten Jahrtausend war jedenfalls deutlich heller als der Himmel an diesem Tag. 

Und allein ist man in der Schweinebucht auch nie. Ich fühlte mich die ganze Zeit über beobachtet, während ich die am Spülsaum umherlaufenden Vögel im Auge behielt. 

Als ich mich umdrehte, wusste ich, warum:



chicas on the beach 

Sie wissen nicht, dass bald schon das Bolzenschussgerät auf sie wartet:

Die Gemeine Sichelschrecke profitiert also vom Klimawandel:


same as above

Sie weiß nichts von bedrohten Arten, von Eisbären oder Zwergstrandläufern. 

Das ist ihr Glück!

Da fällt es leicht, mal so eben einen Spagat der Lebensfreude zwischen den Halmen hinzulegen:



"Ich muss los, Frank", sagte sie ganz ruhig zu mir. 

"Mein Leben währt nur wenige Wochen, da kommt es auf jede Sekunde an. Und ich weiß noch nicht einmal, ob es hier auf dem Rysumer Nacken bereits passende Mädels gibt.

Die Sonne war bereits hinter den Büschen abgetaucht, als wir einander ein letztes Mal in die Augen sahen:



Ich wünschte meiner ersten ostfriesischen Gemeinen Sichelschrecke alles Gute, und dann machte sie sich auch schon auf den Weg:


Viel Glück! 

Und jetzt zu euch, liebe Kurzfühlerschrecken!

Glaubt ihr ernsthaft, ihr kommt einfach so davon?

Nee, nee, nee, ganz bestimmt nicht.

Der Klimawandel-Weihnachtsmann hat auch für euch einen passenden und ursprünglich ausschließlich südlichen Gegner in den Sack gepackt. Und man mag es kaum glauben, aber er hat sich auch schon auf den Weg begeben. Die ersten Nachweise liegen bereits seit 2019 aus dem Südwesten Deutschlands (z. B. Mainzer Sand) und den Niederlanden vor.

Im Lebenszyklus von Prionyx kirbii (einen deutschen Trivialnamen scheint es nicht zu geben) läuft eigentlich alles exakt so ab wie bei der HSSW. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied: Die neue Art ist ausschließlich auf Kurzfühlerschrecken spezialisiert.

Also auf euch.