wilde perspektiven

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Montag, 14. Mai 2012

Meine Freunde, die Regenpfeifer*

Gleich vorweg: Es geht hier nicht um den Mornell!

Am vergangenen Wochenende war ich mehrere Male an der Knock. Bei stürmischem Wind aus Nordwest und eher niedrigen Temperaturen gab es dort einige interessante Arten zu sehen, darunter auch eine, die mir bis dahin erst ein einziges Mal in Deutschland begegnet war, doch dazu später mehr.




























Gleich am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, das erste Foto, das einige der vom Wind gebeugten Bäumchen zeigt, die auf einer Weide zwischen Mahlbusen und dem Gasanlander Gassco den Rindern an heißen Tagen Schatten spenden.



Dieses Gelege fotografierte ich am Freitag auf der "Steinsteppe" neben dem Gassco-Gelände. Es ist das Gelege eines Sandregenpfeifers. Entdeckt hatte ich es schon am letzten Dienstag, doch an Fotos war da noch nicht zu denken, saß das Weibchen doch flauschig auf den Eiern. Am Freitag aber ging es los; unzählige Spaziergänger mit ausnahmslos nicht angeleinten Hunden scheuchten den ausgezeichnet getarnten Vogel immer wieder vom Nest, und einmal nutzte ich die Gunst der Stunde, um rasch ein Bild zu machen. Am Sonntag war dort bei inzwischen abflauendem Wind die Hölle los, doch es hat den Anschein, als ob dieses Regenpfeiferpaar die Eier bis zum Schlüpfen der Küken bebrüten darf. 

Und so sehen Sandregenpfeifer aus (für jene Menschen, die keine Vogelgucker sind):



Neunzig Individuen tummelten sich am Samstagabend bei ablaufendem Wasser im Watt direkt unterhalb des Emsstrandes. Dabei handelt es sich aber wohl zum größten Teil um nordische Durchzügler. Im Brutvogelatlas der Stadt Emden (Autor: Klaus Rettig, 2007 erschienen) ist von nur zwei bis drei Brutpaaren innerhalb der Stadtgrenzen Emdens die Rede, nicht gerade viele also, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Art im vergangenen Jahr nicht an der Knock gebrütet hat. Erstaunlich ist für mich aber allemal, dass dieses Paar sich einen so belebten Bereich für die Arterhaltung ausgesucht hat. Alternativen hätte es bestimmt gegeben.


Auch Nonnengänse sind noch anwesend. Am Freitagabend waren es an der Knock immerhin noch 240 Tiere, dazu gab es einige kleine Trupps der Ringelgans zu sehen, die in größeren Abständen vorbeiflogen, maximal waren es vierzehn.


Das sind die Spuren eines im Substrat stochernden Sanderlings. Nur noch vier waren es am Samstag. Dazu gab es zwei Zwergstrandläufer im hübschen rotbraunen Prachtkleid zu bestaunen. Weiter draußen im Watt waren kopfstarke Limikolenschwärme zu sehen. Unter anderen bereiten sich dort zurzeit Pfuhlschnepfen, Knutts, Alpenstrandläufer und Kiebitzregenpfeifer auf den anstrengenden Weiterzug in die nordischen Brutgebiete vor und hauen sich im Schlaraffenland Wattenmeer die Wampe voll.


Am Strand angekommen studierte ich zum baffzigsten Mal das Schild, das Besucher darauf hinweisen soll, dass das letzte Viertel des Strandes bereits nicht mehr betreten werden darf: Schutzgebiet! Aus Erfahrung kann ich sagen, dass sich kein Schwein daran hält. Viele dringen vor allem im Sommer noch meilenweit in die sich hinter dem Strand anschließenden Salzwiesen vor oder ein.


Unten links ist ein Seeregenpfeifer abgebildet, und oft habe ich mich gefragt, wieso. Ob diese Art mal hier gebrütet hat? Keine Ahnung. Bei den Menschenmassen, die hier vor allem an Wochenenden und sonnigen Tagen auftauchen, ist das aber eher unwahrscheinlich, gibt es hier doch wohl keinen Quadratzentimeter, der nicht im Laufe eines Tages betreten wird. Aber am Freitagabend staunte ich nicht schlecht:

Zwei Seeregenpfeifer, ein Weibchen (links), ein Männchen!

Nachtrag vom 17.05.2012: Winfried Daunicht (Börm/Schleswig-Holstein) weist mich darauf hin, dass auch der zweite Vogel ein Männchen ist, da es bei Weibchen so gut wie nie eine schwarze Begrenzung des Scheitels gibt. Darüber hinaus ist der Halsseitenfleck (das ungeschlossene Band) bei Weibchen nicht so dunkel, eher beigebraun und verwaschen begrenzt, und das wiederum bedeutet, dass der Vogel vom Folgetag wohl doch identisch mit dem "schlichteren" Männchen ist. Meine daraufhin durchgeführten Recherchen bestätigen das leider ;-) Kompliziert? Ich füge mich dem Urteil, freue mich aber auch mit angezogener Handbremse und zusammengekniffenen Lippen darüber, wieder etwas gelernt zu haben!

Auch Seeregenpfeifer, obschon für ein Leben am Strand gemacht, mögen keinen unnötigen Wind. Und so stellen sie sich einfach hinter dieses Wurzelzeugs, um ganz in Ruhe auf den breiten Ems-Ästuar zu blicken:

Kuckuck, hier bin ich:

Dies ist tatsächlich erst die zweite Sichtung dieser Art für mich - in Deutschland wohlgemerkt. Die erste gelang vor ungefähr zwanzig Jahren auf Baltrum, dort auf einer Muschelschillfläche nahe dem Hafen.

Ein kleines Stückchen robbte ich mich noch an die Vögel heran, obwohl sich schon das ganze Wasser der Ems in meiner Kleidung befand:


Es handelte sich hier nicht um Brutvögel, das sei schon mal geschrieben, denn bereits am kommenden Tag (Samstag) waren sie nicht mehr anwesend. 

Während das Weibchen sich nicht vom Fleck rührte, unternahm das Männchen immer wieder kleine Ausflüge:

Doch nach kurzer Zeit und nur wenigen Metern kehrte es stets zurück, weil der Wind einfach unerträglich war:

Wie die vorigen Bilder ist das schon eine Ausschnittvergrößerung, denn noch näher wollte ich den Vögeln nicht auf den Pelz rücken. Hinzu kommt, dass die Wolken immer dicker, das Licht somit immer schlechter wurde. Eine ganze Weile blieb ich aber noch liegen, einfach um die Vögel in Ruhe zu beobachten, denn wer kann schon sagen, wann es das nächste Mal wieder einen Seeregenpfeifer geben wird.

Ein letztes Bild vom Kerl:

Und hier das Weibchen:

Das war am Freitagabend. Der nächste Vogel tauchte am Samstagabend auf (am Morgen kein Seeregenpfeifer vor Ort):

Die Zeichnung, vor allem im Gesicht, spricht ganz deutlich für einen neuen, dritten Seeregenpfeifer! Man kann das hier gut mit dem obigen Weibchen vergleichen.

Als Seeregenpfeifer hat man es nicht leicht. Man braucht weite Strände mit angrenzenden Primärdünen, die möglichst menschenfrei sind. Und das gibt es eigentlich nicht! Und deshalb, neben klimatischen Veränderungen vielleicht, ist die Art in Niedersachsen inzwischen sehr selten geworden (aktuelle Zahlen sind mir nicht bekannt). Trotzdem hier noch etwas Statistik: Seit Mitte der 1950er Jahre sank der Gesamtbestand in Niedersachsen auf etwa zwanzig Prozent ab, und so konnten 1992 an den Hauptbrutplätzen der Region Watten und Marschen nur noch 56 Paare gezählt werden (Quelle: Die Vögel Niedersachsens, Herausgeber: H. Zang). Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Paare heute noch viel geringer ist.

Nachtrag vom 15.05.: Inzwischen weiß ich aus sicherer Quelle, dass es nur noch zwei Seeregenpfeiferpaare auf den Ostfriesischen Inseln gibt (Borkum), und auf dem Festland sieht es nicht besser aus!

Und auch der Sandregenpfeifer ist in den vergangenen Jahren in seinem Bestand deutlich zurückgegangen (auf Helgoland zum Beispiel steht er kurz vor dem Aus), sodass jedes Paar viel Aufmerksamkeit seitens des Artenschutzes bekommt. Und, wenn möglich, einen Korb. Während die Regenpfeifer durch die Maschen ein- und ausgehen können, bleibt größeren Vögeln wie Rabenkrähen und Silbermöwen der Zugang zum Gelege verwehrt:



Hier noch einmal der Strand bei starkem Wind aus Nordwest:

Andere interessante Arten gab es auch noch. Insgesamt 24 Steinschmätzer tummelten sich an der Knock, und ein Baumpieper sang am Rande des kleinen Gehölzes zwischen Strand und Gassco, zwei weitere in verbuschten Bereichen nördlich des Gassco-Geländes.

Letztere Art ist hervorzuheben, denn sie konnte letztmalig im Jahr 1991 brütend in Emden festgestellt werden! Brutverdacht aber gab es noch einmal im Jahr 2003 (Brutvogelatlas der Stadt Emden, Autor: Klaus Rettig). Die einst kahlen, inzwischen aber stark verbuschten genannten Bereiche dürften dem Baumpieper zugute kommen, und eines kann ich versprechen: Ich werde das im Auge behalten!

Übrigens: An Freitag und Samstag hatte ich erstmals das Vergnügen, alle drei in der Republik brütenden "Halsringregenpfeifer" innerhalb nur weniger Stunden zu sehen, denn im Wybelsumer Polder balzte an beiden Tagen ein Flussregenpfeifer.

Am späten Abend ging es ausnahmsweise einmal nicht über die Autobahn nach Hause, sondern durch die Innenstadt:







* Der Titel dieses Beitrags ist an das Buch Mein Freund, der Regenpfeifer von Bengt Berg angelehnt, das sich aber mit dem in den skandinavischen Fjälls brütenden Mornellregenpfeifer und dessen Zutrauligkeit gegenüber dem Menschen beschäftigt. Ich hoffe darauf, dass ich auch diesen Vogel eines Tages hier vorstellen kann...