wilde perspektiven

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Samstag, 27. Oktober 2012

Ein Isabellsteinschmätzer besucht Spiekeroog*

Eine Regel ist erst dann eine Regel, wenn es eine Ausnahme gibt, die sie bestätigt!

Die Regel, um die es hier heute geht: Ich twitche eigentlich nicht, weil ich meine Freizeit nicht so gerne auf der Autobahn verbringe. Trotzdem kann ich jene Menschen, die selten in Deutschland auftretende Arten besuchen, ihnen hinterherfahren, verstehen, weil man nur so die Möglichkeit hat, echte Traumvögel häufiger vor die Augen oder vor die Linse zu bekommen.

Hier aber nun die Ausnahme: Durch die Kunde vom Auftauchen eines Isabellsteinschmätzers quasi vor meiner Haustür war mein Hirn für wenige Stunden wie frisch formatiert und ließ mich meine Prinzipien zeitweilig vergessen.

Ich war also tatsächlich auf 




Die Überfahrt, die ich stilgerecht stehend an Deck verbrachte, konnte noch nicht so recht mit Spektakulärem aufwarten, doch immerhin gelang mir ein Bild von Brandenten, die im weiten Watt auf einem Priel dümpelten:

Common Shelduck

Im Hafen angekommen – das Schiff benötigte nur 50 Minuten für die Überfahrt von Neuharlingersiel bis zur Insel –, begab ich mich sofort zum Hubschrauberlandeplatz. Die wenigen Meter von der Anlegestelle bis dorthin legte ich ruhigen Schrittes zurück. Ich bin nicht gerannt und war wirklich froh darüber, dass sich der Vogel nicht für die Ostspitze Spiekeroogs als Rastplatz entschieden hatte.

Kaum war ich angekommen, sah ich ihn auch schon.

Deutschlands wohl erst fünfter Isabellsteinschmätzer stand wenig königlich auf einem Palettenstapel:


Isabelline Wheatear (probably the fifth record for Germany, certainly the first for Ostfriesland)

Der zutrauliche Vogel zeigte sich wenig beeindruckt. Er blieb zunächst einfach stehen und ließ mich gewähren. Diese beiden Bilder entstanden noch ohne den Einsatz von Mehlwürmern, doch das wollte ich natürlich ändern. 

Ich tat es, und das kam dabei heraus:

Der Vogel wurde immer zutraulicher! Fluchtdistanz nun: etwa zwei Meter.

Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich, sehr grob skizziert, vom Osten Rumäniens im Westen (alljährlich?) bis nach China im Osten. Als Langstreckenzieher verbringt der Isabellsteinschmätzer den Winter von Indien im Osten bis nach Afrika (südlich und östlich der Sahara) im Westen. Dieses Areal erklärt auch sofort das seltene Auftreten dieser Art in Deutschland, das eben völlig im Abseits liegt.

Alles meins (aus der Rubrik Was Isabellsteinschmätzer denken):


Isabelline Wheatear and his natural diet ;-)

Gefiederpflege:



Hier mal bei Halbsonne:

Da liegt doch was:

Hmmmh, was das wohl sein mag:

Und ob es sich vielleicht gut anfühlt:

Nicht schlecht, dachte der Vogel wohl und flog mit dem Stöckchen davon.

Entdecker des seltenen Gastes war Mathieu Waldeck (Hamburg), der zurzeit sein Freiwilliges Ökologisches Jahr als so genannter Orni-Zivi auf Spiekeroog absolviert (das Auszupfen von widerspenstigen Kartoffelrosen steht aber auch auf seinem Programm ;-).

Seinen Dienst war er erst im September angetreten und bereits wenige Wochen später sollte er diesen echten Knaller entdecken, den er dann auch sofort ins Netz stellte, um Interessierte über das überraschende Auftauchen des Vogel zu informieren!

Tagtäglich steuern gleich mehrere Schiffe die pittoreske Insel an. Die Abfahrtszeiten dieser Fähren sind tidenabhängig und variieren entsprechend:


Im Hintergrund Kontinentalostfriesland.

Menschen, die auf dieser Insel urlauben möchten, sollten wissen, dass es dort weder Autos noch offizielle Fahrradverleihe gibt. Trotzdem sind Fahrräder auf Spiekeroog alles andere als eine Ausnahme und allein im Hafen standen gefühlte fünftausend Stück herum. Es sind vor allem die Insulaner, die ihre Strecken auf der Insel mit dem Fahrrad zurücklegen, doch möglicherweise verleihen sie sie auch "unter der Hand" an ihre Gäste.

Im Oktober aber gibt es von denen nicht annähernd so viele wie zum Beispiel in den Sommerferien:

Das Licht war am Abend und dem darauffolgenden Morgen nicht immer perfekt. Immer wieder kam sogar die Sonne durch, und die sich ständig ändernden Lichtverhältnisse wirkten sich sehr stark auf die Färbung und sogar Zeichnung des Vogels aus.

Das folgende Foto zeigt den Isabellsteinschmätzer kurz nach Sonnenaufgang:

Zum Vergleich mal ein junger Steinschmätzer aus dem Herbst 2011, den ich damals in Emden-Wybelsum unter ähnlichen Umständen fotografieren konnte:

Northern Wheatear in comparison

Der sieht schon etwas anders aus, vor allem hinsichtlich der Struktur (u.a. kürzerer Schnabel und kürzere Beine). Aber man darf nicht vergessen, dass gerade junge Steinschmätzer äußerst variabel gefärbt sein können!

Im fahlen Licht zu etwas späterer Stunde, die Sonne hatte sich mal wieder verabschiedet, sah auch der Isabellsteinschmätzer sehr fahl, beinahe sogar gräulich aus, vor allem auf dem Mantel:


Man kann sich ihn richtig gut in einer Halbwüste oder Steppe vorstellen, so von der Färbung her, und vielleicht mit einem wuchtigen Wüstenwaran oder einer großartigen Halysotter als Nachbarn. Und tatsächlich sind das die bevorzugten Lebensräume dieser Art, wo sie sich in den allermeisten Fällen im Dunstkreis irgendeiner Nagerkolonie aufhält, deren zum Teil verwaiste Baue ihr als Brutstätte dienen.

Ein Bild vom Epizentrum seines Reviers (der Vogel steht auf der Palette):






Im Winterquartier sind die Reviere nicht größer als als etwa zwei Hektar, was auch beim Spiekerooger Vogel der Fall war. Tatsächlich aber begnügte er sich über den größten Teil des Tages sogar mit noch weniger Raum.

Wenn er mal nicht auf seiner Palette stand, dann lief er den Damm, der die Müllstation einfriedet, auf und ab, um Insekten zu erbeuten:



Auf dieser Müllstation befand sich mit ziemlicher Sicherheit auch sein Schlafplatz, in oder gar unter einem der dort stehenden Container.

Und obwohl der Isabellsteinschmätzer als Bewohner äußerst trockener Lebensräume nicht auf Wasser angewiesen ist – er nimmt es mit seiner Nahrung auf –, nutzt er die Gelegenheit zum Trinken, wenn sie sich ihm bietet.

Die kleine Pfütze ist auf dem Bild kaum zu erkennen:


Isabellsteinschmätzer sind Wartenjäger, die ganz gern etwas erhöht stehen, um den Boden (und auch die Luft) nach kleinen Beutetieren abzusuchen. Die Strahler des Hubschrauberlandeplatzes wurden immer wieder angeflogen:

Aber auch sonstige kleine Erhebungen blieben nicht lange ungenutzt (ich werde mein Fernglas nie wieder putzen):

Hier stand er mal auf meiner Kamera, um das Programmwahlrad zu bedienen:

Diese Digiscopie schickte mir freundlicherweise Joachim Oster (München) auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin zu.

Lieblingsplatz aber sollten auch in den kommenden Stunden der Palettenstapel und die umstehenden Sandsäcke bleiben:

Landschaftlich gleicht Spiekeroog den anderen Ostfriesischen Inseln wie ein Ei dem anderen. Wenigstens oberflächlich betrachtet. Es gibt Primär-, Grau- und Braundünen, einen Strand sowie den Heller, der im Frühjahr für viele Vögel einen wichtigen Brutplatz darstellt.

Etwas anders sieht es mit dem Baumbestand aus, denn die Insel kann mit richtig alten und knorrigen Kiefern und Eichen protzen; vor allem im Wald östlich des Ortes sieht es geradezu märchenhaft aus.

Und das Dorf selbst ist wirklich ein Kleinod, eine echte Augenweide, die man unbedingt mal gesehen haben sollte. Alte Friesenhäuser, die zum Teil mehrere Jahrhunderte erfolgreich den Unbilden des rauen Inselklimas getrotzt haben, enge Gassen, hübsche und nicht so sterile Gärten beeindruckten mich sehr!

Altbundespräsident Rau hat sich wohl nicht zufällig immer wieder diese Insel ausgesucht, um sich für eine erholsame Weile aus dem harten Politikeralltag auszuklinken. Leider kann ich hier keinerlei Eindrücke vom Ort wiedergeben (habe kein Weitwinkelobjektiv), doch für ein paar Landschaftsbilder hat es wieder einmal gereicht.

Ein Blick vom Westrand des Ortes nach Westen:




Einer vom Hubschrauberlandeplatz in Richtung Dorfrand:

Ein weiterer:

Ein Blick von der Aussichtsdüne nach Osten, über die so genannte Ostplate hinweg nach Wangerooge (Gebäude im Hintergrund):

Und wieder ein Blick nach Westen zum Hubschrauberlandeplatz:

Megatwitch consisting of five birders

Rechts neben dem großen Haus stehen fünf Menschen, die den Isabellsteinschmätzer aus gebührendem Abstand bewundern und fotografieren. Wenige Meter rechts von ihnen kann man den Palettenstapel sowie die Sandsäcke erkennen. Nur den Vogel sieht man auf diesem Foto nicht.

Meinen kurzen Aufenthalt nutzte ich natürlich auch zu einem ausgedehnteren Spaziergang über die Insel. Ich besuchte zum Beispiel auch den Strand bei Niedrigwasser, wo Austernfischer in einer gefluteten Senke rasteten:


Eurasian Oystercatcher

Im urigen Wald östlich des Dorfes begegnete ich Wintergoldhähnchen und Zilpzalp, die im Gezweig einer Eberesche auf der Pirsch waren und grundsätzlich nicht stillhalten wollten (ADHS-Syndrom?):

Goldcrest

Common Chiffchaff

Und eine Blaumeise suchte akribisch einen Ast mit loser Borke nach Beute ab:

Blue Tit

Darüber hinaus entdeckte ich einen sehr bekannten Wanderfalter, die Gammeule:

Silver Y

Auch nach meiner Rückkehr von der Erkundungstour war der Isabellsteinschmätzer natürlich noch anwesend. Er schien geradezu auf mich gewartet zu haben, was aber natürlich auch Einbildung sein kann:


Und wieder einmal Gefiederpflege:

Wenngleich der Isabellsteinschmätzer einem jungen Steinschmätzer unter Umständen sehr ähneln kann, so gibt es im Verhalten mindestens einen gravierenden Unterschied, der mir gleich auf den ersten Blick ins Auge sprang: Der Vogel wippte mit seinem Schwanz wie eine Bachstelze!

Zwar stand er auch schon mal einige Sekunden ganz ruhig und bewegungslos da, doch zumeist ohne ersichtlichen Grund ging das Wippen wieder los und steigerte sich bei Erregung sogar bis ins Unglaubliche. Und zwar nicht nur nach einem Ortswechsel.

Nach meiner Rückkehr nach Emden konnte ich im Handbuch doch tatsächlich die entsprechende Bestätigung, sogar denselben Vergleich finden. Das bedeutet, dass ich mir künftig einen entfernt stehenden, mit seinem Schwanz heftig wippenden Steinschmätzer genauer anschauen werde, sofern mir entsprechendes Glück beschieden sein sollte ;-)



Viele Stunden verbrachte ich auf diesem Hubschrauberlandeplatz. Viele sehr kurzweilige noch dazu!

Andere Menschen zogen es vor, an einer geführten Wattwanderung teilzunehmen:

Mudflat hiking in the evening

Die Hafeneinfahrt ohne Schiff:

Vögel bei der Nahrungssuche im Watt:

Birds foraging on tidal mudflats

Und dieser junge Turmfake, der sich permanent im Bereich des Hafens aufhielt, soll auch noch schnell vorgestellt werden:

Common Kestrel

Für den Isabellsteinschmätzer stellte er keine ernsthafte Gefahr dar, obwohl der Falke ihn bestimmt ganz gerne verspeist hätte. Ohne auch nur für einen einzigen Tag Kurtaxe gelöhnt zu haben, hat sich der tolle Vogel aus der Steppe nach seinem knapp einwöchigen Aufenthalt auf Spiekeroog inzwischen wieder klammheimlich im Schutze der Nacht aus dem Staub gemacht.

Sehr zum Leidwesen der ansässigen Beobachter. Aber schlimm ist es natürlich nicht, bietet sich doch jetzt die Chance, den Fokus auf die vielen anderen Zugvögel, die auf der Insel einen Halt einlegen, zu richten und vielleicht sogar einen weiteren spektakulären Fund zu tätigen. Der Herbst ist schließlich noch nicht vorbei, das Eisen somit noch heiß!

Tschüss, du hübscher gefiederter Tourist, der du (auch für uns) eine so große Distanz zurückgelegt hast. Alles erdenklich Gute für deine weitere Reise wünsche ich dir und dass dir die Menschen auch anderswo mit Bewunderung und Freude begegnen werden (bitte meide u.a. Italien und Malta oder besser gleich den gesamten Mittelmeerraum):





























Schön war es auf Spiekeroog!

Und natürlich spielte der geheimnisvolle Gast aus dem Osten eine wesentliche Rolle, war er doch schließlich auch der Grund für meine strapaziöse Anreise aus dem fernen Emden. Ich bin froh, diesen Vogel gesehen, ihn geradezu gespürt zu haben, und möchte mich ganz lieb bei Edgar Schonart (Spiekeroog) für Vorabinformationen bedanken, bei Joachim Oster für das überlassene Foto sowie ganz besonders bei Mathieu Waldeck, der sich jeden frühen Morgen die Mühe machte, die Anwesenheit des Isabellsteinschmätzers im Netz zu aktualisieren. Allen drei danke ich darüber hinaus für die interessanten und vor allem auch amüsanten Diskussionen auf dem "Bauhof für Arme"!

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