wilde perspektiven

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Donnerstag, 13. Juni 2013

Geliebtes und Ungeliebtes

Was für ein bescheuerter Titel!

Zunächst einmal ist es kein Geheimnis, dass die Natur mir sehr viel Freude bereitet, weil sie doch so grenzenlos ist, so überraschend. Wenn man nicht mit geschlossenen Augen durchs Leben geht, kann jeder Tag zu einem ganz besonderen Ereignis mutieren. Und deshalb beginne ich heute mit den positiven Momenten, die ich in den vergangenen Tagen in Bildern festhalten konnte.

Auf dem Rysumer Nacken kann man zurzeit ein ganzes Heer des Hauhechelbläulings bestaunen.

Hier eines der vielen Weibchen:

Female Common Blue

Es gibt sehr viele Bläuling-Arten, und zunächst tippte ich auf den Geißkleebläuling, doch jetzt bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich bei den gezeigten Tieren um den Hauhechelbläuling handelt, der aufgrund seiner Häufigkeit auch Gemeiner Bläuling genannt wird.

Am Abend, an kühlen Tagen auch schon am späten Nachmittag, suchen die Tiere ihre Schlafplätze auf. Nicht selten kann man dann sogar ganze Gruppen auf engstem Raum entdecken:



Die Raupen dieser Art ernähren sich von einer ganzen Reihe verschiedenster Schmetterlingsblüter. Auf dem Rysumer Nacken ist es wohl vor allem der Gewöhnliche Hornklee, der die Grundlage für das massenhafte Auftreten dieses hübschen Schmetterlings bildet und der auch gerne von den männlichen Faltern nach paarungsbereiten Partnerinnen abgesucht wird. Und die Bindung an die Futterpflanze ist sogar so groß, dass man auch die schlafenden Falter vor allem im Dunstkreis der Hornklee-Bestände finden kann. Je weiter man sich von ihnen entfernt, desto schwieriger wird es, einen dieser Bläulinge zu finden:


Bird's-foot Trefoil

Abschließend ein Männchen dieser Art: 



Male Common Blue

Ebenfalls am Dienstag (11.06.) sah ich den ersten Distelfalter des Jahres ebenda:

Painted Lady

Etwas abgeflogen sieht er schon aus. Und das darf nicht verwundern, denn ganz bestimmt hat er eine sehr lange Reise hinter sich gebracht. Distelfalter, die im Frühjahr und Frühsommer bei uns auftauchen, stammen nämlich mindestens aus dem Mittelmeerraum. Und deshalb bitte ich nun alle Besucher dieser Seite, einmal kurz aufzustehen und zu applaudieren!

Hier im Norden der Republik wird er zusammen mit einem weiteren Distelfalter für Nachwuchs sorgen (falls er nicht weiterzieht), der dann zu einem späteren Zeitpunkt des Jahres durch die ostfriesische Landschaft flattern wird, um dann entweder zu sterben (Frost) oder aber mit reichlich Glück in den Süden zurückzufinden.

Zwei weitere Individuen dieses Kosmopoliten konnte ich am Dienstag beobachten, des Weiteren diesen Burschen hier:






























 Small Heath

Das Kleine Wiesenvögelchen (auch Kleiner Heufalter genannt) ist die einzige wirklich häufige Art der Gattung Coenonympha in Nordwestdeutschland. Doch es würde mich nicht erstaunen, wären auch bei diesem Allerweltsfalter die Bestandszahlen rückläufig:

































Und schließlich fand ich ebenfalls auf dem Rysumer Nacken eine beachtliche Gruppe des Orangeroten Habichtskrautes:

Orange Hawkweed

Nachdem ich all diese bunten Gesellen im Kasten hatte, besuchte ich auf dem Rückweg noch den Wybelsumer Polder, wo ich dieses Foto machen konnte:


Redshank and Oystercatcher 

So sollte Sommer aussehen! Aber seit gestern ist es zwar noch warm, aber eben auch bedeckt. 

Die riesige Raupe des Weidenbohrers begegnete mir bereits vor zwei Wochen auf dem Rysumer Nacken:

Goat Moth caterpillar

Schon oft habe ich die Art im Raupenstadium gesehen, zumal ich ähnliche Lebensräume zum Beobachten bevorzuge wie der Falter, aber ihn selbst konnte ich bislang nicht ein einziges Mal feststellen. Er ist nämlich nachtaktiv.

Für die Eiablage wählen die Weibchen gerne kranke oder sogar bereits abgestorbene Weiden aus, wo sich die Raupen zunächst in der Rinde, später dann tiefer im Holz aufhalten, um dann nach einer mehrjährigen Entwicklung ins Freie zu kriechen, wo sie sich dann im Erdreich verpuppen.

An dieser toten Weide fand ich die Raupe:

Schnee im Juni:


So, jetzt kommt das Ungeliebte!

Am vergangenen Mittwoch war es nämlich wieder so weit; ich musste dem aufkommenden Grün vor der Hütte, in der ich residiere, mal so eben zeigen, wo der Hammer hängt. Etwa eineinhalb Stunden brauchte ich dafür, die Vegetation aus den Ritzen zwischen den Gehwegplatten zu kratzen und zu zupfen. Mein Rücken, dachte ich unentwegt, wird mein Rücken mich anschließend abstrafen? Auf nackten Knien rutschte ich über den steinigen Boden, um auch wirklich noch das winzigste Pflänzchen ausfindig zu machen. Löwenzahn, Klettenlabkraut, eine Spätblühende Traubenkirsche, eine junge Weide, Gras und Lebermoos setzten mir unter vielen weiteren Arten in dieser eigentlich eher kurzen Zeitspanne arg zu, und immer wenn ich aufstehen musste, um die armen Pflanzenleichen zusammenzufegen, ächzte mein Rückgrat so dermaßen laut, dass es auch die Nachbarn hören konnten. 

Vorher sah das so aus:

Mittendrin so:

Am Ende dann konnte man direkt vom Boden essen. Keimfrei, antiseptisch, deutsch:

Eine in voller Blüte stehende Akelei rührte ich übrigens nicht an.

Hier ein Teil der Pflanzenleichen:

Und hier mal ein Vergleich über den Gartenzaun hinweg. Rechts die von mir bearbeitete Fläche, links die des Nachbarn, wo man die Steinplatten nicht einmal mehr erahnen kann:

Und so ist auch geklärt, woher das ganze Grünzeug stammt, das sich auf unserer Seite ansiedelt. Rechtsanwälte verdienen riesige Summen mit solchen Nachbarschaftsstreitigkeiten, doch mir ist das eigentlich egal. Nur das Entfernen an sich geht mir einfach auf die Nüsse, weil man doch auch ein weiches Polster beseitigt, das einem im Falle eines Sturzes eventuell das Leben retten könnte ;-) Habt ihr das mal so gesehen?

Froh bin ich auch darüber, dass niemand mich während des Ausführens dieser sinnfreien Aufgabe gesehen oder gar angesprochen hat, wie es im vergangenen Jahr der Fall war, so vonwegen: "Ja, bei der Gartenarbeit, da kann man die Seele baumeln lassen. Sie ist ein echter Segen!"

Im Moment besitze ich noch keine Pumpgun, doch schon morgen könnte das anders sein. Ich meine, läge sie griffbereit neben mir auf den Steinplatten, geladen und entsichert, würden sich die Nachbarn und andere Passanten ganz bestimmt den einen oder anderen Spruch verkneifen. Einen Spruch wie den folgenden vielleicht: "Das wurde aber auch wirklich mal Zeit!"

Peng!

Hier die fiktive Nachricht dazu in der Emder Zeitung: "Beim Ausführen ungeliebter Pflegearbeiten auf dem Gehweg vor seinem Haus erschoss Edgar K. seine ungeliebte Nachbarin*. K. wurde in Gewahrsam genommen. Die Hintergründe der Tat sind unklar."

Richtig hätte es heißen müssen: "Beim Ausführen ungeliebter Pflegearbeiten auf dem Gehweg vor dem geilen Haus, in dem er wohnt, tötete Edgar K. seine Nachbarin durch einen gezielten Schuss ins Vakuum! Der auch noch Stunden nach der Tat wild tobende K. wurde aus Sicherheitsgründen nach Norden überführt. Die Hintergründe der Tat sind bislang ungeklärt."

Für Außerfriesische: In Norden befindet sich das Landeskrankenhaus!

Ich besitze weder ein Haus noch einen Garten. Hätte ich einen, befände der sich garantiert im ostfriesischen Outback, so ganz ohne Nachbarn, und er bestünde zu neunzig Prozent aus Wasser. Frösche lebten dort, vielleicht auch Kreuzkröten und Kuckucke. Tolle und bunt blühende Pflanzen würden das Ufer säumen. Ein Rasenmäher jedenfalls bliebe ohne jeglichen Sinn. Und ich gehöre nicht zu jenen Menschen, die sich durch die Erde wühlen, wenn Langeweile aufkommt. Trotzdem lese ich gerne in diversen Gartenblogs. Einer aus dem fernen Österreich ist besonders interessant, weil die Schreiberin lustig schreiben kann. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und zieht zum Beispiel in aller Öffentlichkeit über das schweinchenrosa Haus der Nachbarn her. Oder über neugierig und blöd über den Gartenzaun glotzende Menschen oder welche, die den Zaun nicht als Grenze anerkennen wollen und ungebeten hineinspazieren. Ich muss mich dann immer totlachen, wenn ich das lese, weil es mich an meine Kindheit erinnert. Eben an neugierige Nachbarn, die sich seinerzeit wahrscheinlich immer das Schandmaul zerrissen haben, wenn bei unserem Gehweg mal das Mindesthaltbarkeitsdatum um einen Tag überschritten war oder der Rasen bereits so aussah wie der Bart des genialen Paul Breitner während der WM 1982 in Spanien. Etwas zeitverzögert möchte ich all diesen Mitläufern, die sich so gerne mit dem Leben anderer beschäftigen statt mit ihrem eigenen, zurufen: Vielleicht gibt es noch wichtigere Dinge als Löcher in den Jeans oder wild wuchernde Gräser auf dem Gehsteig!

Übrigens hat meine liebe Mutter im Zusammenhang mit mir stets gesagt: "Arbeit, geh weg, ich komme."

Ich betrachte es als Kompliment. Das passt. Dem ist nichts hinzuzufügen.


* Das mit der Nachbarin habe ich mir natürlich nur ausgedacht! Denn sie hat mich nicht zum Reinigen des Gehweges gezwungen, dass das mal klar ist.