wilde perspektiven

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Donnerstag, 10. Oktober 2013

Gelbbrauen-Laubsänger besuchen Emden

Im letzten Beitrag erwähnte ich quasi so nebenbei die Beobachtung eines Gelbbrauen-Laubsängers (im Folgenden GBLS) am 26.9. in einer Hecke an der Knock. Am frühen Morgen hatte ich dort einen Gartenrotschwanz fotografiert und mich dann dazu entschlossen, eine kleine Frühstückspause in meinem wenige Meter entfernt stehenden Wagen zu machen. Ich kurbelte das Fenster herunter, aß mein Käsebrötchen, rauchte gleichzeitig eine Zigarette und staunte nicht schlecht, als da unmittelbar vor meinem Tarnzelt ein GBLS im Gezweig herumturnte.

Pech gehabt, dachte ich nüchtern, denn die Kamera hatte ich im Versteck gelassen. Und weil der Vogel nach seinem wenige Sekunden andauernden Auftritt wieder im Nichts verschwand und auch eine lange Nachsuche keinen Erfolg einbrachte, existieren von diesem Tier leider keine Bilder.





Record shots: Yellow-browed Warbler - rare visitor from Siberia (Dutch: Bladkoning ;-), 10/10/2013, Emden-Wybelsum*

Im Anschluss an diese Beobachtung gab es eine einwöchige Oststurmphase, die das Beobachten am frühen Morgen nahezu sinnlos werden ließ, weil es grundsätzlich bescheuert ist, wenn der Wind exakt aus jener Richtung kommt, in der die Sonne aufgeht.

Als diese Woche dann endlich ein Ende gefunden, der Wind wieder auf westliche Richtungen gedreht hatte, keimte in mir erneut die Hoffnung auf, einen weiteren GBLS zu entdecken, zumal die Art bis zuletzt an anderen Orten und vor allem im Bereich der Nordsee immer wieder aufgetaucht war.

Heute dann machte ich mich etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang auf den Weg zum Rysumer Nacken, wo ich unweit des Strandes die unverkennbaren Rufe eines GBLS aus einer Salweide heraus hörte.

Und zwar hier:


This willow harboured two Yellow-browed Warblers

Ich gebe zu, dass es mir speziell bei dieser Art schwerfällt, den Vogel anhand seines dünnen Rufes zu lokalisieren, weil mein rechtes Ohr nahezu taub ist. Heute aber klappte es sofort. Ich lief zum Busch, fand schnell den Vogel und zu meiner großen Überraschung gleich einen zweiten!

Das Bild ganz oben zeigt einen der Vögel. Da der andere noch mehr auf Deckung bedacht war, entschied ich mich dafür, mich auf diesen einen GBLS zu konzentrieren:

Nach nur wenigen Belegaufnahmen verstummten beide Vögel abrupt. Und weil sie sich inzwischen noch tiefer ins Innere des Busches zurückgezogen hatten, verlor ich sie komplett aus den Augen. Auch diesmal erbrachte die Nachsuche keinen Erfolg. Darüber hinaus kamen dunkle Wolken aus Nordwest auf mich zugeflogen, sodass ich mich in meinen Wagen zurückzog, um den Schauer abzuwarten.

Danach kehrte ich zum Buschland nahe des Strandes zurück. Kaum war ich angekommen, hörte ich wieder die Rufe der zwei GBLS, diesmal etwa hundert Meter vom Entdeckungsort entfernt. Und jetzt turnte einer der Vögel sogar völlig frei am Rande des Gebüsches herum. Leider vermasselte ich mir auch diese wohl einmalige Gelegenheit, denn beim Herausziehen der Kamera aus dem Rucksack verstellte sich unbeabsichtigt das Programmwahlrad von AV nach M (Canon-Ingenieure, ändert das! Ein einfacher Knopf im Zentrum des Rades, den man drücken muss, um das bescheuerte Rad überhaupt drehen zu können, würde das Problem bereits lösen).

Alle Bilder, die ich machen konnte, waren hoffnungslos überbelichtet. Und weil ich mich so sehr auf den Vogel und aufs Scharfstellen konzentriert hatte, bemerkte ich das erst, als der GBLS wieder im Blätterdach verschwunden war und ich endlich die Resultate auf dem Display überprüfen konnte:









Ich habe sie deutlich dunkler gemacht und in Graustufen umgewandelt, sodass es sich jetzt wenigstens um Kunst handelt!

Ein letztes Bild:

Abermals bahnte sich ein Unwetter an, das sich aber diesmal als langwieriger herausstellte. Ich fuhr also enttäuscht nach Hause und schaute mir am Rechner die Bilder an, die so sehr viel besser hätten sein können. Telefonisch informierte ich Sabine und Rolf Baum (Hinte) über die Entdeckung der Vögel, und weil es wider Erwarten plötzlich aufklarte, verabredeten wir ein Treffen auf dem Rysumer Nacken. Schön war es dort unter der Nachmittagssonne, aber die GBLS wollten sich nicht noch einmal dem interessierten Publikum zeigen. Leider.

Diese Feststellungen waren nicht die ersten für Emden, denn bereits am 8.10.2012 konnte Klaas Felix Jachmann einen Vogel im Wybelsumer Polder beobachten: Hier geht es zum Foto!

GBLS brüten in der sibirischen Taiga und überwintern in Südostasien (Karte und Rufe). Das Areal reicht in einem schmalen Keil bis an den Nordural heran, ohne aber europäischen Boden zu berühren. Deutschland liegt somit völlig abseits des eigentlichen Vorkommens dieser Art, doch trotzdem tauchen GBLS alljährlich und zur Freude vieler Vogelgucker in Mitteleuropa auf. Die Superinsel Helgoland nimmt auch hier wieder eine Ausnahmestellung ein, doch vor allem in diesem Jahr konnten GBLS an vielen weiteren Orten in Deutschland festgestellt werden, wie man auf dieser Karte bei Ornitho.de eindrucksvoll erkennen kann: Karte.

Vor allem aber in Bezug auf die Anzahl ist das Auftreten des GBLS in diesem Herbst einzigartig, geradezu unglaublich. Vielleicht nie zuvor sind so viele Individuen dieser Laubsänger-Art in Deutschland festgestellt worden. Ein Vergleich: Auf Helgoland wurden 2009 während der gesamten Wegzugsperiode 43 Individuen gefunden (wird als sehr gutes Jahr bezeichnet), 2010 waren es immerhin 26. Im September 2013 aber hat es Tage mit über 60 Vögeln gleichzeitig auf dieser Insel gegeben. Einzigartig!

Das starke Vorkommen auf Helgoland darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der GBLS auf dem Kontinent nach wie vor ein ganz besonderer Vogel ist; die Verhältnisse auf dem roten Felsen lassen sich nicht einfach auf das Festland übertragen. Wenn sich zum Beispiel auf der Insel an einem Tag Ende September 2013 zehn Zilpzalpe und gleichzeitig 60 GBLS aufhielten, dann müsste ich an solchen Tagen, wenn ich etwa 20 Zilpzalpe allein in der Hecke an der Knock zählen konnte, unglaubliche 120 GBLS übersehen und überhört haben. Das aber ist völlig absurd. Darüber hinaus zeigt ein Blick auf die oben verlinkte Karte, dass im gesamten deutschen Ostseeraum nur einzelne GBLS beobachtet wurden (wohl Greifswalder Oie), obwohl es dort sicher nicht an Beobachtern mangelt.

Vielleicht (jetzt wird das Eis eher dünn) ziehen GBLS die unglaubliche Distanz von Sibirien nach Mitteleuropa in einem Stück und in einem recht engen Korridor. Die Ostseeküste ist kein Hindernis für sie, doch schließlich stoßen sie auf eine riesige Barriere, die Nordsee, und denken dann: Scheiße, was muss ich tun? Ein Teil geht runter, landet vor allem auf den Inseln, ein anderer Teil zeigt sich entschlossen und schreckt nicht davor zurück, aufs Meer hinauszuziehen. Letzter Anker vor Großbritannien: Helgoland. Alle diese Vögel aber wollen keine Ruhe finden und verlassen sogar ihren sicheren Rastplatz, um dem unwiderstehlichen inneren Drang nachzugeben. Auch die Emder GBLS waren bereits nach kurzer Zeit unauffindbar. Wahrscheinlich ziehen sie immer weiter, nach Großbritannien und Irland und am Ende hinaus auf den Atlantik, wo sie vielleicht irgendwann erschöpft ins kalte Wasser fallen und ertrinken oder aber von einer Ringschnabelmöwe verschlungen werden. Doch wo wäre dann der Sinn, und was ist die Ursache?

Ich kann so eine Frage natürlich nicht beantworten, doch unabhängig davon war es ein tolles Erlebnis für mich, diesem klitzekleinen Vogel, der so unglaublich lange Strecken zurückzulegen vermag, hier in meinem Emden zu begegnen. Ich konnte heute für wenige Minuten den Hauch der Taiga spüren!

Inzwischen dürften die beiden Gelbbrauen-Laubsänger aber diese Buhne am Emsstrand in Richtung Niederlande überquert und Emden somit leider verlassen haben:

In the meantime the Yellow-browed Warblers have probably crossed the Ems estuary and therefore the Dutch border...


* Auf den beiden ersten Suchbildern befindet sich der Vogel jeweils im Zentrum des vierten Quadranten.