wilde perspektiven

wilde perspektiven

Freitag, 14. Februar 2014

Es tut sich was

Ist es nicht schön, in einem Land mit echten Jahreszeiten leben zu dürfen?

Ich meine, am Äquator ist es (in tiefen Lagen) das ganze Jahr warm, es gibt keinen Schnee, alle Tage des Jahres sind gleich lang, und schließlich ist das Wetter immer identisch. Es gibt nicht einmal eine lange Dämmerungsphase; die Sonne stürzt sich allabendlich wie depressiv ins Meer, um sich nach einer langen Nacht kanonengleich in die Luft zu katapultieren.

Langweiliger könnte eigentlich nur noch ein ganzer Tag auf dem Sofa und vor der Glotze sein. Wie, bitte schön, sollten unter solchen Bedingungen Frühlingsgefühle aufkommen? Wie könnte man an einem solchen Ort behaupten, man habe den langen Winter endlich hinter sich gebracht? Ist ein Leben unter Palmen nicht eher etwas für Warmduscher?

Im bitterkalten Emden ist alles anders. Hier zum Beispiel singen viele Arten wie Heckenbraunelle, Kohlmeise, Singdrossel und Gartenbaumläufer erstmals nach langer Durststrecke nur deshalb wieder, weil die Tage endlich spürbar länger werden. Vögel haben in dieser Hinsicht einen viel feineren Sinn als wir Menschen, denn obwohl sie im Gegensatz zu uns nicht die Möglichkeit haben, die Tageslänge im Netz zu recherchieren, fangen zum Beispiel Kohl- und Blaumeisen pünktlich mit der Wintersonnenwende an, ihren Reviergesang vorzutragen - passables Wetter vorausgesetzt.

Aufkommende Frühlingsgefühle und daraus resultierende Streitigkeiten mit den Nachbarn lassen die Vögel immer wieder unachtsam werden. Der großartige Sperber weiß das für sich zu nutzen, denn auch mitten in der Stadt kann der gefiederte Kleinvogeltod jederzeit auf schnittigen Flügeln rasant ums Hauseck geflogen kommen und eine abgelenkte Amsel überrumpeln:


Eurasian Sparrowhawk

Einem Sperber bei der Jagd durch Häuserschluchten oder dichtes Gehölz über die Schulter zu blicken, ist mit das Aufregenste, was man draußen im Outback erleben kann. Diese unglaubliche Wendigkeit bei gleichzeitig hoher Fluggeschwindigkeit sowie das blitzschnelle Reaktionsvermögen suchen in der Natur ihresgleichen. Doch trotz dieses Reaktionsvermögens verunglücken immer wieder einzelne, auf die fliehende Beute konzentrierte Sperber, wenn sich ihnen allzu plötzlich ein Hindernis in den Weg stellt und ihnen das Genick bricht.

Im Winter werden Sperber geradezu magisch von Futterhäusern angezogen, ohne dass sie sich für Sonnenblumenkerne oder Meisenknödel interessieren. Ganz allgemein kann man diesen ansonsten eher heimlichen Greifvogel immer dort erwarten, wo sich größere Ansammlungen kleinerer Vögel aufhalten. Weibliche Sperber wie dieser hier können Beutetiere niederringen, die so groß sind wie sie selbst. Das Spektrum reicht somit vom Haussperling bis hin zu Elster, Kiebitz oder Türkentaube (habe alle drei letzteren Varianten bereits mehrfach gesehen).

Der hier vorgestellte vorjährige Vogel hatte auf dem Friedhof Tholenswehr eine männliche Amsel erbeutet, die er anschließend neben dem Weg und zwischen zwei Gräbern (in einem ruht ein Herr Grasmück!) rupfte. Kaum hatte ich die ersten Bilder im Kasten, kam zufällig einer der Gärtner vorbei und scheuchte den Sperber versehentlich auf, ohne dass dieser auch nur einen einzigen Fleischhappen aus der Beute herausgelöst hatte. Doch wider Erwarten kehrte der hungrige Vogel zu seiner Amsel zurück, nachdem wir uns etwas zurückgezogen hatten.

Hier stand er noch auf der Amsel (verdeckt) am Boden:

Sparrowhawk with captured Blackbird (covered by vegetation) on a cemetery in Emden. Later on bird was accidentally flushed by a gardener and found temporarily shelter in a birch and, after we both had moved back a little, returned to its prey, what I did not expect

Oh, ein Buchfink:




Die Amsel da sieht auch ziemlich lecker aus:

Vielleicht ist an dem Spruch "Lieber die Taube in der Hand als den Spatz auf dem Dach" was dran ;-)

Buntspecht hatte ich auch lang nicht mehr auf dem Teller:


Ich vernahm ein deutliches Aufatmen, nachdem der Sperber endlich die Wahl getroffen und seine Beute gemacht hatte. Es war ein Rotkehlchen, das seiner Erleichterung Luft ließ und mir anschließend Folgendes soufflierte: "Unter uns, Frank, die Scheißamsel ging mir ohnehin schon seit Wochen auf den Sack, die war so weinerlich, hat immer gejammert, vonwegen, es sei so kalt hier und so weiter. Da hat es ausnahmsweise echt mal den Richtigen erwischt."

Es grinste und fügte noch schnell an: "Und nebenbei brauche ich mir für heute keine Sorgen mehr zu machen..."

European Robin

So blöd kannst du nicht sein, dachte ich. Du solltest schon wissen, dass es in dieser Dorfstadt gleich mehrere Sperber geben könnte...


Auch außerhalb der Stadt tut sich inzwischen was. So konnte ich in der vergangenen Woche die ersten balzenden Großen Brachvögel und Austernfischer mit Freude zur Kenntnis nehmen.

Hier ein Austernfischer kurz vor Sonnenaufgang auf dem Rysumer Nacken:

Eurasian Oystercatcher

Auch die vielen Brandenten, die dort in den letzten Tagen plötzlich und wie aus dem Nichts in großen Gruppen auftauchten, sind ein eindeutiges Indiz dafür, dass der Winter überstanden ist.

Hier ein Trupp, der sich auf dem Weg zum Dollart befand:
























Flocks of Common Shelduck return from their wintering areas in the waddensea - spring has started


























Nonnengänse kann man allmorgendlich auf dem Rysumer Nacken beobachten, wenn sie sich auf dem Weg zu ihren Äsungsflächen befinden. Ob sie auch im Watt bei Campen pennen oder nur im NSG Leyhörn, ist mir nicht bekannt, aber dass man sie vom Strand aus ausgezeichnet fotografieren kann, sehr wohl.

Hier passierte ein Trupp, angeführt von einer Blässgans, das Restaurant Strandlust:



























Barnacle Geese and one White-fronted Goose as their leader

Auch das nächste Bild desselben Trupps entstand kurz vor Sonnenaufgang:

Dann ein weiterer Trupp kurz nach Sonnenaufgang:



Noch später:

Spätestens gegen elf ist das Ganze dann vom Tisch, auf weitere Gruppen würde man vergeblich warten.

Zuvor aber kann man so allerhand vorbeifliegen sehen. Man steht da am Strand und staunt einfach nur.

Hier waren es zwei Schellenten, die mir ein lautes Moin zuriefen:

Goldeneye

Weitere Arten, die mir dort in den letzten Tagen begegneten, waren unter anderen Spießente, Ringelgans und Bergente.

Ein mittelschweres Ereignis aber stellte eine adulte Dreizehenmöwe dar, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zur exakt selben Uhrzeit an exakt demselben Ort plötzlich auftauchte und schnell wieder verschwand:

A single Kittiwake showed up at Rysumer Nacken on two consecutive days last week. This species is exclusively a pelagic, that usually doesn't appear in the interior

Auch diese beiden Bilder entstanden kurz vor Sonnenaufgang:









Gespenstisch war es ein wenig, denn der Vogel flog an beiden Tagen wirklich nur jeweils ein einziges Mal an mir vorüber, um dann in der Ferne zu verschwinden. Ein Schimmelreiter für Vogelkundler, wenn man so will. Dass es sich an beiden Tagen um dasselbe Individuum gehandelt hat, belegte ein individueller Ölfleck am Steiß.


Sanderlinge warteten hier am frühen Morgen geduldig auf den Sonnenaufgang:


Sanderling

Maximal konnte ich dort 92 Individuen gleichzeitig feststellen, was einen neuen Rekord für dieses Gebiet darstellen dürfte:






Ruhend standen sie am Strand, was man dort eher selten zu sehen bekommt. Denn eigentlich halten sich die Sanderlinge dort um Hochwasser auf, zu einer Zeit also, die sie in der Regel nahezu ausschließlich zur Nahrungssuche nutzen, weil die Wellen der Ems nur dann so schön gegen den Strand rauschen.

Wo sich die Vögel bei Niedrigwaser aufhalten, ist mir nicht bekannt:

Augen links!

Keiner bis auf einen hörte auf mein Kommando. Der Rest verweigerte meinen sinnlosen Befehl und stierte geradeaus. Ich kann's verstehen, ich war seinerzeit auch so drauf.

Inzwischen war übrigens die Sonne aufgegangen:




Caretta caretta am Emsstrand?

Traces of first ever Loggerhead Sea Turtle in Emden? 

Actually it was me approaching the Sanderlings by creeping on the beach

Ich bin das gewesen, bin durch den Sand gerobbt. Sanderlinge in Emden sind deutlich nervöser und scheuer als nordamerikanische Artgenossen. Einfach hingehen und knipsen ist eben nicht möglich. Und außerdem will ich immer auf Augenhöhe sein. Es handelt sich dabei übrigens genau um jene Spuren im Sand, die einst Howard Carpendale so gefühlvoll und erfolgreich besang:


Es war das erste Mal, dass ich wirklich Glück hatte, denn die ruhenden Vögel ließen sich überhaupt nicht von mir stören. Ich brach die Knipserei wenig später nur deshalb ab, weil das Sonnenlicht immer klarer und somit unfotogener wurde. Zurzeit sollte man die Kamera an wolkenlosen Tagen spätestens nach zehn Uhr aus der Hand legen ...

Doch ein paar Fotos gibt es noch:




Zweien dieser hübschen Vögel bin ich besonders nah auf den Pelz gerückt, allerdings noch vor Sonnenaufgang:

Fremdlingen gegenüber zeigten sich die Sanderlinge also sehr tolerant. In dieser Hinsicht sind sie eben anders als wir Menschen.

Hier suchte ein Alpenstrandläufer den Schutz der Sanderlinggruppe:

Dunlin seeking out for shelter among Sanderlings

Der Strand selbst im attraktiven Licht des sehr frühen Morgen:

habitat of Sanderling around high tide





In den Stacheln dieser noch nicht wieder belaubten Kartoffelrose haben sich die von den Stürmen herausgerissenen Halme des Strandhafers verfangen.

Zunächst hielt ich das für Lametta, dann für das Werk zahlloser Spinnen:


Rugosa Rose

Auch diese flauschigen Weidenkätzchen, die wie winzige Puschelmikrofone ausschauen, zeigen den nahen Frühling an:

almost blooming Willow

Und jetzt, zum Abschluss dieses recht langen und wenig homogenen Beitrages, kommt noch ein Kandidat zur Geltung, dem ich in etwa zwanzigfacher Ausfertigung auf einem Marsch vom Restaurant Strandlust bis nach Hauen und zurück (insgesamt gefühlte 4000 Kilometer) auf dem Weg zu Füßen des Seedeiches begegnet bin, bei sonnigen sechs Grad Celsius und einem stürmischen Wind aus Südwest:

Ruby Tiger caterpillar on the run on a quite cool day in february

Ich danke ganz lieb Jürgen Peters (Borgholzhausen), dessen Seite Insektenfotos.de nicht nur dann geil ist, wenn man mal schnell etwas Entomologisches bestimmt haben möchte.

Sie ist immer ein Spaß!


Die Raupen des Zimtbären verpuppen sich im Frühjahr im Anschluss an die Überwinterung, doch ist ein Umherwandern an sonnigen, aber durchaus noch sehr frischen Tagen im Spätwinter selbst bei Schneelage nicht ungewöhnlich. Als Futterpflanze sollte auf dem Deich am ehesten der allgegenwärtige Löwenzahn infrage kommen.

Ein Portrait

































Soll ich mal ehrlich sein?

Manchmal, wenn im Herbst die Tage kürzer werden und der Regen von der Seite kommt, beneide ich die Menschen in wärmeren Ländern schon sehr.

Aber bin ich deshalb ein Warmduscher?