Donnerstag, 27. Februar 2014

Zu Besuch bei Schwarzkehlchens

Es gibt Vogelarten, die ich im ersten Drittel meines Lebens im Landkreis Osnabrück so gut wie nie feststellen konnte. Ein Teil davon, wie etwa Seeadler, Wanderfalke, Kormoran, Uhu und Kolkrabe, ist vor allem durch unmittelbare Verfolgung durch den Menschen (Ausschalten vermeintlicher Konkurrenz um das bei Jägern so beliebte "Niederwild" sowie den ausschließlich den Anglern gehörenden Fisch) und den bedenkenlosen Einsatz von "Umweltgiften" wie DDT vorübergehend ausgerottet worden.

Andere Arten räumten das Feld, weil sie mit unserer Umgestaltung der Landschaft nicht zurechtkamen. Zu dieser Gruppe gehört das Schwarzkehlchen.

Ältere Literaturquellen (z.B. der Kunz aus dem Jahr 1959) wiesen diese Art noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts als einen mehr oder weniger gewöhnlichen Vogel aus, der vor allem im Altkreis Bersenbrück auf Heiden, in Mooren sowie entlang von Bahndämmen brütete.






Eurasian Stonechat

Das Schwarzkehlchen verschwand also aus unserer Landschaft, weil sein brachiger Lebensraum durch Menschenhand in Kulturland umgewandelt und somit zerstört worden war. Anfang der neunziger Jahre tauchte dann aber wie aus dem Nichts und nach jahrzehntelanger Unterbrechung ein erstes Brutpaar auf dem Flugplatz Achmer auf, weitere in der Düsterdieker Niederung sowie in Venner und Recker Moor folgten bald. Am Ende sollte eine richtige Erfolgsgeschichte daraus erwachsen, eroberte der kleine Vogel doch weite Teile Deutschlands einfach so zurück, ohne dass die Gründe dafür bekannt wären.

Auch in Ostfriesland haben die Bestände dieser Art in den letzten zwanzig Jahren deutlich zugenommen. In den Mooren um Aurich, in Grünlandbereichen rund um die Meere sowie auf den Brachflächen des Rysumer Nackens ist das Schwarzkehlchen inzwischen wieder eine klassische Requisite der offenen Landschaft.

Das erste Schwarzkehlchen des Jahres 2014 konnte ich vor gut einer Woche im Bereich des Kleinen Meeres feststellen (eine Einzelbeobachtung im Januar mal ignoriert):




Inzwischen sind weitere Paare aus den Überwinterungsgebieten, die hauptsächlich in Südwesteuropa liegen, bei uns eingetrudelt. Die folgenden Bilder entstanden allesamt auf dem Rysumer Nacken, wo zwei Paare in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander die kleinen Zwistigkeiten ihres Alltags ausleben.

Die Landschaft zu den Vögeln:

Habitat of Stonechat


Und wenn die Schwarzkehlchen wollten, könnten sie sogar mal am nahen Strand vorbeischauen und dort die Sanderlinge besuchen:

Tun sie aber nie.

Lieber den ganzen Tag singen, wie hier kurz vor Sonnenuntergang:

An klaren Tagen beginnt das Männchen bereits eine Stunde vor Sonnenaufgang mit seinem eher bescheidenen Vortrag, der aber vorzüglich zur offenen Landschaft passt:

Moin:

Leider nutzt das Männchen stets die höchsten Warten für seine Gesangsdarbietung. Da ich aber nicht gegen den Himmel und aus einer eher ärmlichen Perspektive heraus fotografieren möchte, statt dessen auf Augenhöhe, musste ich den Vogel und natürlich auch seine Verlobte weiter nach unten und vor meine Linse locken.  Das geht aber grundsätzlich nur, wenn man etwas Leckeres feilbieten kann. Und Knäckebrot ist jetzt nicht gemeint.

Ich errichtete also mein Tarnzelt wenige Meter vom Weg entfernt.

Kaum war es aufgebaut, kamen beide Vögel angeflattert, um es zu inspizieren:


Das Männchen nahm alles genau unter die Lupe und testete sogar die Statik meiner kleinen Hütte, indem es sich einfach draufstellte:

Ich war wirklich erleichtert, dass es keinen Anschiss gab: alles in Ordnung, alles nach den strengen Regeln deutscher Baukunst zusammengeschustert.

Es war das Weibchen, das sich dann am nächsten Morgen zuerst vor das Objektiv wagte, übrigens eine ganze Weile vor Sonnenaufgang und somit bei eher dürftigem Licht:

Jetzt mal etwas so ganz im Vertrauen: Manchmal höre ich, huaaah, Stimmen!

Gegen acht, also etwa eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, war es mal wieder so weit.

Eine Frau: "Du, guck mal da hinten. Was ist das?"

Ein Mann: "Hmmmh, weiß nicht. Lass uns mal nachsehen..."

Ich ahnte, was da auf mich zukommen sollte, und trank hastig und vorsätzlich eine halbe Flasche Mineralwasser. Die Sorte mit sehr viel Kohlensäure.

Inzwischen war der Mann vom Weg abgekommen und flüsterte seiner Begleiterin, die aus sicherheitstechnischen Gründen auf dem Weg geblieben war, halblaut zu: "Das ist wohl so ein Versteck, da kann sich einer reinsetzen, ein Jäger vielleicht!"

Er stand jetzt unmittelbar neben mir und lugte vorsichtig durch eines der zahllosen Gucklöcher im Zeltstoff, konnte aber anscheinend nichts erkennen, weil da ja noch ein Tarnnetz drüberhing.

In genau diesem Augenblick ließ ich es richtig krachen, rülpste so laut wie schon lange nicht mehr. Der Mann erschrak, fuhr zusammen, blieb aber trotzdem mutig stehen, um weiterhin auf mein Tarnzelt zu starren. 

"Tut mir Leid", sagte ich hörbar lachend, "wenn Sie das mit dem Jäger nicht gesagt hätten, dann wäre ich rücksichtsvoller gewesen. Aber das war jetzt echt 'ne Beleidigung, das müssen Sie verstehen."

Der Mann und sogar dessen Frau auf dem nahen Weg lachten jetzt auch, entschuldigten sich aber sofort für die Störung. Ich nahm es den beiden nicht übel, was ich ihnen auch sagte. Sie setzten ihren Spaziergang fort, und ich wartete auf die Vögel. Gleichzeitig ärgerte ich mich schon ein wenig darüber, dass man in diesem komplett zersiedelten Land nicht ein einziges Mal in Ruhe seinem Hobby nachgehen kann.

Schon wenige Minuten später tauchte der Schwarzkehlchenkerl wieder auf:


Da ist doch was:

Und auch das Weibchen ließ sich nicht lange bitten:

Die beiden folgenden Bilder entstanden zu späterer Stunde und unter einem inzwischen zugezogenen Himmel:

Immer wieder kam es zu stürmischen Liebesbekundungen, wenn das Männchen das Weibchen rasant verfolgte. Das Weibchen wiederum inspizierte einige Male mögliche Neststandorte im hohen Gras, wenn auch in den nächsten Wochen noch nicht mit einem Beginn der Brut zu rechnen ist. Schließlich ist ja noch Februar.

Gab es keine Verfolgungsflüge, sang das Männchen unermüdlich. Nicht selten sogar direkt neben meinem Tarnzelt. Nur eben viel zu hoch. Das ist deshalb sehr schade, weil es auf diesen Lieblingswarten eben auch länger verweilt und z. B. auch sein Gefieder pflegt.

Manchmal aber suchte es sich auch eine etwas entferntere Sitzgelegenheit aus. Meist handelte es sich dabei um die mit ganz bösen Stacheln bewehrten Triebe einer Heckenrose:

Und diese Rose steht exakt an der Reviergrenze zum Nachbarpaar. Immer wieder kam es dort an diesem Morgen zu Streitigkeiten, die aber stets rasch beigelegt werden konnten.
Trotzdem: Auf dem folgenden Bild hatte der Nachbar mal wieder die gedachte Anstandslinie überflogen, was "mein" Männchen mit besonders rauem und lautem Gesang konterte.

Eng angelegtes Gefieder sowie ein vergleichsweise langer Hals signalisierten nichts anderes als Aggression:


Einer haarigen und bunten Raupe an Sanddorn war das völlig schnuppe:

Drinker caterpillar

Es war mal wieder die Grasglucke oder Trinkerin, die hier für die Erhaltung ihrer Art gesorgt hatte. Nur hatte ich sie wieder einmal nicht auf der Rechnung, weshalb mein Dank abermals an Jürgen Peters (Borgholzhausen) und an dessen Seite insektenfotos.de geht.


Evening Primrose
 
Ich hatte gehofft, dass sich einer der Vögel mal auf diese von Stieglitzen längst geplünderten sterblichen Überreste der Nachtkerze stellt.

Fehlanzeige, doch machten sie auch ohne Schwarzkehlchen eine gute Figur:

Der Vogel hingegen turnte da vor der traumhaften Kulisse der weiten Ems und im Gegenlicht der untergehenden Sonne auf einem Sanddorn herum:


Dann, im wirklich allerletzten Licht des Tages, stieg er noch einmal in den Himmel und winkte vielleicht einem Artgenossen auf der anderen Seite des Flusses zu:

Und ich machte mich vom Acker. Doch werde ich wahrscheinlich irgendwann wieder im Schwarzkehlchen-Revier vorbeischauen, um die Fotosession fortzusetzen.


Jetzt gibt es noch ein paar Bilder, die aus den vergangenen Wochen stammen, einfach so gratis dazu:


Eurasian Nuthatch

Diesen Kleiber zum Beispiel fotografierte ich auf dem Friedhof Tholenswehr in EMD-Wolthusen.

Den Pfeifenten-Trupp auf seiner vom Wind umwehten Kleischolle am Fährhafen in EMD-Petkum:

Eurasian Wigeon

Ein Band aus Nonnengänsen über dem Rysumer Nacken zog in großer Entfernung vorüber:

Barnacle Goose

Und ein Trupp derselben Art stand bei Hauen im Schatten des "weltbekannten" Pilsumer Leuchtturms auf einer Weide:

Im Sommerhalbjahr kann man an diesem "besonderen" Ort ganz vorzüglich den Herdentrieb des Menschen studieren. Ganze Kompanien parken auf dem gebührenpflichtigen Parkplatz, laufen die etwa zweihundert Meter bis zum Turm, machen ein bis fünf Bilder und eilen dann zum Parkplatz zurück, um sich dort noch schnell eine Bratwurst oder ein Fischbrötchen reinzuziehen - Bier inklusive.

Sie begleichen die Parkgebühr und machen Neuankömmlingen Platz, um im Laufe des Tages weitere ostfriesische "Sehenswürdigkeiten" in Bildern festzuhalten, zum Beispiel den Hafen von Greetsiel. In der Saison, von April bis Oktober, spielen sich solche Szenen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang ab. Toppen kann das eigentlich nur noch Helgoland mit seinem geilen Tagesterrorismus.

Ich bin der Meinung, dass man nicht von den Sehenswürdigkeiten sprechen kann, weder in Ostfriesland noch anderswo, weil es sehr viele Dinge, Gebäude und Orte gibt, die einen Besuch wert wären. Es ist eher eine Frage des guten Geschmacks, ob sie einem gefallen oder nicht. Den Pilsumer Leuchtturm wollte ich hier eigentlich aus Protest nie zeigen, aber auf der anderen Seite ist es ganz gut, dass sich die Menschenmassen auf wenige bekannte Ziele konzentrieren und nicht auch noch an jenen Orten umherirren, die für mich eine besondere Bedeutung haben.


Weitere Nonnengänse am selben Ort, doch diesmal mit der Kirche von Pilsum im Hintergrund:




Die Kirche selbst ist, wie eigentlich alle ostfriesischen Kirchen, sehr hübsch und der Turm, wie viele andere Bauwerke hier auch, ganz schön schief:

Church Pilsum

more Barnacle Geese

Noch mehr Nonnengänse auf der anderen, der Ems zugewandten Seite des Deiches (dahinter Brachvögel und wiederum dahinter Brandenten und Seemöven).


Zurück zum Emsstrand, wo ich bei Niedrigwasser und sehr mauem Licht zwar keine Sanderlinge antraf, dafür aber Knutts:

Red Knot

Auf dem Bild zu sehen ist auch ein Alpenstrandläufer (halb verdeckt, vierter Vogel von links), von dem sich aber auch weitere Individuen in artreinen Trupps auf Nahrungssuche im Watt befanden:

Dunlin

Im Schwarm fliegende Alpenstrandläufer vollführen jede Wendung absolut synchron:


Immer wieder bin ich fasziniert von diesen Flugmanövern der riesigen Limikolenschwärme draußen im Watt. Wie sie das hinbekommen, wird mir ein Rätsel bleiben. Tatsache aber ist, dass wir Menschen schon in viel kleineren Gruppen, auf dem Exerzierplatz oder beim Rudern, einen Schreihals benötigen, der uns den Takt vorgibt.