wilde perspektiven

wilde perspektiven

Donnerstag, 8. Mai 2014

Rechtsdrehend

Neulich fand ich in meinem Kühlschrank einen Joghurt.

Ich weiß, das hört sich jetzt nicht spektakulär an, aber ich konnte mich nicht wirklich daran erinnern, ihn überhaupt jemals gekauft zu haben. Hinter ganzen Stapeln von diversen Käsesorten, Milch, Tzatziki und Margarine, die ich in einem spontanen Anfall von Leichtsinn einfach mal beiseitegeschoben hatte, erschien da plötzlich dieser kleine und unauffällige Plastikbecher mit einer Joghurt-Frucht-Mischung, der mich nun erwartungsfroh ansah.

Kurz unterhielt ich mich mit ihm und fragte auch nach dem Befinden. Schließlich nahm ich den Becher in die Hand und fand heraus, dass der Inhalt bereits im März 2013, also vor über einem Jahr, das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hatte. Das wiederum fand ich interessant. Ich prüfte das Gefäß auf Herz und Nieren und stellte fest, dass es nicht aufgebläht war. Der weiße Joghurt über dem roten Fruchtkompott zeigte keinerlei Anzeichen von Schimmel, wie ich durch den transparenten Kunststoff erkennen konnte. Hmmmh, so dachte ich, das ist jetzt aber spannend. Mochte da vielleicht eine neue Lebensform in meinem Kühlschrank entstanden sein? Werde ich am Ende sogar den Nobelpreis bekommen?

Durch diese Aussicht angespornt öffnete ich nun ganz vorsichtig den Aluminiumverschluss ein kleines Stück. Kein Zischen, kein übler Geruch. Zack, da hatte ich auch schon den ganzen Deckel abgezogen und die Spitze eines kleinen Teelöffels soeben in die "rätselhafte Substanz" getaucht. Etwa 1,1217 Gramm blieben an der Löffelspitze kleben, wenn ich mich nicht täusche. Was soll ich sagen, es duftete wie und schmeckte nach Joghurt. Jetzt schaufelte ich mir den ganzen Inhalt binnen zwei Sekunden entschlossen in den Rachen, weil mir nie jemand beigebracht hat, wie man etwas isst, ohne dabei die Würde zu verlieren. Okay, zuvor hatte ich die Konfitüre noch etwas unter den bis dahin noch jungfräulichen Joghurt gemischt.

Da ich auch jetzt, vier Tage nach dem Verzehr, keinerlei gesundheitliche Probleme verspüre, gehe ich davon aus, dass dieser Joghurt über einen sehr langen Zeitraum keinerlei Wert- oder Qualitätsverlust erfahren hat. Ich bin mir aber auch sicher, dass dieser Joghurt ausschließlich aus Zutaten bestand, die weder schlecht werden noch irgendwie ablaufen konnten. Tote Materie!

Der Discounter, in dem ich dieses leckere Produkt erstanden habe, wirbt also völlig zu Recht mit dem Slogan: Lidl lohnt sich!


Ach, was für ein hübsches Hanf-Pflänzchen:

this beautiful weed (Cannabis) I accidentally found while birding the Rysumer Nacken

Sechs davon standen da in Sichtweite zueinander und vor den Blicken Neugieriger gut geschützt auf dem Rysumer Nacken herum. Frisch gewässert, wie ich rasch feststellte. Ich überlegte, ob ich dem Plantagenbesitzer einen Strich durch die Rechung machen und all dieses Grün auf die Schnelle wegrauchen sollte ;-)

Okay, das war ein Scherz. Eine dieser Pflanzen sah eher dürftig und gelb aus und hatte bereits alle Blätter abgeworfen, doch die restlichen fünf strotzten geradezu vor Gesundheit und Kraft. Ich werde die Entwicklung dieser kleinen Anpflanzung über die kommenden Wochen im Auge behalten und eventuell auch darüber berichten. Ob es auch zu einem Interview mit dem Besitzer kommen wird, ist aber eher fraglich. Denn der kommt bestimmt nur im Schutze der Dunkelheit zu Besuch.


Am 5. 5. hielt sich zwischen Restaurant Strandlust und dem Gassco-Gelände eine Grauammer auf:









Corn Bunting - very rare visitor to Emden

Dieses Individuum stellt erst meine zweite Grauammer für Niedersachsen und sogar Deutschland dar! Zwar gibt es noch kopfstarke Populationen in unserer Republik (vor allem in den östlichen und südlichen Bundesländern), doch hier im Nordwesten hat die Grauammer schon vor vielen Jahren den Abflug gemacht (letzte nachgewiesene Brut in Ostfriesland 1985 südöstlich Norden), weil sie kein Freund der intensiven Landwirtschaft ist.

Hier sang der Vogel sogar, auf einer Kartoffelrose stehend (im Hintergrund das Restaurant):


Es war schon ein ganz besonderes Erlebnis, den klirrenden Gesang der Grauammer hier in Emden zu hören, denn eigentlich ist er mir ausschließlich von verschiedenen Reisen nach Südeuropa bekannt, womit ich ihn auch ausschließlich in Verbindung bringe. In den europäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten, aber auch in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien, ist die Grauammer nach wie vor sehr häufig. Ihr Gesang dominiert dort ganze Landstriche.

Die einzige Grauammer, die mir bis zu diesem Tag in Deutschland begegnet war, entdeckte ich vor vielen Jahren und noch vor meinem Umzug nach Ostfriesland bei Upleward, also nur wenige Kilometer weiter nördlich. Damals wie heute verschwand der Vogel leider nach einem nur eintägigen Aufenthalt.

Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass ich jetzt mehr Grauammern im Bereich Rysumer Nacken/südwestliche Krummhörn gesehen habe als Goldammern. Letzere kommt dort nämlich dem Anschein nach nicht vor, weil sie wohl kein Freund der Marsch ist. Die einzige Goldammer, die ich dort entdecken konnte, zog auch tatsächlich einfach nur durch. Im Osten Emdens hingegen ist die Goldammer ein regulärer Brutvogel.


Guten Morgen, Frau Austernfischer:

Oystercatcher

Ich fand einen prächtigen Kiebitzregenpfeifer am Emsstrand, der dort auf dem Zug in sein arktisches Brutgebiet eine Rast einlegte:

Grey Plover (am.: Black-bellied Plover)

Eine einzelne Nonnengans vertrieb sich die Zeit auf einem Maisstoppelacker:

Barnacle Goose

Und ich fand ein Gespinst der Raupen des Goldafters unweit des Strandes (an Weißdorn):

Brown-tail, caterpillar

Ich erinnere mich daran, dass es diese Art vor vielen Jahren zu einer Massenvermehrung auf Helgoland gebracht hatte. Überall krabbelten diese Raupen herum, vor allem auf der Düne. Saß man auf einer Bank, dann dauerte es nicht lang, bis die ersten Raupen interessiert an einem emporkletterten. Eigentlich war es sogar so, dass man nicht länger irgendwo stehen bleiben durfte, wenn man den Kontakt mit diesen Tieren verhindern wollte.

Ich erinnere mich auch noch sehr gut daran, dass ich in diesem Frühjahr (Mai 2002) mit meinem Tarnnetz im dornigen Sanddorngebüsch hinter dem Südstrand der Düne verschwand, weil sich dort über mehrere Tage einige Pirole aufhielten, die eben genau diese Raupen verspeisten. Kaum hatte ich mich versteckt, war ich quasi bedeckt von diesen nervigen Tieren. Dann tauchte unmittelbar vor mir eine Samtkopf-Grasmücke auf, die mich ablenkte und wild zu zetern begann. Fotos konnte ich leider nicht machen, weil der Vogel die Naheinstellgrenze meines damaligen Objektives unterschritten hatte.

Ich verließ mein Versteck und informierte per Handy andere Leute über den geilen Gast. Was soll ich sagen, zwar brachte die Nachsuche mehrerer Beobachter zunächst keine Samtkopf-Grasmücke ein (der Vogel wurde erst zwei Tage später und nach meiner Abreise wiedergefunden), dafür aber fand jemand Deutschlands erst zweite Wüstengrasmücke!

Und was sagt uns das jetzt?  Ohne Goldafter-Massenvermehrung keine Pirole, ohne Pirole keine Begegnung mit einer Samtkopf-Grasmücke und ohne die keine Wüstengrasmücke ;-)

Hier ein Bild vom Vogel, das ich damals etwas frustriert malte, weil mir zuvor kein Foto gelungen war:

Sardinian Warbler - rare visitor from the Mediterranean to Helgoland in May 2002

Zurück zur Raupe, die ganz gerne auch Obstbäume "befällt". In Jahren mit Massenvermehrung entscheiden viele Kommunen immer wieder leichtfertig, dem starken Auftreten des Falters mit der unsensiblen Chemiekeule zu begegnen, doch aus meiner Sicht ist das völlig sinnlos, weil auch seltene Schmetterlingsarten darunter leiden. Außerdem erholen sich die Bäume wieder durch den so genannten Johannistrieb, und darüber hinaus steigt innerhalb kurzer Zeit auch die Zahl der natürlichen Feinde der Raupe (und des Falters) an.

Auf Helgoland reagierten viele Touristen seinerzeit eher hysterisch auf die vielen Raupen. Zwar können die Haare dieser Biester bei Kontakt für unangenehme Reaktionen auf der Haut sorgen, aber trotzdem muss man es ja nicht gleich übertreiben und herumschreien. Einfach mal hinhocken und beobachten. Krabbel, krabbel... ;-)


Ein Landkärtchen (fotografiert von Herald Ihnen/Freepsum):

Map

Ein weiteres, das ich selbst auf dem Rysumer Nacken ablichten konnte:

Eine männliche Rohrweihe auf der Suche nach Beute ebenda:

Marsh Harrier

Ein männliches Blaukehlchen mit deformiertem Schnabel füttert zurzeit bereits seinen Nachwuchs unweit des Restaurantes:

despite his deformed bill this Bluethroat is currently raising his offspring without any problems

Bei jedem Spaziergang über den Rysumer Nacken komme ich an einem bestimmten Gewässer vorbei, auf dem sich stets mehrere Reiherenten befinden. Und immer fliegen sie alle auf, obwohl ich ihnen in der Vergangenheit schon mehrfach zugerufen hatte, dass sie gefälligst auf dem Wasser bleiben sollen.

Auch am 7. 5. war das so. Die Enten flogen auf, und ich dachte nur: meine (die erste Silbe bitte lang denken oder sprechen, die zweite kurz) Fresse (das ganze Wort blitzschnell und fast einsilbig zischen oder fauchen), wie hohl ihr doch seid.

Aber auf der anderen Seite kann man kein Flugbild machen, wenn die Enten auf dem Wasser dümpeln:
































Tufted Duck

Steinschmätzer sind nach wie vor in größerer Zahl auf dem Rysumer Nacken zu sehen.

Ein Männchen im Hintergrund, ein Weibchen davor:

Northern Wheatear

Und auch das niedliche Braunkehlchen ist dort zurzeit keine Seltenheit.

Ein Männchen:

Whinchat

Auch für die meisten Individuen dieser Art ist Deutschland nur Transitland, doch im Gegensatz zum Steinschmätzer brüten auf dem Rysumer Nacken auch wenige Braunkehlchen-Paare. Es sind die letzten auf dem Gebiet der Stadt Emden! Wie viele es in diesem Jahr sein werden, ist aber noch nicht bis ins letzte Detail geklärt.

Ich bin aber gespannt!

Zum Abschluss zeige ich schnell noch eine Türkentaube, die in Emden-Port Arthur/Transvaal in einem Obstbaum stand und fleißig sang:

Eurasian Collared Dove

Und nach diesem Foto kam der große Regen...