wilde perspektiven

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Mittwoch, 4. Juni 2014

Drosselrohrsänger

Für mich war es schon eine mittelgroße Überraschung, als ich am frühen Morgen des 17. Mai im Wybelsumer Polder den Gesang eines Drosselrohrsängers aus dem tosenden Konzert der balzenden Seefrösche heraushören konnte.

Was ich damals nicht ahnen konnte, ist, dass der Vogel ein echter "Longstayer" (Vorsicht, ausnahmsweise mal ein Anglizismus) werden sollte. Bis zum 30. des Monats und somit genau zwei Wochen hielt sich der Drosselrohrsänger in seinem kleinen Revier im Schilfgürtel eines der Teiche auf und sang dort unermüdlich den ganzen Tag.

Diese mit Abstand größte europäische Rohrsängerart kann sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr zu den Emder Brutvögeln rechnen. Die letzte überlieferte Brut stammt aus dem Jahr 1976! Und für das restliche Ostfriesland sieht es kaum besser aus. Der Drosselrohrsänger ist hier leider nur noch ein seltener, alles andere als alljährlicher Durchzügler.

Und so sieht er aus:







this Great Reed Warbler kept singing patiently for two weeks at Wybelsumer Polder, but unfortunately without any success - no pretty female appeared on the scene. 1976 this species has bred in Emden for the last time! Since then Great Reed Warbler has only been a rare visitor to Ostfriesland with scattered records not every year

Ist er nicht ein hübscher Kerl? Er hätte wirklich eine attraktive Drosselrohrsänger-Dame verdient gehabt, doch leider lag sein Revier in der falschen Ecke Deutschlands, wo weibliche Drosselrohrsänger einfach nicht mehr auftauchen wollen.

Dabei hat er über den ganzen Zeitraum immer so schön gesungen. Nicht einmal Mittagspausen hat sich der Vogel gegönnt:

Wenn mir vor zwanzig Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal im westlichen Niedersachsen einen Drosselrohrsänger fotografieren und mir das Blaukehlchen im Rahmen dieser Aktion gehörig auf die Nerven gehen würde, dem hätte ich den bekannten Vogel gezeigt.

Blaukehlchen führten bereits Nachwuchs und trugen Unmengen Mehlwürmer davon, ohne dass man es hätte verhindern können. Zwar bekamen sie immer wieder vom Rohrsänger einen auf den Deckel, aber das führte lediglich dazu, dass sich die Blaukehlchen versteckter und vorsichtiger an die Mehlwürmer heranpirschten:

Bluethroat looking for mealworms

Wenn man hier in Emden mit Mehlwürmern arbeitet, dann ist es in der Regel das Blaukehlchen (oder die Bachstelze), das sie zuerst entdeckt. Eben deshalb, weil es nahezu überall vorkommt. Solange Blaukehlchen keinen Nachwuchs zu füttern haben, ist das auch okay, doch vier bis sechs hungrige Schnäbel können so allerhand hinunterschlingen, vor allem dann, wenn sie sich kurz vor dem Ausfliegen befinden:



Wenn der Drosselrohrsänger mal nicht gerade am Futtertopf naschte, dann stand er zumeist hoch in diversen Weiden, wo er auf einem Bein stehend ausgiebig sang. Eigentlich aber sang er immer, egal, ob bei der Nahrungssuche im Schilf, beim Verspeisen der Mehlwürmer oder während der Gefiederpflege. Deshalb muss auch bis heute offen bleiben, ob er sich beim Singen putzte oder ob er beim Putzen sang.


Mealworms are Great Reed Warbler's best friend

Hier jedenfalls sang er wieder einmal:





Immer dieselben Warten flog der Vogel an, wenn er sich zu der nie versiegenden Futterquelle aufmachte. Und immer stand er nur sehr kurz völlig frei, flog meist sehr schnell auf den Boden, um nach wenigen Mehlwürmern wieder blitzschnell im dicht belaubten Weidenwipfel zu verschwinden.

Ein gutes Reaktionsvermögen konnte da nicht schaden:

Hinzu kam, dass sich das Ganze in einem finsteren Gebüsch abspielte, die Verschlusszeiten waren entsprechend lang. Eine klitzekleine Bewegung des Vogels sorgte schon für erhebliche Unschärfen.

Ich bin mehr als zufrieden, vor allem auch, weil ich zunächst nicht erwartete, überhaupft auch nur ein einziges Bild hinzubekommen. Drosselrohrsänger sind keine Wartenjäger. Sie suchen ihre kleinen Beutetiere aktiv, indem sie ihr Revier durchstreifen. Dabei essen sie eigentlich alles, was sie überwältigen können. Menschen würden sie wohl auch hinunterschlingen., wären Drosselrohrsänger so groß wie ein Blauwal (gilt auch für die ach so gutmütige Amsel), aber dann gäbe es längst keine Drosselrohrsänger mehr, weil wir Menschen sie dann abgeschafft hätten.

Egal, Vögel die keine Wartenjäger sind, lassen sich eher schlecht anfüttern, weil man nie weiß, wohin der Weg sie führt. Doch beobachtete ich dieses Exemplar aus meinem Tarnzelt heraus. Der Vogel hüpfte viel an den Basen der Schilfstängel herum, um von dort aus Kleintiere von der Wasseroberfläche aufzunehmen. Immer suchte er in denselben Bereichen seines Reviers und meist in Bodennähe. Also postierte ich die Leckereien an einer Stelle, die der Vogel zuvor mehrfach passiert hatte.

Mit Erfolg, wie man auf dem nächsten Foto erkennen kann!


Und ich konnte ihm darüber hinaus auch noch beim Baden zusehen.

Drosselrohrsänger (vielleicht auch andere Arten der Gattung Acrocephalus) steigen nicht komplett ins Wasser. Sie klammern sich am Schilfhalm fest, tauchen den Kopf ins Nass und schütteln ihn dann kräftig hin und her. Anschließend verteilen sie von dort aus das Wasser auf die Federn anderer Körperstellen. Mehrere Male konnte ich das beobachten, nie stellte sich das Tier in seiner ganzen Pracht ins Wasser.

Ausnahmsweise entstanden das obige und auch das folgende Bild bei Sonne am Nachmittag. Im Licht- und Schattenspiel des Gebüsches war das korrekte Belichten ein Verbanquespiel. Alle anderen Aufnahmen machte ich am frühen Morgen, noch bevor die Sonne die Zweige vor meinem Versteck überhaupt erreichen konnte. Wenn das dann irgendwann der Fall war, brach ich meine Fotoarbeiten für den jeweiligen Tag ab.


An einem Morgen Ende Mai war ich irgendwie schon ein wenig enttäuscht, die knarrenden Strophen des Vogels nicht mehr zu hören. Klar, ich hatte das erwartet, aber irgendwie bis zuletzt gehofft, dass sich doch noch ein sexy Weibchen nach Wybelsum verfliegen könnte.

Es sollte einfach nicht sein, der Vogel blieb der einsamste Drosselrohrsänger der Welt:


Diese zwei Wochen aber werde ich ganz bestimmt nicht vergessen.

Und damit auch ihr diesen Vogel in guter Erinnerung behaltet, gibt es noch ein paar Bilder:

Punkige Frisur!

Besonders wenn ein bestimmtes Tier ganz plötzlich auf der Bühne erschien, drehte der Drosselrohrsänger richtig ab oder durch. Plötzlich spreizte er Flügel und Schwanz, stellte die Scheitel- und Mantelfedern auf und sang seinen Warngesang, wie man ihn auch von vielen anderen Vögeln kennt  (Blaumeise, Nachtigall etc.). Die Strophen sind dann besonders lang, die einzelnen Elemente werden viel lauter und durchdringender vorgetragen.

Dabei hüpfte der Vogel breitbeinig durchs Geäst. Ich konnte dann schon immer sehr früh erahnen, wer da bald vor meinem Tarnzelt erscheinen würde - allein am Verhalten des Drosselrohrsängers. 

Den "Feind" immer im Visier:




Wer hier aber den Rohrsänger immer wieder derart in Rage versetzen konnte, werde ich aber erst zu einem anderen Zeitpunkt verraten...


Einmal rief der Drosselrohrsänger plötzlich wie ein Buntspecht!

Sehen konnte ich ihn nicht, aber es folgten weitere Rufe, die ich in meiner Einfalt dem Rohrsänger zuordnete. Doch beim Blick aus dem Sehschlitz entdeckte ich dann tatsächlich einen Buntspecht, der sich an den Weidenstämmen zu schaffen machte:

Great Spotted Woodpecker

Mal sehen, ob es für mich jemals wieder für einen Drosselrohrsänger hier in Emden reichen wird.







Der Vogel mit dem lauten Gesang hat wirklich einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Er klingt noch heute in meinen Ohren nach. Ich hoffe, er findet noch in diesem Sommer sein Glück an einem anderen Ort.

Wahrscheinlich aber ist das wohl nicht.

Und nochmal singend:

Zum Abschluss dieses wieder einmal großartigen Beitrages gibt es eine Aufnahme vom Lebensraum des Vogels:





























habitat of Great Reed Warbler at Wybelsumer Polder