wilde perspektiven

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Samstag, 30. August 2014

Svartvit flugsnappare

Knäckebrot, Ikea, ABBA, Elche, Autotests mit Elchen, Frau Sommerlath, H&M, Saab und Volvo sowie Mankell und Lindgren.

Ich muss den Namen des Landes, für das all diese Begriffe stehen, eigentlich nicht mehr nennen.

Und tue es doch!

Obwohl Schweden etwas größer als Deutschland ist, leben dort nur wenig mehr als neun Millionen Menschen. Und die meisten davon auch noch in der Südhälfte des Landes, was den dünn besiedelten Norden zu einem echten Erholungsgebiet für die Natur macht.

Denke ich an Schweden, fallen mir Taiga und Tundra ein. Mitternachtssonne und Mücken. Sperbereule und Sperlingskauz. Ich stelle mir unwirtliche Hochlagen vor, endlose Wälder ebenso wie wilde Flüsse, die noch in ihrem ursprünglichen Bett Richtung Ostsee fließen dürfen.





Pied Flycatcher

Weiters ist Schweden das Land der tausend Inseln und auch das Land sehr großer Seen. Und es ist das Herkunftsland vieler Vögel, die auf ihrem Weg in die Winterquartiere durch Deutschland ziehen und dort, je nach Art, vor allem zwischen August und November an geeigneten Orten eine Rast einlegen.




Eine dieser Arten ist der süße Trauerschnäpper, den die Schweden Svartvit flugsnappare nennen.

Weil er nahezu die gesamte fennoskandische Halbinsel besiedelt und dort keinesfalls selten ist, sollte man ihn hier in Norddeutschland eigentlich in größerer Zahl erwarten können, wie es zum Beispiel auf Helgoland in den Monaten August und September tatsächlich der Fall ist.

Doch im Gegensatz zu anderen Arten mit vergleichbarer Herkunft, wie etwa Steinschmätzer, Braunkehlchen und Gartenrotschwanz, ziert sich der kleine Vogel ein wenig, wenn es darum geht, die anstrengende und gefährliche Wanderung nach Afrika hier in Emden und Umgebung mal für einen Tag zu unterbrechen. 

Und so klingt es fast wie ein Wunder, wenn ich schreibe, dass der hier und heute vorgestellte Vogel mein allererster Trauerschnäpper ist, den ich seit meinem Umzug nach Ostfriesland ebenda gesehen und schließlich auch fotografiert habe!

it is unbelievable, but this individual ist my very first Pied Flycatcher here in Ostfriesland (apart from the islands). In contrast to other passerines of same origin like Common Redstart, Northern Wheatear, and Whinchat this species, which does not breed in Emden, constitutes a rather uncommon bird on migration, although I really shake all trees and bushes for birds

Und das, obwohl ich allherbstlich gezielt Büsche und Hecken auf dem Rysumer Nacken nach Kleinvögeln absuche.

Dass man während des Vogelzuges selbst in Kleinstgehölzen in der offenen Landschaft mit Überraschungen rechnen kann, zeigt dieser Vogel ebenfalls eindrucksvoll, wenn er auch nicht ganz an einen adulten männlichen Pirol heranreicht, den ich im Mai 2009 während des Heimzugs in einer Single-Grauweide in den Wiesen südlich des Großen Meeres entdecken konnte bzw. abfliegen sah. 


Der Trauerschnäpper rastete für zwei Tage in diesem Gebüsch nahe Manslagt (im Hintergrund ist der Deich zu sehen):

this Pied Flycatcher spent two days in a very small shrubbery shown here

Und so sieht das Ganze aus der Nähe aus, fotografiert kurz nach Sonnenaufgang mit meiner Knipse:


Um Feinden wie Sperber oder Merlin zu entgehen, ziehen Trauerschnäpper, wie ja viele andere Kleinvögel auch, nahezu ausschließlich im Schutze der Dunkelheit.

Wenn sie im Morgengrauen eine offene und baumfreie Landschaft erreichen und sich noch dazu eine breite Barriere wie der Emstrichter plötzlich vor ihnen aufbaut, dann stürzen sich die Vögel ins nächstbeste Versteck. Und dort bleiben sie sogar den ganzen Tag, wenn die Distanz zum nächsten Gebüsch oder gar Wäldchen zu groß ist. Zumindest jene Arten, die stets auf Deckung bedacht sind:







Die nächsten Bäume und Hecken am Beobschtungsort nahe Manslagt stehen über einen Kilometer entfernt. Dazwischen nur ein Acker neben dem anderen. Entsprechend war mir sofort klar, dass es mit Fotos klappen würde. Der Trauerschnäpper konnte ja nicht weg ;-)

Ich streute eine Handvoll Mehlwürmer auf den Boden und baute mein Tarnzelt auf:



Okay, das Bild vom Skelett meines Tarnzeltes entstand erst, nachdem ich die Bilder vom hübschen Piepmatz im Kasten hatte. Eigentlich hatte ich vorher welche von meinem Versteck machen wollen, doch mein löchriges Hirn lässt mich manchmal im Stich.

Kaum saß ich in meinem Versteck, da kam der Vogel auch schon angeflogen, um sich den ersten Mehlwurm zu krallen. Witzig war, dass der Trauerschnäpper mein Tarnzelt zu Beginn des Shootings mehrere Male umflog, um es sich von allen Seiten anzusehen.

Doch nach einer halben Stunde war er sowas von cool, dass ich die Bilder wohl auch ohne Versteck hätte machen können.

Kleine Belohnungen können Wunder bewirken; das ist bei uns Menschen kaum anders:


Im Landkreis Osnabrück ist der Trauerschnäpper übrigens ein verbreiteter, keineswegs aber häufiger Brutvogel.

Und er ist ein Vogel des Waldes, doch  bezieht er sein Revier gerne auch in Gärten, die mit einer eigenen Plantage und alten Obstbäumen ausgestattet sind. Als Höhlenbrüter baut er sein Nest in alten Spechthöhlen, nicht selten aber auch in Nistkästen.

Dort steht er dann in Konkurrenz zu den viel häufigeren Blau- und Kohlmeisen.

Das folgende tolle Bild zweier Blaumeisen stammt von Friedel Zöpfgen aus Quakenbrück:

for Pied Flycatcher Blue (and Great) Tit consitute strong rivals for suitable cavities like nest boxes (Foto: Friedel Zöpfgen/Quakenbrück)

Gegen die robuste Kohlmeise dürfte der zarte Trauerschnäpper eher chancenlos sein. Ob das auch im Wettkampf mit der Blaumeise automatisch der Fall sein muss, kann ich nicht beantworten:

Wie oben bereits erwähnt, ist der Trauerschnäpper in Emden kein Brutvogel. In Aurich ist er mir auch nie begegnet, obwohl es dort geeignete Wälder und natürlich auch Gärten gibt. Und ob er in Leer brütet, kann ich auch nicht sagen.

Nachtrag: Inzwischen habe ich nachgeschaut (Die Vögel Niedersachsens) und festgestellt, dass meine Beobachtungen bzgl. dieser Art in Aurich und Emden gut ins bekannte Bild passen.

Immerhin habe ich ihn schon auf Baltrum und Juist gesehen, jeweils als Gastvogel:






Trauerschnäpper halten sich im Brutgebiet gerne in Höhen zwischen drei und sieben Metern auf. Spätestens wenn die Bäume komplett belaubt sind, kann man diesen Vogel am ehesten anhand seines Gesanges ausfindig machen.

Singt er nicht, sieht man ihn oft nur so wie auf dem folgenden Bild:


Trauerschnäpper sind Langstreckenzieher und überwintern im tropischen Afrika. Im April, in Norddeutschland meist gegen Ende des Monats, kehren sie aus dem heißen Süden zu uns zurück, um sogleich ein Revier zu besetzen. Und es sind fast immer die Männchen, die zuerst im Brutgebiet ankommen.

Puuuh, bin ich satt. Mehlwürmer sind aber auch wirklich lecker:

Svartvit Flugsnappare, man kann es erahnen, bedeutet wörtlich übersetzt Schwarz-weißer Fliegenschnäpper. Dieser Name passt allerdings nicht immer, denn erstens sind Jungvögel und Weibchen nie schwarz-weiß, und zweitens gibt es sogar bei den Männchen zwei Färbungsvarianten.

Ich weiß nicht, wie es in anderen Teilen Deutschlands ausschaut, aber in und um Osnabrück sind die Kerle oberseits niemals schwarz, sondern grau, ähnlich wie der in diesem Beitrag gezeigte Jungvogel. Schwarz-weiße Altvögel kann man zum Beispiel auf dem Heimzug auf Helgoland finden, wobei es sich wohl um Individuen aus Schweden oder Norwegen handeln dürfte.

Der Trauerschnäpper von Manslagt kam am Ende so nah heran, dass ich ihn nicht mehr komplett scharf bekam.  Neugierig lugte er durch meine Linse – nur aus der falschen Richtung:


Ja, irgendwann gelangten die ersten Sonnenstrahlen durch den Busch hindurch, ein Spiel aus Licht und Schatten machte das weitere Fotografieren zunächst nur schwierig, später dann sinnfrei:

Ich brach ab.

Das Bild mit dem Tarnzelt zeigt es: Ich fotografiere gerne auf der der Sonne abgewandten Seite, weil es dann so hübsche Lichtreflexionen auf den Augen gibt und der Hintergrund eher ruhig bleibt. Bis auf das dritte Bild, das am Abend entstand, machte ich alle Aufnahmen kurz nach Sonnenaufgang auf der finsteren Seite des Busches.

Auch die folgende:


Die beiden Fotos, die diesen Bericht nun abschließen dürfen, zeigen den Trauerschnäpper aber wieder im letzten Abendlicht kurz vor bzw. nach Sonnenuntergang:



Der kleine Vogel mit dem großen Hunger hat sich inzwischen aus dem Staub gemacht und seine riskante Reise fortgesetzt.

Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute und hoffe, dass er im kommenden Jahr heil aus Afrika zurückkehren wird.

Ach, und übrigens: Welche Begriffe fielen einem Schweden wohl ein, wenn er uns Deutsche und unser Land beschreiben sollte?