Freitag, 3. Oktober 2014

Ein ungewöhnliches Landkärtchen

Das Landkärtchen ist in Ostfriesland ein häufiger Falter, der wahrscheinlich in zwei Genarationen fliegt. "Wahrscheinlich" deshalb, weil man eine dritte Generation, die sich mit der zweiten überschneidet, nicht ganz ausschließen kann.

Interessant ist das Landkärtchen besonders wegen seines so genannten Saisondimorphismus. Die Falter der beiden Generationen sehen nämlich dermaßen verschieden aus, dass man sie sehr lange für zwei eigene Arten gehalten hat!

Die Länge der Tage während der Raupenphase spielt hier eine entscheidende Rolle und wirkt sich auf die Färbung der Falter aus, aber das könnt ihr im Netz selbst recherchieren, wenn ihr mögt.

Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Frühjahrsgeneration, die von April bis Juni flattert, mehr oder weniger orange gefärbt ist im Gegensatz zur von Juli bis August/September fliegenden schwarzen Sommerform.

Hier also ein klassisches Individuum der Frühjahrsform aus dem April 2013, aufgenommen auf dem Rysumer Nacken:




Map, spring generation individual (April 2013)

Und so sehen Landkärtchen der zweiten Generation (Sommerform) für gewöhnlich aus:

summer generation individual (September 2014)

Jetzt versteht ihr, wieso man lange Zeit an zwei verschiedene Arten geglaubt hat. Unterschiedlicher könnten die Tiere schließlich kaum aussehen.

Weil die Tageslänge im Jahreslauf variiert, existiert also dieser Saisondimorphismus mit hellen Faltern in Frühjahr und dunklen im Sommer. Und eigentlich sollte es keine Ausnahmen geben, ist es doch z. B. Mitte August 2014 genauso lange hell wie Mitte August 2013.

Doch trotzdem fand ich am späten Nachmittag des 30. September den folgenden Falter auf dem Rysumer Nacken:

Map of summer generation showing characteristics of spring generation (30. September 2014, Emden)

Sieht aus wie ein Landkärtchen der Frühjahrsgeneration. Nur eben im Herbst!

Doch wenn man genau hinsieht, fällt einem ein etwas höherer Schwarzanteil auf den Hinterflügeln auf. Trotzdem sieht dieses Individuum völlig anders aus als die hier gezeigte Mischform aus Frühjahrs- und Sommerform.



all following images show the same specimen

Ich war also sehr erstaunt über diesen Sonderling, das könnt ihr mir glauben. Und ich rätselte über die Ursache:


Und ich musste mir Hilfe suchen im Netz, stellte dieses Individuum in ein Schmetterlingsforum.

Dort –  http://www.lepiforum.de/ – wusste man Rat, denn es ist dem Anschein nach keineswegs nur die Tageslänge während der Raupenphase, die sich auf Färbung und Zeichnung des späteren Falters auswirken kann. Auch die Temperatur soll da ein Wörtchen mitzureden haben.

Vor allem während des frühen Puppenstadiums sollen sich auch niedrige Temperaturen auf die folgende Entwicklung des Insektes auswirken können.

Nun ist es in der zweiten Augusthälfte 2014 bitterkalt gewesen. An einigen Tagen wurde es nicht wärmer als 13 Grad Celsius! 




Wenn dieser Temperatursturz also tatsächlich die Ursache für die ungewöhnliche Färbung dieses Landkärtchens gewesen sein soll, dann bleibt aber immer noch die Frage, warum alle anderen Individuen auf dem Rysumer Nacken ganz normal aussahen. Müssten sie nicht denselben Umweltbedingungen ausgesetzt gewesen sein?


Möglicherweise entstammen die Tiere eben nicht nur einer einzigen Generation. Es könnten zu dieser fortgeschrittenen Jahreszeit durchaus auch Falter einer dritten Generation am Landkärtchen-Aufkommen beteiligt sein, was bedeutet, dass die Tiere ihre Larvalentwicklung zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr und somit auch unter unterschiedlichen Bedingungen absolviert haben dürften. In anderen Regionen Deutschlands ist eine dritte Generation alles andere als ungewöhnlich.

Doch auch in diesem Fall würde ich nicht nur ein einzelnes abweichend gefärbtes Individuum erwarten.

Knifflig ist sie, die ganze Geschichte. Und knifflig wird sie wohl auch bleiben...

Und dem folgenden Postillon, ebenfalls vom 30.September und ebenfalls vom Rysumer Nacken, ist das alles auch fürchterlich egal:

Dark Clouded Yellow, 30. September 2014, Emden 

Er ruhte bei trübem Wetter auf dem Blatt einer Nachtkerze und wartete geduldig auf die Sonne.