wilde perspektiven

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Donnerstag, 8. Januar 2015

Kunst oder nicht Kunst, das ist hier die Frage

Wenn der großartige Karl Lagerfeld aus einer Laune heraus mit seiner Kompaktkamera herumspielt und dabei eher zufällig den Auslöser berührt, dann kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass sich die Resultate in einem Hochglanzbildband wiederfinden, der sich wie "geschnitten Brot" und für viel Geld unters gierige Volk bringen lässt.

Schwarz-weiß bien sûr. 

Sanderling – just a photograph or even art?

Und sehr schnell wird in diesem Zusammenhang der Begriff Kunst in den Mund genommen, weil eben alles, was Karl Lagerfeld macht, in irgendeiner Form glorifiziert wird.

Ich gönne ihm das!


Wenn ich einen Vogel fotografiere, dann käme nicht einmal ich selbst auf die Idee, von mehr als nur einem Bild zu sprechen. Der Vogel als solcher ist vielleicht ein faszinierendes Kunstwerk, geschaffen von Mutter Natur, doch das Bild, das ich von ihm gemacht habe, ist meiner Meinung nach nichts anderes als eine Momentaufnahme.

Ein Beispiel gefällig?

Diesen schnuckligen Alpenstrandläufer schoss ich am vergangenen Wochenende am Emsstrand auf dem Rysumer Nacken:

Dunlin

Das Bild zeigt ihn naturgetreu, also genau so, wie ich ihn am Spülsaum antraf. 

Zweifellos ein wirklich hübscher Vogel. Mehr aber auch nicht.

Stellt man einen weiteren Alpenstrandläufer dazu und auch noch einen Sanderling, dann kann man beide Arten sehr schön miteinander vergleichen. 

Doch auch das hat ganz sicher nichts mit Kunst zu tun. An diesem finsteren Tag bestand die eigentliche Kunst eher darin, korrekt belichtete Bilder zu machen: 

Dunlin and Sanderling 

Nun zeigen diese beiden Aufnahmen die Vögel in Farbe. Fotografie aber wird erst dann automatisch zu Kunst, wenn man alles in Graustufen transformiert. Deshalb müsste das erste Foto dieses Beitrages doch Kunst sein, oder?

Ich habe mir bei diesem Sanderling-Gruppenbild erlaubt, auch noch die Kontraste etwas zu verstärken.

An diesem Tag blieb es auch gegen Mittag furchtbar dunkel. Nachts sind alle Katzen grau und so weiter, den Spruch kennt jeder, und eigentlich war da kein großer Unterschied mehr zwischen dem Originalbild und der schwarz-weißen Kopie. Den letzten Rest der Farbe kann ich eigentlich auch noch rausnehmen, so dachte ich spontan.

Und ich tat es einfach:

Zum Vergleich das Original in Farbe:




Wenn man fliegende oder auch laufende Vögel fotografiert, dann kann man ganz gezielt mit Unschärfen spielen, um dem Ganzen ein gerüttelt Maß Dynamik zu verleihen.

Hier ein laufender Sanderling:


Eine vergleichsweise lange Verschlusszeit (in diesem Fall etwa eine hundertstel Sekunde) lässt zumindest das hintere Bein und auch das Heck des Vogels unscharf werden, während der vordere Teil des Sanderlings einigermaßen scharf abgebildet wird.

Ist das jetzt Kunst?

Hier mal ein ganz besonderes Bild, das ich nicht wirklich erklären kann:



Am schärfsten sind hier noch die sich bewegenden Flügel der Sanderlinge abgebildet.

Wenn ein Vogel fliegt und die Flügel gerade nicht bewegt, dann sollten auf einem Foto alle Körperteile gleich scharf dargestellt werden. Bewegt er aber die Flügel, dann sollten diese verwischen, während der ruhig gehaltene Körper eigentlich scharf sein sollte. Hier ist es aber umgekehrt, so als habe der Vogel seinen Körper rasch bewegt, nicht aber die Flügel.

Eigentlich ist das also ein Ding der Unmöglichkeit. Und ich habe wirklich keine Ahnung, wie es passieren konnte.

Nachtrag vom 10. 1. 2015:

"Während der Belichtung hast du die Kamera nach unten „verrissen“. Die Körper der Sanderlinge sind daher unscharf. Die Flügel, die in diesem Moment von den Vögeln nach oben bewegt wurden, sind noch viel mehr unscharf. Die Flügel aber, die von den Vögeln im Moment der Belichtung nach unten bewegt wurden, folgten deiner unfreiwilligen Kamerabewegung und sind daher die schärfste Partie des Vogels."

Das schrieb mir am 9. 1. 2014 Jochen Roeder aus Leimen zu diesem Bild, und seine Erklärung leuchtet absolut ein. Danke dafür!

Doch woher will der liebe Kollege eigentlich wissen, dass meine Kamerabewegung unfreiwillig war? Das Bild ist das Resultat meiner ausgefeilten Planung. Ich wollte nur mal testen, ob hier überhaupt jemand diese Zeilen liest...

Abgesehen davon ist das Foto natürlich trotzdem irgendwie Kunst ;-)


Die Schwingen verwischt, die Körper einigermaßen scharf; im Gegensatz zum vorausgegangenen Bild gehorcht auf dem folgenden alles den physikalischen Gesetzmäßigkeiten:



Ich bin der Meinung, dass auf einem Foto wenigstens das Auge, nein, der ganze Kopf eines Tieres scharf abgebildet sein sollte. Doch heuzutage gewinnen genau jene Bilder vermeintlich wichtige Preise, die komplett unscharf sind, als hätten die Fotografen in der Eile ins Nirwana fokussiert.

Bei mir landen solche Bilder in der virtuellen Tonne, auch weil ich der Meinung bin, dass das nichts mehr mit Naturfotografie zu tun hat.

Aber ist es automatisch Kunst, nur weil jemand nicht mit seiner Kamera umgehen kann oder über das Reaktionsvermögen eines Hundertjährigen verfügt?

Mir ist klar, dass diese Menschen das absichtlich machen. Doch anfangen kann ich mit solchen Bildern rein gar nichts. Ich bin da wohl altmodisch. Genauso gut könnte man auch eine Leinwand mit Farbe vollklecksen – so ganz ohne Konzept. Und um mich erst gar nicht dem Diktat der angeblich modernen Fotografie zu unterwerfen, habe ich noch nie an irgendwelchen Wettbewerben teilgenommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass da jemand über Sieg und Niederlage entscheidet, der meinen Geschmack teilt, ist nämlich eher gering.


Aber was ist denn jetzt Kunst?

Ich denke, sie existiert allenfalls in den Köpfen der Menschen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob es um Malerei, Fotografie oder eine Verhüllung des Reichstags geht. Hape Kerkeling und Achim Hagemann haben das seinerzeit eindrucksvoll belegt mit ihrer geilen Hurz-Satire. Die Reaktionen eines Teiles des Püblikums, vor allem aber die nicht auf die absurde Vorstellung der "Künstler" reagierenden Menschen auf den Stühlen im Saal, haben den Wirbel, der um Kunst gemacht wird, als sinnfrei enttarnt. Es gibt keinen Unterschied zwischen Hurz und Fettecke. Das Publikum sowie selbst ernannte Experten entscheiden darüber, wann etwas zu Kunst hochstilisiert wird und wann nicht.

Meine Meinung dazu: Es gibt Dinge, die beim Betrachter Reaktionen und Emotionen auslösen. Dinge, die manchen, aber eben nicht allen Menschen gefallen. Man muss das nicht begründen können, weil es keinen wirklichen Grund dafür gibt. Es unterliegt immer der subjektiven Sichtweise des Einzelnen. Es gibt Menschen, die etwas können, was nur wenige andere beherrschen, aber für mich sind all diese Fertigkeiten eher das Resultat eines besonderen handwerklichen Geschicks. So kann ich nicht annähernd so gut malen wie Lars Jonsson, doch letztendlich sind seine Bilder ausschließlich das Stoffwechselprodukt seines Talents, das meines in Sachen Malerei eben bei Weitem übersteigt. Der herausragenden Qualität seiner Bilder tut das aber natürlich keinen Abbruch.

Und deshalb ist Lars Jonsson für mich kein Künstler, sondern eher ein Held!




Diese süßen Strandläufer haben sich ganz bestimmt noch nie mit vermeintlicher oder echter Kunst beschäftigt.

Sie sind ausschließlich darauf badacht, ihren Magen zu füllen. Und wenn sie das endlich geschafft haben, dann gönnen sie sich am sturmgepeitschten Strand an der Ems eine verdiente Ruhepause.

Genauso ergeht es diesem weiblichen Zwergsäger, den Herald Ihnen aus Freepsum (wo ich vor ein paar Wochen geblitzt worden bin) an den Hauener Pütten fotografieren konnte:





Smew (Foto: Herald Ihnen/Freepsum)

Und auch dieses Sommergoldhähnchen in Heralds Garten ist ausschließlich mit der Nahrungssuche beschäftigt:

Firecrest (Foto: Herald Ihnen/Freepsum) 

Da bleibt einfach keine Zeit für Kultur.


So, am Ende des Beitrags gibt es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit: Ich glaube inzwischen fest daran, dass es sich bei meinem Blog um Kunst handelt ;-)

In diesem Sinne wünsche ich allen netten Menschen im Kosmos etwas verspätet ein frohes neues Jahr!