wilde perspektiven

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Sonntag, 8. Februar 2015

Die Zwergmöwe Jonathan

Die am 21. Januar wie aus dem Nichts aufgetauchte junge Zwergmöwe trieb sich auch gestern noch im Watt und am Deich bei Hamswehrum herum!

Und weil sie so freundlich ist und mir immer wieder neue Chancen auf gute Bilder einräumt, habe ich ihr nun einen Namen gegeben. Wir sind doch auch längst vertraut miteinander und ein eingespieltes Team und auf Du und Du und so weiter.

Kurz: Sie heißt jetzt Jonathan!

Erklären muss ich das natürlich nicht, die fünf regelmäßigen Besucher dieser Seite sind blitzgescheit ;-)



Jonathan Livingston "Little" Seagull

Noch nie in meinem Leben hatte ich bis zu diesem Vogel die Gelegenheit, eine Zwergmöwe zu fotografieren. Warum das so ist, kann man im ersten Beitrag über diesen Gast nachlesen: Zwergmöwe im Paradies!

Dort finden sich auch allgemeine Infos zu dieser Art.

Jonathans Lebensraum hinterm Deich, aufgenommen zur blauen Sunde:

Jonathan's habitat (power station Eemshaven/NL in the background)

Zunächst aber soll es einen kleinen Exkurs in die Meteorologie geben.

Vergesst alles, was ihr jemals über Wolkenbildung gehört habt. Wolken sind nämlich ausschließlich ein Nebenprodukt der Kraftwerke, wie man auf diesem Bild erkennen kann. Entsprechend gäbe es bei uns ohne Kraftwerke auch keine Wolken; dann sähe es hier so aus wie auf Teneriffa, wo immer die Sonne scheint.

Und es wäre doch langweilig, wenn man das Wetter der kommenden sieben Wochen immer bis auf den letzten Regentropfen exakt voraussagen könnte. Wozu bräuchte man dann noch Leute wie Karsten Schwanke? Ich meine, die Menschen auf den Kanaren können sich doch gar nicht vorstellen, was Wetter überhaupt bedeutet. Wenn die da über ihren Eilanden mal eine Wolke sehen, dann bekommen die Angst, weil sie nicht wissen, was genau da auf sie zukommt ;-)


Jonathans Lebensraum vorm Deich:

Der asphaltierte Weg links im Bild wurde von Jonathan immer nach Regenwürmern abgesucht. Zumindst dann, wenn ich keine Mehlwürmer im Gepäck hatte.

Auf diesem Parkplatz wurde nach dem Essen gerne geruht. Auf dem Bild stand der Vogel, soeben erkennbar, zwischen dem Auto und der Schutzhütte:

Hier döste er vor der Schutzhütte, statt reinzufliegen, obwohl es doch so ungemütlich war (Schneeregen von rechts, links, vorne und hinten ).

Aber als Zwergmöwe mag man es anscheinend böig und nass um den Schnabel:


Jonathan refused to shelter from the horrible weather conditions and kept standing in front of the refuge

Im Hintergrund ein Schweinestall:

Jonathan kam stets sofort auf mich zugeflogen, sobald ich über den Deich stieg. Stieg ich nicht über den Deich, fand er mich auch in meinem Auto, weil er von Zeit zu Zeit den Parkplatz kontrollierte. Sogar nach einer kompletten Woche meiner Abwesenheit hatte der Vogel mich noch nicht vergessen.

Okay, ich relativiere: Er kam natürlich nur auf mich zugeflogen, wenn er Hunger hatte. War er satt, zeigte sich der Vogel uninteressiert. Und deshalb war es nicht etwa so, dass ich ihm jederzeit sagen konnte, was zu tun ist, nein, er bestimmte wie eine Katze darüber, wann ich Fotos machen durfte und wann nicht. Denn leider verbrachte Jonathan die Zeit zwischen den Mahlzeiten meist weit draußen im Watt oder auf der Ems, wo er badete und sich ausgiebig putzte.

Unerreichbar für meine Kamera und mich.

Ich bin ihm aber zweimal hinterhergelaufen:


Meine Spuren und die Zwergmöwe im Watt:

Meist dauerte es etwa eine halbe Stunde, bis sich bei Jonathan wieder der Hunger meldete.

Dann aber konnte ich ihn zu besonders fotogenen Plätzen lotsen. 

Der hungrige Jonathan folgte mir nämlich wie ein Hund seinem Herrchen oder Frauchen auf Schritt und Tritt:


Und wenn ich die Mehlwürmer nicht sofort rausrückte, dann krächzte die Möwe mit Nachdruck. Dieses Krächzen nahm an Lautstärke und Häufigkeit zu, je länger ich dem Vogel das Futter vorenthielt.

Voll süß, die Stimme der Zwergmöwe. Ich kann sie inzwischen ganz gut imitieren!

Hier mal eine fliegende Lachmöwe zum Vergleich (Knock, Oktober 2010), die gegen die Zwergmöwe wie ein Gigant wirkt. Und tatsächlich ist die Zwergmöwe die kleinste Möwenart im Kosmos:

Black-headed Gull for comparison

Okay, das Federkleid lässt sich wegen des unterschiedlichen Alters der beiden Vögel nicht so gut mit dem der Zwergmöwe vergleichen. Aber schaut euch mal den Schnabel an! Im Vergleich mit den größeren Arten wirkt er immer sehr schlank, doch wenn man in den letzten Tagen immer nur eine Zwergmöwe aus der Nähe bestaunt hat, dann kommt einem der Lachmöwenschnabel plötzlich voll klobig vor.

Es ist eben alles relativ.

Zu Beginn unserer Freundschaft, die eher einer Symbiose gleichkommt, fotografierte ich Jonathan ausschließlich auf dem Parkplatz:

Nach ausgiebigen Regenfällen gab es da vorübergehend eine große Pfütze, in die sich der Vogel gerne stellte. Und weil ich mich auf den Boden legte, sieht man das jetzt auf den Bildern gar nicht. Also man sieht überhaupt nicht, dass es sich hier nur um eine blöde Pfütze auf dem Asphalt handelte.

Es sieht eher wie ein richtiges Gewässer aus, wie eine Kleientnahmestelle vielleicht:



































Oft war das Licht am vorletzten Samstag schlecht, doch immer wieder gab es kurze Aufhellungen am wolkenverhangenen Himmel und manchmal schien die Sonne sogar ungefiltert auf uns herab:

























































Die ersten Bilder machte ich an diesem Tag vor Sonnenaufgang. Das Licht war irgendwie komisch, und die Farben des Vogels sowie seiner Umgebung gefielen mir nicht, weshalb ich diese Fotos allesamt in Graustufen transformierte. Ich bin schließlich alles andere als ein brillanter Bildbearbeiter.

Hier mal eine ganze Reihe in schwarz-weiß:

Durstlöschen ist auch für Möwen wichtig, weil sie sonst dehydrieren:

Gääääähn:

Und so sahen die Mehlwürmer aus, nachdem sie Jonathans Verdauungsapparat passiert hatten:

Little Gull Jonathan is a great captivator and turned the mealworms into this greenish liquid within few minutes


Während ich die Zwergmöwe fotografierte, hörte ich durchgehend die Balzrufe gleich mehrerer männlicher Hohltauben.

Schnell fand ich heraus, dass sie auf dem First eines nahen Schafstalles standen und dort  gemeinsam um die Aufmerksamkeit mehrerer Weibchen buhlten. 























while taking shots of Jonathan, I heard at least four male calling Stock Doves standing on the roof of a sheep shelter. Formerly this species was almost always breeding exclusively in tree cavities (of Black Woodpecker), but in the meantime became an opportunistic building breeder like domestic Rock Dove

Maximal konnte ich oben auf dem Dach zehn Individuen gleichzeitig beobachten, und zeitweilig ging es dort recht turbulent zu mit Verfolgungsflügen und so weiter.

Wie im Taubenschlag:


Früher war die Hohltaube vor allem ein Vogel des Waldes, der seine Nester in den Höhlen des Schwarzspechtes anlegte. In der Krummhörn aber gibt es keine alten Bäume mit ausreichend Stammumfang und somit auch keine Schwarzspechte. Entsprechend habe ich mich in der Vergangenheit immer darüber gewundert, dass man die Hohltaube auch abseits der größeren Wälder um Aurich und sogar zur Brutzeit nahezu überall antreffen kann.

Ich spekulierte auf Bruten in Kaninchenbauten, wie die Hohltaube es auch auf den Inseln praktizieren soll, doch nie konnte ich Vögel beim Aufsuchen oder Verlassen einer Karnickelhöhle beobachten. Tatsächlich brüten sie in Höhlungen und Nischen an Gebäuden, wie man es sonst eher von der Straßentaube gewohnt ist. Letzterer ist da also möglicherweise aus der eigenen Familie eine echte Konkurrenz um geeignete Nistplätze erwachsen.

Zurück zur Zwergmöwe Jonathan:

Das war dann auch das letzte Bild, das ich auf dem Parkplatz machte. Danach fotografierte ich nur noch auf der anderen Seite des Deichs.

Es musste einfach eine Veränderung her, denn wenn Jonathan auch immer nahezu identisch aussah, so hatte  ich doch immerhin die Möglichkeit, den Hintergrund zu variieren:


Also ging ich mit meinem kleinen Begleiter Richtung Salzwiesen, wo zunächst ein pfützenreicher Weg passable Möglichkeiten bot:


Jonathan am frühen Morgen im allerschönsten Licht, aber ohne Pfütze:

Besser könnte es nicht sein, doch leider kann man dieses Licht aus Zeitgründen nur allzu selten erleben und genießen!

"Frank, du brauchst einen Sponsor!" sagte neulich jemand zu mir. "Dann könntest du dich aufs Wesentliche konzentrieren und jeden Tag ins Outback gehen, von morgens bis abends. Und du würdest wahrscheinlich auch viel mehr entdecken. Und das wiederum könntest du in deinem Blog präsentieren, worüber ich mich sehr freuen würde..."

Meine Antwort: "Das wäre ein Traum, ich geb' dir meine Kontonummer!"

Also, liebe Herren Albrecht und Schwarz, liebe Quandts und Oetkers (um nur vier Beispiele zu nennen), falls ihr das hier lest, meldet euch bei mir, ich bin käuflich ;-)

a flock of Snow Bunting

So, Kinners, jetzt dürft ihr das Bild mit den Schneeammern da oben genau fünf Sekunden lang aufmerksam betrachten, dann solltet ihr schnell weiterscrollen.

Frage: Wie viele Individuen sind auf dem Foto zu sehen?

Notiert euch die Zahl, die Antwort gibt es nämlich erst ganz zum Schluss, wenn ich es nicht bis dahin vergessen haben sollte. Aber dann könnt ihr ja auch selbst nachzählen...
















mainly Curlews at low tide. The Wadden Sea offers food to thousands of tons of birds and therefore constitutes an important stop over site for many birds on migration as a well as overwinterers

Mit seinem schier unermesslichen Nahrungsreichtum stellt das Wattenmeer eine bedeutende Nahrungsquelle für Millionen von Vögeln dar. Auf dem Foto sind vor allem Große Brachvögel zu sehen, die hier in Ostfriesland wie u. a. Knutts und Alpenstrandläufer den Winter verbringen.

Salzwiesen mit Schneeresten in der Morgensonne:



Mallard

Auch diese auf einer Buhne stehende Stockente wusste die Vorteile des Wattenmeers zu schätzen.

Ich übrigens auch.

Auf dem Bild sind meine Isomatte und meine Kameraausrüstung zu erkennen. Im Hintergrund braute sich ein geiles Gewitter zusammen, das aber wohl vor allem die Inseln traf und Gebiete östlich meines Aufenthaltsortes. 

Im Watt fielen nur etwa vier Tropfen pro Quadratkilometer. Und die über eine ganze Stunde verteilt. Ohnehin geht im Falle eines Gewitters immer das Meiste an einem vorbei, egal, wie sehr sich der Himmel verfinstert:


My equipment, but where is Jonathan? 

Gefiederpflege, bei Hochwasser ausnahmsweise mal direkt am Ufer und vor meiner Linse:

Pause:

Alle Körperstellen müssen erreicht werden:

Wieder Pause:

Im wärmeren Abendlicht mit blauerem Wasser:



Dass sich die Zeit des Ausruhens ihrem Ende näherte, erkannte ich immer daran, dass der Vogel gähnte und sich ausgiebig auf dem Wasser streckte:






Ich brauchte dann nur zu pfeifen, und zack, die Zwergmöwe stand wieder vor meiner Kamera:

Irgendwann im Laufe der Woche fiel dann auch mal etwas Schnee.

Am Freitagnachmittag düste ich also rasch nach Hamswehrum, um Schnee und Möwe auf einem Bild zu vereinen.

Sorry, auf mehreren Bildern natürlich:






Little Gull in da snow 

Ebenfalls im Schnee, aber unter einem bedeckten Himmel:

Auf dem folgenden Foto stand die Zwergmöwe Jonathan in von der Ems angespültem Eismatsch:

Little Gull in da ice

Weil die Zwergmöwe in Deutschland ein eher seltener, mindestens aber ein übersehener Wintergast ist (Jonathan ist laut der aktuellen Verbreitungskarte auf Ornitho.de zurzeit eine von nur zwei in der ganzen Republik gemeldeten Zwergmöwen), bekommt man die Gelegenheit, sie in einer verschneiten Landschaft zu knipsen, nicht wirklich oft, zumal auch Schnee im mitteleuropäischen Winter keine Selbstverständlichkeit ist.


Das muss man dann auch ausnutzen:

Little Gull resting on da pack ice and...

...in da club... ;-)

Man beachte den dicken Hals!

Jonathan hatte sich nicht etwa aufgeregt, nein, sein Kropf war hier bis zum Bersten mit Mehlwürmern gefüllt. Er hatte sie zuvor geradezu in sich hineingeschaufelt.

Anschließend ging es wieder raus ins Watt:

Da draußen hat man nicht nur als Zwergmöwe einen sehr guten Überblick und kann mögliche Feinde schon auf riesige Distanz erkennen. Mindestens zweimal bestand Lebensgefahr, weil da plötzlich ein Wanderfalke auftauchte. Doch Jonanthan ist ein guter, wendiger und, wenn es darauf ankommt, tatsächlich auch ein sehr schneller Flieger und konnte sich so erfolgreich den Attacken des Greifs entziehen.

Trotzdem wird der kleine Krächzer Ostfriesland wohl bald verlassen.

Schade.

Ob wir einander wiedersehen werden?

Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß, doch ich hoffe und spekuliere darauf, dass sich die hübsche Zwergmöwe im kommenden Herbst an ihren letzten und so ereignisreichen Winterurlaub in der Krummhörn erinnern und vielleicht nach Hamswehrum oder Upleward zurückkehren wird. Wo sonst bekäme sie so lecker Essen für lau? In diesem Augenblick stelle ich mir vor, wie ich in einem Jahr auf dem Parkplatz am Deich aus meinem Wagen steige und Jonanthan auf mich zufliegen sehe: krächz, krächz!

Und dann wäre der Vogel fast adult, hätte diese attraktiven schwärzlichen Unterflügel und den dazu kontrastierenden weißen Flügelhinterrand, allerdings auch immer noch etwas Schwarz in den Hand- und Armschwingen. Fotos von so einer fast adulten Zwergmöwe wären für mich aber trotzdem eine ganz tolle Sache.


So, trotz dieser Informationsflut über diese eine Zwergmöwe muss leider eine Frage unbeantwortet beiben. Die Frage nach der Herkunft des Vogels. Finnland, Ostpolen, Weißrussland kämen ebenso infrage wie Gebiete jenseits des Ural.

Manchmal wäre es schon schön, wenn Vögel sprechen und uns Auskunft darüber geben könnten...

Bye, bye, Jonathan:

























Seht ihr, ganz frische Wolken ;-)

Ach ja, circa einhundert Schneeammern sind auf dem Bild da oben zu erkennen (gezählt habe ich 103)!

Nachtrag vom 14. 2. 2015: Letztmalig sah ich die Zwergmöwe Jonathan am 7. 2. 2015.