wilde perspektiven

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Sonntag, 15. März 2015

Bunte Spechte

Heute gibt es viele Bilder von bunten Vögeln. 

Es ist komisch, aber noch nie in meinem Leben habe ich mich über Gebühr mit Spechten beschäftigt. Meist sieht man sie ohnehin nur kurz, dann verschwinden sie in aller Regel wieder im Kronenbereich der Bäume, wo sie sich den Blicken der Menschen erfolgreich entziehen.

Im zeitigen Frühjahr geht bei diesen Baumeistern des Waldes richtig die Post ab.

Es wird viel gerufen und getrommelt, man verfolgt einander und es wird gebalzt. Und am Ende wird auch noch eine neue Höhle für den Nachwuchs gezimmert, wenigstens aber eine alte renoviert.

Setzt man sich auf einen Baumstubben und schaut in die Wipfel, dann wird einem wirklich nicht langweilig. Einziger Wermutstropfen sind die bereits im letzten Bericht erwähnten Nackenschmerzen...

Middelste Bonte Specht (mannetje)

Spechte sind temperamentvolle Vögel, die wahrscheinlich ausnahmslos an einem Herzinfarkt sterben.

Der männliche Mittelspecht da oben ist zwar noch nicht tot vom Ast gefallen, aber von erholsamer Ruhe hat er ganz bestimmt auch noch nie etwas gehört. Ständig kabbelt er sich mit seinen männlichen Artgenossen, und der böse Buntspecht, der quasi gleich nebenan wohnt, macht ihm zu allem Überfluss auch noch permanent die Hölle heiß.

Dabei hat alles ganz harmlos angefangen.

Nachdem ich herausgefunden hatte, dass der Mittelspecht im Ihlower Forst alles andere als selten ist (inzwischen sind es zehn Reviere, weitere immer noch möglich) und ich die ersten Belegfotos in der Tasche hatte, dachte ich mir, dass man es wenigstens versuchen sollte mit etwas anspruchsvolleren Bildern.

Middle Spotted Woodpeckers (MSW) love to eat suet cake

Also hängte ich in Sichtweite einer von den Vögeln immer wieder besuchten Höhle einen Meisenknödel ins Unterholz. Kein Scherz, ich erwartete nicht viel, wollte es aber wenigstens ausprobieren. 

Bei meiner ersten Kontrolle nach sechs Tagen zeigte sich der Knödel in seinem Urzustand. Niemand war dort gewesen und hatte an ihm genascht. Nach weiteren vier Tagen erwischte ich immerhin zwei Kohlmeisen auf frischer Tat sowie einen männlichen Buchfink, der sich jene Futterbröckchen einverleibte, die durch die Tätigkeit der Meisen heruntergefallen waren.

Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, wie sich die ganze Sache entwickeln würde.

Herald Ihnen (Freepsum) bekundete Interesse an den Mittelspechten, weil er in seinem Leben noch nie welche gesehen hatte. Wir tarfen einander im Wald, wo wir auch gleich fündig wurden. Und zwar genau an jener Stelle, wo ich den Meisenknödel aufgehängt hatte. 

Am nächsten Tag beobachtete Herald dann allein. Er saß auf einem toten Baumstamm und blickte nach oben, wo die Spechte sich immer mal wieder für einen kurzen Augenblick zeigten. Plötzlich kam einer der Vögel entgegen seiner Natur heruntergeflogen und landete wenige Meter neben Herald bei meinem Knödel, den mein Kollege bis dahin noch gar nicht entdeckt hatte!

Aha, das muss der Sudendey gewesen sein, dachte er folgerichtig.

Ich gestehe nämlich, dass ich Herald am Tag zuvor nicht auf die Nahrungsquelle aufmerksam gemacht hatte, weil dort ja bis dahin auch kein Specht aufgetaucht war. Okay, vielleicht hatte ich den Knödel auch schon längst vergessen, man wird ja schließlich nicht jünger...

Jedenfalls schickte Herald mir am Abend das folgende Bild:

Photo: Herald Ihnen (Freepsum)

Unglaublich, dachte ich nur, das gibt es doch gar nicht. 

Ohne Tarnung, einfach so aus der Hüfte.


Am nächsten Tag fuhr ich am ganz frühen Morgen in den Ihlower Forst. Ich errichtete mein Tarnzelt und stieg hinein. Über mir riefen Bunt- und Mittelspechte, in der Ferne auch ein Grünspecht, doch niemand tauchte vor meinem Tarnzelt auf. Nach zwei Stunden in der nassen Kälte wollte ich eigentlich aufgeben, doch genau in dem Augenblick, als ich meine Linse vom Stativ lösen wollte, hörte ich aus kürzester Distanz ein burrendes Fluggeräusch.

Und da stand er plötzlich vor mir, der ostfriesische Prachtkerl:

Eigentlich war es noch stockfinster, aber ich prügelte einfach die ISO auf 640, was ich nur in solchen Ausnahmefällen mache.

Weil der Waldboden so weich ist und das Stativ entsprechend instabil stand und federte, habe ich größtenteils digitalen Schrott produziert, aber für ein scharfes Bild hat es Gott sei Dank auch diesmal wieder gereicht.

Doch dann, meiner Meinung nach viel zu früh, schoss der Mittelspecht wie ein Blitz davon. Ehrlich, ich konnte nichts dafür.

Die wahre Ursache für die rasante Flucht ist auf dem nächsten Bild zu sehen:

Great Spotted Woodpecker (GSW)

Dieser männliche Buntspecht hatte den Knödel natürlich auch längst entdeckt und verscheuchte den kleineren Verwandten mal eben. Das ist die Macht des Stärkeren, dagegen kann man nichts machen, wenn man klein ist.

Gut für mich, denn der Mittelspecht wechselte nun ständig aufgeregt die Warten, während der Buntspecht in aller Ruhe frühstückte:

Leider hielt der Kleine aber nie still, alles ging so schnell. Kaum war er irgendweo gelandet, da flog er auch schon wieder ab. Und der Mittelspecht sah fast immer aus wie ein von Jägern gehetztes Reh, auch auf dem folgenden Bild:

Dabei bekam er immer nur dann einen auf den Deckel, wenn er sich am Knödel zu schaffen machte.

Wenn der Buntspecht aber endlich fertig und verschwunden war, dann schlug die große Stunde des kleinen Mittelspechts.

Puuh, endlich satt essen:

MSW was always chased by GSW, but finally succeeded

Merksatz für Laien: In diesem Beitrag sind zwei Specht-Arten zu sehen.

Der Mittelspecht kommt in Ostfriesland natürlich nicht nur im Ihlower Forst vor, das hatte ich ja bereits im letzten Post anklingen lassen.

So konnte ich im Schafhauser Wald bei Esens zwei Reviere in der Nähe des Spielplatzes finden. Dieses Vorkommen befindet sich nur wenige Kilometer südlich von Bensersiel und könnte das nördlichste für ganz Niedersachsen sein. Bestimmt sind diese zwei Paare nicht erst gestern dort aufgetaucht. Eher ist es so, dass sich bislang noch nie jemand die Mühe gemacht hat, dort nach dem Mittelspecht zu suchen*.

Gut bekannt ist dagegen das Vorkommen dieser hübschen Art im Egelser Wald bei Aurich. Dort konnte ich immerhin zwei Paare ausfindig machen, was in etwa den früher gemachten Angaben anderer Beobachter entspricht.

Und auch dieses Schild sah ich in mehrfacher Ausfertigung im Egelser Wald. Gut gemeint, könnte man denken, doch natürlich trügt der Schein.

Geht man nämlich an diesen Schildern vorbei, ich habe das mal eben für euch ausprobiert, dann stößt man stets auf einen Hochsitz sowie auf mehrere freigemähte Schneisen, die dem Jäger die Naturschutzarbeit erleichtern sollen.

Merksatz: Es grenzt an Zynismus, wenn man eine Schießbahn in eine Ruhezone umdeklariert!


Die Specht-Arena im Ihlower Forst (halbrechts der Knödel):

my hide in the wood

Die Geschlechter des Mittelspechts sehen einander sehr ähnlich. Der Geschlechtsdimorphismus dieser Art entspricht in seiner Ausprägung ungefähr jenem der Kohlmeise.

Und wie bei dieser kann man Männchen und Weibchen auch dann sofort erkennen, wenn sie nicht wie zum Vergleich nebeneinander posieren. Die Farben des Weibchens sind insgesamt viel weicher, die schwarzen Gefiederpartien lassen den Glanz des Männchens vermissen und der blassrote Scheitel reicht nicht ganz so weit in den Nacken wie beim Kerl.

Eine, nein, die Mittelspechtin:

MSW

Leider landete die Frau meist direkt auf dem Knödel, wenigstens aber in dessen unmittelbarer Nähe.

Dabei wollte ich doch auch von ihr Bilder machen, auf denen das Lockmittel nicht zu sehen ist.

MSW

Wenn ein Specht sich unseren Blicken entziehen möchte, dann verschwindet er blitzschnell auf die andere Seite des Stammes, auf dem er steht.

So wie dieser Buntspecht-Mann:

GSW

Witzig sieht es dann aus, wenn die Vögel den Hals immer wieder hin und her bewegen, um erst links und dann rechts am Stamm vorbeizuschauen und einen möglichen Feind im Auge zu behalten. Für den Fotografen ist das nicht so einfach, weil man immer wieder neu fokussieren muss. Hat man endlich die Schärfenebene getroffen, wendet sich der Vogel wieder auf die andere Seite – noch bevor man auslösen kann.

Selten, sehr selten, stehen Spechte über einen längeren Zeitraum wie eingfroren da.

Dieses Buntspecht-Weibchen machte es vor:

Der Ihlower Forst ist ein populäres Naherholungsgebiet, das den Menschen hier im eher waldarmen Ostfriesland mal ein echtes Kontrastprogramm zur endlosen Weite (oder Weide) bieten kann.

An Wochenenden ist dort fast immer die Hölle los, wie dieses Bild vom Hauptparkplatz belegt:

main parking lot Ihlower Forst on sunday afternoon – Ihlower Forst constitutes an important local recreation area for many people, even from the Netherlands

Die meisten dieser Menschen gehen aber schnurstracks und Energie sparend den Hauptweg, an dessen Ende sich das Klostercafé befindet. Dort gibt es dann eine leckere Belohnung in Form von Kaffe, Kuchen und Torte.

Für anspruchsvollere Jogger reichen diese wenigen hundert Meter aber nicht aus, um den gestählten Körper an die Leistungsgrenze zu führen. Sie trifft man dann auch auf allen anderen Wegen und in allen anderen Teilen des Waldes an:

Die Buntspechte im Ihlower Forst haben sich längst an den alltäglichen Trubel gewöhnt.

Besonders scheu sind sie jedenfalls nicht. Man muss sich aber was einfallen lassen und ihnen etwas bieten, wenn man sie auf Augenhöhe fotografieren möchte, denn von allein lassen sie sich nur selten in Waldbodennähe blicken.


GSW 

Und ein letztes Mal der männliche Mittelspecht zum Vergleich:



Der Lebensraum der Spechte im morgendlichen Nebel:


mixed deciduous forest – habitat of both species Middle and Great Spotted Woodpecker (and Little and Green and formerly even Black)

Zum Schluss gibt es heute etwas Lustiges:

Hier wird kein Unterschied zwischen Sportler und Nichtsportler gemacht:

Gesehen und fotografiert im Schafhauser Wald bei Esens.


* Dieses Vorkommen taucht zumindest nicht in den Berichten der OVO auf und auch nicht im Verbreitungsatlas der Vögel Niedersachsens. Die Datenerhebungen beider Werke liegen allerdings einige Jahre zurück. Möglicherweise hat man diese Vögel also in den letzten Jahren bereits entdeckt, nur ist es mir nicht bekannt.