wilde perspektiven

wilde perspektiven

Sonntag, 9. August 2015

Flussseeschwalbe

In Emden gibt es zwei Orte, an denen die Flussseeschwalbe regelmäßig zur Brut schreitet.

Mindestens zwei.

Nur zwei.

Wenige Paare brüten alljährlich auf stillgelegten Docks im Hafen, weitere, etliche Kilometer von ihnen entfernt, auf dem Dach des Schöpfwerkes an der Knock.

Weil die Vögel an der Knock die gesamte Brutzeit über in engem Kontakt zu Menschen stehen – der Ort wird von jedem zweiten Touristen angesteuert –, zeigen sie sich dort weniger scheu. 

Man kann sich einfach hinstellen und Bilder machen:




Common Tern – this species is a regular breeder in Emden with up to 25 couples this year

Allerdings ist es so ganz einfach auch wieder nicht!

Erstens sind 300 Millimeter eben doch fast immer zu wenig. Und zweitens ist das Licht meist nicht so prickelnd. Der frühe Morgen ist mein Favorit, aber dann sind die Seeschwalben irgendwie immer unauffindbar. Erst wenn die Sonne höher steht, tauchen sie wie aus dem Nichts auf und fischen vor dem Schöpfwerk, als sei nichts gewesen.

Ich glaube, die machen das absichtlich, die wollen mich verarschen:

Also bleibt einem nur der Abend.

Und an dem Abend, an dem diese Fotos entstanden (5. 8. 2015), war das Licht dann doch etwas zu mau:

Ich bin grundsätzlich kein Freund von Bildern mit tiefblauem Wasser oder tiefblauem Himmel. Beides spricht nämlich dafür, dass man zu spät aufgestanden ist. Und die Farben gefallen mir dann einfach nicht, von den widerlichen Kontrasten einmal abgesehen.

Unter solchen Bedingungen schieße ich allenfalls Belegfotos von einer selteneren Art, die man in Emden vielleicht nicht jeden Tag vor die Kamera bekommt. Aber selbst dann versuche ich stets noch weitere Bilder unter besseren Umständen hinzubekommen.

Ansonsten bleibt die Kamera einfach im Rucksack.









In diesen Tagen ist das Brutgeschäft der Flussseeschwalbe an der Knock fast erledigt. Wie viele Paare es 2015 waren, kann ich nicht einmal sagen. Es herrscht immer so ein Durcheinander um das Schöpfwerk herum. Und man kann ja nicht aufs Dach gucken. Zehn Paare sind es aber bestimmt wieder gewesen. Eher mehr.

Die voll flugfähigen Jungen haben schon vor ein paar Wochen das Flachdach verlassen und treiben sich nun fast den ganzen Tag über vor dem Schöpfwerk herum. Nur eben nicht am frühen Morgen. Weil es geringe Altersunterschiede gibt, steht ein Teil des Nachwuchses nur herum und wartet auf die Futter bringenden Eltern.

Die anderen, etwas älteren Jungvögel suchen einen beträchtlichen Teil ihrer Nahrung bereits selbständig, was den Altvögeln nur recht sein kann, weil sie so endlich entlastet werden.

Zur Zeit des "Ausfliegens" des Nachwuchses sind die Altvögel besonders nervös und attackieren laut rufend jeden Bürger, der sich dem Schöpfwerk auch nur nähert. Aus ihrer Sicht stellt jeder Mensch eine Gefahr für den Nachwuchs dar. Doch immer wieder verdrehen Besucher der Knock die Tatsachen ins Gegenteil und berichten mir unaufgefordert von gefährlichen Attacken der Seeschwalben.

Merksatz: Alfred Hitchcock lässt grüßen!

Wo ist der leckere Fisch?

Ich selbst habe noch nie den Schnabel einer Flussseeschwalbe im Auge eines Touristen oder Eingeborenen stecken sehen. Nicht einmal im Auge eines Österreichers, die hier in den letzten Wochen und Monaten aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, stark zugenommen haben.

Trotzdem wird in diesem Zusammenhang einfach ohne Ende übertrieben. Es verhält sich hier wie mit den immer wieder in der Presse auftauchenden Kolkraben, die angeblich gesunde Lämmer töten. Und kleine Kinder und so weiter.

Ich bin der Meinung, dass die Leute dann lieber zu Hause bleiben sollten, wenn ihnen die Natur nicht gefällt. Schließlich gibt es in Emden vielleicht gerade mal 25 Brutpaare von der Flussseeschwalbe und 50.000 Menschen. Da sollte sich auch der schlecht informierte Durchschnittsbürger etwas toleranter zeigen können.

Der Emstrichter, von mir immer liebevoll Ostfriesen-Amazonas genannt, bildet einen Teil des Jagdgebietes der Knockster Flussseeschwalben (im Hintergrund NL), doch fliegen die Vögel zwecks Nahrungssuche wohl auch bis nach Campen und sogar noch weiter Richtung Nordsee:



Seeschwalben ganz allgemein sind großartige und sehr elegante Vögel.

Alles, was sie so machen, wirkt leicht und locker. Wenn sie durch die Gegend fliegen, hat es den Anschein, als geschehe das ohne jeglichen Energieaufwand. Und so verwundert es nicht, dass diese Vögel unglaubliche Strecken auf dem Zug zurücklegen können, ohne "ins Schwitzen" zu geraten. Vielleicht sollte der italienische Süßwarenhersteller Ferrero diese Vögel irgendwie in die Yogurette-Werbung einbauen. Zusammen mit dem Silbereiher. Doch mal ehrlich, ganz bestimmt fielen diese Vögel nach dem Genuss nur einer Tafel wie Betonklötze oder Gullideckel vom Himmel, weil Werbung eben nur Werbung ist. Und weil sie einfach nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Trotzdem (halber Merksatz): Alle Ferrero-Sachen schmecken ziemlich geil, vielleicht außer Raffaello, Pingui und Mon Chéri. Letztere schmecken schon allein deshalb nicht, weil sie statt Alsterwasser irgendeinen verfickten Alte-Leute-Kirschlikör enthalten!

Oh, zwei auf einmal:

Früher war die Flussseeschwalbe auch im Binnenland ein häufiger Brutvogel. Ihr Name deutet das an. So genannte wasserbauliche Maßnahmen wie das Errichten von Staustufen und das Begradigen und Verbauen unserer Flüsse haben sie bis auf kleine Restbestände an die Küste zurückgedrängt. Vor allem auf den Inseln stellt sie eine geläufige Art dar, die dort gemeinsam mit der verwandten und sehr ähnlichen Küstenseeschwalbe in großen Kolonien brütet.

Flussseeschwalben überwintern vor Westafrika und dort wahrscheinlich hauptsächlich in Gewässern, die sich südlich der Sahara befinden. Das Gros der Individuen folgt auf dem Zug den Küsten, ein kleiner Teil, der wohl vor allem aus unerfahrenen Jungvögeln besteht, zieht aber auch durchs mitteleuropäische Binnenland. Dort erfreut er dann jene Vogelbeobachter, für die all diese Arten, die wir Küstenbewohner als selbstverständlich hinnehmen, eben noch etwas ganz Besonderes sind.

Im April kehren die Emder Flussseeschwalben aus dem Winterquartier zurück und beziehen sofort wieder ihre Brutplätze im Hafen und an der Knock. Dann ist die Seeluft wieder erfüllt von ihren charakteristischen Rufen, die man während des langen Winters entbehren musste!

Das Schöpfwerk an der Knock, auf dessen Dach die Seeschwalben alljährlich brüten:

nesting site of a small Common Tern colony on the flat roof of this building

Abschließend möchte ich mich noch etwas über die Schreibweise von Tier- und Pflanzennamen auslassen, weil mir das heutige Durcheinander, verursacht durch diverse Rechtschreibreformen, ein wenig auf den Sack geht.

Flussseeschwalbe wird doch wohl ohne Bindestrich geschrieben, weil sich das Wort aus nur drei Teilen zusammensetzt. Nämlich aus Fluss, See und Schwalbe. Bei Weißbart-Seeschwalbe und Graubrust-Strandläufer verhält es sich schon anders. Hier sind es vier Teile – Weiß, Bart, See und Schwalbe sowie Grau, Brust, Strand und Läufer –, die entsprechend durch einen Bindestrich in der Mitte voneinander getrennt werden. Wahrscheinlich einfach der Übersicht halber. Alle anderen Namen, die aus maximal drei Begriffen entstanden sind, sollten ohne Bindestrich auskommen können, wenn ich mich nicht irre.

Wenn man aber Wikipedia besucht oder bestimmte Bücher aufschlägt, dann geht es dort drüber und drunter. Vor allem bei den Pflanzen scheint es da keine Grenzen zu geben. Hier wird der blöde Bindestrich geradezu inflationär eingesetzt – und verliert so eigentlich seine ursprüngliche Bedeutung. Da heißt der Waldziest plötzlich Wald-Ziest oder die Felsenmiere eben Felsen-Miere.

Ich meine, die Waldschnepfe nennt man doch auch nicht Wald-Schnepfe, oder?


Was gab's noch?

Die hier:

Common Sea Slater

Es handelt sich dabei um die Klippenassel!

Jeder kennt die Kellerassel, und kaum einer mag sie. Sie kommt vor allem in Wäldern vor und dort ganz besonders in totem Holz, von dem sie sich als so genannter Destruent vorzugsweise ernährt. Grundsätzlich aber kann man ihr überall begegnen. Eben auch in Häusern, wenn Nahrungsangebot und Kleinklima stimmen.

Die geile Klippenassel kommt ganz bestimmt nicht zu euch in die Hütte.

Sie besiedelt ausschließlich die Spritzwasserzone diverser Ozeane. Weil sie steinigen Untergrund benötigt, meidet sie Sandstrände und Salzwiesen. Echte Klippen gibt es aber in Ostfriesland überhaupt nicht, doch das ist nicht schlimm, denn als Klippenassel ist man flexibel.

In Emden bewohnt sie u. a. die künstlich angelegte Uferbefestigung der Ems und hier den Bereich knapp oberhalb der sich täglich verändernden Hochwassermarke. Sie lebt also dort, wo das Spritzwasser bei hoher Tide gerade noch hingelangt.

Und so sieht es aus in der Spritzwasserzone, nur eben ohne Spritzwasser (es war ein windstiller Tag), dafür aber mit Blasentang (say it slow and dirty):


wet and salty habitat of Sea Slater with Bladder Wrack in the foreground and the Dutch city of Delfzijl in the background

Ja, nicht nur die berühmte Donau ist so blau wie ein Elefant.

Und wo es so schön ausschaut, da fühlt man sich als Klippenassel sauwohl:


Normalerweise ist die Klippenassel nachtaktiv, doch am 5. 8. 2015 liefen einige Exemplare am heißen und sonnigen Nachmittag auf den Betonplatten des Weges herum. Die meisten von ihnen schafften die Flucht vor mir und stürzten sich gerade noch rechtzeitig in die Fluten, doch von einer konnte ich am Ende doch noch Bilder anfertigen.

Von vorn:

note the unusually large eyes

Wenn es dunkel wird, kommt die Klippenassel aus ihrem Versteck hervorgekrabbelt, um nach Nahrung zu suchen. Ist gerade Niedrigwasser, zieht es die Tiere auch schon mal ins Watt hinaus, wo sie sich abgestorbene organische Substanzen reinziehen, die sonst keiner mehr essen mag. Eine sehr wichtige Aufgabe, die Mutter Natur diesen kleinen Tieren hat zukommen lassen. Resteverwerter, wenn man so will und so weiter. Und weil immer sehr viele Individuen gleichzeitig unterwegs sind, kann man ihnen beim einzigen echten und authentischen Abendmahl der Erd- und Menschheitsgeschichte auch zuhören.

Schmatz, schmatz, rrrrülps. Abgestorbene organische Substanzen scheinen echt lecker zu sein!

Jetzt siehst du mich nicht mehr, du hirnloser Depp (so denken Asseln also über uns Menschen), dachte sich wohl die Klippenassel und zog das Fahrwerk ein (Tarnstellung):



Die Klippenassel ist ein echtes Amphibium!

Zwar verbringt sie den größten Teil ihres Lebens an Land, doch kann sie auch mehrere Tage am Stück unter Wasser leben. Salzig und feucht sollte die Umgebung, in der sie sich aufhält, aber immer sein.

Ich mag die Klippenassel, weil sie so rasant durch die Gegend huscht, weil sie so ungewöhnlich große Augen hat und weil sie einfach lustig aussieht und eine sympathische Erscheinung ist, die so rein gar nichts von der phlegmatischen Kellerassel hat. Manchmal erinnerte sie mich an diesem Tag eher an den immer quickfidelen Bachflohkrebs, mit dem sie ja auch irgendwie ganz entfernt verwandt ist.

Ligia oceanica, das ist der wissenschaftliche Name der Klippenassel. Ausnahmsweise möchte ich ihn euch mal nicht vorenthalten. Klingt nämlich nach Kosmopolit, nach Größe und Weitsicht. Irgendwie schön jedenfalls.


Weniger schön ist das hier:

no comment

Im letzten Jahr hat man an der Knock diesen komischen Turm errichtet. Er dient diversen Übungen und wohl auch Prüfungen, denen sich Hubschrauberpiloten unterziehen müssen, wenn sie im Bereich der Unterhaltung von Offshore-Windparks tätig werden wollen.

Oder so ähnlich, denn nichts Genaues weiß ich eigentlich.

Ich lag gerade auf meiner Matte in der Sonne und wollte ein Nickerchen machen, als es plötzlich losging. Ein Hubschrauber näherte sich und mehrere Personen wurden immer wieder abgeseilt oder hochgezogen. Mal fand das Ganze auf dem Turm statt (siehe Bild), mal auf dem Boden. Ein Höllenlärm. Und absolut nichts für meine schwachen Nerven, die ausschließlich auf Naturgeräusche geeicht sind. Lärmende Saatkrähen in der Kolonie z. B. oder balzende Laub- und Grünfrösche machen mir nichts aus, ein stundenlang fast auf der Stelle schwebender Helikopter aber trieb mich am Ende in die Flucht.

Was soll ich schreiben, bei den meisten Menschen ist es genau umgekehrt!

Der Klügere gibt nach, dachte ich jedenfalls noch schnell auf meinem Weg zum Wagen, um mich sofort wieder zu korrigieren. Und zwar laut: "Nein, das darf nicht sein, denn dann bekommen die Dumpfbacken immer Recht!"


Gab's sonst noch was?

Irgendwann kehrte ich zur Knock zurück, weil dort jetzt endlich wieder Ruhe eingekehrt war. Während ich also an diesem lauen Sommerabend auf der betonierten Uferbefestigung nahe dem Schöpfwerk saß und den Seeschwalben bei ihrem Tun zusah, spürte ich plötzlich einen Stich an meinem linken Knöchel. Ich wusste, wer mir da diesen unsäglichen Schmerz zufügte. Ich brauchte nicht einmal hinzusehen. In meinem Alter kennt man seine Pappenheimer, das könnt ihr mir glauben.

Ein Wadenstecher stand dort an der Zapfsäule und saugte mein kostbares Blut!

Ich schloss einen Pakt mit ihm und sagte sinngemäß: "Wenn du stehen bleibst, während ich meine Kamera startklar mache, dann darfst du auch einen ganzen Liter trinken..."

Ich musste mich ganz schön strecken, weil mein Rucksack nicht unmittelbar neben mir lag. Zu allem Überfluss blieb mir auch der Wechsel des Objektives nicht erspart. Gleichzeitig durfte ich aber das linke Bein nicht bewegen, um den kleinen Chitin-Vampir nicht zu verschrecken.

Na ja, ich habe es hinbekommen, wie man sehen kann:



Stable Fly sucking my blood

Zu guter Letzt möchte ich euch ein Geheimnis anvertrauen.

Meist schreibe ich meine kleinen Erlebnisberichte, während die Waschmaschine ihren dreckigen Job erledigt. Dann bekommt das Warten einen tieferen Sinn. Voll metaphorisch: Dann erschlage ich quasi zwei Wadenstecher mit einer Klappe.

Obwohl ich meine liebe Waschmaschine damals nigelnagelneu erstanden habe, ist sie inzwischen einfach in die Jahre gekommen. Mindestens zweihundert Waschmaschinenjahre hat sie auf dem Buckel. Und ich traue ihr nicht mehr, weil sie sich standhaft weigert, die gerade mal zwei Stunden Waschzeit an nur einem Ort zu verbringen. Ich kann also die Wohnung nicht verlassen, wenn sie arbeitet. Ich muss sie immer im Auge behalten.

Eigentlich warte ich nur noch darauf, dass sie mich eines Tages hier vom Rechner abholt. Ich stelle mir vor, wie sie plötzlich im Türrahmen auftaucht und mit einem verschmitzten Lächeln im Bullauge sagt: "Frank, bin fertig, kannst mich ausräumen!"

Munter bleiben!