Montag, 31. August 2015

Frühe Heidelibelle

Schon des Öfteren in der Vergangenheit hat sie hier in diesem Blog den undankbaren Part des verzierenden Salatblattes übernehmen müssen. 

Die Hauptrollen haben immer andere Mitbewohner eingesackt. 

Das ist traurig, denn eigentlich hat die Frühe Heidelibelle alles, was man braucht, um es in diesem Blog auf den Titel zu schaffen.

Sie ist hübsch, sie ist nicht zu häufig, und sie ist vor allem wild!

In diesem Augenblick überkommt mich ein gerüttelt Maß Schamgefühl, weil ich die Frühe Heidelibelle so lange so sehr vernachlässigt habe.

Nicht nur mit Unterstützung des folgenden jungen Individuums möchte ich dieses Defizit heute aufarbeiten:

young fresh male Red-veined Darter on early morning, definitely born in Emden


Doch bevor es mit dem eigentlichen Thema losgeht, gibt es einen Nachschlag von der Wolfsburger Straße!

Ich war nämlich noch ein letztes Mal am ganz frühen Morgen dort auf der taunassen Brachfläche im Schatten des Volkswagen-Imperiums. 

Im vergangenen Jahr wurde diese Wiese etwa Mitte August gemäht. Da wollte ich schnell noch mal ein paar Bilder machen von all diesen großartigen kleinen Lebewesen, die von den meisten Menschen so gut wie nie beachtet werden.

Los geht's mit diesem Rätselschmetterling, der sich hinter einem Blatt versteckte und gleichzeitig unter der Last der schweren Tautropfen zusammenzubrechen drohte:

mystery butterfly (see below)

Doch bevor ich auflöse, möchte ich eine Nahaufnahme der Strandaster zeigen, die dort noch vereinzelt zu finden ist:



Sea Aster

Sie kommt dort deshalb nur noch vereinzelt vor, weil der Salzgehalt des Bodens immer weiter abnimmt.

Die Strandaster ist eine Pflanze der Salzwiesen. Diese werden in unregelmäßigen Abständen, aber grundsätzlich mehrmals im Jahr, vom Ozean geflutet und so mit Salz versorgt. Salz ist für die Strandaster und für viele andere ausgezeichnet an diesen extremen Standort angepasste Arten lebensnotwendig!

Der Kleiboden auf der Fläche an der Wolfsburger Straße ist dort vor vielen Jahren aufgespült worden und stammt aus der Ems. Flussvertiefung wegen Schifffahrt und so weiter. Weil es dort keine Überflutungen gibt – der Deich steht dem Hochwasser im Weg –, hat der Salzgehalt des Bodens im Laufe der Zeit stetig abgenommen. 

Irgendwann wird die Konzentration des Salzes so niedrig sein, dass er für die Strandaster nicht mehr ausreichen wird. Schlimm wäre das aber nicht, weil diese attraktive Pflanze jenseits des Deiches nach wie vor in großen Beständen vorkommt. Zum Beispiel in den Salzwiesen zwischen Emsstrand und Campen.


Der Rätselfalter von oben ist wieder ein Schwarzkolbiger Braun-Dickkopffalter, den ich kurz nach Sonnenaufgang entdeckte.

Im Profil ist die korrekte Bestimmung keine echte Herausforderung mehr, vor allem dann nicht, wenn man ganz nah herangeht:



the mystery butterfly is an Essex Skipper

Darüber hinaus erkennt man dann, dass Falter und Tautropfen gemeinsam ein naturkundliches Kunstwerk darstellen, dessen Brillanz sich dem Betrachter eben nur aus unmittelbarer Nähe erschließt.


Frisch erblühte Wilde Karde:



Wild Teasel

Ja, ihr englischer Name lautet nicht etwa Wild Card

Die gibt es nämlich nur im Tennissport, wenn sich ein Spieler nicht auf regulärem Wege für ein Turnier qualifizieren konnte. Tommy Haas ist im Verlauf seiner wahrscheinlich nie endenden Karriere einige Male in den Genuss dieser Sonderbehandlung gekommen, weil er in der Weltrangliste aufgrund zahlloser Verletzungen immer wieder weit zurückgeworfen wurde.

Nebenbei sei noch erwähnt, dass diese Blume sehr gerne für Trockensträuße verwendet wird, weil sie eben eine eigene Aura besitzt, die auch nach dem Verblühen erhalten bleibt.

So verbringt Weltmeister Mats Hummels die Nächte:

Bombus spec.

Anhand dieses Bildes kann ich nicht sagen, um welche Art genau es sich handelt. Aber es sollte eine Hummel der Gattung Bombus sein.


Zum eigentlichen Thema: Am Abend des vorletzten Samstag (23. 8. 2015) konnte ich gleich eine ganze Horde der Frühen Heidelibelle auf dem Rysumer Nacken beobachten!

Alle 36 Indivduen waren unausgefärbt und hatten zum Teil noch glänzende Flügel, was ein Beleg dafür ist, dass sie nicht etwa aus südlichen Gebieten zu uns nach Ostfriesland eingeflogen, sondern stattdessen tatsächlich in Emden geschlüpft waren.

Hier ein unausgefärbtes junges Männchen, das ich zwar noch kurz vor Sonnenuntergang, aber an einem bereits schattigen Ort fotografieren konnte.

Nahezu das komplette Tier wird sich in einigen Tagen in ein kräftiges Pinkrot umfärben:

a second fresh male Red-veined Darter, born in Emden – this primarily mediterranean migratory dragonfly occurs annually in Emden, but in yearly changing numbers, likely depending on weather conditions. In spring 2015 I found only few single specimens in Emden. But on last Sunday (23th August) there were 36 freshly emerged individuals hunting for small insects at Rysumer Nacken. Four different specimens are shown

Die Frühe Heidelibelle fliegt in Mitteleuropa als einzige Art der Gattung Sympetrum (Heidelibellen) auch schon im Frühjahr (Name!). Sie fällt dem aufmerksamen Beobachter also schon allein deshalb auf, weil sie dann die einzige rote Großlibelle ist. Alle vergleichbaren Arten, wie etwa die im letzten Bericht vorgestellte Blutrote Heidelibelle oder die Gemeine Heidelibelle, befliegen die Showbühne erst später im Jahr.

Als mediterrane Art kann die Frühe Heidelibelle unsere verfickt kalten norddeutschen Winter nicht überstehen, weder als Larve (von Einzelnachweisen abgesehen) noch als fertiges Insekt. Das bedeutet, dass sie jedes Jahr neu aus dem warmen Süden zu uns einfliegen und entsprechend einige hundert Kilometer zurücklegen muss. Ähnlich wie Distelfalter und Postillon und anders als das Kleine Granatauge, das sich auch in unseren rauhen Breiten etablieren konnte.

Weil sich die zugereisten Tiere aber hier fortpflanzen, spricht man im Falle der Frühen Heidelibelle von einem Vermehrungsgast. Wieder analog zu den Wanderfaltern Postillon und Distelfalter. Die Nachkommen der im Frühjahr eingewanderten Individuen, also die Tiere, die man hier auf den Bildern sehen kann, schlüpfen im August und  begeben sich entweder wieder auf den Weg nach Süden oder aber, was wahrscheinlicher ist, sie sterben, wenn die ersten Nachtfröste auftreten. Bevor sie aber ihr Leben aushauchen, können sie noch schnell Eier in den hiesigen Gewässern ablegen, aus denen vielleicht noch Larven schlüpfen, die sich dann aber wegen des unwirtlichen Klimas nicht mehr bis zur Libelle entwickeln können.

Und so geht das Schauspiel im kommenden Frühjahr aufs Neue los!

Mir ringt es Respekt ab, wenn kleine und so zerbrechlich wirkende Insekten diese unglaublichen Leistungen vollbringen und Distanzen zurücklegen, die selbst für den einen oder anderen Kleinvogel unmöglich erscheinen. Oft meint man, der kleinste Windstoß müsste sie wieder zurück ins Ursprungsgebiet blasen, doch wer einmal einen Postillon oder einen Distelfalter oder gleich eine ganze Gruppe dieser Schmetterlinge bei starkem Gegenwind nach Norden hat ziehen sehen, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Das sieht dann so aus:

art – despite strong head wind butterflies like Painted Lady and Dark Clouded Yellow migrate as far north as Ostfriesland or even Iceland. Isn't that stunning?

Bis heute ist übrigens nicht wirklich geklärt, warum all diese Arten diesen riesigen und auch auf den zweiten Blick unsinnig erscheinenden Aufwand betreiben. Würden die hier geschlüpften Generationen im Hochsommer geschlossen zurück nach Süden abwandern, sähe es schon anders aus, und man könnte von einem Zugewinn für diese Arten sprechen. Doch den gibt es unter den genannten Umständen dem Anschein nach nicht. 

Vielleicht kennt das ebenso junge und unausgefärbte Weibchen auf dem folgenden Foto das Geheimnis. Es sonnte sich abends im noch grellen Licht auf dem Schotterweg, der vom Restaurant Strandlust nach Rysum führt:


young female, also born in Emden – Red-veined Darter is easy to distinguish from other species, apart from sex and age. The unique bright bluish eyes alone exclude all other Sympetrum-species

Die Frühe Heidelibelle ist auch dann relativ leicht bestimmbar, wenn die nahen Verwandten bereits fliegen. Als einzige Art der Gattung Sympetrum hat sie nämlich diese hübschen himmelblauen Augen, die man mit dem Fernglas auch schon aus größerer Distanz erkennen kann. Andere Merkmale, und da gibt es einige, spielen dann eigentlich keine große Rolle mehr.

Ein sehr junges Männchen noch ohne jegliches Rot stand ganz ruhig da, nachdem sich die Sonne für einen kurzen Aigenblick verabschiedet hatte:



another male, born in Emden

Ein drittes Männchen im Gegenlicht:







fourth male, born in Emden

Alle fünf Bilder von der Frühen Heidelibelle habe ich mit dem Makro gemacht.

Bis auf eine Ausnahme alle freihändig und ohne Bildstabilisator, obwohl es aus östlichen Richtungen stürmte und die Vegetation wild auf und ab zuckte! Mein Stativ lag nämlich im Auto, und das Auto befand sich mehrere Meilen vom Ort des Geschehens entfernt. Ich kann und will eben nicht immer das ganze Gerümpel mit mir herumschleppen. Gerade an einem Tag, an dem die Temperaturen deutlich oberhalb der 20-Grad-Marke liegen, passt mir das überhaupt nicht in den Kram!

Auf dem Rysumer Nacken gibt es gleich eine ganze Reihe von Gewässern, die als Habitat für die Larven der Frühen Heidelibelle infrage kommen. Es handelt sich dabei um alte, stark verschilfte und flachgründige Spülfelder, die von Dämmen umgeben sind.

An der im folgenden Bild gezeigten Fläche gelangen mir die einzigen Nachweise der Frühen Heidelibelle im Mai und Juni dieses Jahres. Diese Individuen waren sehr wahrscheinlich gerade aus dem Süden zu uns eingewandert. Fotos gelangen mir leider nicht:

habitat of Red-veined Darter and further dragonfly species

Es ist wohl kein Wunder, dass ich die hier vorgestellten frischen Individuen des Hochsommers ausgerechnet in der näheren Umgebung dieses Gewässers fotografieren konnte. Sehr wahrscheinlich aber dienen alle Spülfelder auf dem Rysumer Nacken der Frühen Heidelibelle als Kinderstube. Als interessantere Brutvogelarten kommen dort Zwergtaucher, Wasserralle, Schilfrohrsänger, Blaukehlchen und Bartmeise vor.


An die allererste Frühe Heidelibelle meines Lebens kann ich mich übrigens noch sehr gut erinnern.

Vor etwa zehn Jahren stand ich im Venner Moor (Landkreis Osnabrück) herum und pinkelte in einen dieser tief ausgeschnittenen Entwässerungsgräben hinein. Deshalb nennt man Entwässerungsgräben eben Entwässerungsgräben. Eine rot gefärbte Heidelibelle flog an mir vorüber. Und ich staunte, denn es war Mai!

Etwas zu abrupt unterbrach ich mein Geschäft mit Mutter Natur, weil ich das Tier unbedingt genauer unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls auch fotografieren wollte. Doch die Libelle blieb zunächst unauffindbar. Ich hätte also ganz in Ruhe auspinkeln können, aber hinterher ist man immer schlauer. Als ich mich bereits damit abgefunden hatte, das Tier nie wieder zu sehen, tauchte es wie aus dem Nichts vor mir auf und landete mitten auf dem Weg!

Jetzt konnte ich die für mich neue Art aus geringer Distanz beobachten und in Gedanken die ersten Merkmale notieren. Dann schoss ich ein paar Bilder (damals noch analog), um schließlich einen Bekannten anzurufen, der sich mit diesen Biestern besser auskannte, als das damals bei mir der Fall war. Anhand der von mir am Telefon durchgegebenen Merkmalskombination war die endgültige Diagnose keine große Kunst mehr, zumal ich ja aufgrund der Jahreszeit ohnehin schon von einer Frühen Heidelibelle ausgegangen war.

Merksatz: Wenn man sich bzgl. der Bestimmung eines Tieres nicht hundertprozentig sicher ist, kann es nie schaden, jemanden zu fragen, der es besser wissen könnte. Da bricht einem kein Zacken aus der berühmten Krone. Das ist wie in dem Werbespot für die Gelben Seiten!


Eine letzte Libelle kann ich heute noch aus dem Ärmel schütteln:






record shot of a male Broad Scarlet, eventually born in Emden, but rather immigrated from the South – very first and probably last specimen of the year

Diese erste Feuerlibelle der Saison flog mir am Samstag (29. 8. 2015) auf dem Rysumer Nacken direkt vor die Füße und blendete mich mit ihrem krassen Rot. Also, ich musste die Augen schon richtig zusammenkneifen. Weil wir schon fast September haben und das Wetter jetzt umschlagen soll, wird es vielleicht auch die einzige Feuerlibelle dieses Sommers bleiben.

Leider blieb sie nur etwa zwei Sekunden stehen. Und weil Feuerlibellen die Flügel in Ruhehaltung stets sofort nach vorne strecken, bedecken sie hier den Kopf, weshalb der wiederum unscharf wirkt. Eine zweite Chance sollte ich aber nicht bekommen.  Die Feuerlibelle flog auf, kabbelte sich kurz mit einer Gemeinen Heidelibelle und verschwand schließlich hinter einem Erdwall. Und natürlich sollte ich sie auch nicht wiederfinden.

Diese männliche und so prächtige Feuerlibelle war die für mich persönlich bislang späteteste hier in Norddeutschland. Die meisten Individuen habe ich bislang im Juli entdecken können, doch gelangen mir Nachweise in allen Monaten zwischen Juni und August. 


So, zum Abschluss dieses Beitrags gibt es noch ein echtes Schmankerl!

Und zwar das Ro(s)tbraune Ochsenauge, das ich aber nicht in Emden fotografiert habe, weil die Art in Emden gar nicht vorkommt:



female Gatekeeper – in Ostfriesland this quite rare species is probably restricted to bogs while the similar and abundant Meadow Brown occurs almost everywhere, even on lawns

Das Foto entstand am späten Nachmittag des 20. 8. 2015 im Moor bei Tannenhausen. Und es zeigt ein Weibchen.

Ob das Rotbraune Ochsenauge auch noch an anderen Stellen in Ostfriesland fliegt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist das aber durchaus, gibt es doch noch einige weitere Moore, die ebenfalls als Lebensraum für diesen Falter infrage kommen.

Und vielleicht wird diese Art auch übersehen, weil sie große Ähnlichkeit hat mit dem anspruchslosen und nahezu überall vorkommenden Großen Ochsenauge, das sogar auf regelmäßig gemähten Rasenflächen fliegen kann.

Neben Unterschieden in der Zeichnung fällt im Feld vor allem auf, dass die hier gezeigte Art fast immer mit geöffneten Flügeln ruht, während sie beim Großen Ochsenauge meist geschlossen bleiben.