wilde perspektiven

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Samstag, 5. März 2016

Kalte Tage am Reiherschloot

Wie im vergangenen Jahr zeichnet sich auch in diesem ein eher lascher Winter ab. Ein Winter für Weicheier und Warmduscher, wenn man so will.

Milde Temperaturen, zum Teil sogar im zweistelligen Bereich, ließen in der Tierwelt zunächst kaum so etwas wie Not aufkommen. Doch dann kam es Mitte Januar plötzlich ganz anders. Wenigstens für ein paar Tage. Die Temperaturen fielen in den Keller und sanken hier in Ostfriesland für eine Nacht sogar auf minus zehn Grad Celsius!



I love these days when landscape is covered by ice and hoar frost

Hobbygärtner freuten sich darüber. Endlich geht es den Schnecken an den Kragen, so dachten sie bestimmt. Und all diesen anderen Nervensägen, die es sich in der Plantage hinterm Haus gemütlich gemacht haben und allsommerlich Obst und Gemüse als ihr Eigentum betrachten.

Ich bin kein Prophet, aber dieses hartnäckige Vorurteil wird sich ganz bestimmt auch noch ins 4. Jahrtausend retten! 

Doch wären diese Tiere tatsächlich so frostempfindlich, wie die Menschen landläufig meinen, dann kämen sie in unseren Breiten gar nicht vor. Diverse Stechmücken-Arten z. B. haben sogar Gebiete der Erde erfolgreich besiedelt, die ein Dreivierteljahr unter dickem Eis liegen. Das macht ihnen nichts aus, daran haben sie sich im Laufe der Evolution angepasst. Und so werden auch die unglaublich unbeliebten Nacktschnecken im kommenden Frühjahr völlig unbeschadet und mit einem konspirativen Grinsen im Gesicht aus der Erde gekrochen kommen wie Phönix angeblich aus der Asche.


Auch das so zart und zerbrechlich wirkende Rotkehlchen ist hart im Nehmen:






despite his fragile appearance European Robin is well adapted even to strong winter conditions

Es kann sich auch dann behaupten, wenn die Landschaft unter einer dicken Schneedecke verschwindet. Natürlich kommt es zu Verlusten, doch am Ende schaffen es immer ausreichend Individuen durch den Winter.

Der Lebensraum dieses Rotkehlchens am Reiherschloot im Ihlower Forst:

habitat of Robin at Ihlower Forst

Ich liebe solche Tage mit Raureif:





So malerisch.

Seht ihr die Bäume dahinten, die sich über den Schloot lehnen? Die tauchen weiter unten noch einmal auf.


Unmittelbar am Reiherschloot hatte ich für einige Wochen eine Futterstelle eingerichtet. Es waren vor allem Meisen, die sich dort einfanden.

Zum Beispiel diese Blaumeise:



a Curlew-billed Blue Tit 

Noch einmal dasselbe Individuum, das einen leichten Oberbiss zeigte:




Auch die allbekannte Kohlmeise ließ nicht allzu lange auf sich warten.

Hier ein Weibchen:

Great Tit

Und dazu gibt es noch einen Kerl, der immer wieder irritiert nach oben blickte, weil der Schneefall einfach nicht aufhören wollte.

Das Meiste geht ja an mir vorbei, dachte er bestimmt, doch wo kommt diese ganze verfickte weiße Kacke eigentlich her?





Na ja, vielleicht ist es für diesen Kohlmeisen-Mann der allererste Schnee gewesen...


Und auch insgesamt vier verschiedene Buntspechte ließen sich etwa im Stundenrhythmus am Futterplatz blicken, nur ausnahmsweise aber mehr als zwei gleichzeitig.

Das Bild zeigt eines der beiden Männchen:


male Great Spotted Woodpecker

Interessant ist hier vielleicht noch, dass man diese vier Spechte nicht nur anhand diagnostischer Gefiedermerkmale auseinanderhalten konnte. Auch in Sachen Futterpräferenz zeigten sie sich sehr individuell. Zwei bevorzugten Meisenknödel, einer Sonnenblumenkerne, ein anderer schließlich die leckeren Erdnüsse.

Merksatz: Auch Vögel ein und derselben Art können durchaus individuelle Vorlieben haben und sich innerhalb eines bestimmten Rahmens unterschiedlich verhalten!

Einige weitere Vogelarten tauchten immer wieder mal vor meinem Tarnzelt auf, doch die werde ich erst im nächsten Beitrag vorstellen. Und dann werde ich auch verraten, warum ich diesen ganzen Aufwand überhaupt betrieben habe.


Am Schloot selbst blieben vier wenige Quadratmeter große Abschnitte eisfrei, weil sie an kleine und künstlich errichtete Staustufen angrenzen.

Einige Silberreiher (und Kormorane im Hintergrund) belagerten einen dieser Abschnitte des Reiherschlootes, unmittelbar vor dessen Einmündung in den Ihlowerfehnkanal:



Great Egret

Silberreiher in einer Winterlandschaft allein sind schon ein Genuss für das Auge. Doch hier setzten vor allem die sich über den Schloot beugenden Schwarzerlen den entscheidenden Akzent. Als ich dort ankam, hatte Mutter Natur dieses vergängliche Kunstwerk bereits bis ins letzte Detail inszeniert. Ich brauchte nur noch die Kamera aus dem Rucksack zu kramen, draufzuhalten und abzudrücken.

Weil die Distanz zwischen den Vögeln und mir sehr groß war, flogen sie auch nicht weg. Ich hatte genug Zeit, verschiedene Belichtungen durchzuspielen. Eine weiße Landschaft ist in dieser Hinsicht immer eine echte Herausforderung. Dank der digitalen Technik kann man die Resultate aber sofort auf dem Display der Kamera überprüfen und, falls erforderlich, nachbessern.

Verzweifelte Kormorane fischten im nicht einmal knietiefen Wasser:


Great Cormorant

Der Kormoran ist quasi die Nacktschnecke unter den Vögeln.

Es gibt nämlich ignorante und naturferne Menschen, die allen Ernstes glauben, dass ihnen alles gehört. Wirklich alles. Auch die wild lebenden Tiere im Outback. Darüber hinaus teilen sie die Tierwelt in nützlich und schädlich ein und urteilen darüber, wer leben darf und wer nicht. Im Falle des Kormorans bin ich der Meinung, dass es unzulässig ist, einem seit jeher hier heimischen Vogel das Fischen in unseren Gewässern zu verbieten.

Merksatz 2: Die Besitzfrage ist auch im Falle eines Fisches erst dann geklärt, wenn er gefangen ist!

Übrigens konnte ich an diesem kalten Tag am Reiherschloot nicht ein einziges Mal sehen, dass die Kormorane erfolgreich nach Beute tauchten.

Selbst nicht so starker Frost lässt die Gewässer in Ostfriesland schnell komplett zufrieren. Es gibt hier eben so gut wie kein Gefälle. Der Höhenunterschied zwischen Geest und Marsch beträgt nur wenige Meter. Hinzu kommt, dass fast alle Gewässer flach sind.

Als Kormoran kann man unter solchen Umständen schnell verhungern!

Ich frage mich dann immer, warum die Tiere nicht zur eisfreien Ems ausweichen oder ins Wattenmeer. Normalerweise verfügen Kormorane über hervorragende Ortskenntnisse. Sie wissen ganz genau, wo es für sie etwas zu holen gibt. Trotzdem verweilten einige Individuen bis zum Ende der kalten Phase am Reiherschloot. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen. Entweder sie hatten doch hin und wieder Erfolg bei der Jagd oder aber sie wären am Ende tatsächlich verhungert, wenn diese Frostperiode noch länger angedauert hätte...

Dieselben Vögel:






Neben den dunkel gerandeten bronzefarbenen Federn auf der Oberseite, die so ein hübsches Muster schaffen, gefallen mir auch die smaragdgrünen Augen sehr gut. Etwas schade war und ist, dass sich die Kormorane (noch) nicht im Prachtkleid befanden.


Was wäre der Reiherschloot ohne einen Reiher?

Hier ist er, der geile Graureiher, der am oberen Rand der Grabenböschung über das Leben sinnierte.

Mindestens eine Dreiviertelstunde lang:





































Great Grey Heron

Hellwach wird ein tagträumender Graureiher aber auf der Stelle, wenn plötzlich Kormorane einfallen und zu fischen beginnen. Dann kommt blitzschnell Leben in den vermeintlich toten Körper. Der Hals wird gestreckt, der Kopf schnellt empor. Und der Vogel fliegt auf, um sich an einer günstigen Stelle am Wasser zu postieren. Dort lässt er sich dann von den Kormoranen die Fische vor den Schnabel treiben.

Weil im Reiherschloot aber anscheinend nichts zu holen war, schwamm einer der Kormorane frustriert auf den Reiher zu und biss sich in seinem Gefieder fest. Sowas hatte ich wirklich noch nie gesehen! Leider reagierte ich etwas zu spät, weil mich das Treiben am Wasserloch so sehr faszinierte und ich meine Kamera für einen Augenblich vergessen hatte.

Dieses Bild entstand kurz nachdem der Kormoran den Graureiher wieder in die Freiheit entlassen hatte:


































Jedenfalls sieht eine echte Symbiose anders aus!

Aus Sicht des Kormorans ist der Graureiher ein fauler und linker Sack, der nichts zum Gemeinwohl beitragen möchte.

Ein weiterer Graureiher tauchte auf.

Diesmal ein vorjähriger:



another Heron

Er ließ sich aber erst dann vor meinem Tarnversteck blicken, als alle anderen Vögel schon wieder das Weite gesucht hatten:

Als Graureiher ist man trotz der beachtlichen Größe ein Leichtgewicht. Da kann man sich auch schon mal auf dünnes Eis begeben.

All diese Bilder von Reihern und Kormoranen wären wohl noch viel beeindruckender ausgefallen, wenn ich mich auf den Boden gelegt hätte. Doch ich saß in meinem Tarnzelt, weil ich es auf den Eisvogel abgesehen hatte.

Doch der ließ sich erst viel später blicken. Zu spät sogar, denn inzwischen war dichtester Nebel aufgezogen. Und das auch noch etwa eineinhalb Stunden vor Sonnenuntergang:

Common Kingfisher

Licht gab es also plötzlich nicht mehr. Es war eher Nacht als Tag.

Den Eisvogel störte das aber nicht. Kaum war er vor meinem Versteck gelandet, fing er auch schon mit der Abendtoilette an und stürzte sich mehrere Male hintereinander entschlossen in die kalten Fluten. Jedesmal steuerte er im Anschluss eine andere Warte an, und jedesmal schaffte ich es nicht, ihn mit meiner Linse einzufangen, noch bevor er sich wieder ins Wasser plumpsen ließ.

Doch schließlich landete Frau Eisvogel auf dem gezeigten Ast und putzte sich ausgiebig. Weil der Vogel sich ständig bewegte, das Licht so übel war und die Verschlusszeiten entsprechend lang, sind fast alle Aufnahmen unscharf geworden, eben bis auf diese eine. Zufrieden bin ich damit aber nicht, denn so ganz ohne Lichtreflex auf dem Auge sieht der Eisvogel irgendwie aus wie ausgestopft. Und ausgestopfte Vögel mag ich überhaupt nicht.

Dieses Weibchen hatte ich zuvor bereits einige Male an meinem Tarnzelt an der Futterstelle vorbeifliegen sehen. Es hat die kurze Frostperiode heil überstanden. Und wenn das bereits der Winter gewesen sein sollte, dann wird es auch im kommenden Sommer in Ostfriesland so viele Eisvögel geben wie in den vergangenen zwei Jahren.


Es folgt ein letztes Bild, das einen Teilaspekt des Ihlower Forstes zeigt und belegen soll, dass es den kurzen und flüchtigen Wintereinbruch wirklich gegeben hat:

































Nochmal zu den Nacktschnecken: Im Ihlower Forst bin ich der Schwarzen Wegschnecke in allen drei Wintermonaten begegnet. Im Dezember. Im Januar. Und auch im Februar. Steigen die Temperaturen bis knapp unter die 10-Grad-Celsius-Marke, irren sie auf den Wegen herum. Nur vereinzelt, aber immerhin.

Zeit verplempern die jedenfalls nicht!


Noch schnell angefügt: Ist euch eigentlich aufgefallen, dass da sage und schreibe fünf Vogelarten aufeinanderfolgen, deren englischer Name mit "great" beginnt?

Und: Wenn euch dieser Beitrag nicht gefallen hat, dann dürft ihr auch nichts ins Gästebuch schreiben ;-)