wilde perspektiven

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Mittwoch, 1. August 2018

Das Wunder vom Rysumer Nacken

Ja, Kinners, heute wird es mal wieder so richtig spektakulär!

Nein, weder Heckensänger noch Prärieläufer haben sich in Ostfriesland blicken lassen.

Doch dafür bin ich endlich einer Pflanze auf die Schliche gekommen, die bis gestern nur aus alten Schriften bekannt war.

Um welche Pflanze genau es heute geht, erfahrt ihr aber erst später.


Die Nacht von gestern auf heute, also quasi von Juli auf August, habe ich mal wieder draußen verbracht. Diesmal schlief ich in der Nähe des Gassco-Geländes (Rysumer Nacken) auf Isomatte und im Schlafsack.

Es war eine angenehm kühle Nacht bei Temperaturen so um die 15 Grad Celsius.

Und natürlich war ich bereits hellwach, als es noch nicht einmal am Dämmern war. Ich musste doch so nötig! Und nachdem ich mein kleines Geschäft verrichtet hatte, konnte ich mich natürlich nicht mehr hinlegen, weil ich dann den entscheidenden Moment verpennt hätte.

Geduldig wartete ich also auf das Licht, das sich eine Stunde später zaghaft zu zeigen begann:

early morning at Wybelsum

Zuvor hatte ich mich bereits mit dem Auto auf den Weg Richtung Wybelsumer Polder gemacht, wo das obige Bild entstand.

An einem der Gewässer dort stand ein Graureiher auf einem Metalltor herum und langweilte sich:


Grey Heron

Weil sich keine weiteren Vögel blicken ließen, fotografierte ich die Wilde Karde am Wegesrand:

Wild Teasel

Alles bereits verblüht, dachte ich enttäuscht, doch einige Meter weiter hatte ich dann doch noch Glück:


blooming

Ja, ihr seht, die Sonne war inzwischen aufgegangen.

Ich knipste Corsilein:

my sweet Corsilein

Beachtet bitte das Kennzeichen!

Das hintere habe ich sogar noch etwas verschönert:

Darf man das eigentlich?

Ist es in diesem durchbürokratisierten Land tatsächlich erlaubt, auf einem "aktiven" Kennzeichen herumzukritzeln?

Mir egal.

Ich fuhr zurück zum Rysumer Nacken und entdeckte seltenen Bodennebel auf dem breiten Ems-Ästuar (im Hintergrund NL):




Ems estuary

Bereits am Abend zuvor hatte ich festgestellt, dass sich die Situation auf dem Rysumer Nacken abermals dramatisch verschlechtert hat.

Die meisten Pflanzen dort ächzen zurzeit unter der glühenden Sonne.

Viele von ihnen sind längst als Verlierer vom Platz gegangen:

no water, no life

Im Laufe des Tages wurde es immer heißer.

Am frühen Nachmittag hatte ich mich einige Kilometer von meinem Wagen entfernt. Zu viele Kilometer, wie ich bald feststellen musste, denn ich bekam ernsthafte Kreislaufprobleme und musste mich setzen.

Leider hatte ich weder Wasser noch Essbares dabei.

Mein Zustand verschlechterte sich zusehends. Mir war klar, ich würde nicht einmal mehr aufstehen können. Also blieb ich sitzen, um mich schließlich sogar hinzulegen. In meiner Fantasie stellte ich mir einen riesigen Trupp am heißen Himmel kreisender Gänsegeier vor. Ich ahnte, mein  letztes Stündlein hatte geschlagen. Hier, wo ich war, würde mich niemand finden und retten können. Und für Hilferufe war ich bereits zu schwach.

Mit allerletzter Kraft setzte ich mich wieder auf.

Selbst mein sonst so klarer Blick war inzwischen getrübt. Hunger und Durst machten mich beinahe verrückt. Ich verfluchte mich selbst, weil ich mich an diesem heißen Tag einfach überschätzt hatte. Und ich hasste mich, weil ich den Trend mit den klugen Telefonen nie mitgegangen war. Jetzt rächte sich meine Überheblichkeit, das wurde mir in diesem Augenblick schlagartig klar.

Doch dann geschah etwas, womit ich nicht mehr gerechet hatte!

Aus Gründen, die mir nicht einmal bekannt sind, blickte ich mich mit letzter Kraft um.

Und entdeckte nur wenige Dutzend Meter hinter mir das schier Unglaubliche:


fruiting Käsebrötchen tree

Ohne dieses Belegfoto würdet ihr mir meine kleine Geschichte wohl niemals glauben, oder?

Da stand doch tatsächlich ein einzelner Käsebrötchenbaum, der zu allem Überfluss auch noch reich mit saftigen Früchten behangen war, die mich jetzt auffordernd anlächelten. Diese Entdeckung setzte unerwartete Kräfte in meinem ausgezehrten Körper frei. Ich sprang regelrecht auf und rannte zum Baum. In nur wenigen Minuten schlang ich etwa zwanzig dieser kostbaren Früchte hinunter.

Bis ich Bauchweh bekam.

Trotzdem: Der Käsebrötchenbaum hat mir an diesem Tag das Leben gerettet!

Heute rief mich der geile Papst an. Er hatte von meiner Entdeckung gehört, sprach von einem Wunder und meinte, ich müsse auf der Stelle heilig gesprochen werden.  Ihr kennt mich und ahnt, dass ich dieses Angebot nur ablehnen konnte. Ich meine, es wäre schon verdient gewesen, doch bin ich ein bescheidener Mensch, der mit Auszeichnungen absolut nichts anzufangen weiß.

Diese männliche Wiesenweihe, beobachtet auf dem Manslagter Nacken, gab mir im Vorbeifliegen Recht:

Montagu's Harrier

Und auch dieses Blaukehlchen, das noch Reste des Jugendkleides zeigte und ganz bestimmt der ersten Jahresbrut entsprungen war, stimmte mir in allen Punkten zu:

young Bluethroat

Zu guter Letzt zwei Bilder von den wahren Helden dieser heißen Tage:

there is no shady place for the sheep to escape the boiling heat

Ja, das gewöhnliche Deichschaf hat es zurzeit sehr schwer.

Es trägt nach wie vor einen dicken Winterpulli und hat keine Möglichkeit, ein schattiges Örtchen aufzusuchen. Oft fehlt es sogar an Trinkwasser! Dieses Bild, aufgenommen südlich vom Diekskiel, entstand am frühen Morgen, als es noch recht kühl war, doch wenn die Temperaturen im Laufe des Tages wieder einmal einen kritischen Wert überschreiten, wird es eng für das arme Tier, das uns Menschen nicht ganz freiwillig mit Fleisch, Milch und Wolle versorgt.

Folgendes kann man dann beobachten: Die Tiere bilden Gruppen und stecken ihre Köpfe zusammen. Sie senken sie gemeinsam ab, um sie mit ihren Körpern vor der Sonne und somit vor Überhitzung zu schützen. Während sie also oft stundenlang so dastehen, atmen die Schafe rasant ein und aus. Wenn man das dann so sieht, befürchtet man Schlimmstes.

Und tatsächlich habe ich in den letzten Jahren einige tote Schafe auf Ostfrieslands Deichen gefunden. Immer dann, wenn es zuvor bedrohlich heiß geworden war.

Die folgenden Tiere aus dem Wybelsumer Polder verfügen sowohl über schattige Örtchen als auch über frei zugängliche flache Gewässer:




lucky sheep on early morning, when temperature was still low

Nur deshalb sehen sie auf dem Foto so glücklich aus.