Freitag, 14. September 2018

Vögel sind auch nur Menschen

Kinners, heute gibt's was Neues.

Doch bevor ich aufs eigentliche Thema zu schreiben komme, möchte ich noch schnell von einer besonderen Begegnung berichten.

Gegen Mittag des 8. September 2018, das war ein Samstag, fand ich zu meiner großen Freude einen Graubrust-Strandläufer (im Folgenden GBSL) in den Hauener Pütten.

Der seltene Gast stand nur etwa 20 Meter von der Straße entfernt auf einer Schlammfläche herum, abseits des ganzen Vogel-Trubels.

Ich muss mir selbst vorwerfen, gepennt zu haben, denn ich schaute etwas zu lang durch mein Fernglas, weil ich so baff war und der Vogel so gelassen wirkte. Nie hätte ich in diesem Augenblick der Ruhe damit gerechnet, dass alles aus dem Ruder laufen sollte an diesem Tag.

Denn plötzlich startete der GBSL durch – und alle anderen Vögel auch. Ich verfiel in Panik, stieg aus meinem Wagen aus, um den Strandläufer nicht aus den Augen zu verlieren, doch genau das passierte schließlich. Warum, so fragte ich mich selbst, habe ich nicht sofort meine Kamera aus dem Rucksack gepult? Das machte ich ja sonst auch immer. Man konnte ja in Ruhe gucken und genießen, aber eben erst dann, wenn man die erforderlichen Belege im Kasten hatte. 

Alles doof, dachte ich total enttäuscht, denn zu allem Überfluss blieb mir nicht einmal mehr die Zeit für eine ordentliche Nachsuche. Ich musste nämlich zur Arbeit! Immerhin ließ ich noch eine Meldung im Club300 absetzen, doch am Nachmittag konnten extra angereiste Beobachter den GBSL leider auch nicht mehr finden.

Und weil es somit keine Bilder gibt, bekommt der Vogel auch keinen eigenen Beitrag. 

Der GBSL ist Brutvogel der Arktis. Sein Verbreitungsgebiet reicht von der Taimyrhalbinsel in Sibirien über Alaska bis an die Westküste der kanadischen Hudson Bay. Bis heute weiß man nicht, woher die wenigen Individuen, die alljährlich in Europa auftauchen, stammen, also ob sie aus Nordamerika oder eben Sibirien zu uns kommen. 

Grundsätzlich sind aber wohl beide Varianten möglich. 

Für mich war der GBSL ein Lifer. Ich hatte ihn also nie zuvor gesehen, auch nicht auf meinen Reisen in die USA, wo diese Art ein häufiger Durchzügler sein soll. Diese Tatsache, also dass das der erste GBSL meines Lebens war, machte für mich alles nur noch schlimmer. Und wieso die ganzen Vögel überhaupt aufgeflogen waren, sollte sich auch nicht mehr aufklären. Normalerweise sind es Wanderfalke, Habicht oder Seeadler, die in den Pütten immer mal wieder für Panik sorgen, doch keinen der drei Greife konnte ich an diesem Tag am Himmel entdecken.

Morgenstimmung in den Hauener Pütten: 

early morning at Hauener Pütten

Zu sehen sind die weiten Röhrichte und der Deich, der die einstige Kleientnahmestelle vom NSG Leyhörn trennt.

Dieser Deich verläuft in Schlangenlinien und endet an einer Brücke im Hafen von Greetsiel. 

Wunderbar natürlich besonders der pittoreske Bodennebel, der zu dieser frühen Stunde einen auf Alpinist machte und den Deich erklomm, um auf dessen anderer Seite, also in den Hauener Pütten, wieder hinabzusteigen. 

Guten Morgen, Herr Schafstelze:


male Yellow Wagtail

Ja, ich war wieder in meiner kleinen Kleinvogel-Arena, um ein paar Bilder zu schießen.

Das Foto vom Morgennebel hatte ich bereits auf meinem Weg dorthin angefertigt.

Wenn man Vögel anfüttert, dann gibt es fast immer auch Gehässigkeiten und Grabenkämpfe zu bestaunen. Vögel sind wie wir, und wenn es ums Essen geht, dann verstehen sie keinen Spaß. So nach dem Motto: Heiner hat einen ganzen LKW voller Süßigkeiten, doch Heiner gibt nichts ab. Gab es da nicht früher eine entdprechende Figur in der Sesamstraße, die den Kindern aufzeigen sollte, dass Geiz nicht etwa geil, sondern Teilen die wahre Heldentat sei?

Egal, der obige Schafstelzen-Kerl ließ sich also vor meinem Tarnzelt blicken. Doch er war nicht etwa der Entdecker der Nahrungsquelle. 

Der sah so aus:


young male Northern Wheatear 

Dieser junge männliche Steinschmätzer fand die Mehlwürmer zuerst und verteidigte sie gegen fast alle anderen Vögel, die im Laufe dieses Morgens in der Arena auftauchten. 

Besonders gegenüber einem Artgenossen und auch den vielen Braunkehlchen zeigte sich der Vogel, der ein echter Geizhals war, kaltherzig und unnachgiebig. Und auch zwei Blaukehlchen bekamen stets ordentlich auf die Mütze, wenn sie sich allzu dreist der Nahrungsquelle näherten. Eilte ihnen der Steinschmätzer entgegen, dann zeigten sie oft eine ganz besondere Reaktion, die mich immer wieder zum Lachen brachte.

Sie suchten nicht etwa sofort ihr Heil in der Flucht, wenn der deutlich größere Steinschmätzer auf sie zulief, nein, sie stellten den Schwanz senkrecht auf, hoben den Schnabel ebenfalls fast senkrecht in die Höhe und trippelten dann beinahe provozierend vor dem Steinschmätzer her. Erst wenn dieser sie heftigst attackierte, machten sie sich vorübergehend aus dem Staub, um schließlich aber doch wieder aufzutauchen und einen neuen Versuch des Mundraubes zu riskieren.

Der Steinschmätzer kehrte nach jedem dieser Angriffe zu seiner Nahrungsquelle zurück:

same

Doch während seiner kurzen Abwesenheit kam immer mindestens eines der Braunkehlchen zum Zuge und konnte hastig den einen oder anderen Mehlwurm verschlingen, um dann aber wieder in die Flucht geschlagen zu werden. 

Von einem anderen Braunkehlchen – die waren sich nämlich untereinander auch alles andere als grün – oder eben vom Steinschmätzer.

Es war an diesem Morgen ein einziges Durcheinander, ein lustiges noch dazu, denn nichts ist schlimmer als Langeweile, wenn man mit seiner Kamera auf der Lauer liegt.

So aber war immer etwas los.

Interessant, für mich aber nicht neu, war auch die Tatsache, dass sich die Attacken des Steinschmätzers vor allem auf die nähere Verwandtschaft beschränkten. Die Schafstelze etwa konnte oft ganz in Ruhe essen, obwohl der Steinschmätzer in unmittelbarer Nähe zu ihr stand und alles im Auge behielt. 

Seine heftigsten Attacken richteten sich eben gegen die Schwestern und Brüder, also gegen Braun- und Blaukehlchen. 


same

same

Wenn ausnahmsweise mal keine nervigen Kontrahenten zu sehen waren, dann sang der Steinschmätzer ausgiebig. 

Hören konnte ich das aber nur, weil er direkt vor meinem Tarnzelt plauderte. 

Seinen eigentlichen Vollgesang wird der Piepmatz aber erst im kommenden Frühjahr in seinem wohl nordischen Brutgebiet erklingen lassen.

same

Ja, Vögel sind bisweilen so wie wir.

Sie geben nicht gerne ab. Und das ist in ihrem Fall auch sinnvoll, denn nur die Starken werden überleben. Survival of the fittest und so weiter, das habt ihr bestimmt früher oder gestern noch im Biologie-Unterricht gehört. Und stark wiederum sind in erster Linie jene, die einen vollen Magen haben. 

Die Gesetze der Natur sind nicht immer kompliziert, oft eher erstaunlich simpel.











































adult female Merlin

Dieser Merlin stand am 10. September 2018 auf dem Zaun neben der Straße, die durchs NSG Leyhörn und bis zur Seeschleuse führt.

Weil sich in diesem Bereich an den Tagen zuvor nicht selten gleich mehrere Turmfalken aufgehalten hatten, vermutete ich aus der Distanz nichts Besonderes und fuhr einfach weiter. Erst als ich mich auf Augenhöhe mit dem Vogel befand, erkannte ich, wer da auf dem Pfosten stand. Ein Fernglas benötigte ich für die Diagnose jetzt nicht mehr.

Ich ließ mir nichts anmerken und rauschte einfach an dem Merlin vorbei, um dann etwa hundert Meter weiter die Chicago-Schleife zu machen. 

Jetzt wurde es spannend!

Plötzlich hatte ich einen fadenförmigen Puls. Immerhin hatte sich der Merlin nicht auch nur ein bisschen gerührt, als ich ihn passsiert hatte. Ich hoffte also auf spektakuläre Bilder. Doch auf einmal waren mein Auto und ich dem Vogel nicht mehr ganz so geheuer. Er nickte schon mit seinem Köpfchen, sodass ich sofort anhielt, um wenigstens ein Landschaftsbild mit Vogel machen zu können. 

Tja, es gelang mir, wie ihr sehen könnt.

Mehr war an diesem Morgen leider nicht möglich.

Der Merlin flatterte davon.