wilde perspektiven

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Samstag, 15. Dezember 2018

Zwölf Heidelerchen trödeln auf dem Rysumer Nacken herum

Gestern, Kinners, war mal wieder einer dieser Tage, an denen es partout nicht hell werden will.

Das war aber nicht der Grund dafür, dass ich nach längerer Zeit mal wieder den Rysumer Nacken besucht habe.

Tatsächlich entscheide ich so etwas oft ganz spontan, nämlich auf dem Weg von meiner Wohnungstür zum Auto. Ich muss dann auch immer sehr schnell sein in meinen Entscheidungen, weil dieser Weg nur wenige Meter beträgt.

Tja, und gestern schlug das Pendel zugunsten des Rysumer Nackens aus.

Etwa sechs Kilometer legte ich am Zielort zu Fuß zurück. Gleich zu Beginn staunte ich über zwei Singdrosseln, die sich an den Früchten des Sanddorns gütlich taten. Doch Bilder ließen die scheuen Vögel leider nicht zu. 

Als ich mich bereits auf dem Rückweg zu meinem Wagen befand und auf dem Deich den Schritt beschleunigte, flogen auf einem Acker nebenan gleich sage und schreibe zwölf Heidelerchen auf! Ich konnte es zunächst nicht fassen, doch dann ergab ich mich der Situation und freute mir einen dicken Ast.

Der Acker (links der Deich, der an dieser Stelle nicht sehr hoch ist):








habitat of twelve resting Woodlarks at so called Rysumer Nacken

Die Heidelerchen blieben eine ganze Weile in der Luft, flogen hin und her und den Acker auf und ab, doch weil ich da auf dem Deich stand und sie im Auge behielt, trauten sich die Vögel nicht zu landen. 

Ich nutzte die Gelegenheit, meine Kamera startklar zu machen. Wie bereits erwähnt, war es sehr dunkel. Gleichzeitig war der Himmel weiß wie ein Laken. Weil meine Kamera nur eine Überbelichtung von maximal zwei Blendenstufen zulässt, kamen die Resultate am Ende immer noch viel zu dunkel daher, weshalb ich zu Hause am Rechner nacharbeiten musste. Mein Bearbeitungswissen ist bescheiden. Für mich spielt das aber keine übergeordnete Rolle, denn schließlich möchte ich die Natur ja so zeigen, wie sie wirklich ist.

Fliegende Heidelerchen:

photo composition: the two larger birds were added to show for instance the specific wing pattern of Woodlark

Das Bild ist eine Montage.

Die beiden großen Vögel habe ich nachträglich eingefügt, um wenigstens die für diese Art klassische Flügelzeichnung präsentieren zu können. Aber auch die Individuen im Hintergrund lassen sich wegen ihrer breiten Flügel und des proportional kurzen Schwanzes recht einfach als Heidelerchen bestimmen. Im Feld kamen natürlich auch noch die diagnostischen Rufe hinzu.


Die Heidelerche ist ein regulärer Durchzügler in Ostfriesland, allerdings in sehr geringer Zahl. 

Ob die Art hier auch brütet, ist mir nicht bekannt. Zumindest im westlichen Ostfriesland ist das aber definitiv nicht der Fall. Ich selbst würde auf den ödlandigen Inseln zur Brut schreiten, wäre ich eine Heidelerche, doch auch dort wird die Art nur zu den Zugzeiten festgestellt.

In meiner alten Heimat gab und gibt es eine Population auf einem Truppenübungsplatz bei Bramsche-Achmer. Dort konnte ich diesen ansonsten so seltenen Vogel alljährlich beobachten und belauschen. Nicht selten habe ich sogar die Schule geschwänzt, um mal eben bei der Heidelerche vorbeizuschauen! Ich mag ihren melancholischen, gleichwohl sehr angenehmen Gesang. Und auch die Rufe der Heidelerche könnten wohlklingender kaum sein. 

Düdelidü oder so.

Umso mehr hat es mich gefreut, sie gestern nach längerer Durststrecke endlich auch mal wieder auf dem Rysumer Nacken zu hören, wo ich auch in der Vergangenheit schon die eine oder andere Heidelerche entdecken konnte. Doch weil die früher so geeigneten Bereiche neben dem Gassco-Gelände inzwischen größtenteils vom Sanddorn erobert worden sind, bleiben potenziellen Gästen nur noch die Äcker für eine Unterbrechung ihres Zuges.

Der ganze Trupp auf einem Foto:




a flock of twelve late Woodlarks in one single picture

Die süße Heidelerche gehört vor allem in Mitteleuropa zu den Verlierern der letzten Jahrzehnte. 

Als Ödlandbewohner hat sie in unserer gar nicht mehr so geilen Republik absolut nichts zu lachen. Weil wir Menschen jeden Quadratmeter für uns selbst benötigen, vor allem für den Anbau unserer Nahrungsmittel, hat die Heidelrche hier zu Lande den größten Teil ihres ursprünglichen Lebensraumes eingebüßt. 

Heute kommt sie nur noch punktuell vor, fehlt in weiten Teilen des Landes wahrscheinlich sogar ganz, während sie noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Massenvogel gewesen sein muss. Dieses Schicksal des Lebensraumverlusts teilt sie mit allen Tier- und auch Pflanzenarten, die empfindlich auf Kultivierungsmaßnahmen reagieren, indem sie einfach lautlos weichen. 

Oh, endlich mal wieder ein Getreidehaufen in der Landschaft, nur drei Schritte vom Heidelerchen-Acker entfernt:




a huge pile of corn brought out by hunters as a bait for Roe Deer for instance. A thousandth of this amount would have been enough, but hunters often behave strange and tend to exaggerate

Kein Scherz, aber das war mal wieder so eine Ladung, wie sie nur ein Binnenschiff transportieren könnte. 

Jäger, die sich selbst gerne als einzige staatlich geprüfte Naturschützer bezeichnen, kippen die Landschaft gerne mit solchen Futtermengen zu, um bestimmte Tiere vor ihren Hochsitz zu locken und dann abzuballern. 

Der zu diesem Haufen gehörende Hochsitz befindet sich nur wenige Meter entfernt am Rande eines Gehölzes:

hunter's hide few meters away

Ich gehe davon aus, dass der Revierbesitzer ein alter Mann ist, der mit seiner Weitsicht ein Problem hat, denn sonst hätte er den Haufen nicht direkt vor seinem Versteck abkippen lassen. Manchmal findet man dort auch eine tote Graugans in einer Erdmulde oder andere eklige Dinge, die den Fuchs anlocken sollen. 

Der Zweck heiligt die Mittel. Nur wenn man weder Kosten noch Mühen scheut, kann man als Lodenträger aktiv Naturschutz betreiben. 


Die Heidelerchen waren in der Zwischenzeit immer noch nicht gelandet:


same flock

Natürlich habe ich die Beobachtung auch bei Ornitho eingegeben.

Ich war überrascht, dass es sich hier um eine von nur drei Feststellungen der Heidelerche in diesem Dezember für die ganze Republik handelte. Zumindest sind keine weiteren auf Ornitho gemeldet worden. Am 5. Dezember 2018 zog ein Vogel rufend über Ahrensbök (Schleswig-Holstein) hinweg, und am 9. Dezember wurden gleich 16 Individuen auf einem brachliegenden Acker bei Rhede (NRW) bei der Nahrungssuche beobachtet. 

Ich selbst hatte die Heidelerche zuvor nur wenige Male im Dezember beobachten können und zwar ausnahmslos auf dem bereits oben erwähnten Flugplatz Achmer. Nie waren es mehr als zwei Vögel gewesen, weshalb der gestrige Trupp schon etwas ganz Besonderes für mich war.

Mitteleuropäische Heidelerchen verlassen ihre Brutgebiete vor allem in den Monaten Oktober und November und überwintern hauptsächlich auf der Iberischen Halbinsel. Dort treffen unsere Vögel im Herbst und Winter auf die heimischen Populationen. In Südeuropa geht es der Heidelerche noch deutlich besser als bei uns, doch auch dort sollen die Bestände bereits rückläufig sein. Der Grund dafür auch hier: Kultvierungsmaßnahmen des Menschen.

Hier ein letztes Bild von zwei fliegenden Heidelerchen:


"We have to hurry. It is already December!"

Trotz der fehlenden Brillanz kann man gut erkennen, dass die Unterflügelzeichnung an jene der neuweltlichen Musendrosseln der Gattung Catharus erinnert und natürlich auch an die von Erddrossel und Schieferdrossel aus dem fernen Sibirien, nur eben "andersrum".

Das war mir neu!


Egal, die Heidelerchen riefen fleißig weiter, düdelidü oder so ähnlich, und gingen schließlich und endlich runter. 

Und ich stiefelte zu meinem Auto.