Dienstag, 21. April 2020

Ein Großer Fuchs besucht den Rysumer Nacken

Zu Hause, Kinners, laufe ich eigentlich immer barfuß herum.

Und auch für den Gang zu den Mülltonnen lohnt es sich nicht, extra Schuhe anzuziehen.

Im Grunde hat man doch auch nichts zu befürchten.

Das war zumindest lange Zeit meine Meinung, doch neulich wurde ich rücksichtslos eines Besseren belehrt. Ich trat am ganz frühen Morgen und noch bei völliger Finsternis, kaum dass ich aus der Tür war, auf etwas Schmieriges. Ich rechnete mit einer Nacktschnecke, doch tatsächlich hatte sich da ein Igel komplett danebenbenommen und auf meine Fußmatte gekackt.

Was für eine Drecksau!

Ja, es stimmt, ich war empört. Aber viel Zeit blieb mir nicht, empört zu sein, weil ich da einen zweiten, noch unversehrten Haufen neben dem von mir geplätteten entdeckte. Was soll ich schreiben? Ich ließ ihn einfach liegen. Inzwischen ist er getrocknet und bald, wenn alles gut ausgehen sollte, wird er zu Staub zerfallen und dann hoffentlich vom stürmischen Ostwind fortgetragen werden.

Putzen ist einfach nicht so mein Ding.


Vom Wind fortgetragen worden ist vielleicht auch der Kollege, um den es heute in erster Linie geht.

Der Große Fuchs:

this Large Tortoiseshell, that I found the day before yesterday at so called Rysumer Nacken, constitutes my very first personal record of this species for the Western part of Niedersachsen ("Lower Saxony"). The heavily worn hindwings indicate a specimen, that must have had a longer journey, maybe supported by strong Easterlies. Unfortunately this butterfly's origin remains unknown. All images show the same specimen

Vorgestern, also am Sonntag, hielt ich mich auf dem Rysumer Nacken auf.

Wie eigentlich immer suchte ich in einer Hecke, die parallel zum Zaun des Gassco-Geländes verläuft, nach interessanten Kleinvögeln, und wie eigentlich immer sah ich nichts, was mein Herz schneller schlagen ließ. Doch plötzlich flog da ein C-Falter vor mir vom Boden auf. Wenig später kabbelte sich dieser in der Luft mit einem identisch gefärbten, aber deutlich größeren Schmetterling! Sofort musste ich an meine bislang einzige Begegnung mit einem Östlichen Großen Fuchs denken.

Das war vor einigen Jahren im Ihlower Forst (einen Beitrag darüber gibt es hier im Blog).

Der größere der beiden Falter steuerte nach wenigen Sekunden einen Ast an, wo er seinen langen Rüssel in schmalste Ritzen schob und offensichtlich austretenden Baumsaft aufnahm. Zwar war es fast stürmisch an diesem Tag, aber hier, im Windschatten, sehr warm. Da war es doch verständlich, dass sich der kleine Kerl eine Erfrischung gönnte.

Der saugende Falter:


foraging

Ich freute mich über meine Entdeckung und "betreute" den Schmetterling ganz spontan etwa zwei Stunden mit meiner Kamera. 

Aus geringster Distanz nahm ich ihn unter die Lupe und schoss immer mal wieder ein paar Bilder. Um welche Art es sich hier handelte (okay, der Titel dieses Beitrages nimmt es vorweg), wusste ich nicht. Sicher war nur, dass es entweder ein Großer Fuchs oder eben ein Östlicher Großer Fuchs war. Die Unterscheidnug der beiden nahe miteinander verwandten Spezies ist ohnehin nicht so einfach, doch weil diesem Tier nahezu der komplette Hinterflügel-Hinterrand fehlte, war an eine Auflösung des Rätsels schon vor Ort überhaupt nicht zu denken.

Sonne tanken:

basking in the sun

Der Schmetterling hatte wohl eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Der abgenutzte Zustand seiner Schwingen war zumindest ein Indiz dafür. Immer wieder flog das quirlige Tier auf, um eine Runde zu drehen, einen neuen Ast aufzusuchen und dort Nahrung aufzunehmen oder einfach nur mit geschlossenen Flügeln zu ruhen. Dann war er nahezu unsichtbar.

Unsichtbar war er auch deshalb oft, weil er immer wieder tief ins Gebüsch vordrang, um dort nach Nahrung zu suchen:

Wäre ich im falschen Augenblick an diesem Abschnitt der Hecke vorbeigegangen, hätte ich den seltenen Gast mit Sicherheit übersehen.

Interessant auch: Je nach Beleuchtung wirkte die Behaarung der Flügelbasen manchmal fast weiß.

Vielleicht eine Frage des Einfallswinkels des Lichtes. 

Weil der Fuchs immer wieder an Borkenrissen saugte, wurde sein Tank nie leer. Ganz anders der Akku meiner Kamera, der plötzlich keinen Saft mehr hatte. Die vollen lagen schön aufgereiht nebeneinander auf der Kommode in meiner Wohnung. Wie ich jetzt feststellte, hatte ich vergessen, sie in den Rucksack zu packen.

Dummheit muss eben auch bestraft werden. 

Eine ganze Weile beobachtete ich den Schmetterling noch, bis er schließlich wieder im Innern der Hecke abtauchte. Diesmal ließ er sich allerdings nicht wieder blicken und auch nach längerer Suche meinerseits nicht mehr auffinden. 

Der Lebensraum:




 a hedge at Rysumer Nacken, habitat of Large Tortoiseshell

Ein weiteres Foto des sich sonnenden Falters:

Zu Hause wurde ich nach dem Studium meiner überschaubaren Literatur auch nicht schlauer, weshalb ich kurzen Prozess machte und zwei Bilder ins großartige Lepiforum stellte.  

Schon nach nur wenigen Sekunden erhielt ich die gewünschte Botschaft. Peter Schmidt bestimmte meinen Falter eindeutig als "normalen" Großen Fuchs.

Ach, ist es doch schön, dass es das Internet gibt!

Der Große Fuchs war früher wohl in ganz Deutschland ein häufiger Tagfalter. Doch längst sind seine Bestände in weiten Teilen der Republik komplett zusammengebrochen. In Niedersachsen wird er in der Roten Liste als vom Austerben bedroht eingestuft (Stand: Januar 2015). Und im Westen dieses Bundeslandes kommt er seit Jahrzehnten überhaupt nicht mehr regulär vor. Entsprechend war mir dieser Falter bis gestern in Westniedersachsen nie begegnet, weder im Raum Osnabrück noch im Emsland oder in Ostfriesland. Ein Lifer war der Große Fuchs natürlich trotzdem nicht, hatte ich ihn doch schon in Südwestdeutschland gesehen und in Rumänien. 

Der starke Rückgang dieses hübschen Tagfalters ist in der Vergangenheit vor allem auf den hemmungslosen Einsatz von Insektiziden zurückgeführt worden. An den Futterpflanzen der Raupe, z. B. Salweide und Zitterpappel, kann es jedenfalls nicht liegen, dass diese Art vielerorts ausgestorben ist. Beide sind auch in Ostfriesland sehr häufig. 

Ein echter Schönling ist dieser Große Fuchs, wenn auch einer, den das anstrengende Schmetterlingsleben deutlich gezeichnet hat:


foraging

In den letzten Jahren ist der Große Fuchs allerdings wieder verstärkt in Gebieten aufgetaucht, in denen er zuvor längst ausgestorben war. So gibt es inzwischen eine ganze Reihe von rezenten Nachweisen aus den Niederlanden und hier auch von einigen Inseln wie etwa Texel und Terschelling.

Möglicherweise findet, auch als eine Folge der Klimaerwärmung, zurzeit eine Wiederausbreitung statt. Das klingt unlogisch und das ist es wohl auch, denn gespritzt wird nach wie vor bis zum Abkotzen.

Kurz: Ich kenne den Grund für eine mögliche Arealausweitung nicht!

Trotzdem würde ich mich natürlich sehr über eine Wiederbesiedlung verwaister Regionen freuen!

Was soll ein ausführlicher Bericht über einen Falter, den ich schon so oft in meinem Garten gesehen habe, werden jetzt einige von euch denken. An meiner Buddleja treibt sich im Sommer nicht selten gleich ein ganzes Dutzend dieser Schmetterlinge herum.

Nein, nein, nein, ihr Spacken da draußen, wenn ihr in Norddeutschland wohnt, dann war das mit an hundertprozentiger Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer der ähnlich aussehende Kleine Fuchs:

Small Tortoiseshell for comparison

Dieser Tagfalter ist nach wie vor keine Seltenheit, auch wenn er in manchen Jahren nicht so häufig ist wie in anderen.


Ebenfalls auf dem Rysumer Nacken sah ich bereits am 24. März dieses Jahres einen Kolkraben, der über mich hinwegflog und eifrig rief. Dabei handelte es sich sehr wahrscheinlich um den ersten Nachweis eines Kolkraben in Emden seit dem Beginn der Wiederbesiedlung Westniedersachsens im 20. Jahrhundert. Nachweise und sogar erfolgreiche Bruten sind auf der Geest erfreulicherweise längst "gewöhnlich" geworden, vor allem im Dunstkreis von Mooren und Waldgebieten. Jetzt könnte ja mit etwas Glück die erste Brut in der Marsch folgen.

Am 11. April traute ich meinen Ohren nicht: Schon wieder waren da die Rufe eines Kolkraben zu hören! Ich schaute zum Himmel und sah gleich zwei Vögel, die diesmal in die entgegengesetzte Richtung flogen. Doch an eine Brut will ich noch nicht glauben. Nicht einmal an ein besetztes Revier, denn seit diesem Tag ist mir dort kein weiterer Kolkrabe vors Fernglas geflogen.

Hier eine nicht ganz scharfe Belegaufnahme der zwei Individuen vom 11. April:

two Ravens showed up on April 11th. Likely the second record ever for Emden since this species has recovered from extirpation (caused by fucking hunters) and nearly two weeks after I had already found the first specimen at the same location

Nicht vorenthalten möchte ich euch den süßen C-Falter, der mich letztendlich auf den Großen Fuchs aufmerksam gemacht hatte:

Comma

Danke dafür!

Zusammen mit zwei weiteren Artgenossen, einem Admiral, gleich mehreren Tagpfauenaugen sowie einigen Waldbrettspielen genoss er an diesem windgschützten Ort ausgiebig die wärmende Sonne. 

Auf der anderen Seite der Hecke befindet sich übrigens ein Acker, auf dem in diesem Jahr Kartoffeln angebaut werden.

Am Sonntag war der Landwirt dort mit dem Traktor unterwegs. Der Wind blies so stark, dass sich da ein beträchtlicher Teil des Bodens einfach aus dem Staub machte:



are we going to have another hot and dry summer?

Sollte der kommende Sommer etwa wieder so heiß und trocken werden wie die beiden vergangenen?

Inzwischen ist es hier ohnehin schon so warm, dass sich längst Tiere aus dem Süden bei uns wohlfühlen, wie etwa die Wespenspinne oder die Feuerlibelle, um nur zwei von ihnen zu nennen.

Auch die Mittelmeermöwe stammt, ihr Name verrät es bereits, aus einer Region mit deutlich milderem Klima. Seit einigen Jahrzehnten breitet auch sie sich nach Norden aus. Da darf es nicht verwundern, dass sich ein Prachtkerl dieser Art an der Knock mit einer hübschen Emder Silbermöwin zusammengetan hat und vielleicht sogar eine feste Beziehung eingegangen ist, um Mischlinge zu bekommen.

Der schlafende Vogel ist gemeint:

this Yellow-legged Gull (right) is currently dating a female Herring Gull. Maybe a bunch of sweet hybrids is going to be the result of this alliance

In den letzten Tagen habe ich dort tatsächlich nur noch die Mittelmeermöwe gesehen.

Das könnte vielleicht bedeuten, dass die Silbermöwe bereits auf einem Nest sitzt.

Doch wo?

Als einzige Möglichkeit käme an diesem Ort meiner Meinung nach das Dach des Schöpfwerkes infrage, wo auch alljährlich eine kleine Kolonie der Flussseeschwalbe ihren Nachwuchs aufzieht.

Ruhe da unten:


same bird

Das Belegfoto einer männlichen Ringdrossel soll den Beitrag abschließen:



male Ring Ouzel

Sie suchte am Montag Nahrung direkt neben dem Zaun des Gassco-Geländes, womit sich der Kreis wieder schließt.


Bleibt ganz zum Schluss noch der Igel: Für den Fall, dass ich ihn eines Tages auf frischer Tat ertappen sollte, werde ich ihn auf der Stelle übers Knie legen und ihm den stacheligen Popo versohlen.

Aber so richtig. 

Dass das mal klar ist.