Montag, 13. April 2020

Österliche Beobachtungen an der Knock

Jede Medaille, Kinners, hat auch eine Kehrseite.

In der Regel ist es eine dunkle oder schlechte, die man erst gar nicht sehen oder kennen lernen will.

Ähnlich verhält es sich ja mit vielen Dingen im Leben, nicht zuletzt auch mit uns selbst.

Am Mahlbusen an der Knock gibt es einen Bereich, den ich immer mal wieder gerne aufsuche und hier in der Vergangenheit auch schon des Öfteren vorgestellt habe.

Man kann dort aus meist geringer Distanz einigen interessanten Arten wie Feldlerche und Wiesenpieper bei der Nahrungssuche, bei der Balz und bei der Aufzucht des Nachwuchses über die Schulter schauen. 

Es reicht völlig aus, sich an exponierter Stelle auf einen der riesigen Maulwurfshügel zu setzen und zu staunen. 

So ganz nebenbei hat man dann auch noch den Mahlbusen selbst sowie den Himmel darüber im Blick und deshalb auch jene Arten, die nur als Durchzügler bei uns in Erscheinung treten. Mit etwas Glück sieht man im Frühjahr einen in der Thermik kreisenden Fischadler, in der Gruppe reisende Wespenbussarde, über dem Wasser jagende Trauerseeschwalben oder einfach die erste Mehlschwalbe des Jahres.

Oh, wie possierlich:













male Bluethroat

Laut Wikipedia ist ein Mahlbusen "die Erweiterung eines Vorfluters unmittelbar vor einem Schöpfwerk in Form eines kleinen Sees, der Wasser sammelt und vorübergehend speichert". 

Der Vorfluter ist in diesem Fall das Knockster Tief, das weite Teile des westlichen Ostfriesland entwässert, so zum Beispiel die Stadt Emden, die Gemeinde Hinte und auch Teile des Kreises Aurich. Der Mahlbusen selbst ist knapp 1,2 Kilometer lang und misst an seiner breitesten Stelle etwa 455 Meter. Auch wenn ich über die Tiefe des Mahlbusens nichts Sicheres weiß, mit den Ausmaßen des Baikalsees kann er jedenfalls nicht konkurrieren. 

Der Weg zum Ziel, mit meinem Tarnzelt im Hintergrund:

habitat of interesting species like Skylark, Meadow Pipit, and Bluethroat with my hide in the background

Wenn der Mensch Gewässer aushebt, das gilt auch für die unzähligen Gräben, die unsere Landschaft durchziehen, dann haben sie fast immer eine Gemeinsamkeit: es ist die Neigung der Uferböschung.

In der Natur ist ein Ufer meist entweder flach oder steil – viele Tierarten haben sich im Laufe der Evolution an diese Verhältnisse angepasst –, doch im Falle eines künstlichen Sees beträgt die Neigung der Böschung meist 45 Grad. Das ist auch der Grund für den vergleichsweise schmalen Schilfstreifen, wie man ihn im Bild erkennen kann. 

Immerhin reicht er aus als Lebensraum für so tolle Arten wie Rohrammer, Blaukehlchen und Schilfrohrsänger. Weil der permanente und bisweilen stürmische Wind das Wasser immer wieder gegen das Ufer drückt, sind aber auch am Knockster Mahlbusen inzwischen einige kleinere Steilufer entstanden, die zum Beispiel von der Uferschwalbe für das Anlegen ihrer Brutröhren genutzt werden. 

Das Foto zeigt einen Ausschnitt des Südostufers. Hier gestalten Wildkaninchen, Maulwurf und Nonnengans die Landschaft. Letztere hat dafür gesorgt, dass die Fläche zwischen Mahlbusen und der Jannes-Ohling-Straße in weiten Teilen eine sehr kurze bis lückige Vegetationsdecke aufweist. Gleiches gilt für den flachen Hang unmittelbar am Mahlbusen, wo es allerdings vor allem das Karnickel war, das hier einen auf Landschaftsgärtner gemacht hat. 

Beide, nein, alle drei haben großartige Arbeit geleistet!

Kiebitze brüten, Feldlerchen und Wiesenpieper ebenso. Die beiden letztgenannten Arten kommen hier auf engstem Raum noch in einer Dichte vor, wie sie in früheren Zeiten in weiten Teilen Niedersachsens die Regel gewesen sein dürfte.

Die offenen Bodenstellen locken während der Zugzeiten auch den Steinschmätzer an, der einst in Emden ein verbreiteter Brutvogel gewesen ist, aber längst den Abgang gemacht hat wie ja auch so viele andere Arten, die auf Ödland angewiesen sind. Immerhin ist er nach wie vor ein alljährlicher Durchzügler sowohl im Frühjahr als auch im Herbst.

Hier ein weiblicher Steinschmätzer, den ich vor einigen Tagen im morgendlichen Nebel auf der Karnickelfläche knipsen konnte:


female Northern Wheatear on a misty morning

Nur einen Tag später schien wieder die Sonne.

Die folgenden Bilder zeigen denselben Vogel, nur unter anderen Bedingungen:

same bird with sun on next day

Steinschmätzer rasten natürlich auch auf Äckern, doch wenn sie die Wahl haben, entscheiden sie sich eigentlich immer für die ungedüngte Variante.

Das war auch in meiner alten Heimat auf dem Flugplatz Achmer der Fall, wo die Zahl der rastenden Steinschmätzer immer deutlich höher war als die im angrenzenden und intensiv bewirtschafteten Hasetal. 

Ein Männchen beäugt misstrauisch und aus sicherer Distanz mein Tarnzelt:

male

Ich liebe Steinschmätzer und fotografiere sie in jedem Jahr.

Man könnte meinen, das müsse doch irgendwann langweilig werden, doch das ist nie der Fall gewesen. Die Zeit zwischen dem letzten Vogel im November und dem ersten im April ist lang genug, um sich wieder auf diese hübsche Vogelart freuen zu können.

Die meisten Individuen, die ich in der Vergangenheit am Mahlbusen beobachten konnte, verweilten dort übrigens für mindestens zwei Tage, manchmal aber auch gleich eine ganze Woche, bevor sie ihre Reise in die nordischen Brutgebiete schließlich fortsetzten.  

Für eine Brutansiedlung dieses längst in ganz Deutschland so seltenen Vogels ist das Gebiet am Mahlbusen leider zu klein. Immerhin kann man die Steinschmätzer dort beim Erkunden der Kaninchenbaue beobachten und aus ganz geringer Distanz, nämlich dann, wenn man im Versteck liegt, sogar ihrem leisen Plaudergesang lauschen. Vollgesang und Nistplatzwahl werden aber erst im Brutgebiet präsentiert bzw. entschieden werden. 


Jetzt nehme ich euch mit auf die andere, also die Kehrseite des Mahlbusens.

Auch hier hört man das endlose Trällern der Feldlerche. Doch wirklich gut hört man es vor allem dann, wenn der Wind günstig steht. Denn es handelt sich um den Gesang jener Vögel, die auf der guten Seite brüten. Das Nordwestufer ist aus ökologischer Sicht praktisch tot. Nicht der Schilfgürtel ist damit gemeint, sondern die an den Mahlbusen angrenzenden Flächen. Sie werden intensiv als Grünland bewirtschaftet, immer wieder gedüngt und gemäht, weil der Mensch grundsätzlich dazu neigt, aus jedem Quadratmeter den maximalen Ertrag herausholen zu müssen. Es geht eigentlich immer um Kohle und Gewinn. Die Folgen dieses Denkens und Handelns sind bekannt: Das Artensterben grassiert längst weltweit.

Am Beispiel der Flächen am Knockster Mahlbusen lässt sich also sehr eindrucksvoll aufzeigen, was wir Menschen tagtäglich anrichten, gleichzeitig aber auch, welch immenses Potenzial nach wie vor vorhanden ist! Ähnlich verhält es sich mit den Deichvorländern, wo viele Arten auch heute noch vorkommen, während sie binnendeichs längst sehr selten geworden oder ganz verschwunden sind. 83 Millionen Menschen leben in unserer kleinen Republik. Alle wollen satt werden. Das ist der einzige Grund dafür, dass jede noch so kleine Fläche von uns ausgebeutet werden muss.

Fotos von der kaputten Seite kann ich euch übrigens nicht präsentieren. Meine Kamera weigert sich, so etwas in Bildern festzuhalten. Wahrscheinlich würde auf der Stelle die Frontlinse des Objektives zerspringen, wenn ich auch nur den kleinsten Versuch unternehmen würde.

Eine Feldlerche in ihrem Lebensraum:

Skylark

Und morgendlicher Nebel über dem Mahlbusen:





fog on early morning

Wenn ich auf meinem Maulwurfshügel sitze, kann ich auch viele andere Tiere bei ihrem Tun beobachten. Langweilig wird es dort jedenfalls nie.


Feldsandläufer laufen rastlos über den Sand, immer auf der Suche nach einem Beutetier. Blutbienen fliegen in geringster Höhe von A nach B und wieder zurück.Und immer wieder begegnen mir dort Mauswiesel und Hermelin, die in einem Erdloch verschwinden und nach kurzer Zeit aus einem anderen hervorlugen.

Der Blaukehlchen-Mann posierte hier breitbeinig wie ein Cowboy in einem dieser aberwitzigen Spaghettiwestern aus den 1960er Jahren vor meinem Tarnzelt, fest entschlossen zu allem:



same Bluethroat

Mein erster Gedanke: Gleich zieht er seinen Colt.

Wo sind denn die verfickten Mehlwürmer?

same

Hat etwa das bescheuerte Steinschmätzer-Arschloch wieder alle aufgegessen?

Ich legte nach und sagte: "Alles gut, mien Jung.". 

Und auf dem nächsten Bild hatte der Vogel auch schon wieder einen vollen Kropf:


same

Und somit wieder die Kraft für seine atemberaubenden Singflüge!

Männliche Blaukehlchen scheinen immer besoffen zu sein. Ich meine, wenn ich so mit dem Wagen fahren würde wie sie durch die Luft gaukeln, dann würde man mir meinen Führerschein für immer wegnehmen.

Es sind die Hormone, die diese kleinen Prachtkerle antreiben.

Dauerstress.

Wenigstens im Frühjahr.

same

Und diese Megashow, die er am Ufer des Mahlbusens seit seiner Ankunft Ende März tagtäglich abzieht, hat ihm längst den gewünschten Erfolg beschert!

Das Weibchen, das sehr zurückhaltend ist, bastelt bereits am Nest. Irgendwo im Schilfgürtel werden bald die Jungen dieses Paares das Licht dieser Welt erblicken.

Noch ein Bild vom Lebensraum:

habitat

Ach, es ist so schön, wenn die Feldlerchen am blauen Himmel stehen und jubilieren!

Und ständig kabbeln sie sich mit den nervigen Nachbarn. In der ostfriesischen Agrarsteppe hat sich dieses Problem im Laufe der Zeit wie von selbst gelöst. Die wenigen dort noch brütenden Feldlerchen haben nämlich gar keine Nachbarn mehr, mit denen sie sich anlegen könnten. Das gilt im selben Umfang auch für den vergleichbar sensiblen Wiesenpieper.

Solche Sorgen hat man als Blaukehlchen nicht:








same

Ganz bestimmt nicht. 

Man hat, aus welchen Gründen auch immer, den Sprung geschafft vom anspruchsvollen und seltenen Bewohner weiter Feuchtgebiete hin zu einem echten Massenartikel, der hier an der Knock nicht davor zurückschreckt, auf den Tischen des Campingplatzes herumzutanzen, so ganz ohne Scheu vor den Dauercampern.

Und das ringt mir Respekt ab.

Doch die meisten dieser Gäste wissen das nicht zu schätzen. Sie nehmen die Vögel, ich habe das selbst beobachten können, als ich mir dort ein Eis kaufte, nicht einmal wahr. Ja, und das ist das große Problem in der heutigen Zeit. Die Menschen nehmen nichts mehr wahr. Wahrscheinlich haben sie nie etwas wahrgenommen. Wie also sollen sie bedrohliche Veränderungen in Fauna und Flora erkennen können, wenn ihr Bezug zur Natur nicht einmal mehr rudimentär entwickelt ist?

Mit dieser Frage, die keine Antwort verlangt, schließe ich für heute.



same

Dies ist und war der erste Bericht seit einer recht langen Zeit. Der Grund dafür ist ein ganz schlichter. Es hat sich einfach nichts ergeben, worüber ich hätte berichten können.

Mal schauen, was die Zukunft so bringen wird.