Mittwoch, 7. Oktober 2020

Schwarzstorch und mehr

Welche Werbung findet ihr schlimmer?

Die von Carglass oder die vom Seitenbacher?

Egal.

Heute, Kinners, gibt es wieder viel zu berichten.

Auch deshalb, weil ich ein bisschen Glück hatte beim Aufstöbern interessanter Vögel.

Der Titel nimmt es bereits vorweg: In erster Linie geht es in diesem Bericht um den geilen Schwarzstorch!

Hier in Ostfriesland ist er kein Brutvogel, dafür aber ein wohl alljährlicher Durchzügler, den man vor allem und mit etwas Glück im Spätsommer und Herbst zu Gesicht bekommt. Und wohl immer handelt es sich zu dieser Jahreszeit um Jungvögel, die ihre erste Reise nach Afrika antreten.

So auch dieser Kandidat:





Black Stork is an annual, but quite rare visitor to Ostfriesland. This young specimen showed up on 26. September 2020 at Manslagt and completely ignored me. I could take my shots from a very close distance without scaring the huge bird. After preening for at least half an hour this confiding bird took off and crossed the dike

Am 26. September 2020 suchte ich die Kleientnahmestelle am Deich bei Manslagt auf.

Schon aus größerer Distanz sah ich etwas Schwarzes auf der anderen Seite stehen, das sich zu bewegen schien. Zunächst hielt ich es für eine Vogelscheuche, die der Landwirt, dem die Fläche gehört, aufgestellt haben mochte, um die dort vor allem im Winterhalbjahr rastenden Nonnen- und Graugänse fernzuhalten.

Doch irgendetwas wollte nicht so recht passen. 

Also hob ich mein Fernglas an. Doch auch jetzt fiel mir eine Einordnung schwer. Ein großer schwarzer Vogel stand da, da war ich mir sicher, doch weil ich weder den Kopf noch die Beine erkennen konnte – letztere wurden durch die Vegetation verdeckt –, rechnete ich mit einem Kormoran

Erst als der Rätselvogel eine Pause von der Gefiederpflege machte und seinen langen Hals ausfuhr, ging mir ein Licht auf: Da stand doch glatt ein junger Schwarzstorch herum!

So sah das zunächst aus:



one of the first images from bigger distance

Wahrscheinlich, so dachte ich, ist das derselbe Vogel, den jemand bereits am 20. September unweit meines Beobachtungsortes, nämlich nahe der Deichbaustelle bei Hamswehrum, auf Ornitho gemeldet hatte.

Sofort spürte ich das Adrenalin in meinem Körper. Ich pirschte mich nach den ersten Sicherheitsfotos an den Vogel heran. Immer wieder blieb ich stehen, um weitere Bilder zu machen. Nachdem ich mich dem Storch bis auf etwa 30 Meter genähert hatte, gab ich mir keine Mühe mehr, geduckt und wie in Zeitlupe zu gehen. Der stolze Vogel ignorierte mich nämlich komplett und unterbrach seine Gefiederpflege nicht einmal für eine Sekunde.

Endlich, so freute ich mich in Gedanken, ist er da, der zahme Schwarzstorch, den ich mir schon so lange gewünscht hatte:


all images show the same specimen 

Denn ich wusste, es gibt sie, junge Schwarzstörche, die sich Menschen gegenüber sehr vertrauensvoll verhalten. 

Man findet einige Bilder im Netz, und vor ganz vielen Jahren hatte ich selbst schon einmal so einen Vogel beobachtet. Und zwar auf Baltrum. Meine Kamera hatte ich seinerzeit aber wegen des schlechten Lichts (Mittagssonne) in der Unterkunft gelassen, weshalb es keine Bilder von diesem Schwarzstorch gibt. Ich weiß aber noch, dass er an einem Priel im Heller eine leckere Strandkrabbe nach der anderen "erbeutete" und mit Genuss verschlang. 

Doch dazu später mehr. 

Oh, ein süßer Schwarzstorch:



Ein bisschen beleidigt war ich aber schon.

Ich meine, schön ist es nicht, wenn man überhaupt nicht beachtet wird. In diesem Fall war das aber natürlich eine großartige Sache. Bis auf etwa 13 Meter schloss ich zu dem Schwarzstorch auf, um mich dann auf einen Kleihügel zu setzen und zu staunen. Mal schoss ich ein paar Fotos, dann wieder lugte ich gebannt durch mein Fernglas. 

Immer im Wechsel und so weiter.

Und der Schwarzstorch hatte viel zu tun:


Ich meine, jede einzelne Feder wollte beachtet werden.

Auch die der mächtigen Schwingen:


Aus der Distanz sehen junge Schwarzstörche meiner Meinung nach immer nichtssagend düster, ja fast sogar schmutzig aus. 

Und der noch schlammfarbene Schnabel und die blassen Stelzen bringen auch keine Farbe ins Spiel. Von Glanz und Gloria, wie man sie von den prächtigen Altvögeln her kennt, ist da jedenfalls noch nichts zu sehen.

Macht aber nichts, denn aus der Nähe erschließt sich dem aufmerksamen Betrachter ein ganz anderes Bild. Das Großgefieder schillert zwar nicht farbenfroh, glänzt aber immerhin ein bisschen, und die hellen Spitzen jeder einzelnen Feder an Hals und Brust sorgen für ein hübsches Muster, das man eben nur aus der Nähe erkennen und bewundern kann. 

Als gelenkiger Schwarzstorch erreicht man mit dem langen Schnabel fast jede Körperregion:



Und bei jenen Bereichen, die man nicht mit dem Schnabel reinigen kann – das sind eigentlich nur der obere Teil des Halses sowie der Kopf –, muss man sich eben anders zu helfen wissen.

Der Fuß springt dann ein.

Oder man reibt den Hals über den Rücken:



Das sah wirklich lustig aus!

Ich fühlte mich ein ums andere Mal an eine balzende Großtrappe erinnert, die kopflos durch die Steppe irrt. Wahrscheinlich kommen Trappen überhaupt nur deshalb ausschließlich in offenen Lebensräumen vor, weil sie keinen Bock auf Kollisionen haben. 

Anderes Thema:


many people litter. The majority of this trash consists of dog poop packaged by idiots

Dieser prall mit Müll gefüllte Eimer stand neulich am Deichfuß bei Upleward herum. 

Da hatte man entlang der "Promenade" des Campingplatzes wohl zuvor ein wenig aufgeräumt. Neben Pappbechern, ihr seht das selbst, handelte es sich hier vor allem um eingetütete Hundekacke.

Seit ein paar Jahren kommt diese nämlich in einem wasserfesten Regencape aus dem Anus des Vierbeiners heraus und auf diese schreckliche Welt. Ich hatte ja schon des Öfteren darüber berichtet. Und wenn alles gut läuft, werden die Hunde ihre Hinterlassenschaften spätestens in nur fünf Jahren selbständig einsammeln und in die dafür vorgesehenen Abfalleimer werfen. 

Ihr wisst das nicht, ihr kleinen Dummerchen da draußen, aber das nennt man Evolution!

Bei uns Menschen ist sie ein bisschen ins Stocken geraten. Und das nicht erst seit gestern. Wie sonst könnte man das absurde Verhalten vieler Hundebsitzer erklären? Wenn ein Hund kackt, dann sollte man die Wurst doch besser einfach liegen lassen, statt sie erst einzupacken und dann wieder wegzuwerfen. Und wenn man sich schon die Mühe macht, sie einzupacken, dann kann man die Kacke auch mit nach Hause nehmen, für den Fall, dass es vor Ort an Abfalleimern mangelt.

Aber die Dummheit des Menschen ist eben unantastbar. 

Ja, wer bist denn du?





Simyra albovenosa caterpillar, a lifer

Diese auffällige und gleichzeitig so hübsche Raupe der Ried-Weißstriemeneule hatte es am 2. Oktober 2020 verdammt eilig, einen geeigneten Verpuppungsplatz zu finden. Gegen Mittag überquerte sie eine Straße auf dem Rysumer Nacken und wollte nicht einmal für ein Foto stillstehen, obwohl ich sie freundlich darum gebeten hatte.  

Kein Problem, ich war trotzdem erfolgreich, wie ihr sehen könnt.

Der eher unauffällige, als selten geltende Falter wird erst im kommenden Jahr das Licht dieser Welt erblicken. Gesehen habe ich ihn noch nie, und auch diese Raupe war für mich ein echter Lifer!

Vonne Seite:


same 

Zurzeit regnet es wieder Gelbbrauen-Laubsänger



one of five Yellow-browed Warblers, that I found on 2nd October at three different locations

Am 2. Oktober sah ich gleich fünf Indviduen an drei verschiedenen Orten!

Zunächst hörte ich morgens einen Gelbbrauen-Laubsänger in Greetsiel, der durch die Gärten marodierte und Richtung Südwest schleichzog. Die Rufe wurden jedenfalls immer leiser und irgendwann waren sie gar nicht mehr zu hören. Gesehen habe ich dieses Individuum leider nicht.

Einige Stunden später fand ich einen weiteren Vogel am Diekskiel, der leider nur in den Kronen der höchsten Bäume unterwegs war und sich nicht von mir knipsen lassen wollte. Auf dem Rysumer Nacken wurde ich schließlich für die zuvor eingesteckten Niederlagen gebührend entschädigt, denn dort begegneten mir am späten Nachmittag gleich drei verschiedene Individuen, von denen ich immerhin zwei fotografieren konnte. 

Das Bild da oben zeigt einen der Vögel.

Der zweite sah so aus:


second specimen

Ich gehe davon aus, dass ich in den kommenden Tagen noch weitere Gelbbrauen-Laubsänger finden werde. 

Im Augenblick ist das Wetter aber eher bescheiden mit starken Winden aus südlichen Richtungen. Da muss sich erst noch was tun, bevor es hier mit dem Vogelzug wieder so richtig losgehen kann.

Diese zwei männlichen Mosaikjungfern kuschelten am frühen Morgen am Diekskiel miteinander:


male Southern Hawker and male Migrant Hawker were enjoying the sun on early morning

Das gefiel mir!

Vielleicht sieht man das nicht auf den ersten Blick, aber es handelte sich hier um zwei verschiedene Arten. Links war es eine Blaugrüne Mosaikjungfer, das ist quasi die typische Gartenteich-Libelle, und rechts hing eine Herbstmosaikjungfer wie eine Christbaumkugel am Zottigen Weidenröschen – nur in schön. Letztere kann man an diesem Ort oft in großer Zahl sehen und in windschattigen Bereichen sowie bei erstaunlich niedrigen Temperaturen bei der Jagd nach Insekten beobachten. 

Wenn die Herbstmosaikjungfer gerade mal nicht nach Beute sucht, sticht sie lästigen Touristen die Augen aus, wobei sie eine deutliche Vorliebe für E-Biker zeigt. Das passiert aber immer nur dann, wenn ich nicht dabei bin. Eigentlich ist mir dieses Phänomen bislang nur vom Hörensagen bekannt. 

Und vielleicht ist das alles auch einfach nur Humbug.

Dieser Baumpieper auf dem Rysumer Nacken flog unmittelbar vor mir auf und landete dann in einer Weide:



Tree Pipit, which I hoped to be a Olive-backed Pipit

Nicht nur Anfang Oktober muss man sich jeden Vogel ganz genau ansehen. 

Der süße Baumpieper ist da keine Ausnahme. Denn mit ganz viel Glück kann man jetzt auf die sibirische Zwillingsart treffen, den Waldpieper, der schon seit Jahrzehnten nahezu alljährlich auf Helgoland festgestellt wird, während für ganz Ostfriesland noch kein einziger Nachweis vorliegt.

Jedenfalls keiner, den man ernst nehmen könnte.

Kein Silberrücken, aber dafür ein Steinschmätzer im Nebel:


Northern Wheatear

Er stand auf einem Zaunpfosten neben dem Stichweg, der zum Umspannwerk auf dem Rysumer Nacken führt. 

Nur wenige Minuten später und auf dem Rückweg war er immer noch da:


same few minutes later on my way back to my vehicle

Warum auch nicht?

Am selben Ort fand ich auch noch ihn hier:



likely Anoplotrupes stercorosus, this beetle was impaled by a Great Grey Shrike the day before, but still "walking"

Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser armen Seele um einen Waldmistkäfer

Ein Raubwürger hatte ihn wohl schon am Tag zuvor erbeutet und auf den Stacheldraht gespießt. Trotzdem lief der Käfer noch, natürlich ohne dass er auch nur einen Zentimeter vorankam. Auf dem Rysumer Nacken kann man solch kleine Tragödien des Öfteren beobachten, auch im Sommer. Dann ist es aber der dort brütende Neuntöter, der seine überschüssigen Beutetiere auf diese Weise aufbewahrt.

Zurück zum Schwarzstorch:




Ohne Probleme hätte ich die Distanz zum Vogel noch verringern und den Vogel sehr wahrscheinlich sogar streicheln können. 

Ich finde aber, dass man es nicht übertreiben sollte. Ich meine, der Schwarzstorch schenkte mir sein uneingeschränktes Vertrauen, da lag es mir fern, ihn zu enttäuschen. Und von Portraitaufnahmen halte ich ohnehin nichts. Also blieb ich einfach sitzen und schaute ihm bei seinem Treiben zu. 

Und er war doch so süß:




Schaut mal, wie gelenkig man als Schwarzstorch ist:


Na, könnt ihr das auch?


Na ja, er war ja noch ein Jungspund.

Irgendwann drehte mir der Vogel seine verletztliche Vorderseite zu.

Das war für mich ein letzter Beweis für das grenzenlose Vertrauen, das mir der Vogel entgegenbrachte:



Eine der einfacheren Yoga-Übungen:


Und weiterputzen:

Irgendwann kackte der Vogel einen weißen Strahl in die Kleipütte.

Und nachdem er sich im Anschluss daran noch eine ganze Weile geputzt hatte, nahm er ganz unvermittel zwei Schritte Anlauf und hob ab. 

Ja, man kann nur darüber staunen, dass selbst ein so großes Vogel so federleicht ist. Wahrscheinlich ist er aus Balsaholz gerfertigt. 

Der Schwarzstorch überflog den Deich und die Deichschafe, um dann an einem der Gräben in den Salzwiesen zu landen und dort nach Strandkrabben und Fischen zu suchen. Wie seinerzeit der Schwarzstorch auf Baltrum. Suchen musste er die Strandkrabben allerdings nicht wirklich, denn in den Gräben wimmelt es geradezu von diesen Biestern, die man als Schwarzstorch eigentlich nur einzusammeln braucht.

Die Schafe können auch jetzt noch die Anwesenheit des seltenen und imposanten Gastes bezeugen:



Unsinn, die haben ihn komplett missachtet, so wie der Vogel zuvor mich ignoriert hatte:


Tja, da war der Storch plötzlich weg.

Aus den Augen, aus dem Sinn.

Bis am 28. September, also zwei Tage später, ein junger Schwarzstorch im Watt vor dem Campingplatz in Upleward fotografiert und auf Ornitho gemeldet wurde. Ist der also immer noch da, dachte ich so beiläufig, nur um den Vogel dann rasch wieder zu vergessen.

Am 2. Oktober, wiederum vier Tage später, sah ich dann zu meiner großen Überraschung einen jungen Schwarzstorch über dem Rysumer Nacken kreisen, nur etwa 50 Meter über mir:



likely the same specimen, six days after our first encounter

Nach einigen Tagen mit widrigem Wetter war es endlich der erste mit Sonnenschein und Thermik, den der Schwarzstorch ganz spontan für seine Abreise nutzte. Mit beiden Schwingen winkte er mir zum Abschied zu. Nicht nur deshalb gehe ich davon aus, dass sich alle vier Beobachtungen an der Westküste Ostfrieslands auf dasselbe Tier beziehen.

Ich winkte zurück und wünschte dem Schwarzstorch eine gute Reise. Dass es eine gefährliche werden würde, verschwieg ich ihm. Und dass es vor allem der Mensch ist, der so eine lange Reise für so viele Zuvögel zu einer lebensbedrohlichen Angelegenheit macht, behielt ich ebenfalls für mich. Ich drücke dir einfach nur die Daumen, du hübscher Vogel, so dachte ich, während ich ihm wehmütig hinterherschaute, auf dass du im kommenden Jahr heil und gesund nach Europa zurückkehren und zum ersten Mal in deinem Leben für Storchen-Nachwuchs sorgen magst. 

In Dänemark vielleicht.

Oder in Belarus.  

Der europäische Bestand des Schwarzstorches wird übrigens gerade mal auf 7000 bis 11.000 Individuen geschätzt. Das entspricht der Einwohnerzahl einer jeden x-beliebigen Kleinstadt in Deutschland. Auch deshalb fordere ich wieder isländische Verhältnisse bezüglich der Einwohnerdichte sowohl für Deutschland als auch für den Rest der Welt. 

Nur dann werden wir und die jetzt noch existierende Artenvielfalt dauerhaft überleben können.

Ein letztes Erinnerungsfoto:



Kinners, es ist mir doch tatsächlich ein weiteres Mal gelungen, einen jungen Rosenstar hier in Ostfriesland zu entdecken.

Die Geschichte dazu gibt es aber erst im nächsten Beitrag.

Haut rein!