wilde perspektiven

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Samstag, 21. November 2020

Begegnungen in der Salzwiese

Moin Kinners, 

der verfickte, nie nachlassende Wind aus südlichen Richtungen macht mir echt zu schaffen. 

Ich meine, den hat es doch früher nicht gegeben.

Ich meine, allein daran kann man doch schon erkennen, dass sich das Klima im Wandel befindet. 

Oh Gott, da kommt Schlimmstes auf uns zu!

Doch bevor es so weit ist, gibt's schnell noch einen neuen Beitrag von mir.

Heute ist der Hauptdarsteller ein kleiner und kurzbeiniger; vor die Kamera gelaufen ist er mir vor ein paar Tagen an der Wasserkante bei Pilsum.

So sieht er aus:





cute Least Weasel suddenly popped up in a stone pile

Natürlich kann ich nicht alles, was um mich herum passiert, gleichzeitig wahrnehmen.  

Wir Menschen genießen keine Rundumsicht, wie das zum Beispiel bei Feldhase oder Waldschnepfe der Fall ist. Wir Menschen haben aber auch kaum natürliche Feinde, die wir unablässig im Auge behalten müssten. Gut ist es immer, wenn man das Verhalten anderer Tiere deuten kann. Als alle Strandpieper um mich herum plötzlich aufflogen und über einem Steinhaufen zu rütteln begannen, wusste ich, da ist entweder ein Hermelin unterwegs oder aber ein Mauswiesel

Beide Arten kann man mehr oder weniger regelmäßig auf der Seeseite des Deiches und somit auch in den Salzwiesen beobachten. An Fotos braucht man normalerweise erst gar nicht zu denken, sind solche Begegnungen doch fast immer von flüchtiger Natur. Nicht selten muss sogar die Artdiagnose offen bleiben. Nicht jedes Wiesel zeigt einem nämlich den Schwanz, und die Größe dieser Tiere lässt sich ohne direkten Vergleich und unter weniger günstigen Bedingungen auch nicht immer korrekt einschätzen. 

Kuckuck, jetzt bin ich hier:


always the same specimen

Oh, was gibt es denn dort Leckeres zu sehen:

Boah, sieht die geil aus. 

Die habe ich nie gegessen. Wie kann ich sie bloß überrumpeln?

Gemeint ist die an der Strandsode knabbernde Ohrenlerche, die sich mir gegenüber ausnahmsweise recht zutraulig präsentierte: 



Horned Lark

Nein, hier knabberte sie:


same

Die Ohrenlerche brütet u. a. in Norwegen und überwintert vor allem an der Nordseeküste, wo man ihr meist in Deichnähe begegnet. Die für eine Lerche fast schon schrille Gesichtszeichnung fällt nur aus der Nähe auf. Tatsächlich ist die Ohrenlerche am Boden hervorragend getarnt. Ich selbst bemerke sie oft erst dann, wenn ich sie versehentlich aufscheuche. 

Wegen ihrer melodiösen Rufe kann sie von unerfahrenen Beobachtern auch schon mal mit der Heidelerche verwechselt werden, obwohl die eine ganz andere Flugweise zeigt, ganz anders aussieht und in der Regel auch ganz andere Lebensräume bewohnt. 

Und ehrlich, die Rufe der beiden Arten ähneln einander auch nicht wirklich. Trotzdem kommen Verwechslungen vor, auch in Ostfriesland.

Wenn ich mal richtig schöne Bilder von der Ohrenlerche hinbekommen sollte, werde ich ihr aber auch noch einen eigenen Beitrag widmen. Aber das schrieb ich ja bereits im letzten Post. 

Der Merlin hat seinen eigenen Beitrag längst bekommen. 

Ihn deshalb künftig einfach zu ignorieren, wäre aber trotzdem falsch. Am 14. November entdeckte ich ein hübsches adultes Männchen, das sich auf einem kleinen Kleihaufen eine Pause gönnte:



male Merlin

Zweimal setzte es zu einer Attacke auf Berghänflinge an, doch von Erfolg waren sie nicht gekrönt.

Europas kleinster Falke wirkt in der weiten Landschaft beinahe verloren, der leichte Nebel, der besonders die obere Bildhälfte ein wenig verschleiert, verstärkt diesen Eindruck noch.

Oh, seht, ein Wasserläufer stand vorgestern ganz einsam neben einem Graben herum:


a late Spotted Redshank does not show any ambitions to migrate south   

Trotzdem handelte es sich hier natürlich nicht um einen Einsamen Wasserläufer.

Es war ein Dunkler Wasserläufer, der wohl keinen Bock auf Afrika hatte und einfach bei uns in Ostfriesland geblieben ist. Jedenfalls trödelt dieser Vogel schon seit über einer Woche in der so genannten Westdeichecke herum, obwohl er zu dieser Jahreszeit mindestens schon am Mittelmeer angekommen sein sollte.

Leider ist er megascheu und fliegt bereits bei einer Annäherung bis auf etwa 150 Metern auf und davon, nur um wenig später an seinen Lieblingsort am Grabenrand zurückzukehren. Dort sucht er nach Nahrung, indem er wie ein riesiges Odinshuhn oder wie ein Korken auf dem Wasser schwimmt und dann winzige Organismen aufpickt, die man mit trüben Menschenaugen erst gar nicht wahrnehmen würde. 

Formatsprengend werde ich diesen Dunklen Wasserläufer sicher nicht mehr ablichten. Ich bin aber trotzdem sehr zufrieden mit meiner Ausbeute.

Wacholderdrosseln ernten zurzeit das, was andere Vögel übrig gelassen haben:

Fieldfare

Hier waren es auf dem Rysumer Nacken die Früchte des Weißdorns, die sich die Durchzügler reinzogen. 

In den Monaten September und Oktober sind es Singdrosseln, Rotdrosseln und vor allem Stare, die den reich gedeckten Tisch abräumen. In relativ kurzer Zeit verschwinden die Früchte von Schwarzem Holunder, Eberesche, Schwedischer Mehlbeere (hier in Ostfriesland sehr häufig) und Weißdorn, weil sie am beliebtesten sind. Zwar tauchen die ersten Wacholderdrosseln bei uns auch schon Anfang Oktober auf, die Masse erreicht Ostfriesland aber erst Ende Oktober und Anfang November. 

Dann gibt es eben nicht mehr so viel zu holen. Es gilt: Nur der frühe Vogel kostet von der Frucht.

Große Brachvögel über der Deichbaustelle bei Hamswehrum:




Curlew

Gestern sah ich meine erste lebende Trottellumme hier an der Festlandsküste. Sie dümpelte auf der braunen Brühe herum und ließ sich aus geringster Distanz ausgezeichnet bestaunen:


Common Murre

Diese im Nordatlantik in riesigen Kolonien brütende Art findet man hier allenfalls als bereits tote Materie am Deichfuß, angespült vom Blanken Hans. 

Wenn man südlich der Inseln, also fast schon im Binnenland, doch mal eine lebende Trottellumme findet – mir selbst ist das noch nie passiert –, dann handelt es sich in der Regel um verletzte, verölte oder kranke Individuen, die dem baldigen Tod geweiht sind.   

Doch dieser Vogel war qietschfidel:




always the same specimen

Er putzte sich ausgiebig und tauchte auch viel nach Nahrung:


diving for food


also

In Deutschland gibt es nur einen Ort, wo die Trottellumme zur Brut schreitet: Helgoland!

Alljährlich nisten dort mehrere tausend Paare; im Jahr 2019 waren es exakt 4051. Nie zuvor hatte man auf Helgoland mehr brütende Trottellummen gezählt. Und die Trottellumme ist ein echter Zuschauermagnet. Viele Menschen reisen extra zur Insel, nur um diese Art und auch die anderen Klippenbrüter wie Tordalk, Eissturmvogel sowie Basstölpel und Dreizehenmöwe (die mir persönlich besonders gut gefällt!) zu beobachten und zu fotografieren. 

Ein Bereich der Klippen ist sogar nach der Trottellumme benannt worden: Deutschlands kleinstes Naturschutzgebiet, der Lummenfelsen.

In diesem Augenblick erinnere ich mich plötzlich daran, wie eine ältere Dame vor ganz vielen Jahren die Hummerbude des Vereins Jordsand auf der Insel betrat und einem Kollegen und mir nur eine Frage stellte: "Wer hat hier eigentlich die ganzen Pinguine ausgesetzt?" Sie verzog keine Miene, meinte das völlig ernst und musterte uns durch die dicken Gläser ihrer etwas altmodischen Brille, und ich bekam einen Lachanfall. Weil ich mich nicht mehr einkriegen konnte, eilte ich einfach an der Frau vorbei nach draußen. 

Ich meine, ein bisschen kann man sich doch auch vorbereiten vor dem Antritt einer so interessanten Reise. 

Nur ein bisschen. 

Aber so ganz unverständlich ist die Frage der Frau im Nachhinein auch wieder nicht, denn die konvergent entstandenen Merkmale von Lummen und Pinguinen sind nicht zu übersehen. Der ausgestorbene (nein: von Menschen ausgerottete) Riesenalk war die einzige flugunfähige Art seiner Familie, die einem Pinguin rein optisch schon sehr nahe gekommen sein dürfte. Verwandt sind die beiden Vogelfamilien aber nicht miteinander. Und man wird sie auch kaum nebeneinander feststellen können, kommen Pinguine doch ausschließlich auf der Südhalbkugel vor, während Alken die Nordhalbkugel bewohnen. 

Gefiederpflege ist ganz wichtig, wenn man ein Vogel ist:



preening

Und wie es u. a. auch Entenvögel oft machen, Flügelschlagen: 



Ein letztes Bild vom irgendwie niedlichen Gast:


Zurück zum heutigen Hauptdarsteller:


back to the main actor of this blog post

Um wen handelt es sich denn jetzt?

Hermelin oder Mauswiesel?

Das nächste Bild zeigt seinen Lebensraum an der Wasserkante:


habitat with stone pile and one Rock Pipit

Ein Strandpieper ist auf dem Foto übrigens auch zu sehen. 

Der lustige Geselle lugte also mal hier, mal dort aus dem Steinhaufen hervor:


Ich rief ihm zu: "Das ist nicht ganz ungefährlich für dich hier in den Salzwiesen!" 

Tatsächlich kommt es alljährlich zum Massensterben unter Kleinsäugern, wenn die erste Sturmflut wie aus dem Nichts alles unter Wasser setzt. Als Nager oder Wiesel schaut man schließlich keinen Wetterbericht. Und es hilft dann auch nicht, wenn man eigentlich gut schwimmen kann. Die Distanz zum Deich kann sich wie Kaugummi in die Länge ziehen, vor allem dann, wenn auch noch das Wasser eiskalt ist.

Besonders für Wühlmäuse ist die Prognose unter solch dramatischen Umständen sehr ernst. Denn selbst wenn sie sich auf ein schwimmendes Floß oder gar bis zum Deich retten können, mit dem Leben kommen sie nur selten davon. Ein ganzes Heer hungriger Möwen schwebt über ihnen in der Luft, und diese Vögel bekommen wirklich alles mit. Den Rest besorgen einige Mäusebussarde, Turmfalken und, manchmal, Sumpfohreulen

Unter den Säugern nutzt vor allem der Rotfuchs die einmalige Gelegenheit, sich den Bauch vollzuschlagen. Hermelin und Mauswiesel geben auch alles, doch im Gegensatz zum Fuchs gehen sie auch schneller unter in den Fluten, eben weil sie so klein sind und die Distanz zum rettenden Ufer so groß. Beide Arten habe ich in den letzten Jahren jedenfalls ein ums andere Mal tot am Spülsaum aufgefunden.  

Immer nach der ersten Sturmflut. 

Lebend gefallen sie mir aber besser:






















Es handelt sich hier übrigens um ein Mauswiesel.

Auf dem folgenden Bild lässt sich das gut erkennen:


Das Mauswiesel ist übrigens der kleinste Vertreter aus der Ordnung der "Raubtiere".

In Deutschland gehört es zu den jagdbaren Arten. Die Jagdzeit reicht von Anfang August bis Ende Februar. Sie beginnt also zu einem Zeitpunkt, wo die Tiere nicht selten noch ihren Nachwuchs versorgen müssen. Eigentlich gibt es für die Jagd auf Marder und Füchse und andere Tiere keinen ersichtlichen Grund mehr, leben wir doch längst nicht mehr in der Höhle.

Die von den Vertretern der Jagd immer wieder ins Feld geführten Argumente sind jedenfalls völlig aus der Luft gegriffen. Weder ist die Jagd aus ökologischen Gründen erforderlich, noch haben wir das Recht, auf diese Weise unseren Fleischbedarf zu decken. Das war vielleicht mal der Fall, ihr wisst, die Höhle und so weiter, doch heute leben allein in Deutschland 83 Millionen Menschen. Wenn sich also alle Bürgerinnen und Bürger dieses vermeintliche Recht herausnähmen, gäbe es schon nach fünf Minuten nichts mehr zu schießen. 

Die Massentierhaltung ist demzufolge nichts anderes als die logische Konsequenz der menschlichen Überbevölkerung, auch und vor allem in diesem Land, von anderen Folgen der viel zu hohen Siedlungsdichte (allgemeines Artensterben, Wohnungsnot, verstopfte Straßen, Energieversorgung und so weiter) einmal abgesehen.

Leider legen wir in Deutschland aber dem Anschein nach mehr Wert auf Stammtischparolen als auf Wissenschaft. Wie sonst ließe sich erklären, dass die Jagd bis heute nicht abgeschafft worden ist?

Der gemeine Jäger (es soll auch Ausnahmen geben) kann mit der rücksichtslosen Bekämpfung aller Beutegreifer gleich zwei Fliegen mit einer Klappe töten: Auf der einen Seite gibt es weitere lebende Zielscheiben (ein zusätzlicher Lustgewinn, Marderartige werden allerdings in Fallen gefangen und erst dann erschlagen oder erschossen), auf der anderen entledigt man sich so vermeintlicher Konkurrenz um das ach so begehrte Niederwild, das nämlich aus Gründen, die sich mir bis heute nicht erschlossen haben, nur von einem Waidmann erlegt werden darf.

Was für ein erbärmliches Leben man als Mensch doch führen kann. 

So, Kinners, zum Abschluss (nicht zum Abschuss) gibt es jetzt noch schnell ein Bild vom großen Bruder des Mauswiesels, also vom Hermelin:








a Stoat for comparison

Auch diese Aufnahme entstand vor einigen Tagen in den Salzwiesen, allerdings nicht bei Pilsum, sondern bei Hamswehrum.  

Im direkten Vergleich, das bilde ich mir zumindest ein, hat das Hermelin proportional größere Ohren als das Mauswiesel. Mit ein bisschen Erfahrung kann man beide Arten also auch dann voneinander trennen, wenn man nur ihre vordere Hälfe zu Gesicht bekommt. 

Das ist schließlich sehr oft der Fall.

Und das war's auch schon wieder.

In einem der kommenden Beiträge wird dieses geile Biest das Thema sein:


this guy is going to be the next or overnext topic in this blog...

Aber auch das hatte ich schon einmal angekündigt.