wilde perspektiven

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Donnerstag, 3. Dezember 2020

Bergpieper (Teil 6)

Neulich, Kinners, war es endlich wieder so weit.

Niederwildjagd in den Salzwiesen bei Hamswehrum.

Ich befuhr den Deichweg und schüttelte nur den Kopf, statt den Jäger, der da seinem im Zickzackkurs durch die Vegetation eilenden Hund folgte, zu grüßen. 

Ich meine, man kann seine Abneigung ruhig auch unverschleiert zeigen. 

Man mus anderen Menschen schließlich nicht nach dem Mund reden, wenn man sie nicht mag.

Und das ist jetzt noch sehr moderat ausgedrückt!

Der Feldhase ist eine Art, die bundesweit auf der Roten Liste steht. Wieso darf er immer noch bejagt werden? Und warum haben wild lebende Tiere selbst in der so genannten Schutzzone I eines Nationalparks  keine Ruhe vor diesen Personen, die sich selbst immer so gerne als einzige staatlich geprüfte Naturschützer bezeichnen, tatsächlich aber nur rausgehen, wenn sie auf lebende Zielscheiben schießen. 

Seit Mai (Bockjagd) hatte ich nicht einen einzigen Jäger im Outback angetroffen. 

Ich betone: nicht einen! 

Seit Oktober trifft man diese Randgruppe unserer Gesellschaft wieder verstärkt unter freiem Himmel an. Jäger gehen wirklich nur dann raus, wenn sie schießen wollen oder aber, um das Schießen vorzubereiten. Interesse an der Natur? Fehlanzeige.

Aber egal.

Heute geht es nach langer Zeit mal wieder um einen Vogel, den man als Waidmann gar nicht kennt. 

Die Überschrift nimmt es ohnehin vorweg, gemeint ist der Bergpieper:


in Ostfriesland pretty Water Pipit is a regular winter guest from Central and Southern European mountains. He is one of those few species, that spend at least partially the winter North of their breeding areas

In der Krummhörn sowie auf dem Rysumer Nacken ist dieser sympathische Vogel ein regulärer Wintergast. 

Wenn ich in einem der ersten Teile geschrieben haben sollte – ich kontrolliere das jetzt aus reiner Faulheit nicht –, dass der Bergpieper hier eher selten auftritt, dann muss ich das revidieren. Mein diesbezügliches Wissen hat in den letzten Jahren nämlich erheblich zugenommen. 

Guckt mal, wie niedlich:







all images show the same specimen

Was aber nach wie vor stimmt, ist, dass der Bergpieper eine sehr scheue Art ist mit einer sehr hohen Fluchtdistanz. 

Obwohl er früher zusammen mit dem ebenso geilen Strandpieper zu einer Art zusammengefasst worden war ("Wasserpieper"), fällt dem aufmerksamen Betrachter eigentlich sofort sein komplett anderes Wesen auf. Er ist nicht nur viel scheuer als sein düster gefärbter Verwandter, nein, man trifft ihn im Gegensatz zu diesem fast immer einzeln bei der Nahrungssuche an; er kommt also eher eigenbrötlerisch rüber und so weiter. Vor allem nach starken Regenfällen, wenn sich überall kleine und große Pfützen bilden, kann man aber auch schon mal kleine Bergpieper-Gruppen beobachten. 

Insgesamt darf man schreiben, dass der Bergpieper eine starke Vorliebe für Süßwasser hat und enger an dieses gebunden ist als zum Beispiel die allbekannte Bachstelze, der man nahezu überall begegnen kann, vor allem auch auf Straßen, wo sie mit PKW kollidierte und somit wehrlose, vielleicht sogar schon halbtote Insekten einsammelt.

Für sich selbst oder für die Brut. 

Deshalb nenne ich sie auch immer Asphaltstelze



Eigentlich habe ich in der Vergangenheit schon alles über den Bergpieper geschrieben.

Jetzt fehlen mir fast schon die Worte.

Deshalb gibt es schnell wieder ein Foto (die Zeit des Hochladens nutze ich zum Nachdenken):

Und es hat geklappt!

Denn genau in diesem Augenblick habe ich einen Geistesblitz. Nur einen kleinen, so im Rahmen meiner doch sehr eng gesteckten Möglichkeiten. 

Ich kann euch nämlich erzählen, dass es in meinem Leben nicht immer selbstverständlich gewesen ist, diesen ausschließlich in Gebirgen brütenden Vogel so regelmäßig zu Gesicht zu bekommen, wie es seit einigen Jahren und hier in Ostfriesland der Fall ist. In meiner alten Heimat, das ist der Landkreis Osnabrück, ist mir der Bergpieper nämlich nur wenige Male vors Fernglas geflattert. 

Das lag vor allem daran, dass ich nicht mit seinen Rufen vertraut war. Wahrscheinlich habe ich überfliegende Bergpieper seinerzeit immer für Wiesenpieper gehalten. Im Falle der etwa vier Feststellungen, die mir in diesem Zeitraum gelangen, hat es sich also ausschließlich um Sichtbeobachtung von nahrungssuchenden Individuen gehandelt. 

Zweimal sah ich einen und wohl auch denselben Bergpieper an einem Graben in den Fledderwiesen bei Bramsche, einmal einen in den Vinter Klärteichen sowie zu guter Letzt gleich zwei oder drei Vögel, das weiß ich nicht mehr so genau, auf der Überlaufschwelle des so genannten Absetzbeckens am Alfsee. Diese zuletzt genannten Vögel hatten sich in einem sehr strengen Winter mit viel Eis und Schnee eine der wenigen noch eisfreien Wasserstellen als Jagdrevier ausgesucht und ließen sich wunderbar mit dem Spektiv von mir beobachten.

Noch ein Bild für euch:





my hide

Es zeigt mein Tarnzelt irgendwo in Ostfriesland, mit dem ruhenden Bergpieper davor. 

Das Licht war mir zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon viel zu grell für schöne Bilder, weshalb ich es mir in meinem Regiesessel gemütlich gemacht hatte und den Bergpieper aus sicherer Distanz beobachtete. 

Viel passierte nicht, wenn ich ehrlich sein soll, aber manchmal liegt die Kraft bekanntlich in der Ruhe. 

Ein anderes Foto, das ich mit der Knipse aus dem Tarnzelt heraus gemacht habe:


Zwischen den Mahlzeiten stand der süße Piepmatz immer direkt vor meiner Linse, nicht selten sogar auf dem Tarnnetz. 

Aus wenigen Zentimetern Entfernung konnte ich sehen, wie sein kleiner Körper bebte, weil sich im Innern ein noch kleineres Herz befand, das alles gab und etwas schneller schlug als mein eigenes, obwohl ich aufgeregt war, weil ich immer aufgeregt bin, wenn ich solche Sachen mache. Der Bergpieper putzte sich und kackte alles voll, nur um dann, auf einem Bein stehend, ein kurzes Nickerchen zu machen. Fast hatte ich den Eindruck, er fühle sich im Schutze meines Versteckes besonders sicher. 

Ich wollte das in Bildern festhalten. 

Und das natürlich mit einem Weitwinkelobjektiv, also mit meiner Knipse. Vorsichtig schob ich die Linse durch die Maschen meines Tarnnetzes, doch ofensichtlich nicht vorsichtig genug, denn der Vogel bekam das mit und entfernte sich rasch einen halben Meter von mir. Im allerletzten Moment vor dem Auslösen fiel dann auch noch das verfickte Tarnnetz vor die Linse, sodass die Sicht jetzt nicht mehr ganz frei war.

Zunächst wollte ich das Bild löschen, doch glücklicherweise tat ich es nicht, denn jetzt gefällt es mir gerade deshalb, weil es so geworden ist.



Am vergangenen Sonntag, das war der 29. November, beobachtete ich am späten Nachmittag gleich drei Sumpfohreulen, die über den Salzwiesen bei Pilsum herumflogen und nach Nahrung suchten.

Immer wieder und stets nach einer überraschenden Wendung stürzten sich die Vögel blitzschnell ins Kraut, doch das war nur Spielerei. Zumindest ist das immer mein Eindruck, wenn ich jagende Sumpfohreulen beobachte. 

Hier einer der Vögel bei einem solchen Manöver:


Short-eared Owl

Eine Kornweihe strich vorbei, auf dem Weg zum Schlafplatz, der sich ebenfalls in den Salzwiesen befand:


Hen Harrier

Auch sie jagte quasi nebenbei. 

Was beide nicht wissen konnten, war, dass die Flächen in diesem Jahr bereits zweimal komplett unter Wasser gestanden hatten. 

Sturmflut und so weiter, ihr versteht. 

Deshalb dürfte es in den Salzwiesen zurzeit auch keine Wühlmäuse mehr geben. Und tatsächlich konnte keiner der gefiederten Jäger einen Erfolg verbuchen in der Dreiviertelstunde, die ich am Fuße des Deiches verbrachte und bei herrlichstem Abendlicht richtig genoss. Normalerweise sind vor allem Sumpfohreulen sehr geschickte Mäusejäger. Allzu lange muss man unter normalen Umständen jedenfalls nicht warten, bis ihre mit spitzen Krallen bewehrten Füße kräfig zupacken.

Seht, der Hintern eines kleinen Vogels:




mytery bird

Am 24. November entdeckte ich in einem kahlen Baum in einer fast kahlen Hecke auf dem Rysumer Nacken einen Kleinvogel, der sich von mir mit dem Fernglas recht schnell als Gelbbrauen-Laubsänger bestimmen ließ.  

Zuimindest glaubte ich das.

Denn kaum hatte ich den Winzling entdeckt, da war er auch schon wieder verschwunden. Gesehen hatte ich in einem sehr kurzen Augenblick und aus unglücklicher Perspektive eine grüne Oberseite und einen schneeweißen Bauch, einen langen, gelblichen Überaugenstreif sowie zwei identisch gefärbte, parallel verlaufende Flügelbinden. Das Licht war mau, doch trotzdem hatte ich darüber hinaus auch noch die Farbe der Füße ausmachen können; sie waren hellgelb. 

Ein Tienschanlaubsänger konnte es also nicht gewesen sein.

Der aus dem fernen Sibirien stammende Gelbbrauen-Laubsänger tritt normalerweise nicht so spät im Jahr bei uns auf. Seine Zeit sind vor allem die Monate September und Oktober. Allerdings hatte ich bereits im Herbst 2019 (18. + 19. November) ein sehr spätes Individuum im Kurpark von Norddeich entdeckt und auch fotografiert. 

Doch jetzt fühlte ich mich unwohl, weil mir doch ein Belegfoto versagt geblieben war. Ich kann echt viel (kleiner Scherz), aber meine Kamera nicht im Bruchteil einer Sekunde auspacken und startklar machen. Also blieb mir nichts Anderes übrig, als zu warten. 

Dumdidumdidum.

Nichts. 

Ich beschloss, die komplette Hecke abzuschreiten und aktiv nach dem Vogel zu suchen. 536,6 Meter waren das laut Google Maps. Ein Weg, wohlgemerkt. Als ich nach etwa einer halben Stunde an den Ausgangspunkt zurückkehrte, zappelte da doch tatsächlich im selben Baum wieder ein winziger Vogel herum. Blitzschnell operierte ich meine Kamera aus dem Rucksack und hielt einfach drauf. 

Dauerfeuer und so weiter. 

Wenige Sekunden später war der Vogel auch schon wieder abgetaucht.

Ich freute mich diebisch über mein Können und checkte erwartungsfroh die Bilder, die ich gemacht hatte. Sie waren ausnahmslos grottenschlecht. Aber nicht schlecht genug, denn ich erkannte sehr wohl, wen ich da abgelichtet hatte: ein Sommergoldhähnchen. Das gibt's doch nicht, so dachte ich. Eigentlich war es eher ein Fluch gewesen, den ich da unter Ausschluss der Öffentlichkeit  hervorgezischt hatte. Zweifel machten sich in mir breit. Doch ich rang sie nieder, denn ich war mir nach wie vor hundertprozentig sicher, einen Laubsänger gesehen zu haben. Das mit dem Goldhähnchen konnte passieren, ich nahm mir das nicht übel, hatte ich doch im Eifer des Gefechts nicht durchs Fernglas geschaut. 

Also wartete ich wieder.

Erst nach einer ganzen Stunde konnte ich das Rätsel lösen und die ersten Fotos schießen. Zunächst versuchte ich es mit Autofokus, doch dann schaltete ich schnell auf manuell um, weil der Vogel wirklich sehr klein war und die Distanz zu ihm sehr groß:


this very late Yellow-browed Warbler showed up at Rysumer Nacken on 24th November! At this time of the year it is actually "easier" to spot a Hume's or a Pallas's Leaf Warbler

Es war tatsächlich ein Gelbbrauen-Laubsänger. 

Ich räume ein, ich hatte zeitweilig noch gehofft, endlich einen Goldhähnchen-Laubsänger gefunden zu haben. Das wäre mein erster gewesen hier in Ostfriesland. Diese Option wäre bis zur zweiten Begegnung mit dem Vogel auch durchaus noch möglich gewesen, hatte ich doch zuvor weder den Scheitel noch den Bürzel in Augenschein nehmen können. 

Doch jetzt war alles klar. 

Wenigstens kein Sommergoldhähnchen, so dachte ich, aber eben auch weder Tienschan-, noch Goldhähnchen-Laubsänger, obwohl ein Auftreten dieser beiden, ebenfalls aus Sibirien stammenden Arten im November sehr viel wahrscheinlicher gewesen wäre.

Meine Freude überwog natürlich trotzdem.

Dieser Gelbbrauen-Laubsänger hielt sich auch noch am folgenden Tag in der Hecke neben dem Gassco-Gelände auf. Erst die darauffolgende Nacht, es war die erste windstille seit einer gefühlten Ewigkeit, nutzte der Vogel für seine Abreise.  

Randnotiz: Nicht ein einziges Mal hat der seltene Gast während meiner Anwesenheit gerufen!

Auch Amseln ziehen: 





resting Blackbirds on migration

Sieht man von dieser Art, die fast jeder Bürger dieses Landes kennt, gleich ganze Gruppen auf dem Rysumer Nacken herumlaufen, kann man sicher sein, dass es sich um Gäste aus dem Norden handelt, die auf ihrer langen Reise eine Pause einlegen, um ihre leeren Vogelmägen aufzufüllen.

Die Amsel brütet nämlich nur vereinzelt in diesem Gebiet. Besonders häufig ist sie auf dem Rysumer Nacken alljährlich zur Monatswende Oktober/November. 

Tja, Kinners, das war's auch schon wieder.

Abschließen darf diesen qualitativ wieder einmal so hochwertigen Beitrag der Hauptdarsteller: 



Der Bergpieper sagt "tschüß". 

Und ich schließe mich an.