wilde perspektiven

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Dienstag, 19. Januar 2021

Dies und das (Teil 6450)

Endlich, der so unglaublich harte Winter scheint vorbei zu sein.

Zumindest hat heute hier in Ostfriesland die Schneeschmelze eingesetzt. 

Überall bildeten sich Rinnsale; die Schloote traten fast über die Ufer. Es wird zurzeit gesielt, was das Zeug hält, nur um die endlosen Wassermassen dorthin zu befördern, wo sie hingehören.

In die Nordsee.

So ist das halt, man nennt das auch den Lauf des Jahres oder so.

Tatsächlich, Kinners (moin), ist auch dieser Winter wieder so ein völlig nervtötender mit wenig Frost und viel Regen von der Seite. 

Eine echte Lusche! 

Jetzt sollen die Temperaturen sogar wieder in den zweistelligen Bereich vordringen, natürlich bei gleichbleibender Dunkelheit. Meine Fresse, was für eine Kacke. Ich meine, wann und vor allem wie soll man denn vernünftige Bilder schießen, wenn es tagsüber nie richtig hell wird?

Ein paar Fotos kann ich euch aber trotzdem zeigen, wenn auch keine wirklich großartigen:






young male Kestrel

Dieser junge männliche Turmfalke hat mein Schwarzkehlchen-Projekt zerstört, indem er sich immer über die ausgestreuten Mehlwürmer hergemacht hat, bevor das Schwarzkehlchen überhaupt zum Zuge kommen konnte.  

Keine schlechte Gelegenheit, so dachte ich, weil ich grundsätzlich ein spontaner Mensch bin, denn vom Turmfalken hatte ich noch kein einziges brauchbares Foto. 

Und so besuchte ich den Vogel an jedem Tag, nur um ihm eine Portion Mehlwürmer vorbeizubringen. Nie musste ich lange auf ihn warten, immer kam er sofort angeflogen, oft aus sehr großer Entfernung, wenn er nur meinen Wagen erblickte. Zwar war der Turmfalke nicht besonders scheu, aber trotzdem blieb die Distanz zu ihm für wirklich gute Bilder stets zu groß.

Ich gewöhnte ihn an einem Nachmittag an mein Tarnzelt und schoss einige Tage später am ganz frühen Morgen die ersten Fotos. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das noch nicht wissen, aber es sollten auch die einzigen bleiben, denn in der Folgezeit gab es keinen Tag mehr mit einem sonnigen Morgen! 
 
Keinen! 
 
Einzigen!
 
Vier Wochen lang!
 
Stattdessen viele Wolken, Finsternis und noch mehr Regen.
 

same

Tja, und als sich endlich nach einer Ewigkeit ein Tag mit etwas Kälte und einem wolkenlosen Morgen ankündigte, tauchte der Turmfalke nicht mehr auf.
 
Von einem Tag auf den anderen. 
 
Einfach weg. 

Und er war nicht etwa krank oder auch nur geschwächt gewesen bei unserer letzten Begenung. Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass er sich aus dem Staub gemacht und einfach so eine nie versiegende Nahrungsquelle aufgegeben hat. Möglicherweise ist er einem Habicht zum Opfer gefallen. Und vielleicht genau am Mehlwurm-Futterplatz. Denn dort, auf dem Boden, fehlte es dem Vogel wegen der verfickten Vegetation an der nötigen Rundumsicht. 

Immerhin hatte ich zuvor an diesem Ort auch schon die Reste einer erbeuteten Schleiereule gefunden:
 

remains of a Barn Owl, likely preyed by a Northern Goshwak

Und davor, nur wenige Meter von den anderen Tatorten entfernt, die Rupfung einer weiblichen Kornweihe!

Den Habicht habe ich auch deshalb in Verdacht, weil ich ihm dort oft begegnet bin. Und immer hat es sich um ein adultes Weibchen gehandelt, das auf seiner bodennahen Pirsch nicht selten direkt an meinem Wagen vorbeistrich. Dem Anschein nach handelt es sich hier um ein Individuum mit einem erlesenen Geschmack, das sich nicht mit einer Ringeltaube als Beute begnügen mag.
 
Böse sein kann ich dem Vogel aber auch nicht, denn auch als Habicht zieht man einem leeren Magen einen vollen vor. Aber wäre es nicht besser, sich ausschließlich von Fasanen zu ernähren?  Ich meine, die gibt es an diesem Ort in großer Zahl. Und auf den Fasan könnte ich wirklich sehr gut verzichten.
 
Komplett.

Eine Heidelerche blickte an einem düsteren Sonntag-Morgen skeptisch in meine Kamera:





Woodlark

Ich kenne die Bedingungen, unter denen dieses Foto entstanden ist. 

Und dann kann ich nur sagen: Hut ab!

Mehr wäre wirklich nicht möglich gewesen an diesem Vormittag. 

Was ich beim Turmfalken geschrieben habe, gilt nämlich auch für die Heidelerchen auf dem Rysumer Nacken. Ich füttere sie, kann sie aber nicht fotografieren. Und hier gibt es neben dem fehlenden Licht noch einen zweiten Grund, den ich bereits im letzten Bericht erwähnt hatte. Die Vögel, es sind jetzt nur noch vier statt fünf, reagieren sehr empfindlich auf das Spiegelgeräusch meiner Kamera. Nur zweimal habe ich bis heute überhaupt die Gelegenheit gehabt, die Heidelerchen zu knipsen, und in beiden Fällen langte es gerade mal für eine Handvoll durchschnittlicher Aufnahmen.

Hinzu kommt, dass sie sich einfach nicht mit meinem Tarnzelt anfreunden wollen. Um sie daran zu gewöhnen, müsste ich es ein paar Tage am Stück stehen lassen. Doch das geht nicht.

Zu viel Publikum. 

Meine Mutter hat früher immer zu mir gesagt: "Nimm das Fahrrad mit rein, sonst stehen da morgen früh zwei." 

Ein zweites und vielleicht schon letztes Bild von einer Heidelerche aus diesem Winter:




Es zeigt natürlich denselben Vogel, der nur sein Köpfchen etwas bewegt hat.

Hohltauben und Stare, ebenfalls auf dem Rysumer Nacken:


Stock Dove with Common Starling

Der Name Hohltaube lädt übrigens zu Verwechslungen ein, weil viele Jäger die häufigere Ringeltaube gerne als "Holztaube" bezeichnen.  

Dass es eine Hohltaube gibt, wissen die meisten Waidmänner ohnehin nicht. Und wahrscheinlich bemerken sie den Unterschied nicht einmal dann, wenn sie einen solchen Vogel (illegalerweise) geschossen haben und in der Hand halten. 

Ähnlich verhält es sich mit wilden Enten

Die werden nicht selten in der Dämmerung abgeballert, nachdem sie sich in großer Zahl an ihren Schlafplätzen eingefunden haben. Ich will gar nicht wissen, wie viele Individuen der selteneren Arten einem solch sinnfreien Treiben in der Vergangenheit zum Opfer gefallen sind. Und in der Zukunft noch zum Opfer fallen werden! Zumal die meisten Jäger die verschiedenen Spezies nicht einmal am helllichten Tage auseinanderhalten können. Und welcher Lodenträger macht sich überhaupt die Mühe, noch vor dem Schuss einen Blick durchs Fernglas zu riskieren?

Niemand kontrolliert das!

Ruhig auch mal nach vorne schauen:



Sanderling

Da kommt nämlich ein Mini-Tsunami auf dich zu, du kleiner Sanderling.

Doch der Vogel putzte sich einfach weiter, weil er als Sanderling natürlich keine Furcht zu haben brauchte vor der Brandung. 

Dort, wo die Wellen bei starkem Wind auf dem Strand brechen, ist er schließlich zu Hause. Nur dort fühlt er sich überhaupt wohl! Und noch wohler fühlt er sich, wenn er nicht alleine ist. An diesem Tag waren es immerhin 18 Individuen am Emsstrand auf dem Rysumer Nacken. In der Vergangenheit hatte ich dort aber auch schon mal über 100 Sanderlinge beobachten können.


same

Die Strände dieser Welt stellen aber nur außerhalb der Brutzeit den Lebensraum dieser arktischen Limikole dar. 

Gebrütet wird ausschließlich in der baumlosen Tundra des hohen Nordens, wie etwa in Kanada, auf Grönland oder in Sibirien und somit einmal rund um den Nordpol.



same

Das mit dem Schnee war übrigens kein Scherz:


a wonder occured: we had snow for one day!

Allerdings blieb er nur für etwa 20 Stunden liegen. 

Weil es auch an diesem Tag nicht hell wurde, kann ich keine spektakulären Bilder vom Wunder zeigen:


Doch immerhin sind sie ein Beleg dafür, dass es beinahe mit weißen Weihnachten geklappt hätte.

Fast:



Nur etwa drei Wochen zu spät trödelte der blöde Schnee bei uns ein.

Egal.

Spuren:


Fieldfare did this

Es sind die Abdrücke der Füße einer Wacholderdrossel

Natürlich hätte ich das nicht gewusst, wenn ich den Vogel nicht auf frischer Tat ertappt hätte.

Den Verursacher der folgenden Fußspuren habe ich nicht gesehen:


Pheasant

Die Bestimmung bereitete mir aber keine unlösbaren Probleme, denn der bescheuerte Fasan schnürt bekanntermaßen wie ein Rotfuchs

Seine Fußabdrücke liegen also in etwa auf einer Linie. Nur wenig später ist mir der Gockel dann auch über den Weg gelaufen.

Vor dieser "Kältewelle" – an einem der wenigen sonnigen Tage im Januar – stand ich auf dem Rysumer Nacken herum und beobachtete ein winziges Sommergoldhähnchen, das seinem Namen zum Trotz mitten im Winter durch die Gebüsche huschte, immer auf der Suche nach noch winzigeren Lebewesen, die es aufessen konnte.

Plötzlich hörte ich engelsgleiche Stimmen, die im Chor erklangen. "Juchhu, endlich ist die Sonne da! Ach, ist das schön! Heeeeerrlich!"

Ich blickte mich nach allen Richtungen um, doch da war niemand! Dann fasste ich an mein rechtes Ohr, weil ich glaubte, dass mich mein Tinnitus verarscht.

Oh Gott, so dachte ich, jetzt hat doch tatsächlich deine letzte Stunde geschlagen. Ich war mir sicher, dass ich nun sterben musste, weil ich diese Stimmen hörte, aber niemanden entdecken konnte. Geduldig wartete ich auf die Herzattacke, doch die weigerte sich noch trotzig, mir den Garaus zu machen. Obwohl es ziemlich kalt war an diesem Tag, wurde mir auf einmal ganz heiß. Und ich dachte nur: Jetzt rächt sich die jahrzehntelange Diät aus Käsebrötchen und Pizza. 

Doch als ich mich schließlich doch noch ein letztes Mal umblickte, entdeckte ich die Engel, die in der kalten Luft knapp über dem Erdboden auf und ab tänzelten:



dancing male Winter Crane Flies

Es waren, trotz ihrer glockenhellen Stimmen, männliche Wintermücken, die da ihren traditionellen Tanz aufführten. 

Es gibt da ganz viele verschiedene Arten, die ich natürlich nicht bestimmen kann. Doch eine Gemeinsamkeit haben sie alle: Sie stechen nicht und saugen auch kein Blut. Nicht einmal die Mädels. Die Larven leben auch nicht wie jene der Stechmücken im Wasser, sondern in der Streuschicht, wo sie sich vor allem pflanzlich ernähren. 

Weil sich in der Körperflüssigkeit dieser Tierchen ein Frostschutzmittel befindet, sind sie gegen Kälte resistent. Schon bei einer Temparatur ganz knapp oberhalb des Gefrierpunktes (0,432 Grad Celsius oder so) tänzeln sie in Gruppen fröhlich auf und ab. 

Geil, oder?

Die Mönchsgrasmücke hat kein Frostschutzmittel im Blut:


female Blackcap: this specimen constituted together with two males my very first Blackcaps in winter

Und normalerweise verbringt sie den Winter im Mittelmeerraum.

Es ist aber auch nicht neu, dass einzelne Mönchsgrasmücken in Deutschland überwintern. Und vielleicht nimmt ihre Zahl sogar zu. Für mich war dieses Weibchen jedenfalls die erste winterliche Mönchsgrasmücke überhaupt! Und es war nicht allein, denn zwei Männchen hielten sich über mehrere Tage im selben Gebüsch auf dem Rysumer Nacken auf, wo sich die Vögel von den vitaminreichen Früchten des Sanddorns ernährten.  

Ganz allgemein ist dieser Winter ein besonderer, denn nie zuvor habe ich so viele überwinternde Singdrosseln gesehen. Und wenn man sich die aktuellen Verbreitungskarten auf Ornitho so anschaut, dann stellt man fest, dass es bundesweit zurzeit auch sehr viele Bachstelzen gibt. In Ostfriesland gelangten aber in diesem Winter bislang nur sieben von ihnen zur Beobachtung: Fünf davon halten sich nach wie vor auf einem pfützenreichen Acker im Emder Stadtteil Logumer Vorwerk auf, wo ich sie vor einigen Tagen entdeckt habe. 

Ein extra für meine Ornitho-Meldung angefertigtes Kunstwerk zeigt drei der Vögel:



White Wagtail is not too common in winter in Ostfriesland

Zurück zum Turmfalken:



same Kestrel

Für den Fall, dass er tatsächlich das Zeitliche gesegnet haben sollte, möchte ich ihm diesen Beitrag widmen. 

Der Vogel hat mir schließlich viel Freude bereitet, und nur zu gern hätte ich ihn auch weiterhin auf seinem Lebensweg begleitet. Ich meine, spätestens im Frühjahr wäre er adult gewesen und hätte dann das hübsche Alterskleid getragen. 

Alte männliche Turmfalken sind nämlich superschön und vor allem fotogen.

Auf dem folgenden Foto stand der Vogel auf einer vertrockneten Sonnenblume, während ich Mehlwürmer nachschüttete: 



same

Jetzt befindet er sich sehr wahrscheinlich im Turmfalken-Himmel.

Zu guter Letzt muss ich mich noch einmal selbst korrigieren: Es stimmt gar nicht, dass ich mich nur von Käsebrötchen und Pizza ernähre.

Ab und zu esse ich auch eine Apfeltasche oder eine Rosinenschnegge.

Und manchmal einen leckeren Erdnussriegel.