Montag, 28. November 2022

Bergpieper (Teil 7)

Der Bergpieper, Kinners, ist für mich fast schon so eine Art separates Hobby.

Beinahe allwinterlich ist er mir in den vergangenen Jahren hier in Ostfriesland vor die Linse gelaufen.

Und das immer auf dem Rysumer Nacken.

Dieser Vogel, der in vielen Hochgebirgen Europas und Asiens oberhalb der Baumgrenze brütet und in niedrigeren Lagen den Winter verbringt – auch nördlich seiner Brutgebiete –, macht mir einfach Spaß. 

Er bereitet mir deshalb Freude, weil er eigentlich sehr scheu ist, niemanden wirklich nahe an sich herankommen lässt und man sich schon was einfallen lassen muss, wenn man ihn überlisten und aus geringster Distanz fotografieren will.

Im Grunde ist es aber keine Hexerei, ihn zu knipsen. Es bedarf nur eines Gebietes, in dem sich der Bergpieper verlässlich blicken lässt.

Ein solches Gebiet ist eben der Rysumer Nacken.

Und auf dem Rysumer Nacken wiederum ist es ein bestimmter Deichabschnitt, der diesem Vogel alles bietet, was er benötigt.

Moin:


Water Pipit is a regular but not too common winter visitor in Ostfriesland

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, meine Aufmerksamkeit mal wieder dem Bergpieper zu schenken.

Doch vor zwei Wochen spazierte ich rein zufällig den oben erwähnten Deichabschnitt entlang und sah gleich vier Individuen, die im kurzen Gras nach Nahrung suchen.

Okay, so dachte ich, ihr wollt es nicht anders.

Und so streute ich in einem bestimmten Bereich eine Handvoll lebender Mehlwürmer aus und wartete in gebührendem Abstand auf das, was kommen würde. 

Gar nicht lange dauerte es, da hatte einer der Vögel auch schon den Fund seines Lebens aufgetan:


all images show the same specimen

Und dann ging das Hauen und Stechen auch schon los.

Die drei anderen Bergpieper wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Von der einen auf die andere Sekunde sahen sie sich uneingeschränkter Aggression des Finders ausgesetzt. Da musste jemand einen Hebel im Vogel umgelegt haben, denn der verteidigte seinen Schatz geradezu gnadenlos, bis die drei anderen Individuen schließlich nachgaben, den Deich überflogen und so das Weite suchten.  

Nachdem die vermeintlichen Konkurrenten endlich abgezogen waren, verlangsamte sich der fadenförmige Puls des hier vorgestellten Bergpiepers wieder auf ein erträgliches Niveau.

Und so sieht ein entspannter Bergpieper aus:



mealworms are the Water Pipit's best friends

Dieser aus der Sicht eines Bergpiepers so interessante Deichabschnitt ist aber nicht sein Hauptlebensraum.

Eher stellt er ein lohnenswertes Ausflugsziel dar, das man einige Male am Tag ansteuern kann. Den größten Teil seiner kostbaren Zeit verbringt man als Bergpieper aber in der ausgeräumten und von Entwässerungsgräben durchzogenen Ackerlandschaft der Krummhörn – und das natürlich nicht nur um Rysum herum.

Dort stolziert man dann in Pieper-Marnier durch Rapsfelder und Wintergetreide, weniger oft auf Einheitsgrünland. Wenn sich auf den Äckern nach Regenfällen überall seichte Pfützen bilden, dann ziehen diese den Bergpieper geradezu magisch an. Und vor allem unter solchen Umständen sieht man auch kleine Gruppen dieser Vögel zusammen nach Nahrung suchen. Am 29. Oktober zum Beispiel zählte ich auf einem noch schütter mit Raps bestandenem Acker ganz in der Nähe des Fotoplatzes auf dem Deich satte 29 Individuen beisammen!

Chef vons Ganze:


Doch warum ist ausgerechnet dieser Deichabschnitt so geil?

Kinners, das will ich euch verraten. 

Es handelt sich hier um einen Deich ohne Seeblick, um einen Binnendeich also, wenn man so will. Die Seiten dieses Deiches sind unterschiedlich stark geneigt, was natürlich bei allen Deichen der Fall ist. Am Fuße der stark geneigten Seite befindet sich auch hier ein asphaltierter Wirtschaftsweg

Die sanft geneigte Seite geht hier aber nicht etwa in eine Salzwiese oder die Nordsee über, nein, sie endet an einem Graben, und weil man diesen Graben in der Vergangenheit des Öfteren ausgekoffert, den Schlamm samt Schilf aber nicht etwa weggekarrt, sondern einfach immer am Grabenrand abgelegt hat, hat sich dort im Laufe der Zeit ein wasserundurchlässlicher Damm gebildet.

Die Folge: Das den Deich hinabsickernde Wasser kann nicht abfließen. Es staut sich vor diesem Damm und bildet auf einer Länge von etwa 500 Metern zahlreiche Permapfützen, mal vegetationslos, mal mit Gras bewachsen. 

Ein Paradies für überwinternde Bergpieper!  

Hier blickte der Vogel direkt in meine Linse:







who is hiding in da hide?

Bergpieper-Gedanken: Welcher Spacken verbirgt sich da bloß in diesem seltsamen Würfel (s. u.)?

Anderes Thema:


shrubby habitat at Rysumer Nacken, where one can find passerines on migration

Das Buschland auf dem Rysumer Nacken wird von vielen Zugvögeln für die Rast genutzt.

Am 4. November sah ich dort etliche Zilpzalpe und darunter einen Vogel, der sich durch seine traurigen Rufe von den anderen ab- oder gar ausgrenzte: 


Chiffchaff of unknown origin: this bird called like a tristis, but did not really look perfect for this Siberian subspecies (underparts too white, mantle too grey, fringes too green)

Ein Taigazilpzalp?

Auf Ornitho habe ich ihn tatsächlich als solchen gemeldet, eben wegen seiner markanten und eigentlich diagnistischen Rufe. Tatsächlich zeigte der Vogel nur auf den Außenfahnen des Großgefieders einen grünen Farbton. Aber für einen "echten" Tristis war die Unterseite meiner Meinung nach zu weiß, der Mantel zu grau und das Grün einen Tick zu schrill. 

Ein klassischer Taigazilpzalp sollte viel bräunlicher sein und nie so kontrastreich gefärbt wie der hier gezeigte Vogel, der auf den Bildern ja schon fast wie ein Berglaubsänger rüberkommt. Und genau so einen Zilpzalp wie diesen hatte ich im selben Gebiet bereits vor ein paar Jahren beobachten und deutlich schlechter knipsen können, zusammen übrigens mit einem echten Taigazilpzalp und somit im direkten Vergleich, doch damals war das Biest einfach stumm geblieben. 

Ein zweites Bild:




same

Leider hat es sich auch diesmal nur um eine flüchtige Begegnung gehandelt, die ich kaum genießen konnte; der Rätselzilpzalp tauchte nämlich nach nur wenigen Sekunden wieder im Blätterwirrwarr ab.  

Wer auch immer er gewesen sein mag, hübsch war er allemal!

Am 19. November, das war ein Samstag, befand ich mich schon vor Sonnenaufgang auf dem Rysumer Nacken. Die vorausgegangene Nacht hatte es mächig gefroren, mein Autothermometer auf dem Weg ins Zielgebiet -4,5 Grad Celsius angezeigt. 

In einem kreisrunden Sanddorngebüsch neben einem Schotterweg entdeckte ich eine männliche Mönchsgrasmücke:



male Blackcap on 19th November after the first really cold night this winter (-4 degree Celsius)

Die Art und Weise, wie sie sich auf den Zweig gefläzt hatte, illustriert sehr schön die niedrige Temperatur an diesem Morgen. 

Wenig später bemerkte ich ganz in der Nähe auch noch ein Weibchen, das auf die andere Seite des Weges flog, um dort die Früchte eines Pfaffenhgütchens zu verspeisen. Schließlich kehrte es in den Sanddorn zurück und zwar genau in dem Augenblick, als ich mit meiner Kamera den Kerl abschoss.

Die Dame fror ein wenig und stellte sich jetzt direkt neben das Männchen, das zunächst not amused wirkte:



female and male

Der Blick!

Doch dann schien auch er Gefallen an der neuen Situation gefunden und die Vorteile der Zweisamkeit an einem so kalten Morgen erkannt zu haben, wie man auf dem nächsten Foto sehen kann:


same

Pure Eintracht!

Schließlich sah ich gleich noch zwei weitere Weibchen im selben Gebüsch, und als alle vier Vögel gleichzeitig den Weg querten, um abermals im Pfaffenhütchen zu frühstücken, machte ich mich auf zum nahen Strand.

Am 24. November schien die Sonne. 

Und weil es bei etwa zehn Grad Celsius auch noch angenehm warm war, wimmelte es in einem Brombeer-Gebüsch von Insekten. Vor allem Fliegen ohne Ende, auch gleich vier verschiedene Schwebfliegen-Arten, sonnten sich auf den Brombeerblättern. Zwei Hornissen tauchten kurz auf, und vier Admirale kabbelten sich gerade so, als hätte der Frühling bereits begonnen. 

Pause für ein Sonnenbad musste aber auch mal sein:



Red Admiral

Am 10. November rasteten viele Buchfinken in den Büschen und auf den Wegen:


resting Chaffinch

Ich ging etwas näher heran und hielt auch hier, wie man sehen kann, die Kamera etwas schief:


same

Knick in der Optik oder so.

Fünf Tage zuvor waren viele Wacholderdrosseln über den Rysumer Nacken hinweggezogen:


migrating Fieldfare

Ihre quiekenden Rufe klingen mir auch jetzt noch in den Ohren.  

Ein gemischter Trupp aus 28 Kurzschnabelgänsen und fünf Nonnengänsen zog am 24. November überm Diekskiel nach Süden:



this mixed flock of 28 Pink-footed Geese and five Barnacle Geese I photographed on 24th November at so called Diekskiel

Und obwohl die Vögel bereits weit weg waren, kann man die Kurzschnabelgänse auf dem Foto doch noch als solche erkennen.  

Oh, wer steht denn da oben auf der Deichkuppe?


this juvenile Goshawk stood on the top of the dyke and was looking for a tasty meal. And he rally had the choice, because there were tons of birds resting at high tide

Ein junger Habicht!

Der war so sehr vom prallen Vogelleben an der Wasserkante fasziniert – es war gerade Hochwasser und die Auswahl geradezu grenzenlos –, dass er von mir überhaupt nichts mitbekam. 

Zurück zum Star dieses Beitrages:



same Water Pipit as above

Woher stammen eigentlich die Bergpieper, die bei uns in Ostfriesland überwintern?

Ich füchte, das wird man niemals herausfinden.

Es sei denn, ich hätte das außerordentliche Glück, irgendwann mal einem beringten Individuum zu begegnen. Am besten direkt vor meinem Tarnzelt. Farbberingungsprojekte gibt es in mehreren Ländern, so zum Beispiel in den Niederlanden oder im Königreich. Doch in beiden Fällen würde es sich dann ja nur um im Winterquartier beringte Bergpieper handeln, die mir nichts über ihre Brutgebiete verraten würden. 

Bergpieper werden aber auch im polnischen Teil der Hohen Tatra mit Farbringen markiert und darüber hinaus in Frankreich, doch wo genau dort, ob Alpen, Zentralmassiv oder Pyrenäen, das geben die Beringer auf CR-Birding leider nicht an. Und natürlich spielt das auch keine Rolle, solange ich eh keinen beringten Vogel gefunden habe.

Kuckuck:






Und jetzt gibt es ein Bild vom Ort des Geschehens, aufgenommen am letzten Sonntag:


habitat with my hide

Links ist der Graben zu sehen (Schilf!), rechts der sanft ansteigende Deich.

Die vegetationslosen Bereiche entstehen durch ewige Nässe und den Huftritt der Deichschafe.  

Auch so sieht das aus:


habitat

Und das folgende Bild zeigt den eigentlichen Lebensraum des Bergpiepers auf der anderen Seite des Deichs:


habitat

Vor allem an solchen Gräben, die frisch ausgebaggert worden sind, sieht man Bergpieper immer mal wieder den Spülsaum entlanglaufen. 

Der Vogel in seinem Lebensraum:



small bird, vast landscape

Schwarzweiß:



without colours

Brust raus, Bauch rein:


Geradezu volvoxmäßig stand der Vogel direkt vor mir im nassen Gras.

Wie ihr sicher bemerkt habt, ist es bereits der siebte Beitrag über den Bergpieper in diesem Blog.

Und ich habe keine Lust, mich zu wiederholen, und glaube, längst alles Interessante über diesen wirklich interessanten Vogel geschrieben zu haben. Wenn ihr also mehr über den Bergpieper erfahren möchtet, auch über sein Verhältnis zum nahe verwandten Strandpieper und seine mehr als ungewisse Zukunft als Art ganz allgemein, dann solltet ihr die Suchmaschine bemühen und nach all den alten Beiträgen fahnden.  

Bei schlechtem Licht beoachtet und fotografiert:





cute

Habt ihr es bemerkt?

Auf dem ersten Foto kann man gleich eine ganze Armada von Mehlwürmern unscharf im Vordergrund erkennen. Das war ganz zu Beginn gewesen, nachdem ich den Vogel gerade angefüttert hatte. Später habe ich die Beutetierchen natürlich so versteckt, dass sie auf keinem der vielen weiteren Bilder mehr in Erscheinung getreten sind. 

So, Kinners, mindestens bis Ende Dezember werde ich diesen Vogel noch begleiten.

Vielleicht aber auch länger. 

Bilder mit Rauhreif oder Schnee und Eis schweben mir vor – und noch viel mehr. Ob der jetzt begonnene Winter meine Erwartungshaltung zu erfüllen vermag, wird sich aber noch zeigen müssen. Ich meine, die letzten Winter sind eher Warmduscher gewesen.

Abwarten also.

Denn: Geduld ist alles in der Vogelfotografie.