Mittwoch, 10. Mai 2023

Zwei Kurzzehenlerchen besuchen die Krummhörn

Am letzten Samstag (6. Mai 2023), Kinners, fuhr ich am ganz frühen Morgen zum Rysumer Nacken. 

Ich war ein paar Tage nicht mehr dort gewesen und wollte mal schauen, ob es eventuell neue Vögelchen zu sehen gab.

Als ich zu Hause in den Wagen stieg, sah alles nach einem sehr sonnigen Tag aus. Zwar war es zu diesem Zeitpunkt noch stockfinster, doch am wolkenlosen und pechschwarzen Himmel funkelten baffzigtausend Sterne um die Wette. 

Etwa ab Pilsum wurde die Sicht immer schlechter, und als ich im Zielgebiet ankam, waberte dort dichtester Nebel über dem Buschland.

Immerhin hat es an diesem Morgen für meinen ersten Kuckuck in diesem Jahr gereicht. Und eine auf dem Gassco-Zaun herumstehende männliche Ringdrossel war auch ein schöner Anblick.

Mehr sollte dieser Besuch aber nicht einbringen; also machte ich mich auf den Weg nach Hamswehrum, um mal die Deichbaustelle auf Vogelherz und -nieren zu überprüfen. Dort gab es nicht nur diffuses Sonnenlicht, sondern auch einige Steinschmätzer, die auf den aufgeschütteten Kleihaufen nach Nahrung suchten. Ich blieb dort bis etwa halb zwei, um mich dann auf den Weg zur nahen Englischen Schafstelze zu machen, die ich immer mal wieder mit Leckereien versorge. 

Um dorthin gelangen zu können, musste ich einen Verbindungsweg zwischen zwei zum Deich führenden Straßen befahren. Dieser Weg ist zur Hälfte jeweils gepflastert und geschottert, und er befindet sich in einem eklatanten Zustand. Eigentlich ist er komplett gepflastert, doch weil die eine Seite stark abgesackt ist, hat man sie im Nachinein noch mit mindestens drei LKW-Ladungen Schotter versehen.

Als man diesen Wirtschaftsweg aus dem Boden gestampft hatte in den 70er Jahren, da waren landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge noch klein und putzig gewesen. Doch längst haben sie die Ausmaße von Einfamilienhäusern angekommen, und wenn sie an einem vorbeifahren, dann bebt der Boden (kein Scherz!). Diese modernen Fahrzeuge sind also der Grund dafür, dass nahezu alle gepflasterten und betonierten Straßen zwischen den Krummhörner Ortschaften völlig im Eimer sind.

Doch wenn man langsam fährt, einfach baubedingt oder weil man während des Fahrens eh nach Vögeln späht, dann machen einem die vielen Schlaglöcher gar nichts aus. Nur wenige Meter hatte ich zurückgelegt, als plötzlich unmittelbar vor meinem Wagen ein kleiner und sehr fahl gefärbter Vogel aufflog. Vieles geht einem in so einem Augenblick durch das Hirn, und Kinners, man ist auf der Stelle elektrisiert!

Adrenalin schoss in mein Gefäßsystem wie der Sprit an der Tanke in den Wagen. 

Fahl, klein, Kurzzehenlerche, das war mein erster Gedanke. Und auch mein zweiter, denn der einzige andere wie Wüstensand gefärbte Vogel, der das Potenzial hat, hier aufzutreten, hätte größer und langschwänziger sein müssen. 

Das muss sie sein, so dachte ich, es gibt keine andere Lösung. Ich hatte sie schon seit vielen Jahren auf dem Schirm gehabt, sie geradezu erwartet, und sie war ja auch längst überfällig, diese kleine Helgoland-Alljährlichkeit, und jetzt, da war ich mir sicher, war mein Wunsch endlich in Erfüllung gegangen!

Inzwischen war der Vogel wieder gelandet. Er stand einfach auf dem Weg und behielt mich im Auge.

Mir stockte der Atem, doch zu meiner eigenen Überraschung blieb ich erstaunlich ruhig. Ich nahm jetzt nicht etwa das Fernglas in die Hand, um meine Artdiagnose festzunageln, sondern – sicher war sicher – die bereits startklar auf dem Beifahrersitz liegende Kamera. Diese Herangehensweise ist bei mir längst zu einem Automatismus geworden, denn wenn man zuerst das Fernglas nimmt und der Vogel dann wegfliegt, dann hat man nichts in der Hand. Und nichts in der Hand zu haben, ist einfach scheiße. 

Ich bin nämlich grundsätzlich der Meinung, dass von den zuständigen Kommissionen nur fotografierte Vögel anerkannt werden sollten. Schließlich kann kein ellenlanger Text auf dieser Welt ein schlechtes Belegfoto ersetzen. Und dass man immer zuerst die Kamera in die Hand nehmen sollte, hat mich übrigens vor wenigen Jahren ein unkooperativer Dunkellaubsänger auf dem Rysumer Nacken gelehrt.

Durch die Windschutzscheibe hindurch schoss ich den Vogel jetzt regelrecht ab. Dauerfeuer, auch wenn der Autofokus wegen der Beugung des Glases, des Schmutzes darauf und des sich nur wenig vom Untergrund abhebenden Vogels kaum eine Chance hatte, diesen überhaupt zu finden.

Klick, klick, klick!

Geilomat, so dachte ich erleichtert, ich habe die gewünschten Belegfotos im Kasten, und wenn man diese Hürde erst einmal überwunden hat, das ist eines meiner Prinzipien, dann kann man einen Gang runter- und die Atmung wieder einschalten. 

Erst jetzt wagte ich einen Blick durchs Fernglas.

Ja, ihr hohlen Schilfstängel da draußen, vor mir auf der Straße stand tatsächlich eine Kurzzehenlerche:

my first self-found Greater Short-toed Lark ever popped up on last Saturday close to my castle. This bird, temporarily attended by a second specimen, kept staying until Sunday evening

Hier mal eines der ersten Bilder mit der Windschutzscheibe zwischen Kamera und Kurzzehenlerche:


first record shot that I had taken through my vehicle's windshield

Ihr seht, es hätte gereicht.

Der Vogel rührte sich noch immer nicht, und erst jetzt schaltete ich den Motor aus.

Irgendwann lief die Kurzzehenlerche dann von mir weg und den Weg entlang. Doch erst nachdem sie einige Dutzend Meter zurückgelegt hatte, startete ich abermals den Motor, um Corsilein neu auszurichten und quer auf dem Weg zu positionieren. Jetzt hatte ich freien Blick, schoss weitere Fotos und konnte die Lerche ausgiebig bei ihrer Nahrungssuche beobachten. Ich tat das etwa eineinhalb Stunden lang, beschloss dann aber, nach Hause zu fahren. 

Ich konnte eh nichts mehr machen, die Sonne schickte inzwischen ihr gleißenstes Licht zur Erde hinab, und schöne Fotos hätte ich unter diesen Umständen kaum mehr schießen, ich hätte mich also nicht verbessern können. Außerdem knurrte mein Magen längst so laut, dass ich es selbst nicht mehr ertragen konnte. Doch bevor ich mich auf den Rückweg begab, streute ich am Wegesrand noch schnell eine Handvoll Mehlwürmer aus. 

Als ich auf den Hof fuhr, stand da meine Vermieterin auf dem Rasen herum. Sie hob die Hand, zum Gruß oder, sehr viel wahrscheinlicher, weil sie mal wieder meine Unterstützung benötigte bei ihrer bescheuerten Gartenarbeit, doch ich ging erst gar nicht darauf ein und ignorierte sie einfach, sprang aus dem Auto heraus und verschwand hinter der Wohnungstür. Nachdem ich den Rechner hochgefahren und mir einige Käsebrötchen zubereitet hatte, recherchierte ich ein wenig. Und ich fand schnell heraus, dass ich soeben sehr wahrscheinlich den erst siebten Nachweis einer Kurzzehenlerche für Niedersachsen erbracht hatte und sogar den ersten für Ostfriesland. 

Nicht schlecht, so dachte ich. 

Respekt!

Etwa drei Stunden blieb ich zu Hause, dann ging es für mich zurück zur Buckelpiste. Als ich um die Ecke bog und mein Fernglas anhob, da konnte ich es kaum fassen: Die Kurzzehenlerche stand genau bei den Mehlwürmern. Und neben ihr gleich noch eine zweite! Das glaubt dir keiner, so dachte ich, wusste aber natürlich, dass das Blödsinn war, denn nur einen Wimpernschlag später hatte ich meine Belegbilder im Kasten.

Da geht aber noch mehr, dachte ich, jetzt, wo die Vögel angefüttert sind. Aufscheuchen wollte ich sie aber nicht. Diese Drecksarbeit nahm mir dann rasch eine Frau ab, die mir nun mit ihren zwei Hunden entgegenkam. Die Vögel flogen auf und landeten auf einem angrenzenden Acker. Und kaum war die Frau verschwunden, da errichtete ich auch schon in einer neuen Rekordzeit mein Tarnzelt am Wegesrand.

Das sah dann so aus:


my hide

Aus der Nähe:


closer

Ich will etwas abkürzen: Der zweite Vogel war schon nach einer Stunde oder so nicht mehr auffindbar. Was aus ihm geworden, wohin er geflogen ist – ich habe keine Ahnung.

Zuvor waren beide Kurzzehenlerchen bereits mehrere Male aufgescheucht worden, denn plötzlich wimmelte es auf der Buckelpiste von Menschen. Es wimmelte von Hunden, und es wimmelte von Autos, auch mit auswärtigen Kennzeichen. Ich habe keine Ahnung, woher diese Leute alle so plötzlich kamen, aber das Personenaufkommen riss fortan nicht mehr ab. Der eine Fußgänger war noch nicht verschwunden, da tauchte am anderen Ende der Straße auch schon der nächste auf. Die ganze Situation war wirklich verfickt, und ich sah meine Felle bereits davonschwimmen, machte mir aber gleichzeitig Mut, denn so kann es ja jetzt nicht bis zum Sonnenuntergang weitergehen, dachte ich, ich meine, die Leute müssen doch irgendwann auch mal was futtern. 

Also bezog ich trotzig mein Versteck und legte mich auf die Isomatte. 

Ein erstes Bild:




first picture shot from my hide

Und dann kam sie auch schon auf mich zugelaufen. 

Puh, das klappt ja wie am Schnürchen, dachte ich. 

Als die Kurzzehenlerche nur noch etwa 15 Meter von mir entfernt war, fing sie an, sich zu putzen. Ausgiebig. Übersprungshandlung und so weiter, weil da doch jetzt mein Versteck stand, das sie noch nicht kannte und das ihr offensichtlich nicht ganz geheuer war. Lauf los, dachte ich. Lauf jetzt endlich los. Meine Fresse. Fürs Putzen bleibt jetzt keine Zeit, das kannste später machen, wenn ich weg bin, du blöder Vogel, so dachte ich, du musst schnell herkommen, sonst wird das nichts mit tollen Bildern. 

Doch die Lerche ruhte in sich selbst:

there were many hikers, dog owners and vehicles that day even on this dirt road (weekend!), so that the bird was flushed a thousand times. I gave up and hoped to get some good shots later in the evening or on Sunday, but in the end I failed for same reason

Und so kam es, wie es kommen musste.

Ein PKW tauchte am anderen Ende des Weges auf! 

Der noch sehr junge Fahrer fuhr nicht etwa in Schrittgeschwindigkeit, wie es angesichts der vielen Schlaglöcher angemessen gewesen wäre, nein, er gab richtig Gas, sodass das Wasser aus den Pfützen nach allen Richtungen spritzte. Der Vogel lief also nicht noch ein paar Schritte in meine Richtung, wie ich es mir erhofft hatte, er hob auf der Stelle ab. 

Wieder weg, so eine Kacke. 

Das oder Vergleichbares passierte jetzt im Fünfminutenrhythmus, und weil die blöde Kurzzehenlerche die Futterstelle nie direkt ansteuerte, stattdessen stets in großer Entfernung am Wegesrand landete, um sich dann gemütlich, fast schon trödelnd zu Fuß auf die Reise zu begeben, hatte ich im Prinzip keine Chance mehr auf hübsche Fotos. 

Ich spekulierte auf den späteren Abend. 

Und ich kochte innerlich ein bisschen, und für den Bruchteil einer Sekunde erwog ich (mal wieder) den Einsatz meiner Pumpgun, die seit Monaten geduldig – geölt, geladen und entsichert – unterm Beifahrersitz auf ihren ersten Einsatz im Jahr 2023 wartete, doch das Töten von Menschen ist in diesem Land verboten, aus welchen Gründen auch immer, sodass ich ersatzweise auf ein starkes Beruhigungsmittel zurückgreifen musste, um erst einmal runterzukommen und nicht etwa im Outback zu kollabieren. Ich verließ mein Versteck, setzte mich ins Auto und öffnete die Treets-Tüte. Diese Pillen mit der knackigen Erdnuss im Innern und der glasierten Schokoladenumhüllung sind nach meiner Erfahrung das beste und vielleicht auch einzige Mittel gegen Negativstress, wie ich ihn an diesem Tag erleben musste. 

Und tatsächlich gelang es mir, meinen fadenförmigen Puls zu halbieren. 

Ich beobachtete den Vogel jetzt einfach aus dem Wagen heraus:


all pictures show the same specimen


in front of my hide, but I was sitting in my car  ;-(

Und ich stellte fest, dass er immer nur diesen einen Weg auf und ab lief und auch nur eine Seite dieses Weges nutzte, weil er sich dort im Windschutz befand.

Die Länge dieses Weges verriet mir zu Hause der Google-Maps-Entfernungsmesser: 295,36 Meter.  

Kinners, es gab Lustiges zu beobachten!

Da stand nämlich plötzlich ein Blaukehlchen am Futterplatz, das sich ganz frech einen Mehlwurm nach dem anderen reinzog. Die Kurzzehenlerche sah das aus großer Distanz und flog flach über dem Boden auf das Blaukehlchen zu, landete vor diesem und drohte ihm kurz mit geöffnetem Schnabel und gespreiztem Steuer. Dann folgte die eigentlich Attacke, und das Blaukehlchen tauchte im angrenzenden Graben ab. 

Die Kurzzehenlerche wiederum gab sich unbeteiligt und machte sich wieder auf den Weg. Ich meine sogar den Hauch eines Lächelns in ihrem Gesicht erkannt zu haben.

Doch wenig später gab es einen zweiten Angriff. Diesmal traf es eine ahnungslose Schafstelze.

Mann, da muss doch was möglich sein, dachte ich, reichlich genervt von der ausweglosen Situation, doch es hatte den Anschein, dass sieben von den geschätzten acht Millionen Hunden in diesem Land (die exakte Zahl kennt niemand) genau an diesem Tag und an diesem Ort ausgeführt werden mussten. Es nahm wirklich kein Ende, und einige alte Bekannte waren auch unter den Spaziergängern.

Wie zum Beispiel diese Frau:



shit happened, so many people came along and flushed the lark

Am Wochenende geht sie mit ihrem kleinen Fiffi (links im Bild) diesen Weg dreimal am Tag.

Hin und wieder zurück.

Sogar fünfmal am Tag taucht diese Hundebesitzerin dort auf:

another dog woman; note both Greater Short-toed Larks foraging on the left side of the road. The second specimen had only a brief rest for an hour or so

Und zwar an sieben Tagen in der Woche!

Wenn ihr genau hinseht, dann könnt ihr auf diesem Bild beide Kurzzehenlerchen am linken Wegesrand erkennen. Ein aussagekräftigeres, aber eben auch grottiges Belegfoto von beiden Individuen, auf dem man die Art als solche auch erkennen kann, findet ihr auf Ornitho: klick!

Wenig später waren die Vögel auch schon wieder abgeflogen.



Um halb acht oder so gab ich dann noch einmal alles.

Ich legte mich wieder auf meine Isomatte und hoffte auf ein Wunder.

"Hast du das gesehen, da liegt einer drin, da gucken zwei Beine hinten raus!" rief eine Frau auf dem Fahrrad ihrer Freundin zu, als sie sich etwa auf meiner Höhe befanden. Sie fuhren zunächst weiter, stoppten dann aber mitten auf dem Weg und wollten umkehren, wohl um nachzusehen, was es mit den zwei Beinen auf sich hatte. Doch noch bevor sie mein Versteck erreichten, rief ich laut: "Bitte nicht hierher kommen, hier werden Vögel fotografiert!

Okay, das entsprach jetzt nicht ganz der Wahrheit, denn die Kurzzehenlerche ließ sich ja gar nicht blicken bei all dem Trubel und war auch längst wieder abgeflogen, und Schafstelze sowie Blaukehlchen als mögliche Lockvögel zeigten sich leider auch nicht mehr.  

"Entschuldigung, wir wollten nicht stören! Viel Spaß und Glück noch!" rief jetzt die zweite Frau, doch ich zeigte mich hartherzig: "Das bringt jetzt auch nichts mehr! Für eine Entschuldigung ist es zu spät!" Dann musste ich lachen, und die Frauen lachten auch. Kinners, ich habe wirklich viel Humor, aber dieser Tag sollte zu meinem persönlichen Waterloo werden. 

Ein paar lausige Bilder bekam ich aber doch noch hin, doch leider aus wieder recht großer Distanz. Die Kurzzehenlerche musste mein Versteck nämlich gar nicht mehr ansteuern, hatten die Mehlwürmer inzwischen doch genug Zeit gehabt, ihr entgegenzukrabbeln.  

Lecker:




with prey (mealworm)

Wenn ich eine Mehlwurm-Liste führen würde, dann könnte ich ihr jetzt eine neue und vor allem spektakuläre Art hinzufügen. 

Ich führe so eine Liste aber nicht.

Inzwischen hatte es sich wieder zugezogen, doch muckelig warm sollte es bis zum Sonnenuntergang bleiben an diesem denkwürdigen Tag.



cute

Auf diesem schlechten Foto kann man trotzdem sehr schön die schwarzen Halsseitenflecke sehen.

Das war aber nicht immer der Fall. Vermutlich muss der Hals etwas ausgefahren werden, um sie sichtbar zu machen, oder es ist möglicherweise sogar so, dass die Kurzzehenlerche sie bewusst verdecken oder präsentieren kann wie etwa ein Blaukehlchen seinen weißen oder roten Stern. 

Corsilein im Hintergrund:


with Corsilein in da background

Hier auch:


same

Etwas deprimiert begab ich mich am späten Abend auf den Heimweg. 

Was zunächst so verheißungsvoll mit der Entdeckung des ersten Vogels begonnen hatte, war nun tatsächlich zu einem traumatischen Erlebnis geworden. Die vielen Menschen hatten mich beinahe in den Wahnsinn getrieben. Mir blieb also nichts Anderes übrig, als auf den folgenden Sonntag zu hoffen.

Anderes Thema: 

Vor ein paar Wochen wollte ich morgens ganz früh, also wie immer, ins Outback düsen, doch Corsilein zeigte sich bockig und sprang einfach nicht an. Ich hatte also keine andere Wahl, als den ADAC zu rufen. Nach gut einer Stunde kam der Mitarbeiter hier an und grüßte freundlich – ja, er kannte mich bereits, denn ich bin Stammkunde –, um dann sein Stethoskop rauszuholen und zu horchen. 

"Ich befürchte, der muss in die Werkstatt", meinte er dann nach ein paar Minuten mit einem Gesichtsausdruck, der Mitleid verriet. "Kein Problem", sagte ich, "doch was fehlt ihm denn?" Der Mann wirkt eetwas ratlos: "Kann ich nicht genau sagen, vielleicht ist es die Zündspule."

Kurz: Er fuhr wieder weg, und eine weitere Stunde später kam der Abschlepper angefahren. Auch der kannte mich schon! 

Corsilein wurde schließlich nach Wirdum gebracht und dort vom Chefarzt der KFZ-Werkstatt Mechanix in Empfang genommen. Wie sich später herausstellte, war es tatsächlich ein Zündspuleninfarkt gewesen, und die Operation dauerte nur eine knappe Stunde oder so. Ich hätte Corsilein gerne in den OP-Saal begleitet und ein bisschen getröstet, doch ich will ehrlich sein: Ich kann einfach kein Öl sehen.

Und so hatte ich plötzlich die Zeit, eine der vielen Werkstattkatzen zu fotografieren. Diese verfickten getigerten Nullnummern sind ausnahmslos sehr scheu, wenigstens aber misstrauisch Fremden gegenüber, und so musste ich mich mit einem Portrait begnügen von einem Kater, der unter einer abgewrackten Ente hervorlugte. 

Guckt mal:



bird's best friend

Ja, auf dem Werkstattgelände stehen so einige Enten herum, aber auch eine Diane, die ich besonders hübsch finde. 

Also das Modell, nicht das leider sehr verrostete Teil auf dem Hof. Ich habe selbst viele Jahre lang eine Ente besessen und mit Freude gefahren, doch diese Biester sind nichts für das mitteleuropäische Regenwetter, man hat immer Wasser im Fußraum, und der Rost war bei meiner Charleston Grau ein steter Begleiter.  

Heute sind Enten fast unbezahlbar. Ihr Preis ist in den letzten 20 Jahren bis ins Unermessliche angestiegen, das ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage und so weiter, wie ihr sicher wisst. Aber hübsch finde ich diese Autos nach wie vor, und ich mag das Geräusch, das ihre schwachen, aber leidenschaftlich arbeitenden Motoren in den Raum entsenden, und ich erkenne es auch heute noch auf der Stelle und ohne hinsehen zu müssen, wenn sich eine Ente nähert.

Das nur so ganz nebenbei.

Um fünf baute ich am Sonntag bei leichtem Regen mein Tarnversteck an alter Stelle wieder auf, doch von der Kurzzehenlerche war nichts zu sehen. Immerhin hörte ich einige Kolkraben ganz in der Nähe rufen, und eine Wachtel sang in einem Weizenfeld gleich nebenan. Nach wie vor plästerte es, sodass ich gegen neun Uhr aufgab, nicht zuletzt auch wegen meiner bis zum Rand gefüllten Blase. Ich kann viel aushalten, Kinners, aber Hoffnung auf ein glückliches Ende hatte ich jetzt wirklich nicht mehr. Sie ist weg, so mutmaßte ich enttäuscht, da kann man nichts machen. Also baute ich wieder alles ab und fuhr zur nahen Deichbaustelle. 

Auf meinem Rückweg nach Hause am frühen Nachmittag kontrollierte ich schnell ein letztes Mal, so war es zumindest vorgesehen, die Buckelpiste – und da war sie wieder, die bescheuerte Arschkrampen-Kurzzehenlerche!  

Also wieder aufbauen!

Kennt ihr die Geschichte mit dem Murmeltier? Der Sonntag war, vom Wetter einmal abgesehen, der eineiige Zwillingsbruder des Samstag. Wie aus dem Nichts tauchten da wieder gefühlte drölftausend Spaziergänger, Rad- sowie Autofahrer auf, und bis zum späten Abend sollte mir deshalb kein einziges Bild mehr gelingen. 

Pech gehabt! 

Gewiss ist das die einzige Chance meines Lebens gewesen, eine Kurzzehenlerche vor meiner Haustür zu fotografieren. Richtig zu fotografieren und  nicht einfach nur zu knipsen. An einem ruhigen Ort, da bin ich mir hundertprozentig sicher, hätte das auch ohne große Probleme geklappt, doch ruhige Orte gibt es in der Krummhörn leider nicht. Selbst Wikipedia schreibt, Ostfriesland sei für eine landwirtschaftlich geprägte Region dicht besiedelt, und es wird trotzdem immer weiter gebaut, gerade so, als gäbe es kein Morgen mehr, und die Touristenzahlen nehmen auch weiterhin zu, weil es wohl so sein muss. 

Wachstum, Wachstum und noch mehr Wachstum. 

Zur Verbreitung der Kurzzehenlerche. Ihr riesiges Areal reicht, etwas skizzenhaft beschrieben, vom Maghreb und der Iberischen Halbinsel im Westen über Südfrankreich, Italien, den Balkan sowie die Schwarzmeerregion bis nach Zentralasien im Osten. Es gibt aber auch isolierte Populationen in Nordfrankreich, der Slowakei und in Ungarn. Die Kurzzehenlerche ist also ein Vogel des Südens und dort vor allem ein Bewohner trocken-warmer Regionen mit Steppen- oder gar Halbwüstencharakter. 

In Deutschland, das ja völlig abseits ihrer Verbreitung und Zugkorridore liegt, taucht sie trotzdem nahezu alljährlich auf und hier vor allem auf Helgoland. Auf dem Kontinent wird sie viel seltener gefunden, doch immerhin hatte es in diesem Frühjahr und vor meiner Entdeckung bereits für einen Nachweis im Rheinland gereicht: Am ersten Mai war nämlich eine Kurzzehenlerche bei Leverkusen fotografiert worden. 

Für mich selbst war die Art nicht neu. Ich hatte sie zuvor in verschiedenen Ländern Südwest- und Südosteuropas gesehen und einmal auch auf Helgoland und dort wiederum auf der Düne. Dieser Vogel war bereits vor meiner Ankunft entdeckt worden, und weil er sich quasi direkt neben dem Campingplatz aufhielt, wo ich seinerzeit hauste, schaute ich ihn mir auch an. 

Über die Herkunft der beiden Krummhörner Kurzzehenlerchen kann ich nur spekulieren. Schon Tage vor ihrem Auftauchen bei Manslagt hatte der Wind beständig und zum Teil auch recht frisch aus östlichen Richtungen gepustet, woran sich bis gestern (Dienstag, 9. Mai 2023) nichts geändert hat. Erst heute hat der Wind eine 180-Grad-Wendung vollzogen und bläst nun wieder aus westlichen Richtungen. Ich gehe also von einer Herkunft mindestens aus Südosteuropa aus, möglicherweise stammten die Vögel aber aus einem der noch weiter im Osten gelegenen und oben bereits genannten Gebiete.  

In Deutschland brüten drei Lerchen-Arten: Feldlerche, Heidelerche und Haubenlerche. Sie alle haben in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Bestandseinbußen hinnehmen müssen, ausschließlich bedingt durch einen durch uns Menschen verursachten Lebensraumverlust, und es geht für sie nach wie vor weiter bergab! Die Haubenlerche dürfte auf Dauer ganz aus unserer Republik verschwinden, doch auch die Zukunft von Feld- und Heiderche ist in Deutschland mehr als ungewiss.

Von den in Deutschland zusätzlich als seltene Gäste auftretenden Arten lässt sich die Kurzzehenlerche mit Abstand am häufigsten bei uns blicken. Fünf weitere Spezies sind extrem seltene Ausnahmeerscheinungen, von denen bislang keine häufiger als fünfzehnmal bei uns gefunden werden konnte. 

In der Reihenfolge der Häufigkeit ihres Auftretens sind das die Kalanderlerche (bestimmt mehr als fünf Nachweise), die Schwarzsteppenlerche (vier Nachweise; drei alte von Helgoland aus dem 19. bzw. dem Beginn des 20. Jahrhunderts sowie ein Männchen, das im Mai 2020 hier in der Krummhörn fotografiert werden konnte!)), die Weißflügellerche (zwei Nachweise, beide 19. Jahrhundert Helgoland) sowie die Bergkalanderlerche (ein rezenter Nachweis aus Bayern) und die Stummellerche (einmal im 19. Jahrhundert Helgoland).

Und damit sind wir beim letzten Punkt in diesem Beitrag.

Warum habe ich die Vögel nicht zeitnah auf Ornitho gemeldet? 

Immerhin hätten dann viele Menschen die Möglichkeit gehabt, sie sich anzusehen. 

Ich will ehrlich sein, ich mag diesen Trubel im Zusammenhang mit der Vogelguckerei einfach nicht und habe da in der Vergangenheit auch schon unschöne Szenen erleben müssen, meist im Zusammenhang mit rücksichtslosen Fotografen, denen es an Feingefühl und Respekt einem Vogel gegenüber gemangelt hat, aber auch an Feingefühl und Respekt gegenüber solchen Menschen, die sich an die Regeln halten. Wenn zwei, drei Leute kämen, wäre das (fast) okay für mich, doch dabei bliebe es ja leider nicht, weil die meisten Menschen grundsätzlich nicht dichthalten können.

Ich selbst twitche nicht. 

Und deshalb stehe ich auch nicht bei anderen Beobachtern in der Schuld.

Okay, zwei Vögel hier in der Region habe ich mir in der Vergangenheit angesehen, eine Sperbereule bei Gristede sowie einen Isabellsteinschmätzer auf Spiekeroog. Ich meine, man kann die BILD nicht verurteilen, wenn man sie nie gelesen hat. Und ja, es war nicht so schlecht, diese beiden Vögel gesehen zu haben, doch besonders bei der Sperbereule spielten sich seinerzeit geradezu tumultartige Szenen ab, auf die ich hier gar nicht näher eingehen möchte, die ich aber auch gleichzeitig so nie wieder erleben wollte. Da wurden sogar, jetzt verrate ich doch zwei Details, fremde Gärten ohne Absprache mit deren Besitzern einfach so gestürmt und Autos mitten auf der Straße mit offenen Türen abgestellt, sodass ein Anwohner nach seiner Nachtschicht nicht einmal mehr nach Hause fahren konnte. Doch seine Proteste verhallten im Nichts.

Unglaublich!

Ich gönne wirklich jedem Beobachter jeden Vogel von ganzem Herzen, vor allem dann, wenn er ihn selbst entdeckt hat, denn ich weiß, was für ein berauschendes Erlebnis es ist, einen seltenen Gast zu finden. So manch anderer Zeitgenosse kann sich aber wohl nur dann mit anderen mitfreuen, wenn er in irgendeiner Weise an der Beobachtung teilhaben, den Vogel also selbst sehen kann.

Ich gucke und knipse am liebsten allein, weil es dann ruhiger ist und ich das Ganze einfach besser genießen kann. Ich unterliege da auch keinem sozialen Druck. Gerade in der Vogelfotografie kann es gar nicht ruhig genug sein. Ich selbst fotografiere eher defensiv. Ein feines Gespür dafür, was machbar ist, kann nie schaden. Und ich bin auch schon mal damit zufrieden, wenn ein Vogel nur ganz klein auf dem Foto abgebildet ist. Wenn man so eine kurze Kindertüte wie ich besitzt, dann hat man ja auch gar keine andere Wahl. 

Doch viele Fotografen, das ist mein Eindruck, können einen Vogel nicht "lesen", und in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine ganz besondere Situation beim Nonnensteinschmätzer in Bensersiel. 

Ich saß bereits eine ganze Weile auf dem Boden und wartete geduldig darauf, dass der Vogel auf einem bestimmten Mauerabschnitt landete. Nachdem es zuvor immer finster gewesen war, hatte sich nämlich nun etwas mehr Licht seinen Weg durch die dichte Wolkendecke gebahnt, doch es war absehbar, dass diese optimalen Bedingungen nur wenige Minuten vorhalten würden. Ich hatte aber Glück, so schien es zumindest, denn tatsächlich landete der Nonnensteinschmätzer jetzt am gewünschten Ort, doch noch bevor ich auslösen konnte, preschte jemand von hinten an mir vorbei und scheuchte den Nonnensteinschmätzer wieder weg. Dieser Mensch, dessen Namen ich hier natürlich nicht verraten werde, hatte nur eine Kompaktkamera in der Hand.

Kinners, so etwas brauche ich wirklich nicht.

Das braucht kein Mensch.

Wie heißt es doch so schön? In der Ruhe liegt die Kraft. Eine Vieraugenbegegnung mit einem Vogel ist in diesem Kontext durch nichts zu ersetzen. Twitcher bringen vor allem zwei Dinge mit: Hektik und Unruhe. Mit ihrem Auftauchen ist es auch augenblicklich vorbei mit dem einzigartigen Charme und der wunderbaren Atmosphäre einer großartigen Begegnung mit einem besonderen Vogel. Doch wer es so mag, der soll es einfach so machen. 

Jedem Tierchen sein Pläsierchen und so weiter. 

Es gibt für mich nur einen Ort, an dem mir alles egal ist: die Hauener Pütten. 

Wenn ich dort hinfahre, dann weiß ich schon vorher, ich werde nicht alleine sein. Ich kann mich dann, jedenfalls vorübergehend, arrangieren und mich sogar neben dem Beobachten mit anderen Leuten unterhalten. In den Hauener Pütten ist eben alles anders. Und einen seltenen Gast in den Hauener Pütten würde ich auch nach wie vor umgehend melden, denn an diesem Ort kommt es auf zusätzliche Störungen wirklich nicht mehr an. 

Dem grotestken Leuchtturm-Massenterrorrismus sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Für mich ist ausschließlich der Moment des Entdeckens der Kick beim Birden – das habe ich hier schon oft geschrieben – oder beim Naturgucken ganz allgemein, denn in meinem Fall geht es ja nicht nur um Vögel. Wenn ich also in einem Augenblick noch nicht weiß, was im kommenden passieren wird, und einem dann, wenn es so weit ist, fast das Herz stehen bleibt, das ist das, was Freude bringt! Solche Erlebnisse sind selten und deshalb einfach furchtbar aufregend und schön. Und sie allein sind es, die mich immer und immer wieder in ihren Bann ziehen – und nach draußen. 

Mir würde es nichts bringen, mich ins Auto zu setzen, eine lange Strecke quer durch Deutschland zu jagen, nur um dann einen Vogel zu sehen, von dem ich ja schon weiß, dass er da ist. Überraschungen sehen anders aus. Doch ich respektiere es, wenn andere Beobachter Freude daran haben, jeden seltenen Gast in Deutschland zu besuchen. Umgekehrt mangelt es vielen dieser Twitcher leider oft an Verständnis dafür, dass es Leute gibt, die es ruhig halten wollen.

Speziell im Falle der Kurzzehenlerche war es darüber hinaus so, dass ich mir nach den ersten Beobachtungen wirklich etwas ausgerechnet hatte. Dass es am Ende ganz anders gekommen ist, hat nun nicht an der Twitcher-Familie gelegen, sondern an den vielen ganz "normalen" Leuten, die gar nicht an der Natur interessiert sind und in den allermeisten Fällen nur deshalb nach draußen gehen, weil sie einen Hund haben. 

Ich will aber nicht jammern!

Trotz der vier Millionen Bürger, die am letzten Wochenende meinen Versuch, die Kurzzehenlerchen in ansprechenden Bildern festzuhalten, vereitelt haben, freilich unbeabsichtigt, das will ich einräumen, überwiegt natürlich meine Freude über die Begegnung mit diesen tollen Vögeln und auch darüber, wieder einmal der Verlockung meiner kleinen Schusswaffe erfolgreich widerstanden zu haben. Ich meine, es hätte diesmal wirklich auch anders kommen können an diesem Tag, so gernervt wie ich war.

Die Freude überwiegt also, und diese Freude bleibt.

Zu guter Letzt möchte ich noch schnell einen Vergleich bemühen: Oben erwähnte ich, es handele sich bei meiner Beobachtung um den siebten Nachweis für Niedersachsen. Aus den benachbarten Niederlanden, die flächenmäßig etwas kleiner als Niedersachsen sind, liegen bis Ende 2021 satte 74 Beobachtungen vor (Quelle: Dutch Avifauna)!

Es folgt ein letztes und vielleicht auch das schönste Bild von einer der beiden Kurzzehenlerchen:




last image of Short-toed Lark 

So, Kinners, damit in diesem Beitrag nicht nur schlechte Bilder von der Kurzzehenlerche gezeigt werden, gibt es jetzt noch schnell ein eher bescheidenes Foto von der eingangs erwähnten Ringdrossel für euch:


Ring Ouzel on a misty morning

Und gleich drei von einem nordischen und männlichen Trauerschnäpper:



male Pied Flycatcher of Northern origin

Ich fand ihn in den Büschen entlang des Zugangsweges der hinteren der beiden Pütten-Hütten.

Und der Vogel war zunächst sehr scheu gewesen, doch ich hatte die besseren Argumente. Nach kurzer Zeit hüpfte der Trauerschnäpper unmittelbar vor mir auf dem Boden herum, nur zwei Meter von mir entfernt.

Leider war das Licht an diesem Tag eher dürftig, und zu allem Überfluss fiel gleich eine ganze Armee aus irgendeiner Knotenameise über meine Ellbogen her. Alles zerstochen und so weiter.

Noch ein Bild vom selben Vogel:


same

Und schließlich ein letztes:


same 

Und im kommenden Beitrag wird es dann tatsächlich wieder um ihn hier gehen:




a possible candidate for the next blog post 

Falls nichts dazwischenkommt.