Donnerstag, 29. Juni 2023

Naturschutz ohne Aufwand

Liebe Mitmenschen da draußen, heute gibt es wieder einmal einen Kessel Buntes für euch.

Wie immer zum Nulltarif.

Ihr werdet erfahren, wie man Naturschutz betreiben kann, ohne auch nur einen der beiden kleinen Finger rühren zu müssen.

Und ich werde euch etwas über ein ganz fieses Ackerunkraut verklickern, das beinahe die ganze Menschheit ausgelöscht hätte.

Darüber hinaus berichte ich heute von einer ganz neuen, nie zuvor entdeckten Art. Gemeint ist der Kaninchenmensch.

Und: Die Gartenrotschwänze im Garten meiner so unglaublich sympathischen Vermieterin haben fast das Erwachsenenalter erreicht.

Auch dank meiner nie nachlassenden Unterstützung!

Ich kann mir also wieder einmal selbst auf die Schulter klopfen, wie es aber eigentlich gar nicht meine Art ist, ihr possierlichen Mistkäfer da draußen.

Die Beobachtungshütte in den Hauener Pütten (Püddenhüdde) an einem sonnigen und heißen Tag im Juni:






birdwatcher's hide at so called Hauener Pütten. Note the new sign on the right hand side (see below)

Beachtet bitte das Schild am rechten Bildrand.

Neulich, am vergangenen Wochenende, um genau zu sein, marschierte ich durch den Buscher Polder.

Ich marschierte die schmale Straße entlang, die parallel zum Deich verläuft.

Es war Samstagmorgen, und ich stieß auf etwas völlig Unerwartetes. Ich meine, da blühte doch glatt am Rande eines Rapsfeldes der Klatschmohn wie Sau! Für Bilder war es nicht mehr der richtige Zeitpunkt, denn die Sonne stand aus fototechnischer Sicht bereits im Zenit, war es doch schon acht Uhr. Spontan, wie ich nun einmal bin, beschloss ich, am Sonntagmorgen deutlich früher an diesem Ort aufzukreuzen.

Und so parkte ich nach einer kurzen Nacht meinen Wagen um halb fünf bei der so genannten Paddel- und Pedalstation am Mahlbusen des Norder Tiefs. Zwanzig Minuten später, nach einem Lauf im Stechschritt, erreichte ich mein Ziel. Ich war enttäuscht, denn vom Mohn war jetzt kaum etwas zu sehen. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass das ganz normal war, denn die Blüten vom Vortag waren größtenteils verblüht, und jene, die an diesem Sonntag das Rapsfeld schmücken würden, hatten sich noch nicht entfaltet. 

Es klingt unglaublich, aber beim Klatschmohn geht alles in rasender Geschwindigkeit.

Ein erstes Foto:


pretty Common Poppy

Wenn man Klatschmohn fotografieren möchte, dann muss man gaaanz vorsichtig sein.

Denn der Klatschmohn, der keineswegs einen an der Klatsche hat, wie man angesichts seines Namens meinen könnte, ist zwar nicht scheu, aber sehr, sehr schreckhaft. Am besten fotografiert man ihn mit einem Teleobjektiv. Die Resultate sehen dann besser aus, und man muss der attraktiven Blume nicht zu sehr auf die Pelle rücken. 

Ihr glaubt es nicht, aber wenn man dieses Gesetz nicht beachtet, den Klatschmohn sogar berührt, dann ist der Ofen schnell aus. Nicht selten fallen dann die hübschen Kronblätter wie die Schwingen eines tropischen Schmetterlings einfach zu Boden. 

Okay, das war jetzt ein wenig übertrieben.

Wenige Blüten vom Vortag gab es aber doch noch:



for decades farmers fought this species without any reason, ...

Je länger ich dort stand und umherlief – ja, man muss sich viel bewegen, die Position ständig verändern, um erkennen zu können, wo sich gerade ein Bild lohnt – desto beschwingter wurde ich. Alles sah sehr schön aus an diesem frühen Morgen. Und schon bald würde die verfickte Sonne aufgehen.

Seht:



...but in the meantime few people have learned Common Poppy is not a threat to our health

Die beiden behaarten Kelchblätter sitzen der rechten Blüte noch auf und bilden eine Mütze:


nice

Alles am Klatschmohn ist hübsch: die beinahe an einen Pokal mit Deckel erinnernden Samenkapseln, die etwas verschämt und schüchtern nach unten blickenden verschlossenen Blüten und die bereits geöffneten sowieso.

Auch die Behaarung der Pflanze gefällt mir sehr. Und besonders gut zur Geltung kommt sie bei Gegenlichtaufnahmen, wie ich sie hier hauptsächlich zeige.

Eine Knospe:


blooming within the next few hours

Eine bereits entfaltete Blüte:


a new day has begun

Sonnenaufgang im Buscher Polder, im Hintergrund der mächtige Feuerball:


sunrise

An diesem Morgen lugte er um kurz nach fünf frech über den Horizont.

Ja, der Klatschmohn ist über Jahrzehnte von uns Menschen rücksichtslos bekämpft worden. Fast könnte man meinen, er habe gar eine ernsthafte Bedrohung für den Fortbestand unserer elitären Art dargestellt.

Und bis heute hat sich daran nicht viel geändert.

Dieses Schicksal teilt der Klatschmohn mit vielen Pflanzen und auch Tieren, die der Mensch nicht mag. Im Falle des Mohns fällt mir allerdings kein plausibler Grund für die Verfolgung ein – okay, ein plausibler Grund für die Verfolgung von wild lebenden Tieren und Pflanzen will mir grundsätzlich nicht einfallen –, ist er doch in allen Teilen maximal schwach giftig; von einem Gefährdungspotenzial für unsere Gesundheit kann hier also kaum die Rede sein. Vielleicht handelt es sich hier lediglich um ein ästhetisches Ding, ich meine, Saatgut muss unbedingt sauber sein und vor allem gut aussehen und so weiter.

Der Mensch.

Weitere Bilder:




so pretty

In den letzten Jahren hat der Klatschmohn hier aber erfreulicherweise wieder etwas zugenommen.

Ob das einem nachlassendem Kampfeswillen der Landwirte geschuldet ist, finanzieller Not (Pestizide sind teuer!) oder gar Einsicht, kann ich nicht mit Gewissheit schreiben. Hier war es so, dass sich die Blumen ausschließlich entlang des Randes des Rapsfeldes breitgemacht hatten, vielleicht, das wäre zu hoffen, weil der Bauer das so gewollt hat. 

Merksatz: Nicht alle Bauern sind schlecht!

Mal mit der Sonne im Rücken und Echter Kamille im Vordergrund:



with the sun in my back and German Chamomile

Da musste sich aber noch mächtig was tun, die Kronblätter waren noch reichlich zerknittert. Ich musste an ein Bügeleisen denken, das ich nie besessen habe und auch niemals besitzen werde.

Auf der anderen Seite sind Falten am Morgen auch nicht so ungewöhnlich:



same

Rasch stieg die Sonne empor, und schließlich war das Licht an diesem klaren Tag für meinen Geschmack schon wieder viel zu grell.

Die letzten Bilder sollen das eindrucksvoll illustrierem:





with stronger sunlight

Also packte ich meinen Kram zusammen und setzte meinen Fußmarsch fort.

Ich erreichte das so genannte Utlandshörn und fand dort, wen ich suchte:

already in March somebody released his domestic Rabbit close to the dike at so called Utlandshörn and the beast is still alive

Dieses Hauskaninchen hatte jemand, wahrscheinlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, bereits im März in der Nähe eines Hauses am Deich in die Freiheit entlassen.

Und es erfreut sich nach wie vor bester Gesundheit. Mich erstaunt das, denn eigentlich sollte so ein lahmes und adipöses Karnickel doch schnell einem Rotfuchs zum Opfer fallen, ich meine, es gibt in Ostfriesland doch viel zu viele Füchse, obwohl die hiesigen Jäger in Sachen Verfolgung stest alles geben (oh nein, wir sind schon wieder beim Thema) und keine Kosten und Mühen scheuen, wenn es darum geht, dem Rotrock die Lebensleuchte auszupusten. 

Komisch, dass dann so ein fettes Kaninchen über einen so langen Zeitraum nicht von der Bildfläche verschwindet. 

Die Lösung sieht so aus:



same on early morning, resting like a Human Being on a beach in Southern France

Kein Kaninchen lümmelt sich so hin!

Aber genau so liegt dieser Stallhase den ganzen Tag faul unter der Sonne herum, also wenn er gerade mal nicht am Essen ist. Und er isst wirklich alles, vom nervigen Klettenlabkraut über die stachelige Brombeere bis hin zum Löwenzahn. Kein Hauskaninchen auf dieser Welt kann mit einer so vielseitigen Diät aufwarten. Ich meine, jeder Ernährungsberater würde sich einen Ast freuen.

Und dann trotzdem dieses Übergewicht! 

Als ich das Biest zum ersten Mal neben der Straße herumliegen sah, da wusste ich sofort, es konnte sich hier nur um den sagenumwobenen Katzenmenschen handeln, um eine Art also, die ich hier erstmalig in der Geschichte der Entdeckung der Tierwelt dieser Erde in zwei Bildern vorstellen kann.  

Eine Weltpremiere.

Ich bin so stolz!

Ein Rotfuchs würde sich niemals trauen, einen Katzenmenschen zu attackieren. Jeder Rotfuchs weiß, er würde diesen blutigen Kampf nicht überleben.

Und ihr kleinen Klippenasseln wisst das jetzt auch.

So sieht übrigens eine Klippenassel aus:



Sea Slater

Dieses Tierchen, das im Vergleich mit der allbekannten Kellerassel eine wirklich beachtliche Körperlänge von sage und schreibe drei Zentimetern erreichen kann, flitzte über die Uferbefestigung des Strandes von Norddeich. 

Mit bloßem Auge hielt ich es zunächst für eine Schabe!  

Und das, obwohl ich die Klippenassel schon einmal an der Knock gesehen, fotografiert und ja auch hier vorgestellt hatte. Das damalige Tier war aber deutlich kleiner gewesen. Die Klippenassel lebt in der Spritzwasserzone u. a. der Nordsee und hält sich bei Tage normalerweise versteckt. Da ich aber wieder einmal am ganz frühen Morgen in Norddeich gewesen bin, konnte ich noch ein letztes Individuum bei seinem schändlichen Tun auf frischer Tat ertappen. Diese Biester wissen serh wohl, warum sie nur im Schutze der Nacht unterwegs sind.

Am 8. Juni 2023 war ich mal wieder auf dem Rysumer Nacken:



immature male Common Rosefinch at Rysumer Nacken

An diesem Tag fand ich gleich zwei singende Karmingimpel, von denen ich aber nur einen auch sehen und fotografieren konnte.

Das andere Männchen, das ich bereits eine Woche zuvor dort gehört, aber nicht gesehen hatte, machte nach wie vor einen auf heimlich. Zwar sang es ausgiebig in einem Gehölz an einem Teich auf dem Gassco-Gelände, doch zeigen wollte es sich nicht. 

Erst am 27. Juni sollte ich diesen Vogel auch sehen:



an adult male on a different day

Jetzt stand er exponiert in einer Silberweide und sang wieder eine geile Strophe nach der anderen.

Und dieser Gesang, den ich auch aufgenommen habe, war es auch, der mir die Gewissheit gab, dass es sich tatsächlich auch um dasselbe Individuum handelte, das ich bereits zu Monatsbeginn an diesem Ort gehört hatte. Es ist nämlich so, dass jeder männliche Karmingimpel eine "Lieblingsstrophe" besitzt, die er gebetsmühlenartig wiederholt und die sich vom Gesang anderer Kerle in der Regel deutlich abgrenzen lässt. Denn so einfach und variationsarm das Lied dieses Spätankömmlings ganz allgemein auch klingen mag, es gibt (fast) immer deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Individuen.

Es war sehr windig, während ich diesen Karmingimpel beobachtete und knipste. Und als ich da so am neuen 30-Millionen-Euro-Zaun stand, flog doch glatt eine tiefrote Libelle in größerer Entfernung an mir vorbei. Oh, eine Feuerlibelle, so dachte ich entsprechend und stand auf der Stelle wieder unter Strom, kaum dass ich mich nach dem Fotoshooting mit dem Karmingimpel wieder etwas beruhigt hatte. Ich sah, wie sie in einer Entfernung von etwa 30 Metern im hohen Gras landete und fixierte nun diesen Bereich mit meinem Blick. 

Langsam näherte ich mich dem aus dem Süden zu uns eingewanderten Insektenmörder, den ich aber nach wie vor nicht sehen konnte. Nicht ein einziges Mal wandte ich meinen Blick ab, während ich vorsichtig einen Schritt nach dem anderen ins Gras setzte, denn wenn man auch nur ein einziges Mal kurz woanders hinsieht, das wusste ich, dann weiß man plötzlich nicht mehr, wo genau sich das Tier verbirgt, man findet die Stelle nicht wieder und so weiter. Dann irrt man herum, dann wird man verrückt, dann dreht man auch schnell durch, weil man sich so sehr über sein eigenes dummes Verhalten ärgern muss, obwohl man es doch besser hätte wissen müssen nach all den Erfahrungen aus der Vergangenheit. 

Und dann sah ich die Feuerlibelle auch schon, ich befand mich ja auch schon fast über ihr. Sofort flog sie auf, glücklicherweise aber nicht weit, denn nach nur wenigen Metern ging sie wieder runter und stand jetzt sogar noch viel besser und fotogener in der Vegetation herum. 

Nämlich so:



this male Scarlet Dragonfly suddenly popped up, while I was watching the Common Rosefinch

Das Glück erschien mir in diesem Augenblick geradezu grenzenlos, denn eine fette Wolke hing vor der Sonne ab.

Sie sorgte für ausgeglichenes Licht, wie ich es bevorzuge.

Immerhin war es schon 8:48 Uhr!

Um 8:49 Uhr hatte die Wolke sich etwas nach links bewegt (sorry, Herr Kremp*, ich meine natürlich nach Westen), sodass sich jetzt die Sonnenstrahlen ihren Weg durch den halbdurchlässigen Wolkenrand bahnen konnten.

Das sah dann so aus:


same, but with a bit more sun 

Beachtet bitte den Lichtreflex auf dem Auge und die härteren Kontraste.

Und schließlich, immer noch um 8:49 Uhr, aber wenige Sekunden später, hatte die Sonne wieder freie Bahn:


even more sun few seconds later

Und dann war der Spaß auch schon wieder vorbei.

Die Feuerlibelle hob ab und verschwand, nachdem sie ausreichend Sonne getankt und ihren gestählten Körper aufgewärmt hatte.

Kinners, es war für mich die erste Feuerlibelle seit einigen Jahren gewesen! 

Die Art tritt ganz bestimmt nach wie vor alljährlich in Ostfriesland auf, allerdings in stark schwankender Zahl. Der Grund dafür, dass ich zuvor in den letzten etwa sechs Jahren leer ausgegangen war: Alle Gewässer, an denen ich die Feuerlibelle zwischen 2009 und 2017 nachgewiesen hatte, sind längst komplett verschilft. Das mag eine Feuerlibelle kaum abschrecken, denn sie kann auch stark verschilfte Gewässer für ihre Projekte nutzen, aber mich, weil es mir jetzt an der nötigen Übersicht fehlt.  

Ich gebe zu, an diesem Tag war ich mit meiner Ausbeute zufrieden. Ich kehrte zum Parkplatz zurück – und war erstaunt!

Corsilein stand nicht mehr da, wo ich ihn gegen fünf Uhr abgestellt hatte. Nach kurzer Suche fand ich ihn aber:



on hot days my car loves to rest in the shade

Mein kleines Auto mag keine große Hitze, und an diesem Tag war es wirklich sehr, sehr heiß!

Und unter solch unwürdigen Bedingungen sucht sich Corsilein ganz selbständig einen geeigneteren Standplatz, ich meine, das habe ich ihm schon vor Jahren beigebracht

Es folgt das Titelthema des Tages:

Irgendwann im Winter, ich meine, es war Anfang Januar, stieß ich zum ersten Mal auf neu aufgestellte Schilder in der Nähe des Campingplatzes an der Knock, später auch am Diekskiel sowie, das habt ihr auf dem ersten Bild dieses Beitrages bereits gesehen, in den Hauener Pütten.

Diese Schilder preisen die Krummhörner Marsch an als eine schützenswerte Natur- und Kulturlandschaft.

Seht selbst:



who the fuck is responsible for that? (source: cities of Aurich and Emden)

V04 EU-Vogelschutzgebiet!

Das muss man sich erst einmal ausdenken. Hört sich an wie DIN A4.

Oder E605. 

Wahrscheinlich entstammt diese Bezeichnung der EU-Bürokratie, und ganz sicher ist sie eine Mogelpackung. 

Bitte lest den Absatz auf dem Schild in der folgenden Vergrößerung, dann versteht ihr, was ich meine:

cropped – actuallly it is well known, that agriculture is the main cause for environmental degradation and a heavy loss of biodiversity including birds. According to signs that have recently been put at several places the authorities think different. They just claim, that intense farmland is nature and has to be protected. Are they kidding? This is not the kind of nature conservancy, that we need

Ja, es stimmt, die Krummhörner Marsch ist vogelreich. 

Aber extensiv bewirtschaftetes Grünland suchte man hier vergebens. Es gibt Turbowiesen, die x-mal im Jahr gemäht werden und maximalen Ertrag bringen müssen und auf denen man nicht eine einzige Feldheuschrecken-Art finden kann, selbst wenn man sich tagelang einen Wolf suchte, nur um mal ein Beispiel zu bringen, und auf denen auch nur wenige ganz anspruchslose Blütenpflanzen vorkommen, wie etwa das Gänseblümchen oder die Ackerkratzdistel, ganz bestimmt aber keine bedrohten, eben weil diese Flächen alljährlich bis zum Ertrinken gegüllt werden und vor Stickstoff nur so strotzen. Okay, aufgrund der intensiven Bewirtschaftung hat man es immerhin geschafft, eine einst hier sehr häufige Pflanze zu einer echten Rarität zu machen: die Kuckuckslichtnelke!

Kinners, selbst auf dem Sportplatz des VfL Fosite Helgoland tobt mehr Leben. Und der besteht aus Kunstrasen.

Es gibt Kuhweiden, auf denen die Zahl der Tiere aber viel zu hoch ist, als dass man das Wort extensiv bemühen könnte. Auch hier blühen fast nur noch Löwenzahn und Scharfer Hahnenfuß.

Und es gibt Äcker: Vor allem Gerste, Weizen, Mais, Raps und so weiter werden hier angebaut. Diese ach so schützenswerte Landschaft ist nämlich tatsächlich eine intensivst genutzte Agrarsteppe. Es wird alljährlich Gründüngung eingesät und, weil man keine Zeit dafür hat, auf einen natürlichen Tod der Pflanzen zu warten, ganz viel Glyphosat eingesetzt, bevor der Bauer kommt und die ganze Kacke unterpflügt. Selbst im Falle der Kartoffel fehlt es heute an Zeit, auf das Absterben der Pflanzen nach dem Heranwachsen und Reifen der Erdäpfel zu warten, sodass auch hier das Allheilmittel Glyphosat dem Landwirt unter die Arme greifen muss, damit der nicht aus dem Takt gerät. 

Und es wird entwässert! 

Jedes an der Natur interessierte Kind weiß doch, dass der Entwässerungsgraben der Tod eines Feuchtgebietes ist! Wie kann man das ausgeklügelte Grabensystem der Krummhörn also feiern? Ich meine, Ziel laut Schild sei es doch, diese "Kulturlandschaft an sich mit ihrer besonderen Eigenart, Vielfalt und Schönheit zu erhalten!"

Oh, es gibt sie tatsächlich, die erhaltenswerten Kulturlandschaften. 

Die Extremadura in Spanien ist ein tolles Beispiel, aber auch uralte und längst verwilderte Weinberge, wie ich sie an der Nahe in Rheinland-Pfalz mal mit eigenen Augen bewundern konnte, und vielleicht ganz Osteuropa, wo die Menschen bis heute noch nicht die Möglichkeit bekommen haben, jeden Quadratmeter Natur in totes Land umzuwandeln, wie man es hier in Deutschland seit Jahrzehnten zu tun pflegt. 

Und genau das ist die Krummhörner Ackermarsch eigentlich: totes Land. Wenn hier viele Vögel rasten, dann liegt das nur an der Lage direkt am Wattenmeer. Eine vergleichbare Landschaft tief im Binnenland wäre völlig leblos. Das kann jeder selbst überprüfen, wenn er im Binnenland lebt, denn an kaputtem Ackerland mangelt es schließlich nirgends.

Und wie viele Schilfrohrsänger und Bartmeisen könnten in Deichnähe brüten, wenn es die Melioration gar nicht gäbe? 

Kinners, was sind das überhaupt für Kriterien, die zu so einer Bewertung führen? Wer denkt sich das aus? Spielen nur die Zahlen eine Rolle? Ich meine, irgendwo müssen die Vögel doch hin. Gänse sind anspruchslos, sie äsen dort, wo man sie lässt. Limikolen steuern diese Flächen fast nur bei Hochwasser und vor allem bei Sturmflut an, weil sie gar keine andere Wahl haben. 

In jedem Frühjahr verlieren die meisten hier brütenden Kiebitze ein Gelege nach dem anderen, weil sie bereits sehr zeitig auf den noch kahlen Äckern mit der Brut beginnen. Irgendwann taucht der Landwirt auf und macht alles platt. Doch so schnell gibt man als Kiebitz nicht auf, man legt einfach neu. Doch wieder kommt der Landwirt um die Ecke, um den nächsten mechanischen Schritt in die Tat umzusetzen. Zwischen diesen einzelnen Schritten vergehen oft mindestens zwei Wochen, genug Zeit also für einen Kiebitz, um erneut mit der Brut zu beginnen. Ich habe Kiebitze gesehen, die drei Gelege nacheinander verloren haben auf Äckern in der Krummhörner Marsch. 

Und es handelt sich hier nicht um Ausnahmen! 

Ist das Natur?

Auch der insgesamt viel seltenere Säbelschnäbler hat in dieser geilen Landschaft so gut wie keinen Bruterfolg:



this is how "nature" in Ostfriesland looks like; five pairs of Avocet were breeding on a Mays field, but did not succeed

Immerhin fünf Paare versuchten ihr Glück auf einem Maisacker in der Nähe des Pilsumer Leuchtturmes; die für die Brut aufgebrachte Energie hätten die Vögel besser anders vergeudet.

Ist das schützenswert?

Gräben entziehen dem Land das Wasser, das ist ihr Zweck. Und es ist nicht neu. Zum Teil werden sie hier während der Brutzeit gemäht; vor allem der Graben entlang des Deiches wird alljährlich bearbeitet. 

"Mein Chef will das so, es soll hier ordentlich aussehen, wenn die Touristen den Deich entlangradeln." Das sagte mir der Mann auf dem Traktor, nachdem ich ihn nach dem Grund des aus meiner Sicht sinnlosen Unterfangens befragt hatte. Die schimpfenden Blaukehlchen, Schilfrohrsänger und anderen Kleinvögel waren ihm gar nicht aufgefallen. Und dass sie ausnahmslos Futter im Schnabel trugen, offenbar auch nicht. Dass wir einander nicht missverstehen, ich mache dem Mann keinen Vorwurf, denn er führt eh nur das aus, was andere sich am Schreibtisch ausdenken. 

Mindestens im 2-Jahresrhythmus werden alle Gräben ausgebaggert und von ihrer Vegetation befreit, damit sie nicht verstopfen. Wie viele tausend Seefrösche und andere Lebewesen fallen diesem im Winterhalbjahr stattfindenden Prozedere zum Opfer? Sie befinden sich zu dieser Zeit längst in der Ruhephase, und sie überwintern im Schlamm der Gräben.

Ist diese Vorgehensweise schützenswert?

Was sind das für Menschen, die solche Schilder aufstellen? Der Landkreis Aurich, die Stadt Emden sowie die Gemeinde Krummhörn werden als Auftraggeber genannt, doch welche Personen sich hinter dieser Aktion verbergen, ist für Außenstehende wie mich natürlich nicht erkennbar. Ich will es auch gar nicht wissen, wenn ich ehrlich sein soll. Es müssen jedenfalls absolut naturferne Leute sein, die noch nie ein dünn besiedeltes Land bereist haben, noch nie echte Natur gesehen haben. Und es müssen Menschen sein, die weder Schamgefühl noch ein Gewissen besitzen. 

Vielleicht stecken die Landwirte selbst hinter der ganzen Sache. Oder gar die Jägerschaften. Die, das habe ich in unzähligen Gesprächen in der Vergangenheit herausgefunden, finden Ostfriesland ganz toll. Und erst neulich meinte ein alter Lodenträger aus Manslagt zu mir, die Welt sei hier noch völlig intakt. Mit "Welt" meinte er die "Natur". Und wahrscheinlich ist er auch davon überzeugt, dass Natur nach Gülle riecht. 

Ein anderer Landwirt, der mich mal unaufgefordert bei Greetsiel zugetextet hat – das passiert mir laufend –, meinte doch glatt, alles hier sei ökologisch absolut in Ordnung, während er gleichzeitig über die Nonnengänse schimpfte, die sich gerade auf einer seiner Flächen den Bauch vollschlugen. Er meinte, er würde auch das Grabenwasser dauerhaft und bedenkenlos für seine Ernährung nutzen, wenn es mal kein Wasser aus dem Hahn oder dem Supermarkt mehr gäbe. 

Dann mal prost, so dachte ich, und wie dumm das alles, so dachte ich weiter, denn wenn es mal kein Wasser aus dem Hahn oder dem Discounter mehr geben sollte, dann dürften vorher schon die Gräben komplett ausgetrocknet sein, doch ich sagte: "Würde ich gerne sehen und verfolgen, aber leider fehlt mir die Zeit für so ein bescheuertes Projekt."

Mir fehlten in diesem Augenblick nicht nur Lust und Zeit, mir dieses Gelaber weiter anzuhören, sondern schlicht auch die Worte. 

Das, Kinners, ist jedenfalls Naturschutz in Deutschland! 

Man stellt einfach Schilder auf, rührt ansonsten keinen Finger und verarscht die Leute. Man verhökert einen blauen Himmel als grün. Aber nicht alle fallen darauf herein, wie ich kürzlich feststellen konnte, denn ein älterer Herr (aus Siegen), der sich das Schild bei der Püddenhüdde angesehen hat, konnte nur noch mit dem Kopf schütteln. 

Ich sprach ihn an, fragte ganz scheinheilig: "Wieso schütteln Sie den Kopf? Stimmt etwas nicht mit dem, was Sie da gelesen haben?" Und er meinte nur, diese Schilder seien eine einzige Frechheit. Dieser Mann dürfte aber eher eine Ausnahme gewesen sein, so eine Art Einäugiger unter den Blinden, denn die meisten Bürger lassen sich leicht beeinflussen und glauben einfach alles, wenn es irgendwo geschrieben steht, und noch mehr Menschen lesen den Text auf dem Schild erst gar nicht und gehen achtlos an ihm vorbei. 

All das habe ich beobachtet, während ich in meinem Auto saß und eine Massenvernichtung von leckeren Käsebrötchen in die Tat umsetzte.

Der Deutsche, und damit möchte ich die Sache für heute beenden, weil mein kleines Herz mal wieder vor Wut rast, ist sehr gut darin, anderen Staaten beim Schutz ihrer Natur zu helfen oder ihnen gar ungefragt Ratschläge zu erteilen. Wir unterstützen zum Beispiel Litauen beim Schutz des Seggenrohrsängers, der bei uns aber längst das Zeitliche gesegnet hat, wir sagen Brasilien, es solle doch bitte nicht den Regenwald abholzen, obwohl es in Deutschland schon seit Jahrhunderten keine Primärwälder mehr gibt, und Indien möge doch bitte seine letzten Tiger erhalten, während bei uns alles, aber auch wirklich alles abgeballert wird, was spitze Zähne hat. 

Punkt.

In Ostfriesland hat der Seggenrohrsänger übrigens letztmalig Anfang der 1970er Jahre gebrütet. Das war am Großen Meer. Der Grund für sein Verschwinden aus dieser platten Region und auch vom Dümmer: Entwässerung!

Im kommenden Beitrag wird es (vielleicht) unter Anderem um die süßen Gartenrotschwänze im Garten meiner Vermieterin gehen:


next post is likely going to be about this female Common Redstart, ... 

Hier das Weibchen. 

Der Kerl dazu:



... her husband, ...

Und die Blagen:


... and their offspring ("I am the boss!")

Apropos Vermieterin: Neulich klopfte es an meiner Tür. 

Für gewöhnlich weiß ich im Voraus, wer hier vorbeikommt. Und jetzt erwartete ich niemanden. Scheiße, so dachte ich, die Alte will wieder rumnerven. Ich überlegte, ob ich überhaupt öffnen sollte, aber meine liebe Vermieterin, so dachte ich, weiß natürlich, dass ich zu Hause bin. Sie weiß immer, ob ich zu Hause bin oder nicht. 

Mit gemischten Gefühlen und ersten hervortretenden Schweißperlen auf der Stirn ging ich also zur Tür und öffnete sie gerade so weit, dass ich mit einem Auge nach draußen blinzeln konnte. 

"Was willst du?" fragte ich, um es kurz zu machen.

"Hi Frank, Mama geht es nicht so gut, ich hole sie für ein paar Tage zu mir.

Jetzt öffnete ich dir Tür bis zum Anschlag, riss sie förmlich auf, sodass sie wieder zurückschnellen wollte, was ich aber reflexartig unterband. Ich musste schmunzeln und sagte: "Ich gebe dir zweihundert Euro, wenn du sie für ein ganzes Jahr zu dir holst, Elli." Sie grinste, und ich fuhr fort: "Das Angebot gilt nur für zwei Sekunden", ich klopfte demonstrativ mit meinem rechten Zeigefinger auf meine nicht existierende Armbanduhr am linken Handgelenk, "du musst dich also jetzt entscheiden. So-fort!"

Jetzt lachte sie,  meinte dann aber nur nur trocken: "Drück mir die Daumen."

"Wie redest du über deine Mutter?" machte ich einen auf empört, doch Elli entgegnete nur: "Du hast hier Wände, du weißt, wie sie ist. Sie sitzt nicht mit dir in der derselben Wohnung, schon gar nicht im selben Raum. Wir bewundern dich dafür, dass du es hier so lange aushältst. Wirklich, alle. Das hat vor dir noch keiner geschafft."

"Dass das mal jemandem auffällt!" sagte ich etwas lauter als geplant. "Es geschehen wirklich noch Zeichen und Wunder. Und ein bisschen Mitgefühl kann grundsätzlich nie schaden, aber es hilft mir nicht. Recht hast du aber, ein Mensch mit einer kurzen Zündschnur hätte deine geliebte Mudder längst niedergestreckt, mit einem Schlag, vielleicht im Affekt oder so, vielleicht aber auch vorsätzlich und nach reichlichem Überlegen, ich meine, ich könnte es wirklich verstehen." 

Ich nickte, wie um mir selbst zuzustimmen, und sah mich schon in Sträflingskleidung, wie sie Gefangene in den USA tragen müssen, hinter Gitterstäben meinem Ende entgegenkauern.

Es folgte eine Kunstpause, und dann: "Vielleicht sollten wir mal über eine monatliche Gage sprechen, Elli, vielleicht im hohen vierstelligen Bereich oder so, ich meine, ihr seid vier Kinder und ihr selbst habt auch alle viele Kinder, die schon arbeiten und Geld verdienen, und wenn ihr alle zusammenschmeißt, dann kostet euch das fast nix und so. Ich versichere dir, ich bin hier so eine Art Betreuer oder gar Blitzableiter oder beides in Personalunion und so weiter. 

Ich zögerte, um dann hinzuzufügen: "Kurz: Das ist hier nicht immer lustig."

Elli lachte wieder, ging aber gar nicht erst auf das von mir Gesagte ein: "Ich weiß noch nicht, wann ich sie zurückbringe. Aber die kommende Woche wirst du hier deine Ruhe haben, das kann ich dir versprechen. Und ich gönne sie dir von ganzem Herzen, die Ruhe. Ich rufe dich an, ich sage dir vorher Bescheid, damit du dich mental auf ihre Rückkehr vorbereiten kannst."

Elli wirkte regelrecht verstört, und ich sprach ihr Mut zu. 

"Du kannst es schaffen", sagte ich dann auch. Doch kaum hatte ich die Tür geschlossen, da musste ich laut lachen. Ich machte Luftsprünge und freute mich riesig, auch wenn Elli mir etwas leid tat, zumal ich ja wusste, was auf sie zukommen sollte. Nicht mein Bier, so dachte ich, um mich sofort wieder auf mich selbst zu konzentrieren und dann in die Küche zu eilen, wo ich den Kühlschrank öffnete und ihm mit einem Lächeln der Erleichterung auf den Lippen eine Flasche Alster stibitzte! 

Ich meine, das musste gefeiert werden.

Echt jetzt mal.

Nachtrag: Elli, eigentlich Lisa, nein, ganz eigentlich Elisabeth, die Tochter meiner Vermieterin, macht zurzeit eine fünfwöchige Kur in Bad Fallingbostel; möglicherweise ist das die logische Folge des gut zehntägigen Zusammenlebens mit ihrer Mutter.

Nachtrag 2: Kinners, jetzt muss ich doch noch ein letztes Mal auf das Hauptthema zurückkommen. 

Ich meine, ich finde, dass solch unverschämte Bürger, die hemmungslos und überall Schilder wie die hier gezeigten aufstellen, um ohnehin schon Ahnungslose noch weiter in die Irre zu führen, auch angemessen bestraft werden sollten. 

Mein Vorschlag: Man sollte sie erst teeren, dann federn, dann eine halbe Stunde in siedendes Öl tunken, dann aufs Rad flechten und schließlich vierteilen und in einem finsteren und feuchten Verlies sich selbst überlassen oder – das wäre ganz bestimmt noch viel grausamer als all das, was ich gerade aufgezählt habe – eine halbe Stunde lang in einen kleinen Raum von zwanzig Kubikmetern sperren.

Zusammen mit meiner Vermieterin.


* Herr E. Kremp war einer meiner Lieblingslehrer in der Oberstufe eines westfälischen Gymnasiums. Er lehrte meine Mitschüler und mich Mitte der 1980er Jahre u. a. Interessantes über die Kasachische Schwelle ("Kasachiche Chwelle", für Insider) und den europäischen Mischwald ("Europäicher Michwald") und ist mir nicht nur deshalb bis heute in sehr guter Erinnerung geblieben!