Mittwoch, 19. Juli 2023

Herr Himmelblau und der Engländer (Teil 2)

Er war bereits ein alter Mann.

Und nicht zum ersten Mal baute er vor den Helgoländer Hummerbuden seinen Stand auf.

Seit vielen Jahren machte er das so, immer eine Stunde vor der Ankunft der ersten Schiffe, stets um halb neun.

Sein Stand war nichts Anderes als ein ausgedienter Tapeziertisch, dem er, findig, wie er war, neues Leben eingehaucht und somit auch einen neuen Sinn gegeben hatte. 

Nachdem er den Tisch schließlich aufgebaut hatte, positionierte er auf der großen Fläche seine Ware, die er im Laufe des Tages an Mann und Frau zu bringen gedachte. Es handelte sich um Muscheln, Steine, Schnecken, Treibholz und all das, was man im Volksmund vielleicht als Nippes oder Schnickschnack bezeichnen würde, und grundsätzlich um Dinge, die ein aufmerksamer Tagesgast auch selbst auf der Insel finden konnte, wenn ihm danach war.

Doch vielen Menschen war nicht danach.

Das erste Schiff lag bereits auf Reede, als die Gäste in kleinen Gruppen per Börteboot über den Hafen an Land verfrachtet wurden. Und wenig später passierten sie auch schon in einer nicht enden wollenden Schlange die etwas lieblose Präsentation des alten Mannes. Die meisten Besucher gingen achtlos daran vorbei, wenige blieben kurz stehen, um dann doch den vermeintlich verlockenderen Angeboten der vielen bunten Läden mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Zigaretten, Alkohol, aber auch, man mag es kaum glauben, Butter zogen die Menschen an wie eine leuchtende Straßenlaterne in der Nacht die schwirrenden Motten. 

"Kommen Sie rein, hier gibt es alles, was Sie brauchen!" rief ein junger Mann, der vor dem Eingang eines dieser Läden stand und nur eine Aufgabe hatte, nämlich möglichst potenzielle Käufer ins Innere zu locken. 

"Likör für Sie, meine Damen! Whisky, Wodka, Wein, für jeden das passende Getränk!" rief er jetzt einer Gruppe älterer Frauen zu, die aber kaum Interesse zeigten. "Zigaretten haben wir auch, und die sind hier viiiiel billiger als auf dem Festland!

Er lachte laut auf.

"Bei uns gibt's nichts zu holen", sagte eine der Angesprochenen trocken. "Wir rauchen nämlich alle nicht", fügte eine andere noch spöttisch hinzu, doch der Lockvogel war ein echter Profi und hatte auf alles die richtige Replik parat.

"Kein Problem", rief er jetzt, "es ist nie zu spät, mit dem Rauchen anzufangen!"


see below

Der alte Mann musste schmunzeln. 

Auf diesen Spruch hatte er gewartet.

Natürlich kannte er ihn, und natürlich kannte er alle Sprüche aller Lockvögel auf der Insel. Überhaupt hatte er alles, was er heute hörte und sah, in der Vergangenheit schon tausendmal gehört und gesehen. Er war kein Freund dieser vielen Tagesgäste und Schnäppchenjäger, er war ganz allgemein kein Freund des Massentourismus, und das, was er tagtäglich machte, machte er eigentlich nur, weil er diese Menschen auf die Schippe nehmen wollte, vielleicht aber auch ein bisschen, weil ihn seine Beine nicht mehr so lange tragen konnten, wie es früher der Fall gewesen war, sodass ausgiebige Spaziergänge über das Eiland seit Jahren nicht mehr möglich waren. 

Er schaute zum Himmel hinauf, wo es nach langer Zeit mal wieder etwas Blaues zwischen den grauen Wolken zu sehen gab, zog dann aber den Kopf ein und stellte seinen Jackenkragen auf, weil ihn der kalte Ostwind frösteln ließ.

Plötzlich stand da eine aufgetakelte Frau mit rabenschwarz gefärbtem Haar und einer Sonnenbrille mit blauen Gläsern vor seinem Stand. Ohne lange zu zögern nahm sie ein Exponat nach dem anderen in die Hand, ließ sich beim Betrachten viel Zeit und begutachtete wirklich jedes noch so unauffällige Detail ausgiebig, fast schon analytisch, indem sie jedes Stück dicht vor ihre Augen hielt – dann aber doch wieder zurückstellte. Sie würdigte den alten Mann keines Blickes, tat gerade so, als wäre er gar nicht da. Nach einer halben Stunde ging sie schließlich unverrichteter Dinge weiter, um sich wieder der Herde anzuschließen, doch noch bevor sie in der Masse abtauchen konnte, rief ihr der alte Mann hinterher:"Hallo, junge Frau!

Die Frau, die sich jetzt umdrehte, hatte bestimmt schon zehn Jahre zuvor das Rentenalter erreicht. "Haben Sie nicht etwas vergessen?" fragte sie der alte Mann.

Sie schüttelte den Kopf, sagte aber auch jetzt nichts. Der alte Mann nahm das Gehäuse einer Wellhornschnecke in seine Rechte und wedelte demonstrativ damit herum. "Und, wissen Sie jetzt, was ich meine?" Die Frau hob nur erstaunt die Schultern, und der alte Mann kostete seinen Triumph so richtig aus: "Die hier haben Sie noch nicht angegrabbelt!"

 

Heute, liebe Spacken da draußen, gibt es den zweiten Teil über Blaukehlchen und Schafstelze für euch. 

Die ganze Kiste liegt nun schon einige Wochen zurück, und der Weizen hat längst einen letzten Farbwechsel vollzogen. 

Herr Himmelblau, nur zur Erinnerung, sieht so aus:

male Bluethroat

Er und seine Angetraute, die ich euch im vorletzten Beitrag vorgestellt hatte, haben ihre Brut ohne große Probleme aufgezogen.

Auch wegen meiner kleinen Unterstützungsaktion:



same

Alle paar Minuten tauchten die beiden Vögel vor meinem Versteck auf, um dort emsig Mehlwürmer einzusammeln. 

Mein Tarnzelt, auch zur Erinnerung, sah so aus:


my hide in a Wheat field

Aus der Nähe:


close up

Im Vordergrund kann man die im Boden versenkte Filmdose erkennen, die die leckere Beute beherbergte, bis diese von den Vögeln abgeholt wurde.

Und der Engländer ist auf dem Foto auch zu sehen, wenn man genau hinsieht.

Andere Richtung:


same

Jedenfalls fütterten die Eltern ihre Blagen so fleißig, dass diese eines Tages ihr Nest verlassen konnten und schließlich den Weg zu meinem Futterplatz fanden:


juvenile Bluethroat 

Kindchenschema hoch zehn:


same

Und weil längst mehrere Blaukehlchen-Paare von meiner Imbissbude erfahren hatten – da muss es irgendwo im Netz ein entsprechendes Forum geben, wo sich die Vögel untereinander austauschen –, wimmelte es in der Traktorspur schließlich von Jungvögeln.

Drei auf einem Bild:



many juveniles that days in front of my hide, because Bluethroat is abundant here in Ostfriesland and likely the most common songbird in the marsh


same

Und wo viele Vögel aufeinandertreffen, da gibt es selbstverständlich auch Streit:


competing about food

Gefiederpflege ist aber auch wichtig:


preening

Ihr seht, der für das Blaukehlchen so charakteristisch gefärbte und gezeichnete Schwanz ist auch im Jugendkleid bereits vorhanden. 

Und er muss ein ganzes Jahr halten, denn erst nach einem Jahr wird das Großgefieder vermausert. Das Kleingefieder eines juvenilen Vogel dagegen hat schon nach wenigen Wochen ausgedient und wird rasch durch die Federn des ersten Winterkleides ersetzt. Solange die Vögel aber noch ihr Jugendkleid tragen, werden sie von ihren Eltern mehr oder weniger im Revier geduldet, was aber nicht bedeutet, dass alle Vögel immer blendend miteinander auskommen.

Die Kinder erheben auch schon mal ihren Flügel gegen die eigenen Eltern! Was für eine Chuzpe! Ich meine, sollten sie nicht dankbar sein für all die Mühen, die sie ihren Eltern zuvor und seit ihrem Schlupf aus dem Ei aufgebürdet hatten? Nein, natürlich nicht, denn sie hatten es ja nicht selber im Handflügel, ob sie das Licht dieser Welt erblicken oder nicht.

Und: Wenn es ums Essen geht, kennt man auch als Blaukehlchen keine Verwandten.

Herr Himmelblau weiß, was ich meine:


Herr Himmelblau

Und seine Saisonpartnerin auch:


his pretty wife

Und jeder Tag war ein stressvoller für die Altvögel, denn obwohl die Kinder längst selbständig nach Nahrung suchen konnten, ließen sie es sich nie nehmen, einfach auch noch schnell die Eltern anzubetteln, den Schnabel weit aufzusperren – und auf diese Weise immens zu nerven.

Und bis zu einem bestimmten Tag klappte das auch noch:


still begging for food, although the kiddies were actually independend

Seht:


"Please, please give me something, daddy!"


mmmh, lecker

Bloß schnell wieder weg, dachte Herr Himmelblau in diesem Augenblick bestimmt:


scared by the own offspring

Aber was soll man machen, wenn die Kindern nicht nur laufen, sondern auch noch fliegen können?

Da gibt es keinen Ort mehr, an dem man vor ihnen sicher ist.

Immer auf der Fucht:



same

Kein Wunder, wenn man sich die mächtige Wuchtbrumme im Hintergrund so ansieht! Da kann man schon mal Angst bekommen.

Oft habe ich mich gefragt, wer eigentlich das Sagen hatte, während ich auf meiner Isomatte lag. Es war einfach nur lustig, den ganzen Piepmätzen bei ihrem bunten Treiben zuzusehen.

Doch Herr Himmelblau fand das gar nicht amüsant. Er wirkte oft regelrecht genervt, und nicht nur einmal meinte ich Schweißperlen in seinem Gesicht erkannt zu haben:


no way out of this trouble

Und dann stand er plötzlich direkt vor meinem Versteck:


"Frank, please keep this secret, but I really can't cope with my situation, five children are five too much. Next year I am going to stay in Africa."

Konspirativ flüsterte er mir ins Ohr: "Frank, kannst du was für dich behalten?"

Ich kreuzte alle Finger beider Hände und sagte nur: "Schieß los."

"Ich kann nicht mehr. Fünf Kinder machen mich einfach fertig. Nächstes Jahr bleibe ich in Afrika."

"Kein Problem, mien Jung, lass es dir dort gutgehen."

Trotz meiner Zustimmung wirkte der Vogel auf mich depressiv. Und so gab ich alles und baute Herrn Himmelblau wieder auf, und tatsächlich schöpfte er wieder jenen Mut, den es braucht, um das so furchtbar anstrengende Blaukehlchen-Leben überhaupt stemmen zu können. Doch von seinem Entschluss, den nächsten Sommer in Afrika bleiben zu wollen, rückte er nicht mehr ab.

Pfahlstellung, fast wie die einer Rohrdommel:



reaction on a flock of European Starling, that suddenly appeared over the field (I could even hear them flying!). Ths behaviour reminded me of Bittern's defensive pose

Wenn man einen beträchtlichen Teil seines Lebens in einer schmalen Traktorspur innerhalb eines Getreidefeldes mit sehr engem Horizont lebt, dann sieht man überfliegende Vögel immer erst im letzten Augenblick. 

Da muss man als Blaukehlchen immer mit bösen Überraschungen rechnen! 

Ein Sperber könnte der nächste Vogel sein oder eine Wiesenweihe. Okay, eine Wiesenweihe wird hier in der Krummhörn mit jedem Jahr unwahrscheinlicher. Hier war es jedenfalls nur ein Trupp Stare, der flach über dem Boden Richtung Deich rauschte. Und ich konnte das Rauschen der über uns hinwegfliegenden Stare deutlich hören. 

Während die Rohrdommel aber in ihrer Pose einfriert, dreht sich das Blaukehlchen um die eigene Achse, das heißt, es richtet seinen Blick und auch die Vorderseite immer nach den überfliegenden Vögeln aus. Das Ganze geht blitzschnell, weil die meisten Vögel schnell fliegen, und obwohl ich dieses Verhalten schon so oft gesehen hatte, war es mir nie vergönnt gewesen, es in Bildern festzuhalten – bis zu diesem Tag!

Das folgende Bild zeigte ein anderes Verhalten, auch wenn es auf den ersten Blick ähnlich aussehen mag:



different behaviour – this pose the males show, when suddenly the female popps up on stage or a second male

Hier handelt es sich entweder um eine Beschwichtigungs- oder aber eine Imponiergeste.

Sie wird gezeigt, wenn plötzlich das Weibchen auf der Bühne auftaucht oder aber ein zweites Männchen. Vergleichbare Bilder, wenn auch nicht in dieser extremen Variante, hatte ich schon im ersten Teil gezeigt. Im Laufe der zwei Wochen, die ich im Weizenfeld auf der Lauer gelegen habe (nicht durchgehend!), nahm dieses Verhalten aber rasch ab und wurde später gar nicht mehr gezeigt, einfach deshalb, weil sich die Blaukehlchen mit ihrer Situation, an diesem Ort nicht allein in den Genuss von Mehlwürmern zu kommen, arrangiert hatten. 

Vielleicht kann man von einem Gewöhnungseffekt schreiben.  

Ein zweites Bild, unmittelbar danach aufgenommen:



same

Herr Himmelblau:


Herr Himmelblau

Und da war ein zweites Männchen, das ich auch schon im ersten Teil gezeigt hatte:


another male with a different kind of blue on the breast

Das Blau seines Latzes sah ganz anders aus, nämlich deutlich dunkler:


same

Zum Vergleich wieder Herr Himmelblau:


and for comparison Herr Himmelblau one more time

Das Blau des Blaukehlchens ist keine Pigmentfarbe, sondern eine, die durch Lichtbrechung (Interferenz) entsteht.  

Zumindest habe ich das mal irgendwo gelesen. 

Trotzdem sieht das Blau eines Indivduums immer gleich aus, es sei denn, man beobachtet so einen Vogel in der verfickten Mittagssonne. Denn dann säuft der Latz auch schon mal in ein tiefes Schwarz ab, bedingt durch Beschattung oder was weiß ich. Überhaupt sehen Blaukehlchen in der Mittagssonne nach nichts aus, sie wirken dann grundsätzlich einfach dunkel. 

Will man also die ganze Pracht diese hübschen Vogels beim Knipsen betonen, dann sollte man für den Ansitz auf jeden Fall den frühen Morgen wählen. Ich meine, wer mittags fotografiert, der hat eh nichts begriffen.

Sorry.

Jetzt kommt ein dritter, ein ganz besonderer Kerl:


a third male


note the unusually streaked flanks and the lack of a black belt between the blue and the red on his breast

Dieser Vogel fiel mir zunächst wegen seines eher blassen Blaus auf.

Erst auf dem Monitor zu Hause bemerkte ich die dunklen Schaftstriche auf den Flanken sowie das Fehlen eines schwärzlichen Bandes zwischen dem Blau und dem Rot auf der Brust (vgl. die anderen Männchen). 

So ein Blaukehlchen hatte ich noch nie gesehen! Doch das erstaunt mich auch wieder nicht, denn die Art ist hier in der Marsch so unglaublich häufig und allgegenwärtig, dass man sich die einzelnen Individuuen gar nicht mehr genau ansieht. Eigentlich sieht man sich die Blaukehlchen sowieso nicht mehr an, ich meine, wer opfert auch nur eine Sekunde für den Blick auf eine Kohlmeise?

Dass es sich bei diesem Vogel tatsächlich um ein Männchen gehandelt hat und nicht etwa um ein hahnenfedriges Weibchen, das ich vorübergehend auch in Erwägung gezogen hatte, konnte ich ein paar Tage später feststellen, als ich diesen Vogel ausgiebig singen hörte und sah, während er gleichzeitig und stolz seinen persilweißen Stern präsentierte.

Auf diesem Bild kann man ihn ansatzweise erahnen:



same

Es folgt wieder Herr Himmelblau, diesmal bei der Gefiederpflege:



preening or catching a Flea

Muss sein, wenn man seine Flugfähigkeit nicht verlieren möchte und bei Regen nicht nass bis auf die Haut:


same

Anderes Thema:


this adult female Red-necked Phalarope I found at the end of June at so called Hauener Pütten

Am letzten Tag im Juni entdeckte ich in den Hauener Pütten ein adultes weibliches Odinshühnchen im abgetragenen Prachtkleid, das sehr viel hin und her flog und überhaupt sehr unruhig wirkte. 

Am kommenden Tag war der Vogel auch nicht mehr auffindbar.


three Glossy Ibisses showed up in July at Hauener Pütten for a brief rest

Eine Woche später, am 6. Juli, saß ich in meinem Wagen und untersuchte abermals das pralle Vogelleben in den Hauener Pütten. 

Von Osten her kamen gegen drei Uhr am Nachmittag drei Vögel ins Gebiet geflogen, und obwohl sie weit entfernt waren und ich ihren Körperbau nicht einmal ansatzweise einschätzen konnte, war ihre Bestimmung nicht wirklich kompliziert. Sofort nahm ich meine auf dem Beifahrersitz liegende und ausnahmsweise schon einsatzfähige Kamera in die Hand und schoss wild drauflos. 

Die Vögel gingen auf einer der hinteren, von der Straße aus nicht einsehbaren Flächen herunter und ließen sich erst einmal nicht mehr blicken. Also hatte ich Zeit, mir die Bilder anzuschauen, die ich geschossen hatte, und ja, es waren Sichler

Der Sichler hat eine ganz eigene Flugweise! 

Nach wenigen Flügelschlägen folgt stets eine Gleitphase, das Ganze wechselt sich permanent ab. Oft fliegen Sichler in einer Reihe, und wegen dieses Wechsels aus Flügelschlag und Gleiten zeichnen diese Vögel quasi Wellen in den Himmel. Nur Kormoran und Zwergscharbe machen das auch so ähnlich, aber irgendwie doch etwas anders. 

Nach einer Weile starteten die Sichler wieder durch, gingen aber nach kurzem Flug wieder runter, diesmal vor der Hütte, also dort, wo die Löffler immer den ganzen Tag untätig herumstehen, wenn ihr Bauch nach der frühmorgendlichen Nahrungssuche angenehm gefüllt ist. Doch auch dort hielten es die seltenen Gäste aus dem Süden offenbar nicht lange aus, denn am Folgetag war von ihnen nichts mehr zu sehen.

So sieht ein Rauchschwalben-Brutplatz aus:


this small hut offers shelter for cyclists, but also harbours four Swallow nests this year

Erst for zwei Jahren hatte man diese Schutzhütte am Diekskiel aufgestellt. 

Im letzten Jahr hat darin ein Rauchschwalben-Paar gebrütet. 

Das Nest wurde dann auch in diesem Jahr wieder genutzt, doch Vandalen haben es an einem Wochenende im Juni samt Schwalbenkindern zerstört. Bierpullen und Wodkaflaschen, Glasscherben, Chipstüten und sonstiger Müll waren mehr als nur Indizien für meine Annahme, dass da was falsch gelaufen sein musste. Dass das Nest zuvor wie Beton an der Wand geklebt hatte, hatte ich erst im letzten Frühjahr überprüft und dann auch tüvmäßig für die neue Saison freigegeben. 

Rauchschwalben lassen sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, sie bauen einfach neu. Und es waren jetzt gleich vier Paare, die in dieser kleinen Hütte für Nachwuchs sorgen wollten. 

Alles lief ausgezeichnet, doch dann kam der Sturm:




during a heavy summer storm many trees "broke together" ;-)

Die Zugangsstraße zum Diekskiel wird von mächtigen Silberweiden gesäumt.  

Und einige waren umgestürzt. 

Und so stand ich da und konnte nicht weiterfahren. Ich steuerte einen baumfreien Parallelweg an, fuhr bis zum Deich und ging dann zu Fuß. 

Als ich an der Hütte ankam, sah ich Schlimmstes! Zehn Schwalbenkinder, alle bereits in fortgeschrittenem Alter, aber noch längst nicht flugfähig, lagen tot auf dem Boden herum. Die Altvögel befanden sich in heller Aufregung und warnten unablässig. 

Obwohl ich den Sturm draußen erlebt hatte – irgendwo am Deich war ich gewesen, ich meine, ich hatte mir an diesem Tag die Leybucht gegeben –, und obwohl ich nur wenige Minuten zuvor die umgestürzten Bäume mit meinen eigenen Augen gesehen hatte, war ich nicht dazu in der Lage, eins und eins zusammenzuzählen. Ich ging wieder von Vandalismus aus und wurde richtig wütend, so wütend, dass es mir schon selbst Angst einjagte. Und ich war froh darüber, dass mir in diesem Augenblick keine menschliche Seele über den Weg gelaufen ist und meine Pumpgun nach wie vor in der Werkstatt herumliegt und dort geduldig auf die notwendige OP wartet. 

Ich muss da mal anrufen in der Werkstatt. Ich meine, so kann es doch auch nicht weitergehen. 

Meine Wut war also immens und wollte nicht abebben, doch drei Tage später – ja, ihr schäbigen Schaben da draußen, erst satte drei Tage später – sollte mir ein Licht aufgehen. 

Die Nester waren von den Vögeln in drei von vier Fällen an ungüstigen Stellen angebracht worden, nämlich genau dort, wo die Außenwand unterbrochen ist und der Wind ungehindert durchpusten kann. Und das hatte er ja wohl auch getan an diesem Sommertag, der böse Wind. 

Glückliche Rauchschwalben sehen übrigens so aus:


cute male Barn Swallow at Hauener Pütten

Fotografiert in der Püddenhüdde direkt an der Straße zum Scheißleuchtturm.

Auch hier gilt, wer fliegen will, muss sich ausgiebig putzen:


preening

Über diese so zahmen und possierlichen Vögel hatte ich ja auch schon mal einen separaten Bericht geschrieben in diesem geilen Blog. 

Wer suchet, der findet.  

Gymnastik am frühen Morgen:



it is like sports

Könnt ihr das auch?

Ganz nah:


same male

Null Fluchtdistanz, kein Scherz:


same

Das bedeutet aber nicht, dass ihr jetzt mit einem Handy losrennen solltet.

Nur mit einem Teleobjektiv hat man die Möglichkeit, einen respektvollen Abstand zu den Schwalben einzuhalten. Und wenn man sich daran hält, wird man auch noch belohnt.

Und zwar akustisch:


singing

Rauchschalben singen ihr karges Lied, das mich immer ein bisschen an die "Sangeskunst" von Helene Fischer erinnert, mit fast geschlossenem Schnabel. 

Nur für das letzte Element, ein trockenes Knattern, wird der Schnabel bis zum Anschlag aufgerissen, sodass man sogar die Mandeln sehen kann. Es war hier also nicht etwa so, dass der Vogel gegähnt hat oder einen anderen um Futter angebettelt, nein, das Bild zeigt einen trällernden Kerl. 

Ein letztes Bild vom selben Männchen:



last image

Und der Engländer?

Kinners, jetzt folgt der traurige Teil meiner heutigen Erzählung:



two images of the same male British Yellow Wagtail (actually Yellow-crowned Wagtail)

Die beiden Bilder zeigten den Vogel zu einem Zeitpunkt, als seine Welt noch heil war.

Das gilt auch für die beiden folgenden Fotos, die noch aus dem Juni stammen:



same – this male lost his offspring unfortunately and likely by predation

Damals waren er und seine Frau fleißig am Füttern.

Sie fütterten bereits den fünften Tag, als ich beschloss, mal eine Pause einzulegen und mich anderen Dingen zu widmen. Ich wusste, junge Schafstelzen fliegen um den zehnten Tag nach dem Schlupf herum aus. Nein, eigentlich laufen sie aus, denn so richtig fliegen können sie dann noch nicht. 

Natürlich hegte ich die Hoffnung, dass die Eltern, analog zu den Blaukehlchen, ihre Kinder früher oder später vor mein Versteck führen würden, doch daraus sollte nichts werden, denn als ich am zehnten Tag zum Weizenfeld zurückkehrte, waren die Schafstelzen verschwunden. 

Ich gehe von Prädation aus, freilich ohne das belegen zu können. 

Das Nest befand sich zwischen den Getreidehalmen unmittelbar neben einer Traktorspur. Aus großer Distanz hatte ich die beiden Schafstelzen zuvor dabei beobachten können, wie sie mit Futter im Weizen verschwanden und den Bruchteil einer Sekunder später schon wieder hervorkamen. 

Ohne Futter. 

Während das Blaukehlchen sein Nest gerne in den verfilzesten Bereichen einer Grabenböschung baut, wählt die Schafstelze auch schon mal weniger geeignete Neststandorte. Hier in der Krummhörn brütet die Art eben vor allem in Getreidefeldern und Salzwiesen. Nester in Getreidefeldern sind aber für kleinere Beutegreifer wie Wanderratte, Hermelin und Mauswiesel sehr leicht erreichbar, weil sich ausreichend Platz zwischen den Getreidehalmen befindet. Und alle drei Arten sind in der Marsch nicht selten. 

Als kleinen Trost zeige ich noch ein paar Fotos von Mann und Frau, aufgenommen zu einem Zeitpunkt, als die Tragödie noch nicht absehbar war:




his wife

Das Weibchen macht den Anfang.

Die beiden folgenden Fotos zeigen es am ganz frühen Morgen bei der Gefiederpflege:



same

Ja, das war eine wirklich sehr schöne Stimmung an diesem Morgen!

Und wieder der Engländer:



Englishman

Wahrscheinlich werde ich nie erfahren, wo diese beiden Vögel abgeblieben sind.

Dafür gibt es für euch als Zugabe noch einen klassischen mitteleuropäischen Schafstelzen-Mann, der gleichzeitig der Nachbar vom Engländer war und auch regelmäßig am Futterplatz auftauchte:


typical Central European male with greyish blue head

Ein Alien:


visible nictitating membrane protects the sensitive eye from sharp talon when preening

Oder doch nicht?

Man sieht hier die Nickhaut, die das empfindliche Auge beim Putzen vor der scharfen Kralle schützt. 

"Meine Fresse, es ist fünf Uhr in der Früh und du bist schon hier. Was soll das?"

Wer das zu wem sagte, die Katze zu mir oder ich zur Katze, weiß ich gar nicht mehr. Überrascht von der Anwesenheit des jeweils anderen waren wir aber beide.

Ich meine, ihr Gesichtsausdruck spricht wirklich Bände:


on early morning at five a. m. this feral Cat suddenly visited my hide

Ich sehe da etwas Grimmiges. 

Ich hatte auf einen Marderhund spekuliert, auf einen Rotfuchs, Wolf oder Goldschakal vielleicht, aber einen Stubentiger hatte ich an diesem Ort und zu dieser Zeit nun wirklich nicht erwartet. Ganz zufällig war es aber auch wieder nicht zu dieser Begegnung gekommen, hatte ich doch einen Köder ausgelegt. Denn wenn man schon morgens auf der Lauer liegt, das war mein Gedanke, dann kann man ja gleich noch versuchen, weitere lebendige Fotomotive anzulocken. 

Und wie ihr seht, hat es geklappt. Wenn auch nicht so, wie ich es mir zuvor vorgstellt hatte.

Die Katze, die leider kein Luchs war, ging ein paar Meter und setzte sich dann einfach hin, während sie gleichzeitig völlig regungslos und gebannt das lebhafte Treiben vor meinem Versteck beobachtete. Ich glaube, sie hat nicht einmal mit den Augenlidern geschlagen.

Tunnelblick:



on this morning I was not the only birdwatcher in the field

Ja, an diesem Morgen waren ausnahmsweise mal zwei versierte Vogelgucker unterwegs.

Für die Blaukehlchen bestand aber zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr.

Der Abstand zu ihnen war groß, ich meine, so weit kann auch die sportlichste Olympia-Katze nicht springen. 

Kinners, das war es fast schon wieder.

Ich kann euch aber noch schnell ein paar  Kanadagänse zeigen:


Canada Goose 

Alljährlich kommt es im Juni zu heftigem Zuggeschehen bei dieser Art, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. 

Täglich kann man dann vor allem in den Morgenstunden Trupps nach Nordost ziehen sehen. Die vielen Gänse stammen aus den Niederlanden, doch wohin sie fliegen, ist mir bis heute nicht bekannt. Vielleicht gibt es einen wichtigen Mauserplatz irgendwo an der Nordseeküste, vielleicht aber auch anderswo.

Ein ziehender Trupp über der Leybucht:


another flock one week later at another spot

Zu guter Letzt gibt es noch einmal Blaukehlchen-Kinder zu bestaunen:


more Bluethroat kiddies for you

Kindchenschema hoch drölf (das ist noch einmal eine Steigerung!):



same

Beachtet bitte, dass die Jungvögel mal beige oder bräunliche Federspitzen zeigen, mal eher graue, wie der folgende Vogel:


note different individual coloration, most are greyish or so, few rather brown 

Hier wieder ein eher bräunliches Individuum, das ein bisschen an einen jungen Gartenrotschwanz erinnert:



same

Und schnell nochmal zwei Kinder auf einem Bild:


funny kiddies

Und noch ein Einzelvogel:


another

Auch jetzt im Juli flitzen sie überall herum, die Blaukehlchen. 

Auch aus größter Distanz lassen sie sich leicht bestimmen und zwar anhand ihrer einzigartigen Bewegungsweise. Blaukehlchen laufen nämlich. Sie laufen so schnell wie Mäuse. Und sie heben das Steuer kurz an, wenn sie abrupt stoppen. Jedes Mal. Alle näheren Verwandten hüpfen. Das Schwarzkehlchen, das seinen Lebensraum ja mit dem Blaukehlchen teilt und dessen Kinder ebenfalls sehr dunkel rüberkommen, hüpft, das Braunkehlchen hüpft, das Rotkehlchen hüpft, die Schnäpper hüpfen, beide Rotschwänze hüpfen, und der Steinschmätzer hüpft auch. 

Haaalt, stopp, das mit dem Steinschmätzer ist zwar nicht falsch, es ist aber eben nur die halbe Wahrheit, denn im Gegensatz zu all den hier aufgezählten Arten hat er beide Disziplinen drauf, Laufen und Hüpfen, und zwar so richtig! Ob ein Steinschmätzer gerade hüpft oder läuft, hängt in erster Linie vom Untergrund ab. Vegetationslose Bereiche, die keine Hürden haben, werden meistens belaufen, auf Rasenflächen mit Halmen, die schon eine gewisse Höhe erreicht haben, hüpft der Steinschmätzer. Grundsätzlich ist er aber jederzeit dazu im der Lage, zwischen diesen beiden Varianten der Fortbewegung zu wechseln. 

Die anderen können das so nicht!

Im Handbuch steht übrigens geschrieben, dass das Blaukehlchen hüpft: "Bewegung ähnlich Nachtigall und Rotkehlchen. Hüpft in schnellen Sprüngen absatzweise und mit kurzen Pausen, läuft manchmal aber auch schrittweise.

Und weiter: "Das Hüpfen kann wie beim Steinschmätzer so rasch und in so langen Zügen erfolgen, dass der über den Boden hinrollende Vogel zu laufen scheint." Hier hat man Naumann zitiert, und zwar eine Arbeit von ihm, die aus dem Jahr 1822 stammt.

Ich widerspreche vehement: Nein, lieber Herr Naumann, nein, liebes Handbuch, es handelt sich hier nicht um eine optische Täuschung! 

Ich selbst habe das Blaukehlchen noch nie hüpfen sehen, und ich habe diese Biester schon sehr oft und ausgiebig aus geringster Distanz beobachtet. Man kann aber auch aus großer Entfernung sehen, dass sie laufen und nicht hüpfen. Besonders gut lässt sich das beobachten, wenn Blaukehlchen auf Wegen oder Schlammflächen Insekten und Spinnen jagen, weil einem dann nichts Sinnfreies die Sicht versperrt. 

Was das Blaukehlchen sehr wohl ab und zu macht: Es überspringt Hindernisse, wie etwa am Boden liegende Schilfhalme und so weiter, und das macht es, weil es nicht ins Stolpern geraten und auf die Fresse fliegen möchte. 

Sähe ja auch wirklich blöd aus.

Ich habe jetzt mal auf Youtube recherchiert. Und auch ein passendes, leider aber auch sehr kurzes Video gefunden: klick!

Und das war gar nicht leicht, denn das Blaukehlchen wird nahezu ausschließlich beim Singen fotografiert und gefilmt, also dann, wenn es ruhig auf einer Warte steht. Niemand schaut ihm anscheinend bei der Nahrungssuche über die Schulter. 

Da bin ich wohl so eine Art Ausnahme.

Falls ihr Tomaten auf den Augen haben solltet beim Betrachten des Videos und zwischen Laufen und Hüpfen nicht unterscheiden könnt, dann stellt einfach die Geschwindigkeit runter auf  0,25 Prozent.

Und ja, die Nachtigall hüpft tatsächlich, eben wie ein Rotkehlchen.

Mir juckt das Fell:


Fleas?

All die hier gezeigten Vögel sollten sich jetzt mitten in der Mauser befinden.

Die Jungvögel mausern, das hatte ich bereits weiter oben geschrieben, ihr Kleingefieder, die Altvögel alles. 

Zu diesem Thema gibt es bald einen separaten Beitrag mit dem Gartenrotschwanz als Hauptdarsteller.

68 Bilder waren das übrigens heute wieder. Ganz umsonst für euch, ihr Killerasseln.

So, abschließend soll nicht unterschlagen werden, dass die eingangs von mir wiedergegebene Geschichte nicht frei erfunden ist. Jemand hat sie mir vor etwa 25 Jahren auf Helgoland erzählt. Der Hauptdarsteller, der auch ein Hobbyornithologe gewesen sein soll, hatte aber schon damals nicht mehr gelebt. 

Seinen Namen, liebe Kinder da draußen, werde ich euch aber nicht verraten. 

Obwohl er mir bekannt ist.