Sonntag, 20. August 2023

Im Vollrausch auf dem Flugplatz Achmer (Teil 1)

Moin, ihr Zitterpappeln!

Heute nehme ich euch nach langer Zeit wieder mit in meine alte Heimat.

Und dort, in meiner alten Heimat, besuchen wir jetzt zusammen den Flugplatz Achmer.

Eine gute Woche habe ich auf diesem ehemaligen Truppenübungsplatz an jedem Tag etwa acht Stunden verbracht.

Vier Stunden morgens.

Und vier weitere am Nachmittag bzw. Abend.

Und ich habe wieder viel gesehen, darunter auch neue Arten für das Gebiet, aber auch einen echten Lifer!

Falls ihr etwas über die Historie des Flugplatzes erfahren möchtet oder über dessen Bedeutung und Bedrohung, dann empfehle ich euch den Beitrag aus dem vergangenen Jahr: klick!

Das folgende Foto zeigt einen Teilaspekt der im Nordosten des Gebietes gelegenen "Steppenfläche":








this time I show you some interesting species, that I found on a military training area close to Osnabrück, where I grew up  

Hier handelt es sich um die einzige größere noch offene Fläche des Gebietes!

Um einen artenreichen Sandtrockenrasen, wie er für den Landkreis Osnabrück einzigartig ist. 

Dass diese Fläche noch nicht von Weiden und Birken und vor allem Amerikanischen Traubenkirschen (auf dem Bild da oben sieht man diese hellgrünen Biester in großer Zahl unscharf im Vordergrund) zugewuchert worden ist, haben wir dem jahrzehntelangen Befahren durch Panzer der in Osnabrück stationierten britischen Streitkräfte zu verdanken. Im kommenden Jahr sollen dort Ziegen, Schafe und Koniks ihren Job machen. 

Woher ich das weiß?

Ich habe rein zufällig den Förster dort getroffen, der mir das verklickert hat. "Hast du hier schon einen Wolf gesehen?" fragte ich ihn ganz unbefangen. "Den wollen wir hier nicht haben", war seine jagdlastige Antwort. 

Ich bin dann schnell weiter.

Bevor es für mich Richtung Osnabrück ging, sollten mir hier in Ostfriesland auf die Schnelle noch zwei tolle Beobachtungen gelingen. 

Am 3. August 2023 hielt ich mich morgens auf dem für jedermann zugänglichen Gelände des ehemaligen Bauhofes der Gemeinde Krummhörn und somit am Ortsrand von Greetsiel auf. Mein Ziel war es, einem dort anwesenden und sehr ungewöhnlich rufenden  Zilpzalp vor meiner Abreise eine letzte Chance zu geben.

Seine abweichenden Rufe waren es auch gewesen, die mich bereits eine Woche zuvor auf diesen Zilpzalp aufmerksam gemacht hatten. Leider hielt sich der Vogel stets in den Baumkronen auf und war fast nie frei stehend zu sehen. Falls doch, dann immer nur für den Bruchteil einer Sekunde und ausnahmslos von unten, sodass ich keinen prüfenden Blick auf sein Federkleid werfen konnte. Immerhin reichten diese kurzen Sichtungen für eine Altersdiagnose aus, befand sich der Zilpzalp doch in der Vollmauser!

Er war also adult. 

Ja, er sah wirklich aus wie ein armes Batteriehuhn.

Vor dem 3. August waren mir weder Fotos noch Aufnahmen der besonderen Rufe des Vogels gelungen. Denn immer dann, wenn ich bis an die Zähne mit Aufnahmetechnik bewaffnet auf der Lauer stand, ließ sich das Biest nicht blicken. Und zu allem Überfluss schwieg es dann auch noch. Am 3. August aber war dann alles ganz anders. In einem verwilderten Garten auf der anderen Straßenseite rief der Vogel plötzlich ausdauernd und laut und ganz in meiner Nähe, sodass mir trotz des verfickten Windes sehr gute Aufnahmen gelangen.

Zu Hause verglich ich sie auf Xeno-canto mit jenen des Iberienzilpzalps, denn an diesen Vogel hatte ich schon bei meiner ersten Begegnung mit dem Bauhofzilpzalp denken müssen. Und tatsächlich stimmten sie mit dessen Rufen hundertprozentig überein; sie passten quasi wie der berühmte Arsch auf den noch berühmteren Eimer. 

In meinem ganzen Leben habe ich nicht ein einziges Mal einen einheimischen Zilpzalp so rufen hören, weshalb aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hier tatsächlich um dieses sehr selten in Deutschland auftretende Taxon Südwesteuropas handelte, sehr hoch sein dürfte. 

Es war für mich die letzte Begegnung mit diesem Vogel, denn den Folgetag verbrachte ich auf dem Rysumer Nacken, und am ganz frühen Samstag-Morgen machte ich mich auf den Weg nach Osnabrück. Kurisoerweise wurde dann am 5. August ein Iberienzilpzalp auf Helgoland entdeckt. Das ist umso erstaunlicher, weil diese Art (oder Unterat) bislang eigentlich (fast) immer nur im Frühjahr in Deutschland gefunden worden war. Wenn meine Sommerbeobachtung also schon sehr ungewöhlich daherkam, dann ist eine zweite innerhalb eines so kleinen Zeitfensters auf dem roten Felsen noch viel ungewöhnlicher!

Leider weiß ich nicht, wie lange sich der Iberienzilpzalp letztendlich auf dem Bauhof aufgehalten hat. Mir ist also auch nicht bekannt, ob es eventuell eine zeitliche Überschneidung beider Vögel gegeben hat. Sollte das nicht der Fall gewesen sein, dann könnten beide Feststellungen sogar dasselbe Individuum betroffen haben. Bzw. betreffen, denn der Iberienzilpzalp hat den roten Fuselfelsen noch nicht verlassen, während ich das hier schreibe.

All das ist und bleibt natürlich reine Spekulation.

Hier ein Link zu den von mir aufgenommenen Rufen: klick!

Jau, am Freitag besuchte ich nach langer Zeit mal wieder den Rysumer Nacken. Und auch dort gab es für mich Großartiges zu sehen. Ich überraschte nämlich gleich drei weibliche Heuschreckensandwespen in flagranti beim Höhlenbau! Und zwar genau an jenem Ort, wo mir dieser interessante Hautflügler erst zwei Jahre zuvor zum ersten Mal in meinem Leben über den Weg gekrabbelt war. Diese Beobachtung stellt den ersten Brutnachweis für Emden und wahrscheinlich auch für ganz Ostfriesland dar!

Um halb sechs in der Früh begab ich mich am Samstag auf den Weg nach Süden. Die Uhr schlug Viertel vor acht, als ich den Flugplatz endlich betrat. Sofort machte ich mich auf den Weg zum Feuerlöschteich. Dort angekommen, stellte ich erleichtert fest, dass er Wasser führte. Zwar nicht annähernd so viel wie früher, aber deutlich mehr als nur ein Jahr zuvor. Kunststück: 2022 war er im August komplett ausgetrocknet!

Es wimmelte dort von Gemeinen Winterlibellen.

Für mich war das eine neue Art für das Gebiet! 

Landschaft (beachtet bitte auch den Nistkasten):


note the nestbox

Auf dem Rückweg begegneten mir auffallend viele Kaisermäntel entlang des Waldweges. 

Und auch diese Art ist für das Gebiet neu, zumindest als Brutfalter, denn zuvor waren mir lediglich etwa drei Feststellungen von zugewanderten und komplett abgeflogenen Individuen gelungen. 

Ein Weibchen:




female Silver-washed Fritillary

Und ein Kerl:


male

Und wenn der Kaisermantel schon sehr zahlreich auftrat an diesem Morgen, dann war der Kleine Perlmutterfalter noch viel häufiger!

Er flog vor allem auf den offenen und halboffenen Brachflächen herum:


Queen of Spain Fritillary

Morgens sonnten sich diese hübschen Falter oft am Boden, um auf Betriebstemperatur zu kommen:


same species

Viele Waldbrettspiele waren unterwegs:


Speckled Wood

Aaaah – herrlich, Sonne tanken:


same species

Vielleicht klingt es unglaublich, aber auch diese Art ist für den Flugplatz neu!

Diesen ausgerechnet im waldarmen Ostfriesland so häufigen Falter, den man überall dort, wo drei Bäume beisammenstehen, beobachten kann, hatte ich vor meinem Umzug nach Ostfriesland im Jahr 2009 nicht ein einziges Mal im Landkreis Osnabrück beobachtet. Nur am Dammer Bergsee war mir eine Feststellung gelungen, doch dieser See befindet sich bereits im Landkreis Vechta. 

Ich war hin und weg.

Vielleicht sogar ein wenig berauscht, wenn ich ehrlich sein soll. 

Jetzt fehlt nur noch ein Schwalbenschwanz, so dachte ich. Und ob ihr mir glaubt oder nicht, dieses Imitat des echten Schwalbenschwnazes, den ich euch ja im letzten Bericht vorgestellt hatte, sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Nur zweihundert Schritte und etwa zehn Minuten später war er plötzlich da.

Er saugte an Wilder Möhre:


my first Swallowtail since many years and appoximately the tenth specimen in total

Und von oben geknipst:


same

Bis zu dieser Begegnung auf einer sandheidigen Waldlichtung hatte ich in Norddeutschland keine zehn Schwalbenschwänze gesehen.

In weit über 50 Jahren!

Und es war jetzt das erste Mal, dass ich diese Art hier im Norden bei der Nahrungssuche beobachten konnte, denn alle Individuuen, die ich zuvor beobachtet hatte, waren einfach an mir vorbeigeflogen, im Landkreis Osnabrück ebenso wie in Ostfriesland. In all diesen Fällen hatte es sich also um ziehende Tiere gehandelt, die zuvor aus dem Süden zu mir gekommen und schließlich vielleicht auf Baltrum oder Helgoland gelandet waren. 

Jetzt war ich schon reichlich dun, wenn ihr versteht, was ich meine.

Doch es sollte noch besser kommen, denn als ich auf meinem Rückweg zum Auto die Steppenfläche erreichte, flogen mir gleich drei Schwalbenschwänze auf einmal um die Ohren:


unbelievable, but there were more specimens

Dieser saugte an den Blüten des Natternkopfes

Die schönsten Stunden auf dem Flugplatz waren immer die um Sonnenaufgang herum, wenn die Vegetation noch von pittoreskem Tau bedeckt war und das Licht einfach nur wunderschön. Die Nachmittage und vor allem Abende nutzte ich, um interessante Tiere zu finden, die sich bereits für die Nacht präpariert und zu Bett gestellt hatten. Ich kennzeichnete die Pflanzen, auf denen sie standen, um die Findlinge dann am ganz frühen Morgen wieder aufzususchen und zu fotografieren. 

Der in weiten Teilen der Republik sehr seltene, auf dem Flugpaltz aber sehr häufige Kommafalter war einer der Kandidaten, die ich auf diese Weise dingfest machen konnte.

An Natternkopf:


Silver-spotted Skipper

Und ein weiterer an Schafgarbe:


another

Gegen Mittag fuhr ich zu meiner Mama.

Meine Mama ist inzwischen 87 Jahre alt! 

Leider fällt ihr das Gehen längst schwer, doch noch viel schlimmer ist es, dass sie ihr Augenlicht in den letzten Jahren zu einem beträchtlichen Teil eingebüßt hat (Makula-Degeneration). Doch meine Mama ist tapfer, und obwohl ich es in meinem Leben niemals von ihr verlangt hatte, nie verlangen würde, hat sie mich in dieser guten Woche jeden Tag bekocht. Es gab Erbseneintopf, Mehlpfannkuchen, Bratkartoffeln und Vieles mehr. 

"Für mich brauchst du diesen Aufwand nicht zu betreiben", sagte ich ein ums andere Mal, weil ich natürlich sah, wie schwer ihr die ganze Arbeit fiel. "Ich meine, du weißt doch, dass ich mich seit Jahrzehnten mit Stullen begnüge." "Eben", kam es dann immer wie aus der Pistole geschossen, "du musst doch auch mal was Vernünftiges essen, Junge.

Egal wie alt ihr seid, ihr kennt das bestimmt auch. 

Ich meine, meine Mama ist ein echtes Muttertier. Und Muttertiere sind so, wie sie sind. Sie verändern sich nicht auch nur ein bisschen im Laufe ihres Lebens, nur äußerlich, wollen, dass es einem gut geht, dass man keine Fehler macht und so weiter. "Zieh dich warm an", musste ich mir entsprechend ein ums Mal schon am Abend anhören, wie ja auch schon vor dreißig oder vierzig Jahren, wenn ich am folgenden Morgen ins Outback zu gehen beabsichtigte, und obwohl solch mahnende Worte immer an mir abgeprallt sind – ich bin da seit meiner frühen Kindheit teflonbeschichtet –, rückt meine Mama kein bisschen von ihren vermeintlichen Muttertierpflichten ab. 

Sie meint es gut. 

Und das sagt sie auch immer wieder. 

Ich meine, jeder hat seine eigene Auffassung davon, was vernünftig, was unvernünftig ist. Meine Auffassung ist es eben, dass im Sommer ein T-Shirt reichen muss, auch am ganz frühen Morgen, nimmt die Temperatur doch im Laufe des Vormittags stets rasch zu, und dass ein Leben ausschließlich mit Pizza, Käsebrötchen und Schokolade so verkehrt auch wieder nicht sein kann, sieht man doch gerade an mir. 

Ich meine, ich lebe ja schließlich immer noch.

Ich weiß, ihr versteht mich, es sei denn, ihr seid selber Muttertiere. Denn Mutterteire sind nicht selten verblendet, obwohl sie es doch eigentlich besser wissen sollten, waren oder sind sie doch selbst auch gleichzeitig Kinder, die dieselben Erfahrungen gesammelt haben dürften wie ich.

Oh, ein Trupp hübscher Streifenwanzen:


a flock of pretty Striped Bug

Diese Art ist eng an Doldenblütler gebunden. 

Und obwohl sie auch z. B. an Pastinak vorkommen soll, der ja in der Krummhörn seit einigen Jahren sehr häufig ist und nach wie vor immer häufiger wird, obwohl das kaum noch möglich erscheint, kenne ich sie nur von Wilder Möhre. 

Auf dem Rysumer Nacken kann man diese Baumwanze in großer Zahl finden, doch fotografiert habe ich sie jetzt zum ersten Mal auf dem Flugplatz Achmer.

Ein einzelnes Individuum lugte aus einem bereits fruchtenden Blütenstand hervor: 




a single specimen

"Wenn du noch länger leben willst", das sagte ich ganz leise zu diesem Schönling, "dann musst du dich noch besser verstecken.

Ich meine, das Scheißleben einer Wanze dauert eh nur ein paar Wochen an, spätestens dann ist Schluss mit lustig. Aber einfach sterben ist immer noch besser als bei lebendigem Leib aufgegessen zu werden. Vögel stellen keine Gefahr für die Streifenwanze dar, ist sie doch aufgrund eines Wehrsekretes für diese ungenießbar, doch ich hatte am Tag zuvor bei sommerlichen Temperaturen auf diversen Blüten verschiedene Wanzenfliegen gesehen. Und manche Wanzenfliegen-Arten legen ihre Eier an Baumwanzen ab. Die aus diesen Eiern schüpfenden Larven wiederum ziehen sich dann die lebenden Baumwanzen rein, so wie ich in dieser Woche Mommis Mehlpfannkuchen und Bratkartoffeln, die ich aber schon zuvor artgerecht getötet hatte. 

Ob auch die Streifenwanze zu den Wirten der beobachteten Wanzenfliegen gehört, ist mir allerdings nicht bekannt. Doch ich bin der Meinung, dass man lieber einmal zu oft als einmal zu wenig warnen sollte. 

Vielleicht steckt in mir ja auch so eine Art Muttertier.

Die Streifenwanze tritt nahezu ausschließlich in Gruppen auf:



same

Und weil sie so bunt ist, kann man sie nicht übersehen.

Der Flugplatz Achmer ist auch jenes Gebiet, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt der Wespenspinne begegnet bin:


female Wasp Spider with Grashopper

Nein, das ist falsch.

Tatsächlich hatte ich meine erste Wespenspinne in Süddeutschland gesehen. Irgendwo bei Würzburg oder so. Und damals wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sie nur wenige Jahre später vor meiner Haustür im kalten Norden vorkommen würde. Diese Art hat in nur wenigen Jahrzehnten ganz Deutschland erobert, und heute ist sie allerorten auf Brachflächen, die weder gedüngt noch gemäht werden, eine häufige Erscheinung. 

Die Wespenspinne ist ein Nahrungsopportunist, fängt aber dort, wo sie zahlreich auftreten, vor allem Heuschrecken

Ventralansicht eines anderen Weibchens:



another female

Ihr seht, auch von unten, mit ihren zwei leuchtend gelben Rallystreifen, ist diese Art unverkennbar. 

Wenn die Bedingungen optimal sind, die Vegetation also nicht zu dicht und nicht zu locker, weder zu hoch noch zu niedrig, wenn darüber hinaus auch noch ein Windschutz vorhanden ist – hier war es ein Gebüschsaum –, dann kann die Wespenspinne in erstaunlich hoher Dichte auftreten.

Gleich vier Netze von vier Weibchen sind auf dem folgenden Foto auf nur einem halben Quadratmeter zu erkennen:


in case of perfect circumstances this spider can reach high abundance: four webbings are visible on a half square meter 

Als Grashüpfer sollte man es sich also genau überlegen, wohin man springt und ob man überhaupt zu einem waghalsigen Sprung ansetzt.  

Schließlich könnte es der letzte sein.

Wenn auf dem Flugplatz ein Grashüpfer einer Wespenspinne zum Opfer fällt, dann ist das eigentlich nicht weiter schlimm. Für das Individuum mag es tragisch sein, aber nicht für die jeweilige Art. Wenn man nicht nur Vögel guckt, sondern auch ein bisschen auf Insekten achtet, dann fällt einem auf dem Flugplatz sofort die unglaubliche Artenvielfalt auf, aber auch die hohe Abundanz, in der viele dieser Spezies auftreten. Und das gilt eben auch für die meisten Heuschrecken. 

Zum ersten Mal überhaupt fand ich in diesem Gebiet die Blauflügelige Ödlandschrecke!

Ein Männchen:


my very first Blue-winged Grasshopper in this area at all (a male)

Seit Jahrzehnten existiert ein völlig isoliertes Vorkommen auf dem etwa zwölfeinhalb Kilometer (Luftlinie) vom Flugplatz Achmer entfernten Flugplatz Vörden, das ich vor vielen Jahren auch schon des Öfteren besucht hatte. 

Es ist (oder war) das einzige Vorkommen in Westniedersachsen. 

Man vermutet, die Militärs hätten die Tiere bei Vörden vielleicht schon gegen Ende des 2. Weltkrieges eingeschleppt, eventuell durch Bodentransporte oder so. Ob das zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen, doch die völlige Isolation dieses Vorkommens von anderen Populationen, auch in Niedersachsen, lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu. 

Ob die Blauflügeligen Ödlandschrecken auf dem Flugplatz Achmer jetzt die Nachkommen eines aus Vörden angereisten Weibchens sind oder ob die Art, wie es zurzeit bei der Blauflügeligen Sandschrecke und bei ganz vielen anderen Insekten und Spinnen im Zuge des Klimawandels der Fall ist, sich auf eigene Faust nach Norden ausbreitet, ist mir nicht bekannt. Trotzdem gehe ich von einer Herkunft der Gründerin dieser neuen Population aus dem Süden aus, zumal die räumliche Nähe zum Flugplatz Vörden über Jahrzehnte folgenlos geblieben war. 

Es dürfte sich hier um einen Erstnachweis für Stadt und Landkreis Osnabrück handeln, liegt der Flugplatz Vörden doch, wie der bereits oben erwähnte Dammer Bergsee, im Kreis Vechta.

Dasselbe Männchen im Profil:


same male

Auch kurios: Im vergangenen Jahr hatte ich dort (noch) keine Blauflügeligen Ödlandschrecken gesehen.  

Die Ödlandschrecken bewohnen wohl ausschließlich den südlichen Teil der Steppenfläche, der den wärmeliebenden Tieren wegen des angrenzenden Kiefernwaldes vielleicht ein besonders günstiges Kleinklima bietet. Dort wiederum findet man die meisten Individuen auf oder in unmittelbarer Nähe zu asphaltierten Resten der einstigen Start- und Landebahnen oder einfacher Straßen. 

So sieht das dann aus: 



habitat of Oedipoda caerulescens at Flugplatz Achmer

Diese bereits größtenteils zersetzten Asphaltflächen heizen sich im Laufe des Tages stark auf und strahlen am Abend, wenn die Kraft der Sonne bereits wieder nachlässt, noch ordentlich Wärme ab. 

Ich habe mich einfach zu den Schrecken auf den Boden geworfen und gewartet, ob was passiert. Kinners, es war nicht eine einzige Sekunde langweilig und gleichzeitig muckelig warm! Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre eingepennt. Doch dazu war es viel zu spannend. Gleich zu Beginn tauchte eine Sandwespe auf (Gattung Ammophila), die heftig stöhnte, weil sie so schwer schleppen musste.

Seht:


Ammophila spec. with caterpillar for the offspring

Irgendwie kam sie nicht voran, weil die fette paralysierte Raupe in einer Spalte lag. 

Es dauerte ewig, bis sich die beiden aus dem Staub gemacht hatten, die Sandwespe freiwillig, die Raupe gegen ihren Willen.

Irgendwann bemerkte ich die erste Ödlandschrecke. 

Ein anderes Männchen:




same

Die Blauflügelige Ödlandschrecke ist megamäßig gut getarnt in ihrem Lebensraum. 

Wenn man jetzt nicht gerade an geeigneter Stelle auf dem Boden liegt, sieht man die Tiere immer erst dann, wenn sie unmittelbar vor einem auffliegen. Nur dann sieht man auch die hellblauen Hinterflügel, die der Art den Namen verpasst haben. Dieses Blau fällt aber oft nur bei den Weibchen auf, weil diese deutlich größer als die Männchen sind. 

Nach dem Kickstart legen die Tiere meist eine Strecke von zehn Metern zurück, um in einem hakenförmigen Bogen wieder runterzugehen. Bei den größeren Weibchen hört man auch noch als Fluggeräusch ein leises Knattern, das aber nicht einmal ansatzweise so laut ist wie das der ebenfalls zu den Ödlandschrecken gehörenden Schnarrschrecken, die es aber auf dem Flugplatz gar nicht gibt, ihr Nichtsnutze. 

Selbst dann, wenn man ganz genau gesehen hat, wo eine aufgescheuchte Blauflügelige Ödlandschrecke (warum kürze ich diesen Namen nicht ab?) gelandet ist, verliert man das Tier rasch wieder aus den Augen. Ein Blick zur Seite und wieder Richtung Heuschrecke – und weg ist sie. Sie ist nicht wirklich weg, sie duckt sich nur, bewegt sich nicht und verschwimmt dann perfekt mit ihrer Umgebung.

Die Grundfarbe dieser Umgebung gibt auch die Grundfärbung der Tiere vor. Diese Art kann nicht etwa wie ein Chamäleon ihre Farbe wechseln, sie ist aber grundsätzlich sehr variabel, eben je nach dem Untergrund, auf dem die Heuschrecken heranwachsen. Auf dem Flugplatz waren alle Tiere, wie nachts ja auch alle Katzen, grau gefärbt.

Nur eine Ausnahme hat es gegeben.

Dieses hübsche Weibchen war nämlich eher rotbraun:



this reddish-brown coloured female was rather an exception, all the other specimens, that I have found, have been grey.  

Von vorne, ganz nah, tief in die Augen geschaut:

same female

Und wieder ein Männchen: 


male

Von hinten:



same

Und ein Männchen von oben:


same

Der hier gut sichtbare Kiel auf dem Halsschild ist ein sehr gutes Unterscheidungsmerkmal zur, zumindest oberflächlich betrachtet, ähnlich aussehenden Blauflügeligen Sandschrecke. 

Doch das nur am Rande. 

Auch ein Männchen der Gefleckten Keulenschrecke schaute kurz in meiner kleinen Arena vorbei:


male Mottled Grasshopper

Die Blauflügelige Ödlandschrecke striduliert nicht.

Zumindest hört man nichts. 

Aber sie winkt. Das heißt, nur die Männchen machen das. Und dieses Winken ist sehr auffällig, weil die Innenschenkel der Hinterbeine der Tiere schwarz-weiß gezeichnet sind. Ich gehe davon aus, dass dieses Verhalten den Gesang anderer Schrecken ersetzt, vergleichbar vielleicht mit dem Trommeln der Spechte, das ja ebenfalls den Reviergesang anderer Vögel wettmachen soll. Zum einen soll es also wohl Weibchen anlocken, zum anderen unangenehme Geschlechtsgenossen auf Abstand halten. Es handelt sich hier also um eine intraspezifische Form der Kommunikation.

Während die Männchen ausdauernd winken, verharren sie ansonsten regungslos an Ort und Stelle. Nicht selten drücken sie sich sogar in eine kleine Bodenvertiefung hinein, während ihr Hinterbein im Wechsel angehoben und fallen gelassen wird. Manchmal sah ich wirklich nur das Bein der Tiere auf und ab wippen, während der Rest der Heuschrecke unsichtbar blieb. Und das, ihr lieben Mitmenschen da draußen, sah dann einfach nur lustig aus. 

Vielleicht lag das aber auch nur an der Erdkrümmung.

Das Anheben des Hinterbeines geschah bisweilen rhythmisch und in schneller Folge, dann aber auch wieder für eine kurze Zeit in größeren Abständen und unregelmäßig. Mal so, mal so. Nachdem ich als Mensch erst einmal meinen Blick für das Winken der Tiere geschärft hatte, sah ich es sogar aus größerer Distanz und gleich an verschiedenen Stellen, weil einfach viele Männchen auf kleiner Fläche unterwegs waren. Und das dürfte auch den Artgenossen so ergehen, denn die meisten Heuschrecken verfügen über gute Augen. Und obwohl mir dieses Verhalten auf der Stelle ins Auge sprang, kaum dass ich mich auf den warmen Asphalt gelegt hatte, kann ich im Netz nichts dazu finden. 

Das ist schon seltsam.

Ich habe versucht, das Winken in Bildern festzuhalten:



instead of singing the males display their black and white coloured hindlegs


same behaviour

Es handelte sich hier nicht etwa um Dehnübungen oder so.

Gute Tarnung ist alles:



perfectly camouflaged

Auf den Fotos sieht man die Tiere nur deshalb so toll, weil die Schärfentiefe sehr gering ist und sich die Heuschrecken zum Zeitpunkt der Aufnahme exakt in der Schärfenebene befanden.

Sonst brächte die ganze Knipserei ja auch nichts.

Ein Zusammentreffen von Herr und Frau Ödlandschrecke:


male (left) and female

Das Foto ist nicht gestellt, das Männchen tauchte plötzlich links im Bild auf, während ich die Frau ablichtete!

Doch diese interessante Konstellation hielt leider nicht lange vor, denn das Weibchen fühlte sich bedrängt und ging ein paar Schritte:


same

Einen Augenblick später rauschte es davon.

Hü-hüpf und so weiter, wenn ihr versteht, was ich meine.

Ganz im Südwesten der Steppenfläche gibt es eine Senke, die in all den Jahren meines langen Lebens auch fast immer mit Wasser gefüllt war.  

In den letzten Jahren hatte ich sie aber immer komplett ausgetrocknet vorgefunden. Umso überraschter war ich, als ich sie jetzt besuchte:


recently it had rained cats and dogs here in the northern part of Germany, so that this pond was filled up with water after it had been dried out for several yaers

Wasser, da war jetzt wirklich Wasser!

Und ganz viele kleine Kaulquappen lungerten da im Uferbereich herum. Es waren die Larven der geilen Kreuzkröte, die bekanntlich eine Schwäche für sehr flache und nahezu vegetationsfreie Gewässer hat, wenn es um ihre Vermehrung geht. 

Normalerweise laicht auch diese Art, wie ja auch alle anderen Amphibien Deutschlands, im Frühjahr, doch weil die Gewässer, die sie für die Balz aufsucht, aus dem oben genannten Grund grundsätzlich zur Austrocknung neigen und die Senke im Frühjahr wegen des heftigen Regenmangels zu diesem frühen Zeitpunkt des Jahres sehr wahrscheinlich längst trockengefallen war (oder über den Winter erst gar nicht aufgefüllt), muss man als Kreuzkröte flexibel sein. Und tatsächlich ist diese Art dafür bekannt, stets ganz spontan auf starke Regenfälle und die aus ihnen resultierende Neubildung kleiner Gewässer reagieren zu können und dann eben auch im Hochsommer Hochzeit zu feiern. 

"Hochtiiied!" schreien die Männchen dann im Chor, sobald sich die Sonnenscheibe hinterm Horizont verabschiedet hat.  

Na ja, der Balzruf der Kreuzkröte ist euch doch bestimmt bekannt.

Neben den vielen noch sehr kleinen Kaulquappen sah ich noch ein paar Teichfrösche beim Sonnenbad, obwohl die Sonne in diesem Augenblick gar nicht schien.

Diesen hier zum Beispiel:


Edible Frog

Doch was war das eigentlich für eine Unterlage, an der er sich da festklammerte?

Kinners, seht doch selbst:


this young Red Fox had drowned in this small and shallow water, but how?

Traurig!

Ein noch junger Rotfuchs trieb da im Wasser. Offenbar war er ertrunken, doch wie er das hinbekommen hat in einem so kleinen und do flachen Gewässer, ist mir ein Rätsel. Ein paar Tage später sah ich genau an diesem Ort einen weiteren Jungfuchs am Ufer spielen. Möglicherweise hat es sich um einen Bruder oder die Schwester des Ertrunkenen gehandelt.

Oh, Odermennig:


Common Agrimomy

Und Wildes Stiefmütterchen:


Wild Pansy

Echtes Johanniskraut:


St John's Wort

Am dritten Tag war es morgens finster.

Meinen Spaziergang startete ich trotzdem, und gleich zu Beginn nahm ich mir vor, das ganze Gebiet zu umrunden, so wie ich es früher schon so furchtbar oft getan hatte. Es wurde immer finsterer, die fast schon schwarzen Wolken touchierten beinahe den Boden, so tief rauschten sie über mich hinweg, und am Ende kam es so, wie es kommen musste.

Als ich etwa vier Kilometer vom Wagen entfernt war, begann es zu regnen. Nein, es begann nicht einfach zu regnen, es schüttete auf der Stelle aus allen Eimern. Fetteste Tropfen in maximaler Zahl und Dichte schossen da vom bedrohlich dunklen Himmel auf mich herab. Von null auf hundert in einer halben Sekunde. Ebenso lange dauerte es, bis ich bis auf die Haut nass war. Wie nach einem Waschmaschinengang ohne Schleudern, nur noch viel schlimmer. Weil ich in meiner grenzenlosen Naivität aber von einem Schauer ausging, setzte ich meinen Weg trotzig fort, doch der verfickte Regen ließ einfach nicht nach. Schließlich überlegte ich kurz, ob ich nicht doch besser umkehren sollte, und in Gedanken schaute ich mir jetzt den Flugplatz von oben an, um die Länge beider Strecken gegeneinander abzuwägen. 

Okay, Umkehr, so dachte ich entschlossen und machte die Chicagoschleife. Ich beschleunigte mein Tempo, wenngleich mir eigentlich klar war, dass es nichts mehr zu retten gab. Als ich nach etwa einer Stunde endlich meinen Wagen erreichte – der Regen hatte in der Zwischenzeit kein bisschen nachgelassen –, da hatte ich meine Schrittfrequenz längst wieder erheblich reduziert. Ich meine, die Wasseraufnahmekapazität meiner Klamotten war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon längst überschritten worden. 

Ich stieg in den Wagen und fuhr nach Hause.

Ich stand gerade in der Küche, als plötzlich mein Schwager hereinkam. Wir unterhielten uns eine Weile, und dann wollte ich ihm ein paar Bilder zeigen. Doch da tat sich nichts auf der LCD-Anzeige der Kamera, die komplette Elektronik hatte den Geist aufgegeben! 

Der Regen, so dachte ich, der verfickte Regen ist der Schuldige. 

Ich werde ihn töten müssen, so dachte ich. Ich blickte aus dem Fenster und sah, auch zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht um einen Tropfen nachgelassen. Wenn das so weitergeht, so dachte ich, dann wird Hollage das nächste Platzregenopfer der Republik werden. Tatsächlich hatte ich in meiner Jugend mal einen solchen Starkregen an der Hollager Straße miterlebt und gesehen, wie die vielen Gullis auf der Straße immer mehr ins Schwitzen gerieten. Gegen das viele Wasser in so kurzer Zeit waren sie einfach machtlos gewesen. Dieses ganze Wasser kam nicht etwa nur vom Himmel herabgeschossen, es floss darüber hinaus wohl auch den Hollager Berg hinab, um sich dann im Tal, eben auf der Hollager Straße, zu sammeln und nicht mehr, zumindest für einen bestimmten Zeitraum, ins Erdinnere abzufließen. Natürlich war das Ganze nicht annähernd so bedrohlich gewesen wie das Hochwasser an der Ahr, doch es reichte aus, um ein Gefühl für die unglaublichen Kräfte der Natur zu bekommen. 

Ich öffnete den Backofen und legte die Kamera hinein:



to dry my sweet camera after heavy rain I put her into the oven for hours (26 ° Celsius)

"Was machst du da?" fragte mein Schwager.  

"Da muss Wasser eingedrungen sein, ich hatte das Problem schon mal. Ist noch gar nicht so lange her."

Mein Schwager guckte skeptisch, aber auch ein bisschen belustigt Richtung Ofen.

Tatsächlich war mir genau diese Kacke erst drei Wochen zuvor passiert. Während eines längeren Marsches auf dem Deich hatte mich der Regen überrascht. So wie der Regen das halt immer macht. Ganz plötzlich war er da. 

Ich schließe den Rucksack normalerweise nie ganz, was bedeutet, dass die Tropfen auf das Gehäuse fallen können. Noch nie war da was passiert, und jetzt setzt meine liebe, fast schon historische Canon 50D gleich zweimal in wenigen Wochen aus. Und das, obwohl ich den Rucksack diesmal komplett geschlossen hatte. Ich meine, man lernt doch bisweilen auch aus seinen Fehlern. 

Gereicht hat es trotzdem nicht, doch nach drei Stunden im Ofen bei angenehmen 26 Grad Celsius kehrten alle Funktionen nach und nach wieder zurück. Ihr könnt es selbst ausprobieren, wenn ihr mal ähnliche Erfahrungen mit dem bösen Regen sammelt. Man kann die Kamera übrigens auch auf die Heizung legen, wenn einem die Sache mit dem Backofen zu riskant erscheint, weil man befürchtet, dass jemand versehentlich oder gar in böser Absicht am Temperaturregler dreht.

Wie ihr oben gelesen habt, wird es einen zweiten Teil geben. 

Das wird mir nämlich jetzt alles zu viel, ich habe keine Lust mehr, mir die Fingerkuppen blutig zu tippen.

Doch schnell zeige ich euch noch einen Kandidaten, den ich auf dem Flugplatz ebenfalls in großer Zahl angetroffen habe:






who is hiding here? The identity of this mystery I am going to reveal next post

Am Tage!

Es ist der Lifer. 

Der Lifer, den ich eingangs erwähnt hatte.