Freitag, 6. Oktober 2023

Ein Pazifischer Goldregenpfeifer* besucht die Hauener Pütten

Palim, palim!

Neulich war ich im LIDL.

Und ich konnte es kaum fassen, aber da warteten doch tatsächlich schon wieder Christstollen, Spekulatius und Lebkuchen in den Regalen auf ihre Adoption!

Meine Fresse, schon wieder ein ganzes Jahr rum. 

Ich will zugeben, es fiel mir schwer, doch schließlich konnte ich meinen Blick doch noch abwenden und rasch einen weniger verführerischen Gang aufsuchen, wo ich mir eine Packung Trockenhefe krallte. 

Puh, gerade noch einmal die Kurve gekriegt. 

Ich meine, mit dem Aufpolstern des Körpers kann man auch noch etwas später im Jahr beginnen. 

Themenwechsel: Wenn man in den Pütten Vögel beobachtet, also da länger an der Straße steht und auf die Wasserfläche spannt, dann kann man eigentlich jedesmal ein ganz besonderes Phänomen beobachten. 

Autos, die vom Leuchtturm kommen oder sich auf dem Weg zum Leuchtturm befinden, drosseln zunächst ihre Geschwindigkeit und halten dann nicht selten sogar an. Die Fahrer und Fahrerinnen tun das nicht etwa, weil sie den Ahnungslosen da am Straßenrand nicht über den Haufen fahren wollen, nein, sie sind neugierig und wollen unbedingt wissen, was da los ist.

In ihren Erbsenhirnen poppt nur diese eine Frage auf: Warum, zum verfickten Teufel, steht der da und blickt mit dem Fernglas hinaus aufs Wasser?

Manche erkennen auf der Stelle, dass es nur um Vögel geht, und fahren weiter, ohne überhaupt einen langen Hals gemacht zu haben. 

Andere sind nicht so schnell und steigen aus. 

Jetzt gibt es drei Möglichkeiten: Die weniger Begriffstutzigen schnallen es spätestens in diesem Augenblick und steigen enttäuscht wieder ein; andere wiederum raffen es zwar auch sofort, spulen aber trotzdem ihr längst automatisiertes Programm, das sie schon an vielen Sehenswürdigkeiten auf dieser Welt perfektioniert haben, ab und schießen mit dem Telefon ein paar Bilder, auf denen man eh nichts erkennen kann. 

Und schließlich gibt es jene Zeitgenossen, die ich in Gedanken immer als die Krone der Schöpfung bezeichne! 

Sie steigen aus, schießen Bilder mit dem Handy, wissen aber immer noch nicht, worum es eigentlich geht. Vorletzte Woche, am 18. September, war da mal wieder so eine Tante aus Wuppertal, die plötzlich neben mir stand und mit ihrem Mobiltelefon herumhantierte. Ich stellte mich tot und blickte einfach in die entgegengesetzte Richtung und weiter durch mein Spektiv, zumal ich gerade einen richtig interessanten Goldregenpfeifer zwischen den Kiebitzen und Rotschenkeln entdeckt hatte, der eigentlich meine ganze Aufmerksamkeit erforderte, doch selbst Totstellen hilft bisweilen nicht weiter.

"Was gibt es hier eigentlich zu sehen?"

Ich fuhr herum und dachte zunächst, meine Vermieterin stehe neben mir: "Meinen Sie das jetzt ernst?

"Natürlich!"

"Vögel", sagte ich trocken, "das sieht man doch."

Ihre Mimik spiegelte jetzt die reinste Enttäuschung wider: "Ach so, und ich hatte gedacht, hier gibt's was Interessantes zu sehen."

Ich öffnete die Beifahrertür, dann das Handschuhfach, kramte eine flache Schachtel hervor und reichte sie der Frau, die wirklich eine frappierende Ähnlichkeit mit meiner Vermieterin besaß! Die sagte jetzt nichts mehr, und nur einen Augenblick später konnte sie auch nichts mehr sagen, sodass ich mich endlich voll und ganz auf den Goldregenpfeifer konzentrieren konnte.

Klein war er, das hatte ich auf den ersten Blick erkannt, obwohl keine weiteren Goldregenpfeifer anwesend waren. Der Vogel stand aber neben einem Rotschenkel und wirkte im direkten Vergleich mit diesem nur unwesentlich größer. Leider konnte ich sonst kaum etwas erkennen, auch die so wichtigen Beine nicht, weil dem Vogel das Wasser zwar nicht bis zum Hals, aber doch immerhin bis zum Bauch reichte. Zu allem Überfluss blies der Wind sehr kräftig und zu allem Überfluss auch noch genau aus meiner Richtung, sodass ich den Goldregenpfeifer nur von vorn betrachten konnte. 

Doch dann wurde der Wind, der mich zuvor schon so sehr genervt hatte, plötzlich zu meinem engsten Komplizen!

Eine kräftige Böe warf den Rätselvogel nämlich für einen kurzen Moment aus dem Gleichgewicht:


my very first Paciific Golden Plover popped up on 18. September 2023 at Hauener Pütten

Er geriet ins Wanken und öffnete, um die Ballance zu halten, seine Flügel.

Was ich jetzt sah, ließ mich noch mehr aufmerken: Die Achselfedern waren eindeutig grau!

Ohohoho, so dachte ich, jetzt wird es aber mal so richtig spannend. Einen normalen Goldregenpfeifer konnte ich jetzt ausschließen, denn der müsste schneeweiße Achselfedern zeigen. Mein erster Eindruck hatte mich also nicht getäuscht, vor mir stand tatsächlich eine der beiden kleinen Goldregenpfeifer-Arten.

Weil ich die Kamera nicht stundenlang im Anschlag halten und auf die nächste Böe warten konnte und wollte, packte ich meinen Fotorucksack aufs Autodach und die Kamera wiederum auf den Rucksack. Und weil da immer so viele verfickte Schilfhalme durchs Bild wischten und der Autofokus ihretwegen verrückt spielte, schaltete ich ihn einfach aus.

Manuell stellte ich den Vogel jetzt scharf und wartete auf den richtigen Moment. Und der ließ nicht lange auf sich warten. Abermals warf eine geile Böe den Vogel vorübergehend aus der Bahn, und abermals musste er seine Schwingen öffnen, um nicht umgeworfen zu werden. Darüber hinaus zeigte er sich jetzt für den Bruchteil einer Sekunde erstmals im Profil!

Dauerfeuer!

Dann ließ der Wind abrupt nach, und der Goldregenpfeifer stand wieder einfach nur da. Ich checkte die Bilder, die ich von ihm geschossen hatte, und freute mich diebisch, denn alles, aber auch wirklich alles, was für eine sichere Abgrenzung von unserem europäischen Goldregenpfeifer von Bedeutung war, hatte ich eingefangen!

Welche Merkmale das sind, verrate ich später.

Oh, eine Bachstelze:




White Wagtail riding a sheep

Ja, das gute alte Deichschaf muss immer mal wieder als Aussichtswarte herhalten. 

Oft sieht man Schaf- und Bachstelzen auf den Wiederkäuern herumstehen, doch noch häufiger sind es Stare




Common Starling riding a sheep

Die so sympathische Dohle zupft den Schafen im Frühjahr gerne die Wolle aus, weil sich Schafswolle sehr gut als kuscheliges Material für den Innenausbau des Nestes macht. 

Und vor ein paar Wochen sah ich sogar einen waschechten Kolkraben auf einem Deichschaf stehen! Leider war die Distanz zu den beiden riesig, sodass es nur für Belegaufnahmen gereicht hat, doch den Kolkraben konnte man auf ihnen durchaus als solchen erkennen, war er doch beinahe so groß wie das Schaf selbst. Bestimmt hätte ich die unscharfen Fotos für viel Geld an die BILD verhökern können, und in meinem Hirn las ich auch schon die entsprechende Schlagzeile: Kolkrabe hackt Deichschaf bei lebendigem Leib beide Augen aus.

Oder umgekehrt.

Kinners, ich verzichtete auf das lukrative Geschäft.

Wiesenpieper untersuchten irgendwann im September eine Bank auf dem Deich:


Meadow Pipit

Vielleicht waren sie vom TÜV.

Und einen Fasan überraschte ich an einem frühen Morgen am Rande der Pütten noch an seinem Schlafplatz:














male Common Pheasant still at roost on early morning

Ja, am ganz frühen Morgen sind die Hauener Pütten besonders schön:


early morning

Und eigentlich auch nur dann:


same

Diese männliche Rohrweihe versteht mich da total:


male Marsh Harrier

Die Luft ist klar, es gibt noch keine Motorengeräusche, auch kein Gesabbel, weil der geile Massentourerrorismus immer erst zwei bis drei Stunden später einsetzt. 

Ausgelöst durch ihn hier:


everyday trillions of people make their pilgrimage to Pilsum lighthouse and I will never ever understand why

Hier scannte die bereits oben gezeigte Rohrweihe den Boden:


same Marsh Harrier

Ein gutes Frühstück, das wisst ihr selber, kann schließlich niemals schaden.

Das folgende Bild zeigt einen gemischten Limikolen-Trupp:


mixed flock of waders

Und da sind wir auch schon wieder beim Hauptthema dieses Beitrages:


this Pacific Golden Plover constitutes the first record ever for Ostfriesland and approximately the 40th for Germany

Was zeigten meine Bilder denn nun?

Nach seinem Standortwechsel, der Vogel hatte sich jetzt glücklicherweise eine seichtere Stelle ausgesucht, war der Blick auf die langen Beine und vor allem auf die langen, weit aus dem Bauchgefieder hinausragenden Tibien endlich frei! Wie die bereits oben erwähnten grauen Achselfedern schlossen sie einen normalen Goldregenpfeifer auf der Stelle aus. 

Doch es ist nicht die Länge der Beine allein, die den Unterschied macht, sondern vor allem auch die Befiederung der Tibien. Während diese beim Europäer unmittelbar oberhalb des Intertarsalgelenkes ansetzt, sind die Tibien vor allem beim Pazifischen Goldregenpfeifer – übrigens ähnlich wie beim Kiebitzregenpfeifer – oberhalb des "Knies" erst einmal einen ganzen Kilometer unbefiedert.

Das wusste schon Heinrich Gätke, der alte Haudegen, als er im 19. Jahrhundert die Vögel Helgolands erforschte. 

Ich zitiere ihn mal (in Klammern zum besseren Verständnis meine Ergänzungen!): "Die Tibia beider (Arten) ist daneben von gleicher Länge (bei unterschiedlicher Größe, wohlgemerkt, also proportional doch unterschiedlich lang), aber ihre Befiederung lässt bei auratus (Goldregenpfeifer) nur 8 mm nackt, während dieser unbefiederte Theil bei fulvus (Pazifischer G.) 20 mm misst."

Das steht so heute in keinem Bestimmungsbuch!

Und etwas allgemeiner, aber trotzdem nicht weniger aussagekräftig (1): "Über die früher hier und da angefochtene Artselbständigkeit dieses Regenpfeifers herrscht, trotz aller Farbenverwandtschaft mit Charadrius auratus (heute Pluvialis apricaria), gegenwärtig wohl kaum noch ein Zweifel, denn bei keinem mehr als bei diesem würde die Erfüllung des Wortes unseres unvergesslichen Blasius (Rudolf Blasius, Zeitgenosse und Freund Heinrich Gätkes sowie ebenfalls Ornithologe): dass, wenn über Nacht alle Vögel schwarz würden, es mit vielen Arten zu Ende wäre, mehr zur Klarstellung seiner Selbständigkeit beitragen, als bei diesem. Die grosse Aehnlichkeit der Zeichnung (und Färbung) von Ch. fulvus und Ch. auratus stände dann nicht mehr irreführend im Wege, und nur die plastischen Verhältnisse wären maassgebend; diese sind nun aber in solchem Grade verschieden, dass sie, an und für sich betrachtet, keinen Gedanken an Zusammengehörigkeit beider Arten aufkommen lassen können."

Ja, der Herr Gätke hatte richtig was auf dem Kasten! 

Man darf nicht vergessen, dass er damals auf vieles, was wir heute für selbstverständlich halten, verzichten musste. Großartige Ferngläser und Spektive, detailgetreue Bestimmungsbücher, das Internet als nie versiegende Informationsquelle und so weiter. Dafür können wir heute auf die Flinte verzichten, weil es Kameras gibt, mit denen man jedes Detail eines seltenen Gastes in Bildern festhalten kann, falls dieser das zulässt. Und ich bin mir hundertprozentig sicher, auch Heinrich Gätke hätte das Teleobjektiv dem Gewehr jederzeit vorgezogen, wenn er nur die Möglichkeit dazu gehabt hätte.

Zurück zum Vogel.

Der war adult und befand sich in der Mauser vom Pracht- ins Schlichtkleid. Und diese Mauser war schon sehr weit fortgeschritten, sodass eine Beurteilung der schwarzen Partien bzw. ihrer Ausdehnung auf der Unterseite des Vogels nicht mehr möglich war. Letzendlich war das aber nebensächlich, denn sowohl im Pracht- als auch im Schlichtkleid sollten die Schirmfedern grob gesägt sein statt fein wie beim europäischen Goldregenpfeifer. 

Und das waren sie auch. 

All diese Merkmale hatte ich schon seit Jahren in meinem Kleinhirn abgespeichert, für den Fall der Fälle, der jetzt endlich eingetreten ist. In der Vergangenheit hatte sich meine Herzschlagfrequenz immer schon dann erhöht, wenn ich nur einen einzelnen Goldregenpfeifer im Sommerhalbjahr in den Pütten entdeckt hatte, denn es ist bekannt, dass vor allem der Pazifische Goldregenpfeifer eine Schwäche für Schlammflächen in Süßgewässern hat. Grundsätzlich kann man aber alle drei Arten auf solchen Schlämmflächen beobachten, und so hatte es bis zu diesem Tag in den Pütten auch immer nur für Europäer gereicht. 

Nachdem ich also einen europäischen Goldregenpfeifer sicher ausgeschlossen hatte, musste ich nun herausfinden, ob es sich bei dem Vogel um einen Sibirier oder Amerikaner handelte.

Und an dieser Stelle bog ich ohne zu zögern in die falsche Richtung ab! 

Auf meinen großartigen Belegfotos war nämlich eine beachtliche Handschwingenprojektion zu erkennen, und die schloss meiner Meinung nach einen Pazifischen Goldregenpfeifer aus. So dachte ich jedenfalls. 

Ein Anfängerfehler, denn natürlich muss man die Merkmale, die man dingfest machen kann, grundsätzlich in ihrer Gesamtheit betrachten und gegeneinander abwägen. Immerhin hatte ich ja viele aussagekräftige Bilder geschossen. Und da passte dann doch wieder so Einiges nicht für einen Amerikanischen Goldregenpfeifer*. 

Reichlich verwirrt schickte ich daraufhin gleich mehrere Bilder an einen Bekannten aus dem Ruhrgebiet, der beide Taxa sehr gut kennt, vor allem aber die sibirische Variante. Eine halbe Stunde später klingelte dann auch schon mein Telefon, und die Lösung stand fest. 

Ich hatte einen Pazifischen Goldregenpfeifer entdeckt, den ersten für Ostfriesland, den sechsten oder siebten oder so für Niedersachsen und den etwa 40. für die ganze Republik!

Für einen Amerikaner waren die Flügel des Vogels zu kurz und der Schnabel wohl auch zu groß. Und schließlich passte auch das viele Gold auf der Oberseite – es handelte sich hier bereits um Federn aus dem frischen Schlichtkleid – viel besser zu einem Pazifischen Goldregenpfeifer. 

Super!

Es folgen ein paar (schlechte) Bilder vom Vogel:



same bird




same 

compare the fairly small size with Redshank and Lapwing

Mit Sonne:




same

Wenn ich die Wahl habe, dann zeige ich einen Vogel lieber klein und scharf auf einem Bild als groß und verschwommen.

Doch heute will ich mal eine Ausnahme machen, damit ihr die oben aufgezähltem Merkmale auch schön erkennen könnt:


blurry crop to make most of the features better visible

Während ich am Straßenrand stand und meine Bilder betrachtete, flogen plötzlich alle Vögel auf.

Und mit ihnen auch der Pazifische Goldregenpfeifer. 

Ob er gerufen hat, weiß ich nicht. Ich meine, falls doch, dann dürften diese Rufe im allgemeinen Stimmengewirr untergegangen sein. Das war mir aber egal, kam es doch auf die Rufe gar nicht mehr an.

Wenn in den Pütten alle Vögel auf einmal durchstarten, dann ist meist ein Greifvogel in der Nähe. 

Oder ein Greifpapagei, wie der Wanderfalke




juvenile Peregrine with Northern Lapwing

Taucht ein Wanderfalke auf, wissen alle Vögel sofort, was sie zu tun haben. 

Sie müssen nicht nur rasch das Weite suchen, sondern ebenso schnell an Höhe gewinnen, wenn sie wirklich auf der sicheren Seite sein wollen. Der Wanderfalke jagt nämlich fast immer aus dem Sturzflug heraus, denn nur im Sturzflug kann er die erforderliche Geschwindigkeit erreichen, die es braucht, um so schnelle Vögel wie Limikolen einhzuholen. Will man als Watvogel also verhindern, von einem Wanderfalken erbeutet und aufgegessen zu werden, dann muss man sich immer oberhalb von ihm befinden. 

In den Pütten, aber auch über dem Watt, kann man dieses Verhalten immer mal wieder sehr schön beobachten. Und erst wenn der böse Feind das Gebiet weiträumig verlassen hat, mit oder ohne Beute, am besten aber mit, wie mir jetzt einfällt, denn dann droht erst einmal keine Gefahr mehr von diesem einen Vogel, dann fallen die Limikolen wieder ein, um sich dem Nichtstun und der Gefiederpflege hinzugeben. 

Auch die in der Hauener Pütten meist so teilnahmslos herumstehenden Löffler fliegen immer mal wieder geschlossen auf:



Spoonbill with a single Grey Heron

Das sind dann die Augenblicke, wo man sieht, dass sie gar nicht angekettet oder festgepflockt sind. 

In ihrem Fall kann ich aber fast nie eine Ursache für die Störung erkennen. Ich meine, ein Wanderfalke wird ihnen kaum einen Schrecken einjagen können.

Manchmal sieht man einen Seeadler am Himmel, der sich einen Spaß daraus macht, die Püttenvögel mal so richtig aufzumischen, um dann doch wieder abzuziehen, doch meistens ist es wohl eher so, dass ein einzelner schreckhafter Vogel aus nichtigem Anlass auffliegt und dann alle anderen mitreißt. 



same

Am frühen Morgen eines anderen Tages:


flushed by?

An einem weiteren Tag passierte das Schauspiel gleich etliche Male hintereinander:





















Die Flecke unten links sind auch irgendwelche Vögel, weit weg im Hintergrund.

Da lungerten nicht etwa böse Wirbellose auf dem Speicherchip herum.



same

Möglich wäre aber auch das plötzliche Auftauchen eines Fuchses oder Marderhundes am aus meiner wilden Perspektive nicht immer einsehbaren Schilfrand. 

Man weiß es nicht.

Viele Rauch-, wenige Uferschwalben:


Barn Swallow and few Sand Martin

Vor einigen Wochen war das noch ein alltägliches Bild in der Nähe des Leuchtturmparkplatzes. 

Inzwischen sind diese Schwalben aber abgereist:



same

Für ein paar einzelne Durchzügler wird es in den kommenden Wochen aber hoffentlich noch reichen. 

Ganz früher, so vor einigen Jahrhunderten und so weiter, als man noch absolut nichts über den Vogelzug wusste und es auch noch kein Internet gab, wo man etwas über ihn in Erfahrung hätte bringen können, glaubte man übrigens, dass Schwalben den Winter im Schlamm der Gewässer verbringen.  

Wie hohl die Menschen damals doch waren!

Kleiner Scherz.

Zwei Cousins oder Cousinen auf einem Bild:


two cousins

Das Bild stammt noch aus dem August.

Der Stelzenläufer (rechts) ist längst weg, der Säbelschnäbler könnte noch anwesend sein. Das Bild hatte ich bislang immer übersehen in meinem Archiv und deshalb auch nie in einen der letzten Beiträge eingebaut. 

Doch aufgeschoben bedeutet nicht zwingend auch aufgehoben oder so ähnlich.

Dieser Steinschmätzer stand Anfang September am Rande der Pütten auf einem der in aller Ruhe vor sich hin gammelnden Schilder herum:


Northern Wheatear

Hab' dich:


this Common Reed Warbler was first trapped in one of the cabins and later trapped in my hand and then released

Diesen erschöpften Teichrohrsänger fand ich früh morgens, fast noch bei Dunkelheit, in der Beobachtungshütte an der Straße.

In der Hütte, um es nochmal zu betonen. 

Und alle Luken waren geschlossen. Das bedeutet, dass der Vogel dort eine Nacht verbracht haben nusste, weil er ja nur am Vortag ins Innere eingedrungen sein konnte.

Leider sind die Menschen, die für den Erhalt und die Pflege der Hütte verantwortlich sind, beratungsresistent, denn man findet im Sommer immer wieder eingeschlossene Vögel vor, die nicht selten sogar die Nacht in der Hütte verbringen mussten. Meistens sind das Rauchschwalben, die früher auch im Innern der Hütte gebrütet haben.  

Irgendwann ist man aber auf die glorreiche Idee gekommen, sie auszuschließen. Dabei sollte es doch auf jedes einzelne Paar ankommen, wie ich finde. Man brauchte nur eines der schmalen Oberlichter herauszunehmen, und keine Schwalbe dieser Welt könnte mehr eingeschlossen werden, doch man stößt mit diesem Anliegen leider immer wieder auf taube Ohren. 

Seit Jahren!

Diesen Menschen scheint die Natur eigentlich scheißegal zu sein, zumindest ist das mein Eindruck.  

Und tatsächlich hat man die Schwalben wohl auch nur deshalb ausgesperrt, weil man verhindern möchte, dass sie im Innern der Hütte alles zukacken, trotz der an der Decke angebrachten Kot-Auffangbretter. Man befürchtet wohl, dass sich Touristen über die Vogelkacke beschweren könnten. Und das will man dem Anschein nach um jeden Preis verhindern. Gleichzeitig wollen diese Naturschützer aus dem Lehrbuch aber Hausbesitzer dazu bringen, Schwalben am Eigenheim zu dulden.

Sollte man dann nicht mit gutem Beispiel vorangehen?

Die Verbreitung des Pazifischen Goldregenpfeifers sieht so aus:



distribution of Pacific Golden Plover (taken from the beautiful and important website of Xeno-canto)

Das Brutgebiet (rot) erstreckt sich von der Jamal-Halbinsel im Westen in einem schmalen Streifen quer durchs nördliche Sibirien bis nach Fernost und setzt sich sogar auf der anderen Seite der Beringstraße bis ins westliche Alaska fort.

Als Pazifischer Goldregenpfeifer ist man ein extremer Langstreckenzieher. Man überwintert (blau) vor allem im Pazifikraum, daher der Name, aber in geringer Zahl auch am Horn von Afrika, in Indien und somit im Indischen Ozean sowie wohl auch im Süden Kaliforniens. 

Die Hauptüberwinterungsgebiete befinden sich aber in Südostasien und in Australien. Und sehr wahrscheinlich gibt es im ganzen Pazifik keinen einzigen winzigen Archipel, wo der Pazifische Goldregenpfeifer noch nie beobachtet worden ist. Regelmäßig lässt er sich z. B. auf Hawaii, Fidschi, Tonga, Samoa und Vanuatu blicken, aber auch im Norden Neuseelands. 

Um solch ferne Inseln erreichen zu können, muss man als Pazifischer Goldregenpfeifer baffzigtausend Kilometer nonstop übers offene Meer zurücklegen. Man kann keine Pause machen, nichts essen, muss fliegen und fliegen und fliegen, bis man endlich sein Ziel erreicht hat. 

Ich finde das unglaublich!

Vielleicht vertreiben sich die Vögel die Zeit auf so einer langen Reise auch mit Gesang. Und vielleicht intonieren sie auf ihrer imaginären Autobahn im Chor sogar die ganze Zeit Pacific Coast Highway von Hole oder so in einer Variante, die besser zu ihnen passt: Pacific Coast Flyway.

Unter den Limikolen gibt es übrigens gleich etliche Arten, die zu vergleichbaren Rekordleistungen fähig sind. Eine dieser Spezies ist der sehr seltene, längst vom Aussterben bedrohte und nur in Teilen Westalaskas brütende Borstenbrachvogel, der sogar ausschließlich auf kleinen Inseln mitten im Pazifik überwintert. 

Wahnsinn!

Im Grunde leisten diese Vögel viel mehr als die so oft zitierte Küstenseeschwalbe, die alljährlich zwischen der Arktis und der Antarktis hin und her pendelt und angeblich die längste Strecke aller Zugvögel zurücklegt. Okay, das tut sie vielleicht auch, doch sie zieht wohl vor allem entlang der Küsten und kann so jederzeit eine Pause einlegen und sogar Beute machen, wenn ihr plötzlich der Magen knurrt, was ihre Leistung, wie ich finde, ein wenig schmälert.

Auf der Karte seht ihr auch jene Regionen, die vom Pazifischen Goldregenpfeifer nur während seines Zuges überflogen werden (grün), wo er also weder brütet noch überwintert, und wenn ihr alles auf einmal betrachtet, dann versteht ihr sofort, dass ganz Europa völlig abseits seines regulären Vorkommens liegt. 

Und deshalb tritt der Pazifische Goldregenpfeifer hier so selten auf.

Logisch. 

Der Vogel aus den Hauener Pütten blieb dort bis zum nächsten Tag, an dem ich das folgenden Bild von ihm schoss: 


this specimen kept staying in this area until the next day, when I took this photograph

Weil er so selten bei uns auftritt, steht der Pazifische Goldregenpfeifer in Deutschland auf der Liste der meldepflichtigen Arten. 

Das bedeutet, dass man eine Dokumentation erstellen und einreichen muss, damit so eine Feststellung als sicherer Nachweis für die Republik anerkannt werden kann. In den benachbarten Niederlanden ist er bereits 2018 von der nationalen Meldeliste gestrichen worden, wie auch sein nächster Verwandter, der Amerikanische Gildregenpfeifer (2022), weil man dort beide Taxa inzwischen etwa siebzig Male beobachtet hat. Ob dann dort Kommissionen auf Provinzebene einspringen (wie bei uns die Landeskommissionen) oder beide Arten überhaupt nicht mehr beurteilt werden müssen, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. 

Es war wirklich ein toller Tag, als mir dieser seltene Gast vor die Linse geflogen ist. Und es hätte ein noch viel geilerer Tag werden können ohne diese blöde Frau, die einfach kein Auge für die Schönheit der Natur besaß. 

Ja, Kinners, ich schreibe über sie im Präteritum.  

Denn jetzt lag sie da schon eine ganze Weile am Boden und atmete nicht mehr. Ich gab ihr einen unsanften Tritt, und sie kullerte die Grabenböschung nach unten. Auf der Stelle übernahm das Schilf den undankbaren Job des Mantels des Schweigens. 

"Danke, Schilf", sagte ich dann auch andächtig. 

Ich öffnete die Beifahrertür und schnappte mir die Pralinenschachtel, die noch auf dem Fahrersitz lag, um sie schnell im Handschuhfach verschwinden zu lassen. Nur für den Fall, dass da plötzlich Cops auftauchen sollten wie aus dem Nichts, denn das ist das, was sie am besten können: auftauchen wie aus dem Nichts. 

Kinners, es waren ganz besondere Pralinen. Besondere Pralinen in jeder Hinsicht, wie ich finde, denn sie stammten nicht nur aus meiner eigenen Herstellung, nein, sie besitzen auch noch ganz besondere Geschmacksrichtungen, wie man sie im Laden niemals erstehen könnte, nicht einmal bei LIDL. Die mit der Vollmilchschokolade überzogenen beinhalteten Gefleckten Schierling, die mit der weißen Schoki Grünen Knollenblätterpilz (beide aus eigener Ernte, es handelt sich hier also ausnahmslos um natürliche und nicht etwa naturidentische Aromastoffe!).

Und mal ehrlich, was kann ich dafür, dass die Alte mir gleich die halbe Schachtel leer frisst?

Und war es etwa meine Schuld, dass sie mir zuvor so unglaublich auf den Sack gegangen ist?

Am schlimmsten aber war, dass diese Frau meiner Vermieterin glich wie ein Ei dem anderen. 

Dafür konnte sie nichts. Ich aber auch nicht. 

Immerhin kann ich bei allen erfundenen Göttern dieser Welt schwören, dass die nervige Tante einen wirklich sauberen Tod gestorben ist: Atemlähmung bei vollem Bewusstsein! Sie hatte nämlich hauptsächlich die Pralinen mit der Vollmilchschokolade verspeist, und das geile Gift des Schierlings war einfach viel zu schnell, als dass jenes des Knollenblätterpilzes überhaupt noch den Hauch einer Chance gehabt hätte, seine großartige Wirkung zu entfalten. 

Sokrates ist jetzt nicht mehr allein.

Und ich hatte diese Pralinen in der Vergangenheit natürlich auch schon etliche Male ausprobiert. Eigentlich trauen mir die ostfriesischen Jäger längst nicht mehr über den Weg – und das nach all den abgefackelten Hochsitzen und zerstochenen Autoreifen völlig zu Recht –, doch ich brauchte ihnen bei zufälligen Begegnungen immer nur weiszumachen, dass die so unschuldig aussehenden Pralinen in ihrem Innern einen halben Liter Doppelkorn verbargen, also so eine Art Wolf im Schafspelz waren – Wolf, ihr versteht, Rache und so weiter, meine Fresse, steht ihr wieder auf der Leitung herum –, und schon hingen sie am Haken und langten eifrig zu.

Jau, Kinners, viele Leichen pflastern inzwischen meinen Weg, so sagt man doch, oder? Und ich freue mich auf kommende Abenteuer. 

Allerdings werde ich wohl künftig nur noch auf den Grünen Knollenblätterpilz setzen. 

Es war nämlich nicht so schön anzusehen, wie theatralisch die Tante da unmittelbar neben mir mit weit aufgerissenen Augen zusammenbrach und minutenlang herumröchelte. Ich meine, bis es endlich wieder still wurde, verging beinahe eine Dreiviertelstunde! Das Gift des Gefleckten Schierlings verliert keine Zeit, das des Pilzes aber beginnt sein perfides Werk erst nach vielen Stunden. Ganz still und leise. Und wenn es schließlich doch bemerkt wird, ist es meistens schon zu spät.

Da wäre ich dann natürlich längst über alle Berge, auch wenn es hier gar keine gibt.

Auch der Pazifische Goldregenpfeifer möchte euch ein letztes Mal zuwinken, so wie neulich erst die Blauflügelige Ödlandschrecke:

note the grey underwing

Winke, winke. 

 

* Vielleicht habt ihr als aufmerksame Besucher dieses Blogs den kleinen Stern bemerkt. 

Es geht hier um die von mir verwendeten Namen. 

Denn eigentlich heißt der Pazifische Goldregenpfeifer neuerdings Tundra-Goldregenpfeifer, der Amerikanische Goldregenpfeifer inzwischen Prarie-Goldregenpfeifer

Ich finde den neuen Namen vor allem der ersten Art nicht so prickelnd, brüten doch schließlich alle Goldregenpfeifer-Arten  und auch der Kiebitzregenpfeifer als vierte Art der Gattung Pluvialis nahezu ausschließlich in der Tundra, sodass sich die Bezeichnung nicht gerade auf etwas Spezifisches bezieht.

Dagegen gibt der Name Pazifischer Goldregenpfeifer sehr gut das wieder, was diesen Vogel eigentlich ausmacht, halten sich doch die meisten Individuen den größten Teil des Jahres und somit auch den größten Teil ihres Lebens vor allem im Pazifikraum auf, was man von den beiden anderen Goldregenpfeifern nicht behaupten kann. Éine weitere Bezeichnung für diesen hübschen Vogel, nämlich Sibirischer Goldregenpfeifer, passt aber auch sehr gut.

Die beiden kleinen Goldregenpfeifer-Arten galten übrigens lange Zeit als Unterarten eines Vogels, nämlich des Wanderregenpfeifers oder Kleinen Goldregenpfeifers. Das besaß Gültigkeit, bis man herausfand, dass beide Taxa in Alaska nebeneinander brüten, ohne sich zu vermischen. Das Problem ist, dass der Amerikanische Goldregenpfeifer auch heute noch gerne als Wanderregenpfeifer bezeichnet wird, doch auch hier hat man einen unglücklichen Namen gewählt, denn auf das Wandern hat dieser Vogel ganz bestimmt kein Exklusivrecht. 

Man hätte es in Sachen Namensgebung der Einfachheit halber auch gleich bei den verschiedenen Kontinenten belassen können: Europäischer, Asiatischer und Amerikanischer Goldregenpfeifer. 

Das würde auch passen wie Arsch auf Eimer, und Missverständnisse gäbe es dann keine mehr. 

Der Amerikanische Goldregenpfeifer ist übrigens bis heute nicht in Ostfriesland entdeckt worden. Zwei Meldungen auf Ornitho gibt es zwar, doch in einem Fall zeigen die hochgeladenen Bilder eindeutig einen Europäer, und im zweiten gibt es keine Belege. 

So, was fehlt jetzt noch?

Ich habe mir erlaubt, einen kleinen Fehler in diesen Beitrag einzubauen.

Habt ihr ihn bemerkt?

Nein?

Bei LIDL gibt es gar keine Türglocke, ihr kleinen Kohlschnaken!

 

1. Gätke, Heinrich (1900): Die Vogelwarte Helgoland. 2. Auflage. Joh. Heinr. Meyer, Braunschweig.  Reprint 1987. Verlag und Buchhandlung Maren Knauß (Helgoland).