wilde perspektiven

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Sonntag, 19. Januar 2020

Heidelerche (Teil 2)

Im Leben kommt es oft ganz anders, als man denkt.

Die Heidelerchen vom Rysumer Nacken haben sich nämlich klammheimlich aus dem Staub gemacht!

Klammheimlich?

Nein, nicht so ganz, denn sie sind gesehen worden.

Und zwar ganz woanders. Zumindest vielleicht.

Doch dazu später mehr.

Heute (19. Januar 2020) war ich auf dem Rysumer Nacken.

Ich sah wieder einmal die weißköpfigen Schwanzmeisen (gähn), drei Bergpieper, satte 24 Bekassinen, die auf einem umgepflügten Acker rasteten, ein Sommergoldhähnchen (wohl seit Dezember dasselbe Ind., gähn) sowie einige weitere Kandidaten. 

Und ich sah etwa 50 halbwüchsige Listspinnen:

many young Nursery Web Spiders were sunbathing today 

Im Januar hätte ich die gar nicht erwartet! Doch auf der windabgewandten Seite des "Christstollens" wimmelte es geradezu von diesen kleinen Biestern.

Als Listspinne kennt man weder Hüftgold noch Bauchspeck. Als Listspinne achtet man auf seinen Körper, denn der ist das Kapital. Als übergewichtige Listspinne hätte man wohl kaum mehr Erfolg bei der Jagd. Wahrscheinlich würden sich sogar all die kleinen Insekten, die als Beutetiere infrage kommen, lustig über einen machen.

Deshalb verbringen Listspinnen normalerweise den größten Teil des Tages im Fitnessstudio. Doch heute haben sie dem Anschein nach mal eine Ausnahme gemacht und sich einfach in die Januar-Sonne gehauen. Bei Temperaturen um sieben Grad durchaus nachvollziehbar. 

Unerfreuliches: 

hunters one more time put out tons of corn (in the meantime germinated, light green) to lure animals in front of their hide; they don't care for rare and threatened flowers like Centaurium littorale or Southern Marsh Orchid, that usually grow at this location

Wieder einmal haben Jäger auf den Rysumer Nacken Tonnen von Getreide ausgebracht!

Es ist einfach erschreckend, was diese Menschen immer wieder anrichten. Diese Menschen, die sich selbst in der Öffentlichkeit so gerne als die großen Naturkenner und einzigen staatlich geprüften Naturschützer ausgeben, tatsächlich aber überhaupt nicht an der Natur, sondern nur am Schießen auf lebende Zielscheiben interessiert sind.

Vielleicht nicht alle, aber eben auch nicht wenige.

Auf dieser Fläche blühen alljährlich u. a. Strand-Tausendgüldenkraut und Übersehenes Knabenkraut, zwei Arten also, die in Emden nur (noch) auf dem Rysumer Nacken vorkommen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: In der überdüngten Agrarsteppe können sie nicht mehr existieren. Und dann kommen die Jäger und entwerten die wenigen noch vorhandenen Flächen, indem sie ganze Anhängerladungen Getreide in die Landschaft kippen. Der hellgrüne Teppich ist das bereits gekeimte Korn.

Ein zweites Bild, das eine andere Ladung zeigt:




same problem

Ist das eigentlich erlaubt? 

Oder kümmert sich nur keiner darum?

An einer anderen Stelle auf dem Nacken hat man einen recht großen Wildacker angelegt, natürlich ebenfalls vor einem Hochsitz und auf einer wertvollen und interessanten Fläche. Sie wissen nicht, was sie tun. Und es ist ihnen wohl auch egal. Wenn ich mit dem Finger schnippen und die Hobbyjagd so für immer abschaffen könnte, ich würde es auf der Stelle tun.

Weil ich mich aber jetzt nicht zu sehr aufregen möchte, komme ich zum eigentlichen Thema dieses Beitrages:

cute Woodlark – likely last Friday the flock at Rysumer Nacken (see last report) left the wintering area at least four weeks earlier than I expected. A migrating flock of same size has yesterday been reported from a location 100 kilometres east of Rysumer Nacken. Maybe these two flocks were identical

Am letzten Donnerstag (16. Januar 2020) sah ich die Heidelerchen auf dem Rysumer Nacken zum letzten Mal. Hätte ich gewusst oder auch nur geahnt, dass ihre Abreise unmittelbar bevorsteht, wäre ich länger geblieben, um mich gebührend von ihnen zu verabschieden. 

Am Freitag hatte ich keine Zeit, und am Samstag, also gestern, guckte ich sprichwörtlich in die Röhre. Denn trotz intensiver Suche konnte ich keine Heidelerche finden. Heute sah es nicht besser aus. Zunächst glaubte ich, die Vögel könnten weiter nach Südwesten ausgewichen sein, doch dafür gab es eigentlich keinen Grund, ist es hier doch vom Wetter her nach wie vor eher frühlingshaft. 

Ich lief also wieder einmal kreuz und quer über den Acker, um absolut sichergehen zu können. Und dann plötzlich hörte ich doch noch den so angenehmen Heidelerchen-Ruf. Oh, sie sind noch da, dachte ich erleichtert, aber es war nur ein einsamer Durchzügler, der aus Westen kam und nach Osten davonflog und das ganz gemütlich, wie es der Natur der Heidelerche entspricht. Mir ging ein Licht auf: Vielleicht hat der Heimzug schon begonnen, so dachte ich. Das wäre zwar eher früh, aber bei diesen Temperaturen nicht auszuschließen. 

Zu Hause gab ich meine Beobachtungen bei Ornitho ein. Und im Falle der Heidelerche klickte ich auch das Kartensymbol an (ganz lieben Dank an Ornitho, namentlich Christopher König, für die Genehmigung, die Karte in meinem Blog zeigen zu dürfen):


map shows observations of Woodlark in Germany the last 15 days (source: Ornitho.de)

Weil ich das in den letzten Wochen fast immer so gemacht habe, außer gestern, fiel mir sofort eine neue Heidelerchen-Feststellung auf. 

Und zwar östlich vom Jadebusen, etwa 100 Kilometer vom Rysumer Nacken entdernt. Über die so genannte Datenbank-Abfrage erfuhr ich Genaueres: Jörn Wildberger (Bremen) sah am Samstag (18. Januar 2020) bei Driftsethe (Landkreis Cuxhaven) unglaubliche 15 Heidelerchen laut rufend nach Osten ziehen und fragt sogar im Bemerkungsfeld gezielt nach: "Vögel vom Rysumer Nacken?" Er muss gesehen haben, dass ich auf dem Maisacker an diesem Tag leer ausgegangen war, was ich so auch in die Datenbank eingegeben hatte. 

Die Größe des Trupps passt, ebenso wie die Wegzugrichtung und der zeitliche Ablauf. Schon im letzten Bericht hatte ich geschrieben, dass ich nicht an Zufälle glaube. So furchtbar viele 15-köpfige Heidelerchen-Trupps dürften jetzt nicht im Norden unterwegs sein. Die wenigen Markierungen auf der Karte sind ein Indiz dafür. Deshalb halte ich es zumindest für recht wahrscheinlich, dass es sich bei den Heidelerchen von Driftsethe um die vom Rysumer Nacken gehandelt hat!

Aber noch einmal: Man kann es leider nicht belegen!

An dieser Stelle möchte ich auch wieder mal den Gewinn hervorheben, den uns Ornitho beschert. Früher hatte man gar nicht die Möglichkeit, seine Beobachtungen einzuordnen. Heute ist es ein Kinderspiel – oder einfach nur ein Mausklick.

Derselbe Vogel wie oben: 




same

Das ist schon spannend!

Bedeutet aber auch, dass ich mir weitere Bilder von den Heidelerchen, wie ich sie mir erhofft hatte, abschminken kann. Die beiden hier gezeigten Fotos stammen noch vom einzigen Shooting am 30. Dezember 2019. Danach hat es nicht mehr geklappt.

Nur noch dieses eine Bild habe ich hinbekommen:


five Woodlarks on a mays field, blurry image taken by my game camera

Falsch, nicht ich habe das Foto hinbekommen, sondern meine Wildkamera.

Eine ganze Woche stand sie auf dem Acker, am Ende hat es nur für diese eine Aufnahme gereicht.

Jetzt sind sie also weg, die süßen Heidelerchen. Zunächst war ich enttäuscht, weil ich mir noch so viel vorgenommen und mit wenigstens noch einer zweiten Chnace gerechnet  hatte, doch jetzt sehe ich die Flasche eher halbvoll. Und im Prinzip ist es doch auch schon die zweite Chance gewesen. Man darf schließlich nicht vergessen, dass ich im letzten Winter gar keine richtigen Bilder von den Vögeln hinbekommen hatte. Da kann ich doch jetzt schon deutlich mehr in die Waagschale schmeißen. Und vielleicht kehren sie ja im kommenden Dezember wieder zurück auf den Rysumer Nacken.

Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen. 

Schnell noch ein Bild von meinem Tarnzelt in Aktion (mit dem "Christstollen" im Hintergrund, wo ich heute die Listspinnen geknipst habe):


my hide

Und zwei von einem Bergpieper aus der Konserve:

Water Pipit, taken from the archives and in December 2016, when winter was still a winter

same bird

Ja, Kinners, so kann der Winter auch, wenn er sich bemüht.

Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Tag im Dezember 2016. Während ich etwa drei Stunden auf meiner Isomatte neben einem Entwässerungsgraben lag, kam ich mir vor wie in einem Eisschrank. Eingeschlossen und vergessen. Je länger ich still ausharren musste, desto schlimmer wurde es. Aber der Bergpieper hielt sich die ganze Zeit über vor meinem Versteck auf. Da konnte ich doch nicht einfach meine Tarnung auffliegen lassen und den armen Vogel aufscheuchen. 

Für so einen Winter wird es jetzt aber wohl nicht mehr reichen, obwohl es in der Regel der Februar ist, der in der Vergangenheit seine Muskeln hat spielen lassen und so weiter. Mal abwarten, was da noch so kommt.

Abschließend gibt es ein Foto, das man mit etwas Humor als einen letzten Gruß der Heidelerchen betrachten könnte:


Woodlark did this

So sieht das aus.