Freitag, 1. April 2022

Ein Haufen Steine (Teil 4)

Kinners, kennt ihr die Blaumerle?

Egal.

Früher, als ich noch ein Kind war, fuhren wir, meine Eltern und Geschwister sowie meine Wenigkeit, mehrere Male im Jahr ins Emsland. 

Meine Großeltern lebten dort. 

Von Hollage, wo ich aufgewachsen bin, bis nach Wesuwe waren und sind es auch heute noch etwa 75 Kilometer. 

Ein Weg.

Meist kamen wir am frühen Nachmittag dort an (Kaffeezeit!) und begaben uns erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder auf den Rückweg. "Mama, wann sind wir endlich da?" habe ich wahrscheinlich im Minutentakt gefragt.

Fand so ein Besuch an einem heißen Sommertag statt, führte uns der Rückweg durch eine laue Sommernacht. Das Resultat einer solchen Tagesreise konnte man dann am nächsten Morgen sehen, wenn man sich die Scheinwerfer sowie den Kühlergrill unseres Opel Rekord genauer ansah: Massenhaft klebten da Insekten auf der gesamten Front! 

Der Mensch wäre nicht der Mensch, wenn er nicht Abhilfe leisten würde. Und so erfand er geschwind den so genannten Insektenlöser, der tote Insekten von Oberflächen lösen konnte, auf denen sie nichts zu suchen hatten, auch wenn sie nicht freiwillig dort gelandet waren. 

Längst haben wir das Problem auch ohne Insektenlöser doppelt und dreifach gelöst – man könnte auch von einem Overkill sprechen –, indem wir den Insekten (und anderen Tieren und Pflanzen!) im sprichwörtlichen Sinne einfach das Wasser abgegraben und sie sowohl hinsichtlich Biomasse als auch Diversität auf ein Minimum reduziert haben. 

Seht doch:


Rock Pipit

Noch nie habe ich auf Corsileins Scheinwerfern ein Insekt kleben sehen!

Und das war auch bei all seinen Vorgängern nicht anders. Trotzdem gibt es auch heute noch Insektenlöser zu kaufen, das habe ich mal so eben recherchiert. Es rennen wohl vor allem jene Zeitgenossen auf der Stelle in den Baumarkt, die beim Anblick nur einer einzelnen zerditschten Mücke auf nur einem Scheinwerfer eine Panikattacke bekommen. Dieselben Menschen verbringen bestimmt einen beträchtlichen Teil ihres Lebens in der Waschstraße – freilich ohne dort angestellt zu sein.

Ich hingegen erinnere mich mit Wehmut an meine Kindheit zurück. 

An die vielen Falter, die nachts um die Laternen schwirrten und, wenn sie Pech hatten, dort von einer jagenden Zwergfledermaus oder einer geduldig lauerrnden Gartenkreuzspinne erbeutet wurden. Man hat das bunte Treiben damals kaum beachtet, nicht wirkllich wertgeschätzt, weil man es für selbstverständlich hielt und nicht ansatzweise erahnen konnte, dass es mal ganz anders kommen würde. 

Das war in den Siebzigern und Achtzigern des letzten Jahrhunderts. Heute leuchten die Laternen einsam vor sich hin. Nichts regt sich mehr um sie herum, niemand wird mehr von ihnen angelockt. Ihr könnt das im kommenden Sommer selbst überprüfen, falls ihr mir nicht glaubt.

Ein Haufen Steine:


another

Die Geschichte von den Strandpiepern auf dem Manslagter Nacken ist keineswegs zu Ende erzählt. Heute erwarten euch weitere 83 Bilder, die freilich nicht nur Strandpieper zeigen.

Doch wie hat das Ganze eigentlich angefangen?

Im letzten Winter, also nicht im jetzt gerade ausgeklungenen, sah ich ganz zufällig zum ersten Mal einen farbig beringten Strandpieper am Deich bei Manslagt: E04 (das ist der Code auf dem Ring). Dieser Vogel stammte aus Norwegen und war bereits 2017 von einem anderen Beobachter bei Manslagt abgelesen worden. Zu meiner großen Freude sah ich ihn auch in diesem Winter wieder am selben Ort und in alter Frische. 

Man kann hier von einer Überwinterungsortstreue schreiben.

Eigentlich mustere ich die Kleinvögel aber vor allem deshalb durch, um nach selteneren Arten zu fahnden. Seltenere Arten verstecken sich nämlich gerne zwischen häufigen Arten. Und mit selteneren Arten meine ich alles ab Spornpieper. Spornammern findet man immer mal wieder, auch Bergpieper, aber ein kooperativer Spornpieper wäre ein echter Traum! Über den würde ich mich viel mehr freuen als z. B. über einen Steppenpieper, obwohl letzterer viel seltener in Deutschland erscheint als der größere Verwandte. 

Und ich habe ja auch schon zwei Spornpieper zwischen Strandpiepern entdeckt, kooperativ waren die allerdings nicht einmal ein bisschen.

Na ja, und dann wäre da noch der Pazifikpieper, den ich zuletzt 2005 in Kalifornien gesehen habe.

Noch abgedrehtere Arten möchte ich hier jetzt aber nicht erwähnen.

Dass so ganz nebenbei Ringe abgelesen werden können, ist natürlich auch keine schlechte Sache. Und in diesem Winter hat es diesbezüglich auch für Überraschungen gereicht: Ich konnte gleich zwei finnische Vögel finden!

Einen dieser Finnen hatte ich bereits früher hier vorgestellt, der zweite sah so aus:



this bird had been ringed at Itätoukki, a small island off Helsinki. The Finnish ringing project startet in 2020 and only 150 birds have been banded since. Nevertheless there have already been seven recoveries from abroad (UK 1, Denmark 1, Poland 2, and Germany 3)

Entdeckt hatte ich diesen Strandpieper an meinem Strandpieper-Futterplatz in den Salzwiesen bei Manslagt am 13. März. 

Er blieb dort drei Tage lang.

Das Farbberingungsprojekt in Finnland ist erst im Jahr 2020 gestartet worden, und bis heute hat man gerade mal 150 Individuen markiert. Umso erstaunlicher sind die sieben Wiederfunde aus dem Ausland. Je ein Vogel ist in Großbritannien und Dänemark abgelesen worden, zwei in Polen und drei in Deutschland, wovon wiederum zwei von mir stammen und ein weiterer aus Rostock. 

Der Hauptgrund für dieses Projekt: Man möchte etwas über die Streuung der Jungvögel innerhalb Finnlands und im Anschluss an die Brutzeit in Erfahrung bringen. Doch natürlich seien Auslandsfunde sehr willkommen, wie mir der Beringer schrieb. Zuvor hatte man in Finnland nur Metallringe eingesetzt, doch auch aus dieser Zeit liegt mindestens ein sehr interessanter Fund vor: Ein Vogel hat es bis nach Frankreich geschafft – und zwar bis zur Mittelmeerküste!

Es folgt ein Strandpieper aus Norwegen:



this female (sex confirmed by ringer) had been ringed at Maletangen (Norway) on 17 September 2021. In Norway they have ringed more than 3000 Rock Pipits in 2021 alone! Only ten different birds I could identify this winter

In Norwegen hat man allein im Jahr 2021 sage und schreibe 3000 Strandpieper farbig beringt!

Da sind die zehn Vögel, die ich hier im Winterquartier ablesen konnte, rein gar nichts. Vor allem, wenn man diese miserable Quote mit der finnischen vergleicht. Denn es sind ja nicht nur die 3000 Vögel aus dem Jahr 2021, die in der Weltgeschichte herumfliegen, in den Jahren zuvor wird man in Norwegen auch nicht untätig gewesen sein.

Egal, ich bin zufrieden, und es sind ja auch jetzt noch einige Strandpieper anwesend in den Salzwiesen bei Manslagt.  




another Rock Pipit

Kleiner Tipp: Achtet bitte mal darauf, wie variabel Strandpieper aussehen können. Das gilt keineswegs nur für Vögel im Prachtkleid, auch wenn es heute nur Bilder von prächtigen Individuen geben wird. 

Im letzten Bericht hatte ich euch King vorgestellt. Und heute möchte ich euch seine Nachfolger präsentieren. 

King II sah so aus:


a male

Dieser Vogel blieb vier Tage beim Steinhaufen, auf dessen Gipfel er meist thronte.

Insgesamt war er ein durchschnittlicher, eher moderater King, der zwar alle Strandpieper vertrieb, dafür aber die Wiesenpieper gewähren ließ.  

Seine Zeit vertrieb er sich wie King I mit ausdauerndem Gesang:



same

In Pipits and Wagtails von Per Alström, Krister Mild und Bill Zetterström steht zwar geschrieben, dass sich die Geschlechter beim Strandpieper nicht anhand von Gefiedermerkmalen trennen lassen, doch an meinem Futterplatz waren alle sehr prächtig gefärbten Individuen eindeutig Kerle, eben weil sie pausenlos sangen. 

Natürlich gab es hier in Ostfriesland nur Subsong zu hören, denn Vollgesang lassen Strandpieper nur im Brutgebiet erklingen, dann auch im Singflug. Leider besitze ich kein Diktiergerät oder Vergleichbares, denn ich wette, es gibt auf Xeno-canto bis heute keine Aufnahme vom Strandpieper-Gesang aus dem Winterquartier. 

Ich könnte das ändern.  

Hübsch!



still

Ich kenne jedenfalls keine Pieper- oder Stelzenart, bei der auch die Weibchen singen.


same

Wenn sich ein König auf den Weg nach Norwegen macht – ich gehe mal davon aus, dass das Gros der Krummhörner Strandpieper aus Norwegen stammt –, dann entsteht am Steinhaufen ein Machtvakuum.  

Man braucht sich aber keine Sorgen zu machen; ganz schnell ist Ersatz da.

Und der Ersatz für King II war King III:



next male

King III war ein Choleriker, wie er im Buche steht!

Immer in Rage, von morgens bis abends. 

Er vertrieb alles vom Steinhaufen, was auch nur ein bisschen wie ein Vogel aussah, es sei denn, der Feind war größer als er selbst. Gegen eine Bachstelze konnte er nichts ausrichten, doch die ganzen Wiesenpieper und Artgenossen sahen immer wie gescheuchte Rehe aus.

Ich sehe alles:


same

Seinem strengen Blick entging wirklich nichts.

Und sein kleines Vogelherz schlug wahrscheinlich immer so furchtbar schnell, dass der Puls permanent ein fadenförmiger war. 

Und manchmal hatte ich den Eindruck, dass sich das Rosa auf der Brust dieses Strandpiepers intensiviere, hin zu einem kräftigen Violett, wie es sonst nur die Trikots des ruhmreichen VfL Osnabrück ziert. Und dann waren da noch die Rufe, die dieser Vogel ständig von sich gab. Drohrufe. Doch eigentlich bewirkten sie genau das Gegenteil. Statt die Gegenspieler auf Abstand zu halten, lockten sie aus den umliegenden Salzwiesen noch weitere neugierige Strandpieper an, sodass am Ende alles nur noch schlimmer wurde.

Ein verfickter Teufelskreis!

Viel hätte wohl in so manch stressiger Situation nicht mehr gefehlt, und die Brust des Vogels hätte zu blinken begonnen.

Defkon 12!

Falls es doch mal eine kleine Ruhepause gab, eilte King III ganz flink zu den Mehlwürmern, schlang hastig einige hinunter, um dann noch einen weiteren zu schnappen und mit ihm gemeinsam den Gipfel zu ersteigen.

So stand er dann immer eine ganze Weile da:


proudly presents his prey

Am Posen.

Dort oben präsentierte er seine fette Beute aber wohl nur deshalb, weil er seine Kontrahenten provozieren wollte.

Und die stiegen natürlich gleich voll drauf ein, sodas das ganze Spiel wieder von vorne beginnen konnte. Ich saß in meinem Tarnzelt und musste oft schmunzeln. Langeweile kam jedenfalls nie auf. 

Immer wieder musste ich auch hier an meine Kindheit denken. Da war diese Stimme aus dem Off: "Heiner hat Geburtstag. Seine Mutter hat einen großen Geburtstagskuchen gebacken. Die anderen Kinder essen auch gerne Kuchen, besonders gerne Geburtstagskuchen, aber Heiner gibt ihnen kein Stück ab. Kein einziges. So einer ist Heiner!"  

Aus der Sesamstraße.

Von oben sah King III übrigens so aus:




same bird, different angle

Nach satten fünf Tagen war der Spuk vorbei.

Doch an Ersatz mangelte es auch jetzt nicht.

 

Was gab es sonst noch zu sehen im März?

Die ersten Ölkäfer tauchten Mitte des Monats am Fuße des Deiches auf und krabbelten träge die Straße entlang. Nahezu gleichzeitig begegnete ich dem ersten Seefrosch der Saison an den Manslagter Teichen. Nur ein paar Tage später riefen auch schon die ersten Individuen mit angezogener Handbremse bei sonnigem, aber bitterkaltem Wetter, während in einem nahen Graben noch die Grasfrösche balzten und laichten.  

Bei den Manslagter Teichen entdeckte ich auch meinen ersten Eisvogel in diesem Jahr:



my first Kingfisher this year! This species is currently a true rarity, since we had a very cold period in February 2021, when any kind of water body had been frozen for at least ten days. As the result almost the whole Kingfisher population was destroyed by a lack of accessable food

Seit der extremen Kältephase im Februar 2021 hat sich der Bestand offensichtlich noch nicht wirklich erholt!

Der Heimzug des Dunklen Wasserläufers hat nun wirklich eingesetzt. Inzwischen sehe ich die Art täglich, wenn auch nach wie vor in sehr kleiner Zahl.

Jetzt gibt es ein Bild von diesem Vogel aus dem Jahr 2012, dass ich seinerzeit im Wybelsumer Polder geschossen habe:


Spotted Redshank, taken from the archives

Heute wären solche Bilder gar nicht mehr möglich in diesem Gebiet, weil das böse Schilf nahezu alle Flächen zugewuchert hat.

Am 24. März scheuchte ich versehentlich einen Trupp Ohrenlerchen auf:


Horned Lark on a field

Und zwischen diesen Ohrenlerchen befanden sich vier Spornammern.

Doch während die Lerchen nach einigen Flugrunden wieder an Ort und Stelle runtergingen, schlugen die blöden Spornammern plötzlich eine ganz andere Richtung ein und verschwanden irgendwo hinterm Deich. 

Ich habe erst gar nicht versucht, sie dort wiederzufinden, diese Mistviecher.

Das Bild zeigt sehr schön, warum man beide Art oft erst dann bemerkt, wenn sie vor einem hochgehen.

Am 13. März fand ich eine weibliche Gebirgsstelze in der Kleientnahmestelle bei Manslagt:


Grey Wagtail is not too common in spring

Im Frühjahr sieht man diese fast ausschließlich an Fließgewässern lebende Art eher selten in der Krummhörn, während sie hier im Herbst, vor allem im Oktober, täglich beobachtet werden kann, allerdings fast immer nur durchziehend.  

Nur auf dem Rysumer Nacken habe ich die Gebirgsstelze im Herbst des Öfteren am Boden gesehen, meist auf der steinernen Uferbefestigung beim Restaurant Strandlust, doch nur ein Spaziergänger reicht in der Regel aus, um sie auf der Stelle weiterziehen zu lassen. 

Meine erste Trauerbachstelze des Jahres, ein Männchen, sah ich am selben Ort, aber am 24. März:


my first Pied Wagtail this year was a male

Die beste Zeit für diese britische Unterart unserer häufigen Bachstelze sind hierzulande die Monate März und April. 

Der gezeigte Vogel war sehr weit weg und darüber hinaus auch noch verfickt scheu. Mehr ging da einfach nicht. 

Ein ebenfalls trauriger Schwan hatte sich mir nur einen Tag zuvor und ganz in der Nähe im Watt gezeigt:



this 2. year Black Swan was likely a wild one from Australia ;-)

Ich verrate es jetzt nicht, aber dieser Trauerschwan trug einen australischen Farbring am rechten oder linken Fuß. 

Und weil er sich im 2. Kalenderjahr befand (schwarze Spitzen der Arm- und Handschwingen), muss er sich ganz schön beeilt haben auf seinem langen Weg von Down Under nach Ostfriesland. Es bringt aber jetzt nichts mehr, ihn zu twitchen, denn kaum hatte ich meine Belegaufnahmen im Kasten, da nahm der Vogel auch schon Anlauf und hob ab. 

Servus!

Niedliche Berghänflinge sangen am 21. März gemeinsam hoch oben im Kronenbereich einer Silberweide:



Twite

Und jetzt gibt es einen Rückblick:


this Black-headed Gull had been ringed near Oslo as an adult bird on 7 April 2013. I spotted him on 18 October 2017 in Norddeich. And he is still alive and has recently been seen on 31 January 2022 near Den Haag. Since this gull has been ringed he or she (never it!) has always wintered in Holland and bred in Norway. Only once this specimen has been seen in Germany!

Diese Lachmöwe wurde als Altvogel am 7. April 2013 nahe Oslo beringt. 

Seit ihrer Beringung pendelt sie zwischen den Niederlanden, wo sie überwintert, und Norwegen, wo sie brütet, hin und her. Nur ein einziges Mal ist dieser Vogel in einem anderen Land beobachtet worden.

Und zwar in Deutschland und hier wiederum in Norddeich und das wiederum von mir:


same

Falls ihr mal das Vergnügen haben solltet, J4JY zu begegnen, dann holt schnell das Toastbrot aus dem Rucksack. 

Dieser Vogel ist eh schon sehr vertrauensselig Menschen gegenüber, für frisches Toastbrot aber lässt er alles stehen und liegen! Die vielen Bilder von ihm auf Ringmerking.no sprechen eine deutliche Sprache.

Wieder einmal zogen Nonnengänse noch vor Sonnenaufgang an meinem Versteck vorüber:


Barnacle Goose before sunrise

Nach Sonnenaufgang ging es weiter:










same species, but after sunrise

Mit meinem Steinhaufen unscharf im Vordergrund:


same

Und dieser Strandpieper verfolgte einen überhinfliegenden Gänsetrupp mit seinem Blick:


Rock Pipit watching a flock of Barnacle Goose

Ohne Farbe:


another

Ein weiterer (King III):


new bird

Und jetzt noch ein auf einem Bein stehendes Individuum:


next

Und drei zusammen auf dem Haufen:

three

Strandpieper lieben Steinhaufen.

Sie klettern gerne und untersuchen wirklich jeden noch so kleinen Hohlraum. Darin ähneln sie sehr dem Steinschmätzer, der sich vor allem auf dem Heimzug immer genauso verhält. Bisweilen verschwinden sie auf der einen Seite im Haufen und tauchen nach einer ganzen Weile auf der anderen wieder auf. 

Der Wiesenpieper macht so etwas nie. 

Der deutsche Name ist meiner Meinung nach unpassend, denn am Strand sieht man diesen Vogel eher selten. Er bevorzugt schlickigen, vor allem aber steinigen Grund, falls dieser vorhanden ist. Felsenpieper wäre also eine deutlich bessere Bezeichnung für diese Art, zumal der Strandpieper auch im Brutgebiet an Felsküsten gebunden ist.

Auf Helgoland sieht man den Strandpieper natürlich schon sehr oft am Strand. Das besitzt aber überhaupt keine Aussagekraft, denn auf dieser Insel kann man gleich eine ganze Reihe verschiedener Vogelarten am Strand beobachten, die so einen Lebensraum auf dem Festland ganz sicher meiden würden, so von Buchfink über Rotdrossel bis hin zum Bruchwasserläufer.  

Das Bild da oben ist übrigens etwas ganz Besonderes, denn so einträchtig sieht man die Vögel nur selten nebeneinander auf dem Steinhaufen stehen. Das liegt aber nur an den Mehlwürmern. Gäbe es sie nicht, wären die Vögel im Umgang miteinander viel sympathischer.

Das folgende Bild, das meinen Steinhaufen an der Wasserkante zeigt, ist mein etwas hilfloser Versuch, mich mit den armen Menschen in der Ukraine zu solidarisieren: 



a symbol for the Ukrainian flag

Den goldgelben Weizen habe ich durch die Salzwiese ersetzt, das Blau des Himmels durch das Blau des Watts, in dem sich aber der blaue Himmel widerspiegelt. 

Es sind die Farben der ukrainischen Flagge.  

Die Menschen dort erleben seit fünf Wochen Schlimmstes, die Bilder von den zerbombten Städten sind kaum mehr zu ertragen. Und das alles ohne einen ersichtlichen Grund und nur einen Steinwurf von uns entfernt. Ich glaube nicht daran, dass es die NATO-Osterweiterung gewesen ist, die Putin zu diesem Schritt bewogen hat. Noch lächerlicher ist natürlich die angeblich so notwendige Entnazifizierung eines Landes, in dem es kaum mehr Nazis geben dürfte als in Russland oder bei uns. 

Möglicherweise ist es einfach nur so, dass Putin die Ukraine als einen souveränen Staat nicht akzeptieren will und sie sich einverleiben möchte. Donbass und die Annektion der Krim waren nur Testläufe. Und weil der Westen sich nicht rührte, sogar weiter mit Moskau kuschelte, brauchte Putin auch jetzt nichts zu befürchten. Dass sich aber ausgerechnet die vermeintlich so schwachen Ukrainer mit Vehemenz gegen diese Barbarei wehren würden, damit konnte Herr Putin nicht rechnen.

Das ist meine persönliche Meinung. Es steht euch zu, eine andere zu haben.

In diesem Land ist das erlaubt.



Rock Pipit

Am Steinhaufen geht es bisweilen auch sehr ruppig zu.

Doch weder werfen Vögel Bomben, noch sind sie niederträchtig oder berechnend. 

Sie sind einfach die besseren Menschen:


another one

Hier in der Krummhörn, also im Winterquartier, nutzt der Strandpieper vor allem die Salzwiesen für die Nahrungssuche.

Und hier wiederum laufen die Vögel gerne solche Priele entlang:


Rock Pipit habitat within the salt meadow

Eine besondere Vorliebe haben sie aber auch für Steinernes wie das Deckwerk oder die Buhnen. Da werden die kleinen Füßchen auch nicht so schmutzig.

Doch sie fliegen auch über den Deich und besuchen auf der anderen Seite eine Kleientnahmestelle und manchmal auch einen Graben. 

Noch nie aber habe ich einen Strandpieper weiter als einen Kilometer landweinwärts beobachten können. Vielleicht stimmt da schon der Salzgehalt der Luft nicht mehr. An solchen Orten ist dann der Vetter zu finden, der Bergpieper, der im Gegensatz zum Strandpieper eine mittelschwere Salzallergie zu haben scheint.

Doch ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Man kann, ich habe das hier schon oft geschrieben, beide Arten nebeneinander bei der Nahrungssuche beobachten, sowohl auf der einen, als auch auf der anderen Seite des Deiches. Vor allem nach Stürmen und starken Regenfällen, wenn sich am Deichfuß zahllose Pfützen bilden, zieht es den Bergpieper auch schon mal auf die Seeseite.

Trotzdem stimmt es natürlich, was man in Pipits and Wagtails nachlesen kann, nämlich dass eine Habitattrennung beider Arten nahezu vollendet ist. Im Brutgebiet sowieso, aber eben auch im Winterquartier. Und hier sind es vor allem die Mündungen großer Flüsse, wo sich  die Ansprüche von Berg- und Strandpieper überschneiden, eben weil hier Salz- und Süßwasser aufeinandertreffen. 

Ein Bergpieper im hübschen Prachtkleid zeigte sich zusammen mit zwei Kollegen am 19. März in der Kleipütte bei Manslagt:


Water Pipit in breeding plumage

Im Prachtkleid werde ich diese Art hier in Ostfriesland wohl nie wirklich schön fotografieren.

Dafür ist der Bergpieper einfach zu unstet und im Vergleich mit seinem Cousin auch zu selten. 

Oh, ein Wiesenpieper:



cute Meadow Pipit

Seit Anfang März füttere ich am Steinhaufen.

Die ein oder andere LKW-Ladung Mehlwürmer ist dort bereits in die Landschaft gekippt worden. In der ersten Woche hat sich am Steinhaufen immer nur ein einzelner Wiesenpieper blicken lassen. Erkennen konnte man ihn auf der Stelle an einer leicht eingeknickten Steuerfeder. 

Inzwischen hat es sich auch unter den ortsansässigen Wiesenpiepern herumgesprochen, dass es am Steinhaufen was umsonst gibt. Maximal sah ich sechs Individuen gleichzeitig vor meinem Tarnzelt herumlaufen und -fliegen. Und je mehr es geworden sind, desto hektischer ging es zu. Einer gönnt dem anderen den Mehlwurm nicht, obwohl doch genug für alle da sind. 

Vögel halt.



another


?


same

Der Wiesenpieper ist wirklich eine hübsche Erscheinung!

Ich mag sein kontrastreiches Gefieder, ober- wie unterseits. Das große Auge, der helle Ring drum herum sowie der fehlende dunkle Zügel verleihen diesem Vogel einen sympathischen und freundlichen Gesichtsausdruck.  

Aus der Ferne wirkt der Wiesenpieper nicht gerade spektakulär, doch wenn er nur drei Meter entfernt vor mir auf einem Stein steht und sich vielleicht sogar noch putzt, dann wird mein Herz ganz schnell ganz weich:



feather care is so important

Ey, was glotzt du?


same



same

In seinem Lebensraum, der Salzwiese:


another one



same

Was für eine ansprechende und würdevolle Körperhaltung, nicht wahr?

Ein letztes Bild vom Wiesenpieper für heute:


Nein, jetzt:


Zurück zum Strandpieper:


next Rock Pipit

Das ist King IV!


same

Dieser Vogel war ein eher ruhiger Zeitgenosse. 

Zwar attackierte auch er jeden Artgenossen, doch meist ließ er es bei einem einzelnen Angriff bewenden. Die Hartnäckigkeit von King III ging ihm völlig ab.

Trotzdem handelte es sich hier um eine echte Erscheinung:


same

Vielleicht war es die körperliche Präsenz dieses Männchens, die alle Kontrahenten einschüchterte und zumindest drei Tage lang im Zaum hielt:


same

King IV war ein echter Stiernacken, ein Silberrücken, ein gestandener Strandpieper-Bulle, wie man ihn nur sehr selten zu Gesicht bekommt:


same

Wie ein Fels stand er da im morgendlichen Wind, fast wie ein weiterer Stein im Steinhaufen:


same

Am vierten Tag war dann aber Schicht im Schacht.

Und ich war live dabei!

King IV wollte eine mutmaßliche Strandpieperin vertreiben, doch die blieb stumpf stehen und öffnete drohend ihren Schnabel. Ich weiß nicht, warum, aber dieses Verhalten bedeutete schon den Sieg.

Was für eine Lusche, so dachte ich.

Zum ersten Mal, seit ich mein kleines Projekt an der Wasserkante bei Pilsum gestartet hatte, konnte sich eine Frau durchsetzen.

Täterätä, Queen I:


next (female)

Zuvor hatte ich mich schon so oft gefragt, warum all die Vögel so schnell nachgeben.

Ich meine, nur weil da ein anderer Strandpieper angeflogen kommt und drohend ruft, muss man sich doch nicht gleich in die Hose machen. Alle Individuen sind mehr oder weniger gleich groß. Und sehr wahrscheinlich auch gleich stark.  

Einfach mal Paroli laufen lassen, nein, Paroli bieten, die Stirn und so weiter, das kann doch nicht so schwer sein, dachte ich.

Und jetzt hat sich ausgerechnet eine Frau getraut, eine echte Amazone:


same

Queen I fiel vor allem wegen ihrer gelbstichigen Unterseite auf. 

Satte vier Tage hielt sie das Zepter sicher in der Hand und regierte auch so, dass erst gar keine Zweifel an ihrer Macht aufkommen konnten.

Von hinten:


same

Doch wie in fast allen anderen Fällen war sie eines Morgens nicht mehr da, wahrscheinlich im Laufe der Nacht abgezogen, vielleicht auch schon am späten Abend.

Nach Queen I habe ich kaum mehr fotografiert. Die folgenden Bilder zeigen also andere Individuen, die von mir keinen Namen oder Titel verliehen bekommen haben. 

Ey, was guckst du (Teil 2):


different bird

All diese Vögel dürften längst in ihrer nordischen Heimat angekommen sein.

Auch dieser Strandpieper befand sich darunter:


specimen with a Water Pipit like pale rosy breast, but note dark and almost patternless grey head and bold streaking on breast and flanks

Wenn ich mal geschrieben haben sollte, dass das Rosa beim Strandpieper immer deutlich dunkler sei als beim Bergpieper, dann muss das nicht stimmen. 

Dieser Vogel fiel mir im Feld sofort auf wegen seiner sehr hellen Brust. Trotzdem war sofort klar, dass es sich auch hier nur um einen Strandpieper handeln konnte, erkennbar zum Beispiel am dunkelgrauen und fast zeichnungslosen Kopf sowie an der kräftigen Strichelung von Brust und ganz besonders der Flanke. 

Ich schrieb es bereits, der Strandpieper ist sehr variabel, auch wenn er beim beiläufigen Beobachten immer nur undefinierbar düster und vielleicht sogar etwas schmutzig wirkt!

Und genau das illustrieren all die Bilder in diesem wieder einmal so unglaublich spektakulären und einzigartigen Beitrag:



likely a female

Es folgen vier Bilder von einem Männchen, das es trotz seiner Pracht nie bis ins höchste Steinhaufen-Amt geschafft hat:





the last four images show the same male

Am 22. März saß ich abends in meinem Tarnzelt und fotografierte eine mutmaßliche Strandpieperin im Gegenlicht:


what's up?

Plötzlich rannte dieser Vogel aufgeregt umher und machte einen langen Hals, um sich schließlich in eine Nische zu drücken und dort regungslos zu verharren:



"freezing", a Sparrowhawk suddenly came along!

Gleichzeitig warnten in meinem Rücken wahrscheinlich alle Wiesenpieper dieser Welt.

So hörte es sich zumindest an. Ich blickte durch ein rückwärtiges Fenster und sah die kleinen Vögel wie Helikopter in der Luft stehen. Jetzt war es auch keine Kunst mehr, die Ursache für den ganzen Trubel zu finden. Es war ein männlicher Sperber, der nur wenige Meter von mir entfernt auf dem Boden stand. 

Ganze drei Minuten rührte sich der Strandpieper nicht. Dann, der Sperber war längst abgeflogen, kam er aus seinem Versteck hervor und stellte sich aufrecht vor meine Kamera:



then the same bird stood there completely motionless and stared at me for more minutes, although the Sparrowhawk had already flown away

Nur um sich abermals drei bis vier Minuten nicht ein bisschen zu rühren. 

Ich will ehrlich sein, ich musste ein wenig am Stoff meines Tarnzeltes rütteln, um ihn endlich wieder ins Leben zurückzuholen. Er eilte schnurstraks den Steinhaufen hinab und aß einige Mehlwürmer. Die waren die Belohnung für den Schrecken, den man dem Vogel noch eine ganze Weile ansehen konnte.

Zumindest bildete ich mir das ein.  

Die Eingangsfrage lautete: Kennt ihr die Blaumerle? 



looks like a Blue Rock Thrush

Dieser Schatten stammt von ihr – natürlich nicht.

Wenn der Einfallswinkel des Sonnenlichts nicht der richtige ist und die "Projektionsfläche" keine Ebene, dann kann der Umriss eines Vogelkörpers auch schon mal komplett verzerrt wiedergegeben werden. 

Der Stein macht an einer entscheidenden Stelle einen "Knick", wodurch der Vorderkörper des Vogels in die Länge gezogen wird und somit eben auch dessen Schnabel. 

Ohne "Knick" im Stein sieht jedenfalls alles ganz normal aus:


mystery bird is nothing else but a Rock Pipit

Auf frischer Tat ertappt, du Vogel:


same

Mehlwurm-to-go (Teil 2):


lecker Mealworm for nothing

Gefiederpflege ist soooo wichtig:


preening

Was machst du denn da?


another specimen

Dieser Strandpieper stand zunächst einige Sekunden lang einfach nur so herum.

Dann kackte er plötzlich und lief anschließend ein paar Schritte, nur um dann zum Ausgangspunkt zurückzugehen und sich mit seinem linken Fuß mitten in den noch warmen Haufen zu stellen. Es muss ihm gefallen haben, denn er blieb eine ganze Weile so stehen.

Und wenn wir schon bei diesem Thema sind.

Kunst am Stein:



art (artist: Rock Pipit)

Ein anderer Vogel, diesmal mit einer fast weißen Unterseite:


Rock Pipit with almost white underparts

Diesen hier (eigentlich sind es zwei Vögel) würde ich als ein ganz normales Weibchen einstufen:



last two pictures show the same female

Diesen auch:




last three images show the same specimen, likely a female

Die Mehlwürmer immer im Blick:


the last Rock Pipit for today

Das war er, der letzte Strandpieper in diesem Beitrag.

Doch eventuell werden weitere folgen, denn auch jetzt noch halten sich etliche Individuen in den Salzwiesen zwischen Hamswehrum und Pilsum auf. Vielleicht habe ich Glück und kriege noch einen weiteren beringten Vogel vor meine kurze Linse. 

Man weiß es nicht. 

Auf der anderen Seite bin ich mit dem Resultat meiner Bemühungen schon sehr zufrieden. Vor einem Jahr hatte ich weniger Glück. Der März 2021 bestach vor allem durch graues und windiges Wetter, und zu allem Überfluss schwappte die Nordsee ein ums andere mal über. Unter solchen Bedingungen waren Bilder an meinem Steinhaufen direkt an der Wasserkante kaum möglich. Es war also nicht verwunderlich, dass ich 2021 nur ein einziges prächtiges Männchen knipsen konnte. Und das auch noch bei bereits viel zu hoch stehender Sonne und somit blödem Licht.

Wenn ich am Wochenende morgens in meinem Tarnzelt saß, dann schwammen oder liefen eigentlich immer Ringelgänse durchs Watt:


Brant

Ihre seltsamen Lautäußerungen klingen mir auch jetzt noch in den Ohren. 

Und am 15. März hörte ich abends die so schönen wie melancholischen Rufe von Singschwänen

Ich entdeckte sie aber erst, nachdem ich aus meinem Versteck geklettert war. Ganz weit draußen im Watt standen sie herum, um sich zu unterhalten und wichtige Entscheidungen zu treffen, nämlich wie und wann die Reise Richtung Skandinavien oder Russland weitergehen solle.  

Es war ein wunderschöner Abend:



Whooper Swan with Eemshaven (NL) in da background

Dieses letzte Bild dieses aktuellsten Beitrages in meinem Blog zeigt so ganz nebenbei ganz eindrucksvoll, warum Flüsse fließen.

Und wenn ich es mir jetzt so ansehe, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich diesen Abend mit diesem herrlichen Wetter selbst so erlebt habe.

Der Grund: Den ganzen Tag über tobt draußen ein heftiger Schneesturm. 

Die Hoffnung stirbt zuletzt.